Rede von Luca Samlidis, Fridays for Future: „Spannend, wie man sich selbst für Klimaneutralität 2050 feiern kann, obwohl das viel zu spät ist.“

Luca Samlidis sprach auf der Hauptversammlung der Deutschen Post AG 2019.

Sehr geehrte Klimaschützerinnen und Klimaschützer,

es würde mich interessieren, ob Sie sich durch diese Anrede angesprochen fühlen. Bei einem erstaunlich großen Teil von Ihnen würde ich nicht davon ausgehen – denn als Aktionärinnen und Aktionäre der Deutschen Post und DHL sind Sie alle, jeder einzelne von Ihnen, Teil eines immens großen Verantwortungsapparats. Eines Verantwortungsapparats, der nicht die Augen verschließen kann vor all dem, was gerade in der Welt geschieht – allem voran dem fortschreitenden Klimawandel, der uns über kurz oder lang in eine Klimakatastrophe führen wird.

Mein Name ist Luca Samlidis, ich spreche heute als Teil der „Fridays for Future“-Bewegung. Der Bewegung, die wöchentlich mehrere tausend Jugendliche in DE auf der Straße vereint, die für ihre und die Lebensgrundlage aller Menschen kämpfen. Nicht nur für die eigene, sondern auch für Ihre hier in diesem Saal, die Ihrer Kinder und Enkelkinder.

Ich habe eben zu Anfang von Verantwortung gesprochen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir alle eine Verantwortung haben, auch für die Veränderung des Klimas. Dabei geht es natürlich ein Stück weit um unseren eigenen Lebensstil, nachhaltigen Konsum, Reduktion und all die anderen Schlagworte, vor denen die Leugner des menschengemachten Klimawandels gern ihre Augen und Ohren verschließen. Aber es geht auch um etwas ganz anderes: Nämlich um die Rolle, die wir einnehmen. Das kann die der Mutter, des Vaters, des Arbeitnehmers, der Geschäftsführerin oder auch die des Vorstands eines Konzerns wie der Post sein. Oder Sie sind eben Aktionärin oder Aktionär, hier in diesem Saal.

Die Rollen schließen sich nicht unbedingt aus, jeder von Ihnen wird hoffentlich mehr als eine spielen. Und ich erzähle Ihnen das nicht zum Spaß oder weil ich Lust auf eine Debatte über allgemeine Soziologie habe, sondern ich möchte zeigen, wie das Konzept von Verantwortung in meinen Augen funktioniert. Denn als Familienvater können Sie entscheiden, wie nachhaltig sie einkaufen. Als Geschäftsführerin haben sie die Chance zu bestimmen, dass Sie möglichst klimaneutral produzieren. Und als Aktionärin oder Aktionär der Deutschen Post und DHL sind Sie dafür verantwortlich, Druck zu machen. Druck auf den Vorstand und den Aufsichtsrat, auf die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, damit sie das Richtige tun – auch für Ihre Kinder. Denn Sie sind hier in diesem Raum nicht nur Aktionärin oder Aktionär, sondern auch Mutter, Vater und vor allem: Mensch. Und die Summe der Verantwortung lastet immer auf Ihren Schultern.

Und jetzt möchte ich zu dem Punkt kommen, der sie bestimmt brennend interessiert – meine Sicht auf die Klimaziele der Deutschen Post. Ich persönlich finde es sehr spannend, wie sehr man sich selbst für Bestrebungen wie eine Klimaneutralität bis 2050 feiern kann, obwohl absolut klar ist, dass das viel zu spät ist. Im Vergleich sei die Deutsche Post gut aufgestellt? Freut mich. Aber schauen Sie sich um, lieber Vorstand – bringt das irgendjemandem hier etwas? Und glauben Sie ernsthaft, Sie könnten nicht mehr tun als bisher? Ich bin mir sicher, Sie können. Und Sie müssen. Sie haben versäumt, Ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Denn um Ihre selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen, ist noch einiges zu tun. Im Vergleich zum Jahr 2007 möchten Sie die CO2-Effizienz Ihres Unternehmens bis 2025 um 50 Prozent verbessern. Glauben Sie, das funktioniert so? Ihr Bericht zur Unternehmensverantwortung ist da nämlich sehr aufschlussreich. 2018 haben Sie den relativen Index CEX, der in Ihrem Haus entwickelt wurde, um 1 Prozent verbessert. Trotzdem finde ich es erschreckend, dass Sie das als Erfolg darstellen. Denn im Vergleich zum Jahr 2007 liegt er dennoch nur bei 33 Prozent höherer CO2-Effizienz. Heißt: Um das Teilziel bis 2025 zu erreichen, braucht es eine Verbesserung des Index von jährlich durchschnittlich 3 Prozent. Ihr Ziel für 2019: Wieder nur 1 Prozent, wie auch in 2018. Ich frage mich, wie Sie das ernst meinen können.

Ich bin mir bewusst darüber, dass jegliche Zahlenschlacht an diesem Ort wohl eher nicht den von mir gewünschten Effekt haben wird. Aber vielleicht können wir uns auf eines einigen: Wir alle müssen uns entscheiden, für was wir stehen und dementsprechend handeln. Und darauf möchte Fridays for Future eben auch aufmerksam machen.

Meine Fragen am heutigen Tag sind:

  • Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, damit der CEX so stark steigt, dass Sie Ihr Teilziel 2025 erreichen?
  • Was hindert Sie daran, CO2-Neutralität bis spätestens 2030 anzustreben?

Vor ein paar Wochen habe ich mit einem Menschen über all das hier gesprochen, der mir sehr wichtig ist. Kollektive Verantwortung kann nur wirklich zustandekommen, wenn jeder Einzelne Verantwortungsbewusstsein entwickelt und sich selbst hinterfragt, wurde mir in dem Gespräch gesagt. Und ich glaube, das stimmt. Also fangen Sie bei sich selbst an – als Mutter, Vater, Freund, Freundin und Aktionärin oder Aktionär – setzen Sie durch ihr Votum gegen die Entlastung des aktuellen Vorstands ein Zeichen für das, was richtig ist.

Vielen Dank und alles Gute.

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