„Machen Sie sich nicht mitschuldig an der Zwangsumsiedlung in Brasilien“: Rede von Christian Russau

Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Christian Russau, ich bin vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre stimmt KOMPLETT MIT ALLEN UNS ÜBERTRAGENEN AKTIEN GEGEN DIE ENTLASTUNG VON VORSTAND UND AUFSICHTSRAT der FRAPORT AG.

FRAPORT Brasil als 100%ige FRAPORT-Tochter hat zum 2. Januar 2018 den Betrieb des brasilianischen Flughafens Salgado Filho in Porto Alegre im Süden Brasiliens für die Dauer von 25 Jahren übernommen. FRAPORT hat sich dabei verpflichtet, am Standort Porto Alegre Infrastrukturmaßnahmen sowie den Ausbau des Flughafens vorzunehmen. Wie sagten Sie, Herr Schulte, anlässlich des Vertragsabschlusses: „Es erfüllt uns mit Stolz, dass wir heute mit Fortaleza und Porto Alegre zwei neue, ideale Standorte in unser internationales Flughafen-Portfolio aufnehmen können“.

Worauf sind Sie dabei stolz? Erfüllt es Sie, Herr Schulte, mit Stolz, was der Ausbau des Flughafens für die lokal vor Ort lebende Bevölkerung bedeutet? Erfüllt es Sie, Herr Schulte, mit Genugtuung, wenn Sie als FRAPORT nun darüber entscheiden dürfen, dass 5.000 Menschen der angrenzenden Vila Nazaré wegen der geplanten Landebahnerweiterung zwangsumgesiedelt werden, und zwar durch Sie, durch Ihre Firma? Stellt es Sie zufrieden, wenn Sie Menschen aus Ihren Häusern vertreiben, Arbeiterinnen und Arbeiter samt Ihren Kindern und deren Großeltern? Ich würde gerne wissen, was Sie sagen würden, wenn Sie jemand derart aus Ihrem Haus und aus Ihrem angestammten Stadtviertel vertreibt.

Worum geht es bei der Zwangsumsiedlung der 5.000 Menschen? FRAPORT hat beim Vertragsabschluss für den Flughafen Salgado Filho in Porto Alegre zugesagt, die Landebahn zu erweitern, damit dort auch größere Maschinen landen können. Deswegen sollen die 5.000 Menschen (das sind 1.500 Familien) dort weg.

Herr Schulte, Sie erklärten letztes Jahr, diese Menschen lebten dort illegal. Also, entweder beschummeln Ihre Mitarbeiter vor Ort Sie, wickeln Sie um den Finger und teilen Ihnen Falschmeldungen mit, dann wäre das zwar ungeheuerlich, aber Sie, Herr Schulte, träfe weniger Schuld. Oder aber Sie lügen, Herr Schulte. Wissentlich und willentlich. Um es ein für alle Mal klarzustellen, und ich fordere Sie auf, meinen Satz hier in der Öffentlichkeit zu widerlegen, sollten Sie dazu in der Lage sein, worauf ich mich in der Tat schon jetzt freue, denn entweder müssten Sie dann wieder falsch Zeugnis ablegen oder eben öffentlich Folgendes eingestehen. Denn, Herr Schulte, ich frage Sie: Wissen Sie, Herr Schulte, seit wie vielen Jahren die Menschen dort in der Vila Nazaré als Community leben?

Ich möchte von Ihnen die Antwort darauf hören. Aber, verehrte Damen und Herren, vorwegnehmen darf ich, dass die Menschen der Community der Vila Nazaré dort seit über 60 Jahren leben! Seit über 60 Jahren, seit über einem halben Jahrhundert! – Und Sie, Herr Schulte, schwadronieren etwas über „die leben dort illegal“. Seit 60 Jahren! Selten solch einen Schwachsinn von einem Vorstandsvorsitzenden gehört. Schon mal etwas von Bestandsschutz gehört? Wie erklären Sie sich, dass der Staat für das Stadtviertel der Vila Nazaré öffentliche Infrastruktur gebaut hatte in den vergangenen fünf Dekaden? Weil das da alles „Illegale“ waren? Herr Schulte, verkaufen Sie uns nicht für dumm.

Wie geht es weiter, – sollte FRAPORT sich durchsetzen? FRAPORT will die Arbeiterfamilien aus der Vila Nazaré an zwei verschiedene Standorte zwangsumsiedeln, an Standorte, die weit weg liegen, wo es für die Bewohnerinnen und Bewohner keine Jobs gibt und wo die Kriminalität sehr hoch ist. 15% der Betroffenen sollen in das Stadtviertel Nosso Senhor do Bom Fim zwangsumgesiedelt werden. 85% der 5.000 Menschen, also 4.250 Menschen, sollen in das Stadtviertel Irmãos Maristas, in der Region Timbaúva, zwangsumgesiedelt werden. Soll ich Ihnen sagen, wofür das Stadtviertel Irmãos Maristas bekannt ist? Dieses Stadtviertel Irmãos Maristas ist sehr berüchtigt, denn es gibt dort Drogengangs. Übernehmen Sie, Herr Schulte, die persönliche Verantwortung für jedes Schulkind, das in Zukunft auf dem Schulweg durch eine verirrte Kugel zwischen Drogengangs und Polizei getötet wurde? Können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren?

Die Vila Nazaré ist seit Jahrzehnten ein friedlicher Ort, eine Gemeinschaft, Menschen, die morgens ihre Kinder und Enkelkinder zur Schule bringen, bevor sie selbst zur Arbeit gehen, eine Gegend, wo man sich kennt und grüßt. Und diese Menschen werden nun in eine der berüchtigsten Drogengegenden von Porto Alegre zwangsumgesiedelt. Und dies von Ihnen, Herr Schulte. Man würde Ihnen fast wünschen, dass Sie auch mal so etwas durchmachen müssten, damit Sie die Tragweite und Schwere des Ganzen verstehen.

Die betroffenen Familien jedenfalls lehnen diese Zwangsumsiedlung strikt ab und werfen FRAPORT und der Lokalregierung vor, in einem Klima von Drohungen und Einschüchterungen die Rechte der dort lebenden Arbeiterfamilien zu missachten, die Räumungsandrohungen ohne zureichende Informationen und in einer besorgniserregenden Intransparenz durchführen zu wollen.

Die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré wollen dort wohnen bleiben, wo sie schon immer gewohnt haben. Bis heute wurde der Community keine Studie vorgelegt, die die Notwendigkeit der Zwangsumsiedlung erklärt. Den Familien wurden keinerlei Informationen gegeben.

Und FRAPORT, FRAPORT will den Airport erweitern, in der Wahl zwischen Flugzeugen und Menschen entscheidet sich FRAPORT… für die Flugzeuge. Und greift dabei auf die für Zwangsräumungen in Porto Alegre berüchtigte Firma Itazi zurück. Die wirbt auf ihrer Webseite nämlich mit ihrem Service, und wissen, was die da ungefiltert schreiben? Die Firma Itazi bewirbt sich dort selbst für ihre „Agilität, die sie im Rahmen des Prozesses der Enteignung zum Zwecke der Freimachung des Geländes für den Baubeginn einzusetzen vermag“. (eigene Übersetzung). Herr Schulte: woran denken Sie intuitiv, wenn Sie solche Sätze hören? „Agilität“, um eine Gelände von Bewohnerinnen und Bewohner freizumachen? Wird Ihnen da nicht auch gruselig zumute?

Sehr verehrte Damen und Herren Aktionärinnen und Aktionäre. Lassen Sie das nicht zu. Stoppen Sie Herrn Schulte, verweigern Sie ihm die Entlastung. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Vila Nazaré haben Ihre Solidarität dringend nötig. Machen Sie sich nicht mitschuldig an der Zwangsumsiedlung von Menschen in Brasilien!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit

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