„Sprecht mit uns. Macht euch selbst ein Bild“: Brief von Gunarti an die Aktionär*innen von HeidelbergCement

Gunarti ist Mutter, Großmutter und Bäuerin, wie ihre Eltern und Großeltern. Gunarti (die wie viele Menschen auf der indonesischen Insel Java nur einen Namen hat) gehört zur indigenen Gruppe der Samin und ist Mitglied des Netzwerkes der Menschen, denen das Kendeng-Gebirge am Herzen liegt (JMPPK). JMPPK setzt sich seit Jahren für den Erhalt des Karstgebirges ein, dass mit seinen unterirdischen Wasserläufen für die lokale Landwirtschaft unverzichtbar ist. Der Bau von Zementfabriken am Kendeng-Gebirge, u.a. geplant von Indocement, dem Tochterunternehmen der deutschen HeidelbergCement, würde den lokalen Kleinbäuer*innen die Existenzgrundlage entziehen. Aus diesem Grund reiste Gunarti 2017 auf Einladung des transnationalen Solidaritätsnetzwerkes Save Kendeng nach Deutschland und appellierte auf der Hauptversammlung von HeidelbergCement an die Aktionär*innen, den zerstörerischen Kurs des Unternehmens nicht zu unterstützen. Da dieser Appell bislang offenbar nicht gefruchtet hat, erinnert Gunarti nun erneut die HC-Aktionär*innen auf diesem Weg an ihre Verantwortung.

Vor 11 Jahren verlief das Leben am Kendeng- Gebirge noch ungestört. Morgens begrüßten die Hähne lautstark den neuen Tag. Die Vögel zwitscherten. Und aus vielen Quellen des Gebirges floss das Wasser in Strömen ins Tal. Wir lebten in Frieden und Ausgeglichenheit.

Die Frauen in den Dörfern begannen den Tag mit Wasser holen. Sie kochten das Essen, das sie später mit auf die Felder nehmen würden. Gegen fünf Uhr morgens machten sich die Menschen auf den Weg zu ihren Reis- und Gemüsefeldern. Familien mit Kindern und ihre Nachbar*innen liefen Seite an Seite. Laut war ihr Lachen zu hören, wenn jemand einen Scherz machte. Begleitet wurden sie von Kühen und Ziegen, die sie zum Weiden trieben.

Wir waren zufrieden mit unserem Leben. Wir lebten in Wohlstand, wir hatten genug von allem, was wir brauchten. Wir hatten Gemeinschaft, Harmonie, Frieden und Gelassenheit. Wir waren von Problemen und Bedrohungen weit entfernt.

Doch bald darauf begann sich alles zu verändern. Geliebte Mutter, wo ist dein Lächeln geblieben, wo dein Frieden und deine Gelassenheit? Wo ist die Harmonie deiner Gemeinschaft geblieben?

Ich sehe Mutter Erde, sehe ihre Erschöpfung, ihre Traurigkeit. Ich sehe, wie sie weint. Der Wind ist nicht mehr so erfrischend wie früher. Das Wasser ist nicht mehr so klar wie früher. Der Himmel ist nicht mehr so blau wie früher. Und das Kendeng-Gebirge ist nicht mehr so dicht bewachsen wie früher. So dass viele Tiere dort keine Heimat mehr finden.

Wer ist für all das verantwortlich? Es sind Unternehmen wie Indocement, die die Natur zerstören, die unter den Menschen für Unruhe und Chaos sorgen. Verantwortlich sind Firmen wie Indocement – und all jene, die diese Firmen unterstützen.

Seit Jahren bekommt Ihr Aktionär*innen von HeidelbergCement lediglich Berichte eures Tochterunternehmens aus unserem Gebiet, dem Kendeng-Gebirge. Und ihr schenkt diesen Berichten Glauben, ohne euch selbst ein Bild zu machen. Ohne wissen zu wollen, wie das Leben bei uns wirklich ist. Ihr nehmt euch keine Zeit, um innezuhalten, um all das Gute zu fühlen, in dem Leben, das wir führen. Und all das tut ihr nur für Geld, für Besitz, für Luxusgüter.

Ich glaube daran, dass auch eure Herzen sich öffnen können. Wir sind Kinder derselben Schöpfung. Seid ihr in der Lage, euch die Bedrohung, die Traurigkeit, die Verbrechen vorzustellen, denen wir ausgesetzt sind? Seid ihr in der Lage, sie euch so vorzustellen, als würden sie euren eigenen Familien widerfahren?

Immer mehr Katastrophen geschehen. Im vergangenen Jahr begann die Corona-Pandemie. Eigentlich hätte dies ein Weckruf für die Menschheit sein können. Ein Weckruf in der Form eines Virus, den wir nicht mal mit bloßen Augen sehen können. Ein Weckruf, der uns zeigt, was wir am dringendsten brauchen: Sauberes Wasser und gesunde Nahrung. Bis heute haben viele Menschen diesen Weckruf nicht verstanden. Und bis heute dauert die Pandemie an.

Das Jahr 2021 begann für uns außerdem mit Überschwemmungen. Bis heute gibt es bei uns am Kendeng-Gebirge überschwemmte Reisfelder, auf denen die Ernte ausfällt. Es ist eine Katastrophe, die Menschen gemacht ist. Die Überschwemmungen, denen Dörfer und Felder zum Opfer fallen, geschehen, weil die Menschen fortgesetzt Mutter Erde vergewaltigen. Sie tun ihr Gewalt an, indem sie Bergbau betreiben und Wälder abholzen bis ganze Landstriche kahl zurück bleiben. Und dann gibt es nichts mehr, was das Wasser aufhalten kann.

Wenn es keine Felder mehr gibt, auf denen man etwas anbauen kann, was wollt ihr dann essen? Wenn es keine Bauern und Bäuerinnen wie uns mehr gibt, wer wird euch dann mit Nahrungsmitteln versorgen?

Der Regierung scheint das egal zu sein. Sie verändert Regeln zum Schaden ihres Volkes und zum Nutzen von Unternehmern. Unser Gebiet hatte einst eine Raumordnung, die dort Landwirtschaft und Tourismus zuließ. Ausgerechnet im Jahr 2010, als Indocement seine Interessen an einem Fabrikbau bekundete, wurde diese lokale Raumplanung verändert, so dass sie fortan auch Industrie und Bergbau ermöglichte.

Die Regierung verletzt uns, die Menschen werden unterdrückt und Ihr Aktionär*innen genießt euren Wohlstand, der auf unserem Leid errichtet wird. Auf dem Leid von uns Frauen, der Frauen vom Kendeng-Gebirge. Auf dem Leid von Mutter Erde. Seid ihr nicht alle aus dem Schoß einer Mutter gekommen? Öffnet eure Herzen, hört auf eure Herzen! Hört auf die Stimmen eurer Mütter!

Und ihr, die ihr unsere Geschwister seid, sollt wissen, dass wir von unseren Vorfahren das Mandat bekommen haben, das Kendeng-Gebirge in Zentraljava zu beschützen. Unser Gebiet wird „die Reisscheune“ Javas, ja sogar Indonesiens, genannt, weil es so fruchtbar ist. 

Das Unternehmen, das Sie unterstützen, will das mit Gewalt zerstören. Würdet ihr so mit dem Mandat eurer Vorfahren umgehen? Würdet ihr das auf eurem Gebiet einfach so hinnehmen?

Deshalb bitten wir euch Aktionär*innen inständig und in aller Bescheidenheit: Beendet eure Unterstützung für Indocement! Glaubt nicht einfach deren Berichten, in denen alles ganz wunderbar klingt. Kommt zu uns. Sprecht mit uns. Macht euch selbst ein Bild.

Tut ihr das nicht, werden eure Unternehmensanteile nichts anderes sein als Anteile an der Zerstörung unserer Mutter Erde. Und die Folgen eures Tuns werdet schließlich auch ihr und eure Familien zu spüren bekommen.

Ihr solltet die Erde ehren und bewahren, die euch doch alles gegeben hat, was ihr in eurem Leben genießt. Ihr solltet die Erde nicht wütend machen.

DIE ERDE HAT UNS BESCHENKT.

LASST UNS DIE ERDE SCHÜTZEN.

SO DASS DIE ERDE ERHALTEN BLEIBT.

Salam Kendeng Lestari!

(Ewig sei das Kendeng-Gebirge!)

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  1. […] Gunarti hat sich auch an uns gewandt, um direkt mit den Verantwortlichen von HeidelbergCement in Kontakt treten zu können. Auf der kommenden Hauptversammlung von HeidelbergCement und im Dialog mit anderen Investor*innen werden wir den Fall weiter auf die Agenda setzen. […]

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