Rede Verena Glass

Geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Verena Glass und ich bin Brasilianerin. Ich spreche ein wenig deutsch
und werde versuchen, mich Ihnen verständlich zu machen in Ihrer Sprache. Deshalb
bitte ich Sie um Verständnis für mögliche Fehler. Ich möchte Ihnen erzählen von den
großen Wasserkraftwerken, die im Herzen Amazoniens gebaut werden und die von
der MunichRE rückversichert werden.

Ich lebe nicht in Amazonien. Ich wohne in São Paulo, hunderte von Kilometern vom
Regenwald entfernt. Aber ich arbeite seit über 10 Jahren mit der Bevölkerung
Amazoniens zusammen. Ich bin Teil von der Bewegung Movimento Xingu Vivo para
Sempre, die die stärkste Widerstandsgruppe gegen den Bau des Staudamms Belo
Monte ist, jener Staudamm, den Sie rückversichern und der für einen Teil der
Gewinne der Firma und somit auch der Aktionäre verantwortlich ist.

Ich war bereits vor zwei Jahren hier und habe Ihnen, werte Aktionäre, über die
schlimme Situation rund um den Staudamm Belo Monte berichtet. Aktuell spitzt sich
die Situation vor Ort immer weiter zu, so dass ich mich entschieden habe, nochmals
hierher zu kommen, und Sie dringend auffordere, sich endlich spürbar einzumischen
und Verantwortung zu übernehmen.

Um anzufangen, sage ich Ihnen, dass zu Beginn dieses Jahres bekannt wurde, dass
Belo Monte Teil eines der größten Korruptionsskandale der Geschichte meines
Landes ist. Diese Korruptionsvorwürfe betreffen unter anderem den damaligen
Minister für Bergbau und Energie, Edison Lobão. Um an die Bauaufträge für den
Staudamm Belo Monte zu kommen, haben die Baufirmen mehr als 30 Millionen Euro
Schmiergeld gezahlt an die Parteien, die an der Regierung sind. Die gleiche
Regierung garantiert der MunichRE, dass es bei Belo Monte keine sozialen oder
Umweltprobleme gebe. Genau dieses Argument bringt die Firma MunichRE immer
wieder, um ihre Beteiligung an dem Vorhaben zu rechtfertigen.

Also, vergessen wir nicht: Belo Monte, das Bauvorhaben, das in Brasilien am meisten
Gerichtsprozesse hat wegen Verstößen gegen Umwelt- und Sozialgesetze, wird
gebaut, weil es Korruption von Regierungsmitgliedern gab.

Ich frage Sie, Herr von Bomhard: Inwiefern ist Ihnen bekannt, dass einige
Bauunternehmen Schmiergelder gezahlt haben, um an Bauaufträge für Belo Monte zu
kommen? Welche Konsequenzen gedenkt die MunichRE daraus konkret (und für
andere laufende sowie kommende Rückversicherungen in Brasilien) zu ziehen?
Belo Monte ist das teuerste aller je in Brasilien gebauten Bauprojekte. Trotz der mehr
als 10 Milliarden Euro ist das Bauprojekt nicht in der vorgesehenen Zeit fertig
geworden und der zeitliche Verzug kann für die beteiligten Firmen Millionenstrafen
bedeuten. Aber was bedeutet das alles für die Bevölkerung, die am Fluss Xingu und
in den nahen Dörfer und Städten leben?

Es bedeutet 2 Sachen: Viele der Maßnahmen, die die enormen Auswirkungen von
Belo Monte auf Mensch und Natur ausgleichen sollten, wurden in den verstrichenen
Jahren nicht getan: Es gibt keine angemessene Gesundheitsversorgung vor Ort, keine
Abwasserversorgung, nicht den versprochenen Wohnraum, die Bildung vor Ort ist
einzige Misere – all das macht aus der Region eine Hölle des Elends und der Gewalt.
2014 wurden 14 minderjährige Mädchen in der Stadt Altamira vergewaltigt, 108
Frauen wurden laut polizeilichen Anzeigen schwer mißhandelt. Nun soll der Zeitplan
des Baus zur Fertigstellung des Wasserkraftwerks beschleunigt werden, indem die
Baufirmen im Hauruck die Häuser der betroffenen Menschen abreißen, die Bewohner
zwangsgeräumt und die letzten im Fluss verbliebenen Inseln zerstört.

All dies geschieht ohne hinreichende Entschädigungen und ohne die Beachtung der gesetzlich eigentlich garantierten Rechte der betroffenen Bevölkerung. Ganze Stadtviertel
werden mit Bulldozern plattgemacht. Es sind vor allem die Frauen und Kinder, die
auf die Straße gesetzt werden, sich selbst überlassen. Dort sitzen die Kinder im
klatschnassen Lehm, weil es jetzt Regenzeit ist in Amazonien. Das alles ist so
schlimm, dass als Pflichtverteidiger des Bundes (von der Defensoria Pública da
União) eine Notfallgruppe von Anwälten nach Altamira entsandt wurden. Diese
Notfallgruppe von Anwälten sah sich binnen kürzester Zeit mehr als 1.000
Einzelklagen der ärmsten Bevölkerungsschicht vor Ort gegenüber.

Jahr für Jahr hören Sie hier auf der Hauptversammlung Berichte über die ganze
Brutalität von Belo Monte gegen den Regenwald und seine Völker. Aber die
MunichRe ist nicht nur nicht interessiert an der Kritik, sondern obendrein hat sie sich
auch an weiteren Staudämmen beteiligt – so am Staudamm Teles Pires im
Bundesstaat Mato Grosso. Also auch von dort her stammt ein Teil des Gewinnes, den
Sie machen.

Am Teles Pires haben die Baufirmen einen riesigen Wasserfall gesprengt: Dieser
Wasserfall heißt Sete Quedas. Für die Indigenen Kayabi, Apyaka und Munduruku ist
Sete Quedas ihr heiligster Ort. Wie würden Sie reagieren, wenn eine Baufirma daher
kommt und die Münchener Frauenkirche mit Bulldozern einreißt?
Die Baugenehmigungen wurden mehrfach auf dem Rechtsweg vor Gericht gestoppt,
weil die Studien zu den Folgen des Baus auf die indigenen Bevölkerungen nie
durchgeführt wurden und nie die Konsultation der Indigenen gemacht wurde, die von
der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zwingend
vorgeschrieben wird. Und im Jahr 2012 hat die Regierung dort die Bundespolizei
hingeschickt, um Proteste zu unterbinden. Dabei wurde ein indigener Munduruku
brutal ermordet mit einem Schuss in den Rücken. Der Polizist wurde nie vor Gericht
gestellt.

Aber ich wollte Ihnen berichten, was auch die Folge der Zerstörung des Heiligen
Ortes – des Wasserfalls Sete Quedas – für die Munduruku war: Viele sind in tiefe
Depressionen gestürzt. Sete Quedas ist für die dort lebenden Indigenen eine wichtige
kulturelle Stätte, ihr Heiligtum. wo sie ihre Götter verehren können. Sete Quedas hat
eben mindestens einen so hohen Stellenwert für die Indigenen dort wie für Sie
Katholiken hier die Münchener Frauenkirche!!!! Und Sie sichern diese Zerstörung
mit einer Rückversicherung ab!

Ich frage Sie: In Ihren Richtlinien sagen Sie, dass Sie bei Rückversicherungen auch
den Aspekt “Kulturelle Erbstätten” prüfen und berücksichtigen. Warum führte die
Prüfung von Teles-Pires dann nicht konsequenterweise zu einem “Nein”?
Als bei Teles Pires das Staubecken geflutet wurde, wurde kilometerweise Vegetation
zerstört und Tausende Fische starben. Dies brachte den Betreibern eine weitere
Justizklage ein. Zudem müssen wir Sie an dieser Stelle daran erinnern, dass die
neusten Zahlen von 2015 zur Waldrodung in Amazonien einen Anstieg von 280%
nachweisen, geschuldet vor allem dem Bau von Staudämmen. Daran sollten wir uns
erinnern, wenn wir das nächste Mal mit Freunden über den Klimawandel reden.
Wir, die wir in den Städten wohnen, weit weg von Amazonien, müssen wir unser
Wohlergehen auf dem Leid anderer aufbauen? Wie würden Sie reagiern, wenn eines
Tages jemand daherkommt und Ihre Kirche mit einem Bulldozer plattmacht, Ihre
Kirche, in die Sie Sonntags zum Gottesdienst gehen? Und als hätte Sie das nicht
schon genug aufgebracht, kommen Sie nach Hause und Ihr Wohnhaus wurde
ebenfalls dem Erdboden gleichgemacht, ohne dass es angemessene Verhandlungen
oder Entschädigungen gegeben hätte? Und wenn dann unsere Straße aufgerissen
wurde, der kleine Supermarkt an der Ecke total demoliert und abgerissen wurde, der
Park nebenan abgeholzt wurde und dort nun ein Staudamm gebaut werden würde,
und dann kommt da jemand Offizielles daher und sagt Ihnen, ja, das müsse so sein,
weil weit, weit weg, da wohnen Leute und die brauchen Strom zum Aufladen ihrer
Handys und Laptops?

Als ich klein war, hat mich meine Oma aus Innsbruck ein Kinderlied gelehrt, das
ungefähr so ging: “Es regnet, Gott segnet, die Erde wird nass. Wir sitzen im
Trocknen, was schadet uns das?”

Ich habe mich letztlich viel an dieses Liedchen erinnert. Wir sitzen im Trocknen,
essen gut, haben schöne Ferien, fahren tolle Autos, wunderbar. Aber leider sind
Kinder und Menschen anderswo obdachlos und schlafen im Schlamm, und das auch,
weil Sie sich als Rückversicherer nicht genug eingemischt haben, um das zu
verhindern. Weil Sie vielleicht nicht genug geprüft und nachgefragt haben, wie die
Situation vor Ort wirklich ist. Bitte fangen Sie endlich an, etwas dagegen zu tun! Tun
Sie es bitte schon heute, hier und jetzt auf dieser Aktionärsversammlung!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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