Rede Christian Russau

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau, ich spreche hier für die Initiative GegenStrömiung, die sich für menschenrechtskonformes Handeln von deutschen Unternehmen im Ausland einsetzt, und ich bin Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.

Wieder einmal müssen wir als erstes über Fußball reden. Kennen Sie die Studie von Transparency International und Forza Football, die im Februar dieses Jahres die Auswertung der Befragung von 25.000 Fußballfans weltweit bekanntgab? 57% halten Fußball für korrupter als andere Sportarten. 69% sagten, sie vertrauen der FIFA nicht. Das klingt ja recht bedrohlich nach einem gewaltigen Imageschaden, den die FIFA sich da durch ihre jahrzehntelange Praxis eingefangen hat. Wenn wir hier im Saal rumfragten, wer denn die FIFA nicht für korrupt hielte, das Ergebnis dürfte ähnlich deutlich ausfallen. Warum aber steht die Münchener Rück weiterhin derart blind für gesellschaftliche Erkenntnisprozesse Seit an Seit neben der FIFA und versichert eine Fußball-WM nach der anderen? Im vergangenen Jahr bestätigten Sie mir, dass die Entscheidungen zur Versicherung der WM in Katar noch nicht gefallen sei, aber dass die Münchener Rück dort bereits einige Bauvorhaben im WMZusammenhang versichere.

Ich frage Sie konkret: Welche konkreten Schritte haben Sie unternommen, nachdem die diversen Presseberichte zu Todesfällen auf Katars-WM-Baustellen publik wurden? Ich frage Sie: Wie oft haben Sie sich beispielsweise mit Gewerkschaftsverbänden zusammengesetzt, um gemeinsam robuste und verlässliche Methoden zu entwickeln, die dem entgegenwirken? Sind Ihnen die Zahlen der auf den WM-Baustellen in Katar zu Tode gekommenen Arbeiter überhaupt bekannt? Haben Sie diesbezüglich eine Taskforce eingerichtet?

Das Gleiche gilt im übrigen auch für Olympia. Im vergangenen Jahr wurden in Rio de Janeiro von den Behörden elf Arbeiter aus sklavenarbeitsähnlichen Zuständen auf einer von der Münchener Rück per Rückversicherung gedeckten Baustelle für den künftigen Olympiapark befreit. Als ich Ihnen das mitteilte, war die Antwort der Münchener Rück wie folgt: „Wir haben Ihren Hinweis zum Anlass genommen, unsere Mitarbeiter vor Ort neuerlich für dieses Thema zu sensibilisieren. Sie werden unserem Vertragspartner unsere Haltung gegenüber Menschenrechtsverletzungen erläutern. Darüber hinaus haben wir sie angewiesen, dies bei nächster Gelegenheit – etwa bei einer Inspektion der Baustelle – auch gegenüber dem Versicherten zu tun.“ „Sensibilisieren“ und „Haltung erläutern“, das alles ist schön und gut – es geht aber darum, eine robuste, effektive, unmißverständliche und nachvollziehbare Praxis gegen Sklavenarbeit einzuführen! Da erwarte ich noch viel, viel mehr von Ihnen!

Viel zu oft übersieht die Münchener Rück die Dimensionen und Auswüchse bei den Großprojekten, deren Rückversicherung sie übernommen hat. Menschenrechte sind nicht verhandelbar und sind nicht nur ein Element unter vielen! Denken Sie nicht, dass Sie Ihre viel über den Klee gelobte Selbstsicht eines „verantwortungsvollen Unternehmens“ endlich an den eigenen Realitäten messen sollten – und aus dem Business der Rückversicherung solcher sportlicher Kommerzgroßevents wie WM und Olympia und all den damit zusammenhängenden Menschenrechtsverletzungen demonstrativ aussteigen sollten? Oder haben Sie vielleicht im Geheimen bei der Konkurrenz eine Reputationsschadenversicherung abgeschlossen?

Nächstes Thema: Staudamm Belo Monte und wahrlich kein schönes Ende.

Ich war im März vor Ort und habe den drittgrößten Staudamm der Welt, dessen Bau Sie mit 25% der Rückversicherungssumme in Deckung genommen haben, inspiziert. Seit Jahren wird die Münchener Rück von uns Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen wegen Ihres Rückversicherungsengagement bei Belo Monte kritisiert. Trotzdem sieht die Münchener Rück weiterhin keine Notwendigkeit, intervenierend einzugreifen. Dabei sind die Vorgänge haarsträubend.

Vor wenigen Wochen erst hat der Staudammbetreiber Norte Energia von den Umweltbehörden eine Strafzahlung in Höhe von umgerechnet 10 Millionen Euro verhängt bekommen, weil das Ergebnis der Flutung des Reservoirs von Dezember und Januar waren 16 Tonnen toter Fische.

Bei meiner Vorortbegutachtung im März 2016 musste ich zudem feststellen, dass aufgrund der anhaltenden Regenfälle die Flutung des Damms schneller als von den Betreibern geplant fortgeschritten war, der Damm war randvoll, wir haben dazu entsprechende Luftaufnahmen angefertigt, die wir auch der Staatsanwaltschaft übergeben haben, und wir mussten erfahren, wie die Situation vor Ort außer Kontrolle geriet. Die Betreiber haben zur Entlastung des Stausees bei Belo Monte enorme Wassermengen unter Zeitdruck in die Volta Grande, die Große Flussschleife, entlassen. Die unterhalb der Staustufe Pimental lebenden Indigenen haben mir in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft bestätigt, dass sie über diese Maßnahme nicht angemessen informiert wurden. In dem betroffenen indigenen Dorf gibt es nur ein Handy, und das war gerade mit dem Kaziken in der Stadt Altamira, mehrere Bootsstunden entfernt, als der Staudammbetreiber anrief und sagte, sie würden jetzt die Schleusen öffnen. Auf die dringende Frage des Kaziken, damit bis zum nächsten Morgen früh zu warten, wenn der Radiofunk wieder funktioniert, wurde nicht eingegangen. Am nächsten Morgen gelang es dem Kaziken, mit seinem Dorf per Radiofunk zu kommunizieren. Deren Aussagen zufolge kam das Wasser wie eine Flut, ein meterhoher Tsunami, riss Boote, Motoren und Netze mit, die Menschen gerieten in Panik, weil sie dachten, der Damm sei gebrochen. Diese Aussagen liegen nun bei der Bundesstaatsanwaltschaft.

Sie, die Münchener Rück, als führende Rückversicherin der Staudamms hat zulange auf die Aussagen der Staudammbetreiberin Norte Energia vertraut und das von den Nichtregierungsorganisationen mehrfach geäußerte Angebot zur Kontaktvermittlung zu den betroffenen Menschen vor Ort ausgeschlagen. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Ihre Ignoranz zeigt einmal mehr, dass Versicherer ihr Arbeitsfeld vor allem bei Großprojekten zu engstirnig als reine Kundenbeziehung missverstehen und den Blick für die ganze Kette an Folgen für die betroffenen Menschen vor Ort verlieren. Menschenrechte sind eben nicht nur ein Faktor und vielen anderen! Wann werden Sie endlich eine entsprechend kohärente und koordinierte Politik für ihr Konzernhandeln erarbeiten? Denn dass da Erhebliches im Argen liegt, offenbart doch die Tatsache, dass die Münchener Rück und ihr Branchenkonkurrent Swiss Re eigentlich den gleichen Selbstverpflichtungsrichtlinien unterliegen: Im Versicherungsgeschäft sind das die UN-Principles for Sustainable Insurance, also die UN-Prinzipien für nachhaltige Versicherungen.

Wie kann es dann also sein, dass schon 2010/2011 die Swiss Re für sich entschied: „Am Belo-Monte-Damm haben wir uns nicht beteiligt, weil er inakzeptable Auswirkungen auf das Ökosystem und vor allem auf die indigene Bevölkerung hat“, und die Münchener Rück – agierend auf den gleichen Kriterien – tappt da blind rein? Prüfen Sie etwa bei Projektentscheid nicht entlang Ihrer Kriterien? Oder war die Profitgier dann doch größer? War es bei Ihrer Anwendung der UN-PSI-Kriterien nun so, dass Sie die Kriterien entweder nicht verstanden haben (war das Dummheit oder Absicht und Kalkül?) oder ist es bei diesen kriterien eher so, dass sich jede/r da hineininterpretiert, was grade in den Kram paßt? Dann taugen diese Kriterien wirklich nichts. Ich frage Sie: Was sind denn Ihre Lehren aus der Belo-Monte-Rückversicherung? Beteiligen Sie sich an der Rückversicherung des Staudammbetriebes? Wenn ja, unter welchen Bedingungen? Wenn nein, warum nicht? Haben Sie konkret daraus Rückschlüsse für Ihr künftiges Vorgehen in Staudammfragen gezogen? Falls ja: Welche? Welche konkreten Ausschlusskriterien besitzen Sie bei Staudämmen? Unter welchen Bedingungen würden Sie künftig keine Staudämme mehr versichern?

Und, bitte, kommen Sie mir nicht wieder mit der Mär der vermeintlichen Klimaneutralität der Wasserkraft. Belo Monte wird Berechnungen des US-amerikanischen Wissenschaftlers Philip Fearnside in den ersten zehn Betriebsjahren so viel Treibhausgase ausstoßen wie die 20 Millionen-Metropole São Paulo.

Das bringt mich zu der konkreten Gretchen-Frage: Wie halten Sie es mit der künftigen Ausschreibung für den São Luiz do Tapajós-Staudamm am gleichnamigen Fluss? Greenpeace hat Sie diesbezüglich im Vorfeld befragt und Ihre Antwort fiel ja reichlich peinlich-dürftig aus: Die Münchener Rück würde wie üblich die Risiken analysieren und dabei auch die Umwelt- und Durchführungsfragen begutachten. Interessant, dass dort „Menschenrechte“ nicht einmal als Begriff auftaucht. Ist Ihnen die Klage der Bundesstaatsanwaltschaft gegen die Regierung in Brasília, gegen die Staudammbetreiberin von Belo Monte, Norte Energia, bekannt, die beiden vorwirft, mit dem Staudamm Belo Monte Ethnozid an den indigenen Gruppen zu betreiben? Nicht? Das sollte uns und Ihnen doch zu denken geben.

Hinzu kommen die neuesten Infos über Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe an Politiker, die an den Entscheidungsprozessen zu Belo Monte maßgeblich beteiligt waren. Angesichts des Engagements der Münchener Rück bei Staudämmen und Flusszerstörung in Brasilien, muss ich nun diesbezüglich zu meiner alljährlichen Ceterum Censeo-Konklusions-Frage kommen: Hier in Deutschland, da setzt sich die Münchener Rück eifrigst über ihre Stiftung für die Renaturierung der Isar ein, – aber in Amazonien, da helfen Sie eifrig mit, die Flüsse plattzumachen. Moralische Fragen sind bei ihnen wohl immer nur dann gefragt, wenn es um Ihre eigene Lebenswelt geht.

Ich komme nun zum letzten Punkt: Bei meiner Vorortrecherche in Brasilien bin ich auch den gesamten Rio Doce, von der Mündung bei Regência bis in die Gegend von Mariana, Bento Rodrigues, gereist und habe mir die Zerstörung des Flusses durch den Dammbruch der Samarco-Mine angeschaut, und mit den Flussanwohnern, den Fischern, den Indigenen gesprochen.

Die Münchener Rück erwähnt den Dammbruch bei Mariana als „Schaden“, den Sie zu tragen hätten. Doch augenfällig ist schon, wie grob fahrlässig diese Ihre Unterversicherung des Damms Fundão des brasilianischen Minenbetreibers Samarco, der am 5.11.2015 brach, war. 19 Menschen kostete der Bruch das Leben, hunderte Menschen wurden obdachlos gemacht und der Fluss Rio Doce auf 680 km verseucht, so dass tausende Fischer vor dem wirtschaftlichen Aus stehen, während über eine Million Menschen entlang des Rio Doce ihr Trinkwasser provisorisch aus Tanklastern beziehen müssen. Die von der Münchener Rück bezifferte Schadenssumme von 156 Mio. € deckt aber nur einen Bruchteil ab, insgesamt wird von Kosten von 5 Mrd. € (Staatsschätzung) bis zu 20 Mrd. € (Zivilgesellschaftssschätzung) ausgegangen, von denen nur ein Bruchteil durch die Versicherungen abgedeckt ist. Zur Erinnerung: die Renaturierung des Rheins von der industriellen Verschmutzung hat in den vergangenen 50 Jahren 100 Milliarden Euro gekostet.

Ich frage Sie: Wie oft haben Fachleute im Auftrag der Münchener Rück vor dem Dammbruch bei Mariana den Damm Fundão vor Ort begutachtet und auf welcher Basis wurde die Rechnung angestellt, die nun im Schadensfall auf einen Anteil der Münchener Rück von 156 Mio. € errechnet? Welchen Anteil am versicherten Gesamtschaden in Prozent deckt Ihre Police? Deckt Ihre Police den Schaden Dritter oder den entfallenen Gewinn der Minenbetreiberin Samarco? Und allgemein: Erklären Sie mir bitte, wie es zu einer solch grob fahrlässigen Unterversicherung der Samarco kommen konnte? Hat da nie ein Techniker sich das Tal angeschaut, durch das bei einem Dammbruch die Giftmasse ihre Weg walzen würde und nie bemerkt, dass da 62 Mio. Tonnen Giftschlamm sich unweigerlich ihren Weg bahnen würden auf 680 km Länge?

Hinzu kommt: Bei der Staatsanwaltschaft liegen derzeit die Aussagen der Ingenieure, dass bereits vor Jahren auf die Gefahren des Dammbruches hingewiesen wurde, den Hinweisen aber nicht nachgegangen wurde. Ich frage Sie: Wie kam es zu dieser grob fahrlässigen Unterversicherung im Falle von Samarco? Wie oft haben Ihre Fachleute die Dokumente zum Damm sowie den Damm selbst geprüft? Und vor allem interessiert mich, haben Sie aus dem Dammbruch bei Mariana endlich irgendwelche Lehren gezogen? Wenn ja: welche konkret?

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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  1. […] Die Münchener Rück war damals an der Versicherung des Dammbruchs von Mariana beteiligt. Zwei Milliarden Reais (damals umgerechnet rund 500 Millionen Euro) haben laut Erhebung der brasilianischen Rückversicherung Terra Brasis Resseguros die Versicherer und Rückversicherer der Firma Samarco damals gezahlt. Denn die hatte eine Versicherung gegen Schäden an eigenen Einrichtungen und Betriebsunterbrechungen, also eine Versicherung gegen sogenannte „entgangene Gewinne“. Das muss man sich mal vor Augen halten: Hunderte Kilometer Flusslauf tot, zeitweise eine für zwei Millionen Menschen unterbrochene Trinkwasserversorgung, tausende von darbenden Kleinfischern – und die Versicherer und Rückversicherer zahlen der Firma einen fetten Millionenbetrag für „entgangene Gewinne“, damit deren Aktionäre nicht leer ausgehen.  Und jetzt haben wir wieder einen Megabruch, mit Hunderten von Toten, – aber in Ihrer Versicherungspolitik bewegt sich immer noch zu wenig. […]

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