Mit Klagen wie der von RWE gegen die Niederlande werden demokratische Prozesse untergraben: Claudia Müller-Hoff (ECCHR)

Statement auf der Pressekonferenz „RWE, jetzt ist Schluss!“ am 26.04.2021

  1. RWE (AG  und RWE Eemshaven Holding II BV)  hat im Februar 2021 die Niederlande vor dem ICSID, dem internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten der Weltbank verklagt (ARB/21/4), weil das niederländische Parlament im Dezember 2019 den – entschädigungslosen – Ausstieg aus der Kohleenergie bis 2030 beschlossen hat. RWE verlangt 1,4 Milliarden EUR Entschädigung, weil sie 2015 ein neues Kohlekraftwerk in Eemshaven in Betrieb genommen haben, welches ab 2030 so nicht mehr operieren darf.
    Das ICSID-Verfahren ist ein privates Schiedsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit, obwohl es über Fragen des öffentlichen Interesses verhandelt, nämlich: wieviel soll der Kohleausstieg ein Land kosten.  Die Klage ist die erste dieser Art in Europa* (nach ECT), in der ein Land dafür verklagt wird, dass es eine Energiewende hin zu Erneuerbaren verbindlich in Gang setzt. – wenn sie erfolgreich ist, könnten viele weitere folgen.
  2. Die Klage ist möglich auf Grundlage des Energiecharta-Vertrages von 1998. Dieser multilaterale Investitionsschutzvertrag für den Energiesektor privilegiert Investoren insofern, als diese, ohne den nationalen Rechtsweg beschreiten zu müssen, Staaten, in denen sie investieren, verklagen können. Und so kann ein Unternehmen, wie RWE, sozusagen international gegen einen nationalen Parlamentsakt klagen:
  3. RWE behauptet zwar, sie unterstützten den Kohleausstieg der Niederlande und hätten nichts gegen das Gesetz. Es sieht aber so aus, als wollten sie sich diese Zustimmung teuer bezahlen lassen.

Die Entschädigungsforderungen könnten das Gesetz in der Umsetzung so teuer machen, dass es geändert wird oder dass andere Länder gar nicht auf die Idee kommen, Kohleausstiegsgesetze zu beschließen. Nicht nur wird Klimaschutz damit eine Frage für die, die es sich leisten können. Sondern so werden demokratische Prozesse untergraben. Unternehmen haben im Gesetzgebungs-Prozess die Möglichkeit, ihre Interessen einzubringen und das hat RWE in diesem Fall auch getan (Eingabe vom 14. Juni 2018)[1]. Wenn sie damit scheitern, müssen sie sich dem demokratischen Mandat beugen. Wer sonst wird entschädigt, wenn er sozusagen überstimmt wird?

Die internationale Rechtsprechungs- und Staatenpraxis seit mehr als 15 Jahren (OECD-Studie von 2004!) zeigt: das Recht auf privates Eigentum – einschließlich künftiger Gewinnaussichten – ist international geschützt – allerdings nur im Ausgleich mit öffentlichen Interessen, also nicht absolut. Im deutschen Grundgesetz (Art. 14) heißt das so: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

So steht es auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention, in Art. 1 des ersten 1. Zusatzprotokolls.

Also, wenn Eigentum umwelt- und gesundheitsschädlich ist oder genutzt wird, ist es nicht mehr als Eigentum geschützt. Eingriffe, die aus Gründen des öffentlichen Interesses, wie etwa des Umwelt- und Gesundheitsschutzes nötig sind, sind zu dulden. Sie stellen keine Enteignung dar. Und müssen auch nicht entschädigt werden. 

Was genau im Allgemeininteresse erforderlich ist und was nicht, sollten Parlamente, nicht private Schiedstribunale entscheiden.

Soweit also zur Frage, was darf und muss der Staat. Aber was muss auch ein Unternehmen tun?

  1. RWE hat eine Verantwortung für Menschenrechte und die Umwelt: Die saubere Umwelt ist ein Menschenrecht. Unternehmen haben spätestens seit den UN Leitprinzipien von 2011 eine Verantwortung, Menschenrechte zu respektieren. – das gilt auch schon vor dem LKG.

Und Unternehmen haben auch eine umweltrechtliche Verantwortung. Die OECD Richtlinien für multinationale Unternehmen, Kapitel VI, sind dazu eindeutig und ich will nur auf zwei umweltrechtliche Grundsätze hinweisen, die Unternehmen direkt angehen, nämlich 1. das Prinzip der Prävention: Unternehmen sollen also Umweltschädigungen vorbeugen. Das heißt: Nicht nur reduzieren, sondern vermeiden. Also nicht „bestmöglich saubere“ Kohleenergie, sondern gar keine Kohleenergie – zumal, wenn es Alternativen gibt.

Und 2., das Verursacherprinzip, es bedeutet kurz gesagt: „Mach deinen eigenen Dreck weg“. Was aber, wenn – wie im Falle der Klimakrise – der Schaden gar nicht reparabel ist?

Im Gegensatz zu marktbasierten Instrumenten wie etwa der CO2-Bepreisung, die ein Unternehmen einfach einkalkulieren kann, ohne sein klimaschädliches Geschäftsmodell zu ändern, verlangt das Verursacherprinzip in der Konsequenz, dass man in irreparabel klimaschädliche Energieproduktion gar nicht erst investiert.

  • Post-Covid

In der aktuellen Situation einer Pandemie müssen sich Staaten und Parlamente Gedanken machen, wie sie eine just recovery, einen gerechten und zukunftsfähigen Wiederaufbau der Gesellschaften und Wirtschaft erreichen. Die dafür notwendigen Mittel werden fehlen, wenn die Interessen einzelner Kohleinvestoren im Privatklageweg über öffentliche Interessen gestellt werden können.

Jetzt sollte RWE Eigenverantwortung übernehmen und sich eingestehen, dass sie damals, als sie in das Werk Eemshaven investiert haben, die Zeichen der Zeit verpasst und sich verkalkuliert haben: Verbindliche Reduktion von Treibhausgas-Emissionen und von Kohle als Energieträger waren seit Jahren vorhersehbar. Diesen Fehler müssen sie jetzt selbst ausbügeln und nicht der niederländische Staat.  


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