Rede Lisa Carstensen

Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Aktionäre und Aktionärinnen,

mein Name ist Lisa Carstensen, ich spreche heute für den Dachverband Kritischer Aktionäre. Vielen Dank für die Möglichkeit, hier sprechen zu können. Ich würde gerne noch einmal auf die Frage nach den direkten Zulieferern der Salzgitter AG zu sprechen kommen und nachfragen, inwiefern das Unternehmen im Rahmen ihres Code of Conduct und im Sinne einer verantwortungsbewussten Einkaufspolitik Mitverantwortung für deren Handeln übernimmt.

Im Geschäftsbericht und in der Rede von Herrn Fuhrmann wurde ja über die Bedeutung der niedrigen Rohstoffpreise, insbesondere Eisenerz, für die Salzgitter AG gesprochen. Auch wurde bereits erwähnt, dass die großen Bergbauunternehmen derzeit einen massiven Ausbau des Minensektors und der Infrastruktur betreiben. Es ist logisch, dass niedrige Preise für das Unternehmen zunächst von Vorteil sind. Ich möchte aber an dieser Stelle die Frage aufwerfen, wer eigentlich die Kosten für die derzeit niedrigen Rohstoffpreise trägt.

Über die Hälfte der deutschen Eisenerzimporte kommen aus Brasilien. Weltweiter Marktführer ist mit einem Anteil von 16,3 % (im Jahr 2011) die brasilianische Aktiengesellschaft VALE S.A. Wir haben diesbezüglich leider keine Informationen vorliegen, gehen aber davon aus, dass die Salzgitter AG auch Eisenerz aus Brasilien importiert und unter Umständen auch Geschäftsbeziehungen mit VALE S.A. pflegt.

An dieser Stelle möchte ich dafür plädieren, diese Informationen im Sinne der Tranzparenz der Firmenpolitik offenzulegen und nutze die Gelegenheit, um noch einmal konkret nachzufragen, ob und in welchen Mengen Eisenerz aus Brasilien und/oder von VALE S.A. eingekauft wird. An dieser Stelle würde ich gerne einige Fragen, welche wir für notwendig halten, dass sie im Rahmen eines verantwortungsbewussten Rohstoffeinkaufs an die Zuliefererunternehmen gestellt werden, exemplarisch am Fall von VALE S.A. aufwerfen.

VALE S.A. ist 2012 mit dem Public Eye Award als „Schlimmstes Unternehmen der Welt“ ausgezeichnet worden. In Kürze erscheint der Schattenbericht „Unnachhaltigkeitsbericht VALE 2015“ auf englisch (auf portugiesisch bereits hier, Anm.). Dieser Bericht wurde von Menschenrechtsorganisationen weltweit zusammengestell. Aus diesem Grund bietet sich das Beispiel an. Aber wie gesagt, ich halte es für notwendig, dieselben Fragen an alle Zulieferer für die Eisenerzeinkäufe der Salzgitter AG zu richten. Es folgen fünf Punkte.

Erstens: Sind die Aktivitäten im Bergbau rechtmäßig, beziehungsweise sind die Lizenzierungen für die Erschließung der Minen und den Ausbau der Infrastruktur wirklich einwandfrei?

In Brasilien laufen derzeit eine Reihe von Klagen welche die Lizenzierungen für die Erschließung der Mine in der Serra Carajas und die Verdopplung der Eisenstraße (also der Zuglinie), beide im Rahmen des Investitionsprojektes Carajás S11D, anzweifeln.

Zweitens: Wie steht es um die Arbeitsbedingungen und Sicherheitsvorkehrungen in den Minen und Baustellen?

Hier würde ich gerne darauf aufmerksam machen, dass in diesem Jahr bereits ein Arbeiter in der Mine „Mina de Fábrica Nova“ (Mariana, Minas Gerais) sein Leben bei einem Unfall verloren hat. Dieser Tod ist das Resultat von Arbeitsverdichtung und mangelnden Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz. Ein zweiter Fall diesbezüglich sind die laufenden Klagen gegen VALE SA wegen Sklavenarbeit in 309 Fällen in der Mina do Pico in Itabirito Minas Gerais. Diese beiden Fälle zeigen, dass in Brasilien nicht nur das Projekt Carajás S11D, sondern auch die Bedingungen der Eisenerzförderung in Minas Gerais in der Kritik stehen.

Drittens: Welche Folgen hat der Bergbau für die lokale Bevölkerung?

In Nordbrasilien leben zwei Millionen Menschen entlang des so genannten Korridor Carajás, also den Minen, der Güterzugstrecke und dem Hafenkomplex in São Luis. Hier werden Fälle von Luftverschmutzung und Landkonflikten berichtet. Ein besonderes Problem stellen die Eisenerzzüge dar. Im Durchschnitt kommt ein Mensch pro Monat durch Unfälle auf den Gleisen ums Leben. Das heißt, es handelt sich hier um Verstorbene, welche nicht direkt Angehörige der Salzgitter AG sind, denen aber dennoch Gedenken und ihren Angehörigen Mitgefühl gebührt.

Viertens: Welche Folgen für die Umwelt und lokale Wasservorräte hat der Bergbau?

Hier ist hervorzuheben, dass Eisenerzminen oft in Naturschutzgebieten liegen, in welchen auch wichtige Wasserreserven verortet sind. Gerade in Minas Gerais wird die Frage des Wasserverbrauches der Förderung und des Transporten in Minerodukten diskutiert.

Fünftens: Kommt es zu Repressionen gegen Menschenrechtsgruppen und Gewerkschaften?

Im Jahr 2013 ist ein weitreichendes Spionageschema der VALE S.A. gegenüber lokalen Menschenrechtsgruppen und Journalisten ans Licht gekommen. Hier wurden Firmenangehörige in die Bewegungen infiltriert, mit dem Zweck, Informationen über Aktivist_innen zu sammeln, es wurden auch systematisch Telefongespräche abgehört und Büros verwanzt. Auch die Kooptierung von Gewerkschaften steht bei VALE S.A. an der Tagesordnung.

Fazit: In diesem und in anderen Fällen zahlt die Kosten für die niedrigen Eisenerzpreise die lokale Bevölkerung in den Herkunftsregionen des Erzes. In Carajás wird dies besonders bildlich deutlich, denn es gibt in den letzten Jahren vermehrt Berichte darüber, dass Kinder und Jugendliche auf der Flucht vor dem Elend und der Gewalt in ihren Herkunftsgemeinden entlang der Eisenstraße als blinde Passagiere versteckt im Eisenerz in den Güterzügen mitreisen. Ich würde Sie daher einladen, bei dem Blick auf die Eisenerzzüge, wie sie ja auch hier von den Häfen in Rotterdam und Hamburg durch Nordeuropa fahren, auch an diese Kinder zu denken.

Daher lautet meines Erachtens die Frage nicht: Wie niedrig können die Rohstoffpreise für das Wohlergehen der Salzgitter AG fallen? sondern: Welche sozialen und ökologischen Kosten können Sie liebe Aktionärinnen und Aktionäre, lieber Geschäftsvorstand mit Ihrem Gewissen vereinbaren?

Wir bieten Ihnen, dem Vorstand der Salzgitter AG, an, diesen Schattenbericht über VALE S.A. zukommen zu lassen, sodass Sie diese Informationen in ihre Einkaufspolitik einfließen lassen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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