Rede Andrea Lammers

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielleicht sind Sie auch schon ein wenig ermattet, vom Mittagessen oder von den zahlreichen Redebeträgen, die wir heute schon gehört haben. Deshalb möchte ich Ihnen eine kleine Geschichte vom Glück erzählen. Vor wenigen Wochen war ich in Zentralamerika, im westlichen Hochland von Honduras. Und dort, in der Region Río Blanco, habe ich mit eigenen Augen und Ohren und Händen und Füssen erfahren, was Glück ist: Glück ist, wenn man in einem kargen Bergdorf am Hang wohnt und noch über Ländereien im Tal verfügt. Glück sind die fetten, schwarzen Schwemmlandböden am Rio Gualcarque. Pures Glück ist, wenn die grünen Maispflanzen anfangen aus der Erde zu sprießen.  Ich bin überzeugt, wenn Sie dort die strahlenden Augen der Leute gesehen hätten, wie sie stolz auf ihre Felder am Fluss schauen, würden auch Sie ganz neu denken darüber, was wichtig ist im Leben von Menschen. Sie würden sofort intuitiv wissen, dass das nichts mit rückwärtsgewandter Romantik zu tun hat. Sie würden spüren, wie elementar, wie lebens- und zukunftswichtig, dieses von den Vorfahren ererbte Land für die Lenca-Bauern und Bäuerinnen ist. Genau das Land, das für den  „Agua Zarca“-Staudamm überschwemmt werden soll.  Wir hatten ja bereits letztes Jahr thematisiert, dass Siemens über sein Joint Venture VOITH HYDRO die Turbinen und weitere technische Ausrüstung für „Agua Zarca“ liefern will.

Die Menschen vor Ort wissen, dass ihr Sieg, der derzeitige Baustopp, nur ein temporärer ist. Dass sie jetzt auf gut Glück gesät haben und nur mit ganz viel Glück auch ernten werden. Sie wollen, dass das Projekt „Agua Zarca“ endlich definitiv gestoppt wird. Sie wollen weiter auf ihrem und von ihrem Territorium leben. Sie wollen nicht in die marginalisierten Viertel der großen Städte abwandern, wo sich ihre Kinder kriminellen Banden anschließen oder auf dem Weg nach Norden elend ums Leben kommen. Die Menschen in der Region Rio Blanco wollen auch aufhören, einen Preis zu bezahlen, der von Monat zu Monat höher wird: Gewalt, Hass und Zwietracht in ihren Gemeinden.  Sollte „Agua Zarca“ gebaut werden, wird es noch mehr Tote geben und statt Mais wird Gewalt über Generationen gesät. Das ist die „Entwicklung“, die die vermeintlich grünen, vermeintlich sauberen Energieprojekte den Menschen vor Ort anzubieten haben!

Wir haben Siemens vor einem Jahr eine ausführliche Studie zu dem Projekt „Agua Zarca“ übergeben. Dort ist die Verletzung der Rechte der betroffenen Bevölkerung im Detail dokumentiert.

Unter anderem wurde niemals ihre freie, vorherige, informierte Zustimmung eingeholt. Inzwischen hat der Vorstand ein ergänzendes Menschenrechtsdossier erhalten, das auch die neuesten Vorfälle miteinschließt. Es ging bei diesem Projekt von Anfang an um schwerwiegende Verletzungen von Grundrechten, illegale Enteignungen, Einschüchterung, Militarisierung, gewaltsame Unterdrückung und gezielte Kriminalisierung des Protests.  Im Juli 2013 haben die tödlichen Schüsse gegen den Gemeindevorstand und Staudammgegner Tomás Garcia für weltweite Empörung gesorgt. Seither sind anderthalb Jahre vergangen: Wir fragen uns und ich frage Sie, Herr Kaeser: Was hat Siemens, was haben Sie unternommen, nachdem Sie Kenntnis der gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Rio Blanco hatten?  Wann endlich werden Sie die Konsequenzen ziehen? Sie brauchen ja nicht „die Welt zu retten“, wie Sie letztes Jahr in Ihrer Antwort gemutmaßt haben. Es würde schon reichen, sich an die bestehenden Spielregeln zu halten.

Das letzte Wort in meiner Rede möchte ich deshalb Sabino Gonzalez, einem Bauern und Lehrer aus Rio Blanco, geben. Ich habe ihn gefragt, was er Ihnen allen, meine Damen und Herren, sagen würde, wenn er heute bei dieser Hauptsammlung sprechen könnte. Und er hat mir folgendes geantwortet: „Ich möchte Sie im Namen des Volkes der Lenca auffordern, die Gesetze die hier in Honduras und auf internationaler Ebene existieren und uns als indigene Gemeinschaft unterstützen, wie die ILO-Konvention 169 und die in der UN-Charta festgeschriebene Rechte,  zu respektieren. Und wenn Sie uns nicht glauben kommen Sie hierher, um selbst zu sehen, welchen Schaden der Bau dieses Staudamms mit sich bringt. Ich bitte Sie, das Leben der Menschen höher zu achten als das Geld, das sie hier verdienen werden. Hören Sie uns zu und nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir den Staudamm nicht wollen. Finanzieren Sie das Projekt nicht weiter und liefern Sie keine Turbinen dafür!“   –  Vielen Dank!

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