Rede Christian Russau

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau. Ich bin vom  Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Gehen wir gleich in medias res. Sehen Sie dieses Photo hier: Ein einstöckiges Haus, in einer beliebigen kleinen Nebenstraße. Was könnte da wohl drin sein?

Eine Zahnarztpraxis, ein beliebiges Dienstleistungsunternehmen, eine kleine Firma mit wenigen Büroräumen.

Nun. Dies ist die offizielle, die registrierte Adresse der Siemens USA Holdings, Inc., 1209 Orange Street, Wilmington, im US-amerikanischen Bundesstaat Delaware gelegen. Die Siemens USA Holdings, Inc erzielte im Geschäftsjahr 2014/2015 – Jahresabschluss zum 30. September 2015 – ein Ergebnis nach Steuern in Höhe von 1,784 Mrd. €.

Dieses eher unscheinbare Haus ist aber auch die Adresse der Siemens Capital Company LLC. Die Siemens Capital Company LLC erzielte im Geschäftsjahr 2014/2015 – Jahresabschluss zum 30. September 2015 – ein Ergebnis nach Steuern in Höhe von 103 Mio €.

Es ist aber auch die Adresse der Siemens Energy, Inc. Diese erzielte im Geschäftsjahr 2014/2015 – Jahresabschluss zum 30. September 2015 – ein Ergebnis nach Steuern in Höhe von 530 Mio €.

Und es ist die Adresse der Siemens Financial Services, Inc., Jahresergebnis 153 Mio €, auch die Adresse der Siemens Industry, Inc., Jahresergebnis 276 Mio €, auch die Adresse der Siemens Product Lifecycle Management Software II (US) Inc., Jahresergebnis 115 Mio €. Wir könnten diese Liste fortführen.

Recht erstaunlich doch, was in so einem kleinen Gebäude alles geleistet wird. Auch die Wochenzeitung DIE ZEIT hat sich diesem kleinen einstöckigen Haus, 1209 Orange Street, Wilmington, einmal in einer großen Story gewidmet, unter dem Titel:

Steueroasen: Delaware, Liebling der Weltkonzerne. In einem unauffälligen Flachdachbau haben 200.000 Unternehmen ihren Sitz. Das kleine Delaware ist Amerikas beliebtestes Steuerparadies.

Von daher ist es doch weniger erstaunlich, warum dort so viel Unternehmensgewinn anfällt. Der dort dann versteuert wird – gemäß der dort gültigen Unternehmenssteuersätze. Delaware, das Steuerparadies, ich würde es eher als Steuerfluchtoase bezeichnen. Und Siemens hat dort auch seine Briefkastenfirmen. Dies ist der gezielte Versuch der Steuerflucht. Denken Sie nicht, Siemens sollte Steuern zahlen wie alle anderen auch? Denn es ist ja nicht nur Delaware, es geht auch um ihre Dependancen überall dort, wo die Steuern auf Erträge niedrig sind, sei es in der Schweiz, in den Niederlanden, in Luxemburg oder auf den Cayman-Inseln, überall Siemens Tochter- und Beteiligungsgesellschaften…

Und dazu noch eine Frage, die nur auf den ersten Blick aus dem Zusammenhang geraten scheint: Wie viel Geld hat Siemens 2015 für sogenannte Corporate Social Responsibilty ausgegeben? Denn interessant ist die vor Kurzem vom Economist zitierte Studie der University of Oregon, die herausfand, dass die Anstrengungen der Konzerne um Steuervermeidung parallel anstiegen mit deren Ausgaben im CSR-Bereich – und dort auch im Bereich CSR-Lobbying für Steuersenkungen. „It found that the companies which do the most CSR also make the most strenuous efforts to avoid paying tax—and that those with a high CSR score also spend more lobbying on tax.“

Das bringt uns jetzt gleich zum nächsten Punkt.

Laut der vom Bundestag freigegebenen Lobbyisten-Dateien hat die Siemens AG insgesamt 6 Hausausweise des Bundestages mit Gastzugangsgenehmigung erhalten (5 über die CSU, 1 über die CDU). Ich frage Sie: Wie oft in 2014, wie oft in 2015 waren Siemens-Mitarbeiter/innen mit diesen Ausweisen im Bundestag? Mit welchen Bundestagsabgeordneten haben die Siemens-Mitarbeiter/innen gesprochen? Was waren die dort besprochenen Themen? Wem gegenüber sind diese Mitarbeiter/innen rechenschafts- und berichtspflichtig, über was sie im Bundestag mit Parlamentarier/innen und/oder deren Mitarbeiter/innen besprechen? Auf wie viele Gesetzesinitiativen haben Ihre Mitarbeiter/innen in den Jahren 2014 und 2015 durch solche Gespräche inhaltlich Einfluss genommen oder dies versucht?

Und diesbezüglich noch eine ganz konkrete Frage. Im SPIEGEL waren Anfang Juni 2015 folgende Sätze zu lesen: „Es geht um ein großes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk, mehrere Windkraftanlagen und eine Fabrik für die Produktion von Rotorblättern.“ Alles von Siemens, das alles soll in Zukunft von Siemens nach Ägypten geliefert bzw. dort errichtet werden. Gegenwert: bis zu 10 Milliarden Euro. Der SPIEGEL fasst das ganze wie folgt zusammen. Die Bundesregierung „verrät die eigenen Werte und Interessen für einen Milliarden-Deal.“ Es geht um Ägyptens Staatschef Abdel Fattah el-Sisi, über den der SPIEGEL schreibt: „Unter Sisi verwandelt sich Ägypten in einen mafiösen Geheimdienststaat mit einer durchgedrehten Justiz, die nicht davor zurückschreckt, Hunderte Menschen binnen weniger Minuten zum Tode zu verurteilen. Mit illegalen Waffenlieferungen befeuert er den libyschen Bürgerkrieg. Unter ihm fällt Kairo als Vermittler im israelisch-palästinensischen Konflikt aus.“ Und „obwohl er die jungen Demokraten seines Landes wegsperren, foltern und ermorden lässt“, wird Ägyptens Staatschef dann nach Berlin eingeladen, laut SPIEGEL geschah dies „offenbar im Gegenzug für einen Siemens-Deal“. Meine Frage nun: Bitte sagen Sie mir, wie oft und an welchen Tagen Siemensmitarbeiter/innen im Zeitraum September 2014 bis Juni 2015 im Bundestag, Bundeskanzleramt, Wirtschaftsministerium und/oder Außenamt waren und wie oft dabei es im weitesten Sinne um „Ägypten“ ging?

Siemens ist Zulieferer für zwielichtige Bergbau- und Energieprojekte. Die Siemens AG liefert noch immer Equipment, Anlagen oder Dienstleistungen an zwielichtige Projekte und Firmen: Im Bereich Energie lieferte Siemens über sein JointVenture VoithHydro an eine ganze Reihe von Staudämmen Turbinen, so bei Belo Monte, Jirau, Santo Antonio und Teles Pires (alle Brasilien), an Agua Zarca (Honduras), Cambambe II (Angola), Xiluodo (China) und einer Pressemeldung zufolge künftig auch bei Gilgel Gibe III (Äthiopien). Bei allen Staudämmen wurden und werden menschen vertrieben, allein beim Xiluodo-Damm geht es um die Zwangsumsiedlung von bis zu 180.000 Menschen. Aber bei Staudämmen geht es nicht nur um Turbinen. Auch aller technische Netzanschluss wird von Sioemens gerne übernommen, ohne dabei auf die szialen Folgekosten der Projekte zu schauen, an denen Siemens sich beteiligt. So lieferte Siemens z.B. an das Staudammprojekt Hidrosogamoso in Kolumbien, das der örtlichen Bevölkerung den Verlust ihrer land-, vieh- und fischereiwirtschaftlichen Lebensgrundlagen beschert hat, den Verlust ihrer Heimat durch Umsiedlung, die Zerstörung des Ökosystems sowie die Beeinträchtigungen der Gesundheit der Menschen. Siemens lieferte 4 Transformatoren, 22 transportable Elektro-Substationen sowie deren Ingenieursdesign, Einsatz und Kontrolle sowie gas-isolierte Schaltanlagen 8DJH an Hidrosogamoso. Hauptsache der Umsatz stimmt, die Folgen des Projektes für Mensch und Umwelt sind da offensichtlich nachrangig. So lieferte Siemens auch das Energiemanagmentkontrollsystem für die kolumbianische Glencore-Kohlemine Cerrejón. Der Kohleabbau dort verbraucht enorme Mengen reinen Wassers und im Gegenzug werden die Flüsse und das Grundwasser mit Schwermettalen, Sulfaten, Schwefelsäure, Selen und anderen Schafstoffen verseucht, die menschen leiden unter verschmutztem Wasser ebenso wie unter der von der Mine ausgehenden Luftverschmutzung, die die Atem-Organe der Menschen angreifen. Hinzu kommen Landraub, Einschüchterung der Bevölkerung vor Ort. Oder schauen wir uns Glencores Kupfermine Tintaya Antapaccay in Peru an: Für diese lieferte Siemens beispielsweise – zusammen mit ThyssenKrupp – das Förderbandsystem. Und was macht diese Kupermine so mit Mensch und Natur? In den letzten Jahren stellten die lokalen Bauern und Bäuerinnen immer wieder Missbildungen bei Schafen, Lamas und Alpakas fest. Dies hat Zweifel an der Verlässlichkeit von Glencores Umweltmonitorings genährt. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben daher unabhängige Wasser- und Bodenanalysen durchführen lassen: Bei 29 von 50 Wasserproben wurden die peruanischen Höchstwerte für Schwermetalle überschritten, sie waren daher für den menschlichen Konsum ungeeignet; 15 der Wasserproben waren auch für Tiere schädlich. Auch die im Rahmen einer staatlichen Untersuchung entnommenen Blut- und Urinproben der Anwohner/innen der Minen enthielten erhöhte Schwermetallkonzentrationen von Blei und Quecksilber. Tja, kennen Sie diese Untersuchungen? Oder interessiert Sie das vielleicht so lange nicht, bis die Aufträge aus den angrenzenden Krankenhäuser zum Erwerb bildgebender, medizindiagnostischer Computertomographen bei Siemens Healthcare eingehen? Dann könnten Sie ja sogar zum zweiten Mal davon profitieren! Win-win mag man das bei Ihnen nennen, bei uns nennen wir dergleichen: schäbig.

Oder schauen wir nach Mexiko. Haben Sie schon einmal etwas von der Bergbaufirma Grupo México gehört? Siemens lieferte der Grupo México beispielsweise zwei 250-MW-Gasturbinen. Na, da denkt man als erstes, da sei ja nichts weiter dabei. Schauen wir uns doch mal die Grupo México genauer an. Diese Grupo México ist eine Firma, die der bekannte mexikanische Bischof Raúl Vera unlängst öffentlich als „Serienmörder“ bezeichnete, da sie die größte Umweltkatastrophe in Mexiko beim Dammbruch der Kupfermine Buenavista im Bundesstaat Sonora verursacht hat. Tja, konnte Siemens ja nicht ahnen, mit wem sie da zusammenarbeiten. Genau so in Mosambik: Da bietet Siemens Dienstleistungen für den Bau des Bahn- und Hafenkomplexes Nacala in Mosambik an, über den die Kohle aus der Mine Moatize des Vale-Konzerns abtransportiert werden soll, eine Mine, die die Vertreibung Tausender Kleinbauern zur Folge hat. Ich frage Sie: vor ihrer Entscheidung, die zuvor genannten Projekte – Cerrejón, Tintaya Antapaccay, Hidrosogamoso, Nacala oder für die Grupo Mexico – was hat Ihre soziale und menschenrechts- wie umweltbezogene Verträglichkeitsprüfung ergeben. Wie viele Seiten hatten diese Untersuchungen? Gab es überhaupt welche?

Und weiter geht’s mit dem kompletten Mangel an Sorgfaltspflicht bei Ihnen: Siemens ist Abnehmer von Rohstoffen aus menschenrechtlich zweifelhafter Produktion. Es ist der Unwillen von Siemens, sich endlich der Verantwortung für die Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Zuliefererkette zu stellen. So kann Siemens nicht ausschließen, dass sich in Siemens-Endprodukten Rohstoffe finden, deren Ursprung unter Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung hergestellt wurden (Siemens bezieht z.B. von dem Aufbereiter von Seltenen Erden, Lynas, dessen Werk in Malaysia die Gesundheit der Anwohner/innen gefährdet, verarbeitet Wolfram aus zwielichtigen kolumbianischen Minen etc.). Verantwortung entlang der gesamten Lieferkette darf nicht an einem falsch verstandenen „Kosten-Nutzen-Verhältnis“ scheitern: Menschenrechte sind nicht verhandelbar.

Und last but not least: Siemens ist Klimakiller. Siemens beteiligt sich als Ausrüster und mit „neuen“ technologischen Lösungen an der Ausbeutung der kanadischen Ölsande. So soll das Bitumen aus den Teersanden per kupferdrahtinduziertem Magnetfeld herausgeschmolzen werden. Siemens nennt diese Lösung besonders „nachhaltig“. Doch die Ausbeutung der Teersande und deren spätere energetische Nutzung sind besonders klimaschädlich. Genauso klimaschädlich ist Siemens‘ Übernahme des Fracking-Spezialisten Dresser-Rand. Jüngste Untersuchungen in Texas legten zutage, dass die doppelte als die ursprünglich geschätzte Menge an Methan beim Fracking freigesetzt wird. Methan ist 22 Mal klimaschädlicher als CO2. In Zeiten des Klimawandels ist die Beteiligung an Firmen, deren Geschäft auf der klimaschädlichen Ausbeutung fossiler Rohstoffe beruht, unzeitgemäß und nicht zu verantworten.

Aus all den hier genannten Gründen beantragen wir, dem Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

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  1. […] würde, wenn Grupo México irgendwo in Ihrer Lieferkette auftaucht. Grupo México ist jene Firma, die der mexikanische Bischof Raul Vera als „Serienkiller“ bezeichnet hatte. Bitte erklären Sie hier und heute klipp und klar, dass Sie nichts, aber auch gar nichts direkt […]

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