Rede von Thilo F. Papacek

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Thilo Papacek, ich arbeite für die Nichtregierungsorganisation GegenStrömung und spreche hier heute im Namen des Dachverbands der kritischen Aktionäre.

Herr Kaeser, Sie haben eben erwähnt, dass die kanadische Organisation „Corporate Knights“ kürzlich, am 16. Januar, ihr Ranking der 100 nachhaltigsten Unternehmen weltweit herausgegeben hat. Das Unternehmen Siemens ist auf Platz eins gelistet. Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, wie Menschenrechts- und Umweltaktivisten dieses Ranking bewerten und was es unserer Meinung nach über die Organisation „Coporate Knights“ aussagt.

Ich möchte darauf eingehen, was Sie, Herr Kaeser laut „Coporate Knights“ in einer internen Veröffentlichung von Siemens gesagt haben. „A company that does not add values to society should not exist“, werden Sie da zitiert.

Um was für einen Wert geht es da, von dem Sie reden, Herr Kaeser? Ausschließlich um den Mehrwert, der als Profit an die Aktionärinnen und Aktionäre geht? Oder geht es auch um eine lebenswerte Umwelt für die Menschen, die dort leben, wo Siemens seine Projekte aufbaut?

Seit Jahren beschäftigen meine Kollegen und ich uns mit den Auswirkungen von Wasserkraft- und Bergbauprojekten auf Menschen und Umwelt, und dabei geht es immer wieder auch um Projekte, an denen Siemens direkt oder über ihr Jointventure Voith Hydro beteiligt ist. Seit Jahren haben wir Sie auf Umwelt- und Menschenrechtsverbrechen hingewiesen, die im Rahmen von Projekten wie den Wasserkraftwerken Belo Monte in Brasilien oder Agua Zarca in Honduras begangen werden und Sie eindrücklich aufgefordert, sich aus diesen Projekten herauszuziehen.

Ich mache Sie erneut darauf aufmerksam, dass Sie nach den UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte dazu verpflichtet sind, sicherzustellen, dass sie durch ihre Tätigkeiten weder Menschenrechtsverletzungen verursachen noch zu diesen beitragen. Diese Verpflichtung gilt für die gesamte Wertschöpfungskette.

Wie kommen Sie ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht in Sachen Menschenrechte und Umweltschutz – beides hängt meist sehr eng miteinander zusammen – nach, Herr Kaeser?

Ich möchte hier drei Beispiele geben, wo Siemens seiner unternehmerischen Sorgfaltspflicht in zweifelhafter Weise nachkommt und fordere Sie auf, hierzu Stellung zu beziehen.

In Kanada beteiligt sich das Siemens/Voith Jointventure an dem Bau des umstrittenen Site C Staudamms in British Colombia. Sie wollen die Turbinen und die elektromechanische Ausrüstung liefern. Der Damm von BC Hydro soll 1.100 MW Nennleistung haben und wird 13.000 Hektar landwirtschaftlich nutzbare Fläche überschwemmen.

Mehrere indigenen Gruppen klagen gegen den Damm, da er gegen die first nation treaty rights, also die vertraglich gesicherten Rechte indigener in British Colombia verstößt. Ganze bewaldete und bewirtschaftete Landstriche werden verschwinden. Amnesty International Kanada wird wegen dieser Verstöße gegen die Rechte indigener eine Jahreskampagne zu dem Projekt durchführen.

Und dabei wird die Energie gar nicht benötigt, wie Kritiker, darunter der ehemalige CEO des Unternehmens BC Hydro, Marc Eliesen, bekräftigen. Christy Clark, Premier von British Colombia, sucht noch händeringend für Kunden für den Strom, den Site C produzieren soll. Am wahrscheinlichsten ist es, das er versuchen wird, weitere Bergbau- und Flüssiggasprojekte in die Region zu holen, die dann noch mehr Wälder, Flüsse und indigene Territorien verwüsten und verschmutzen werden.

Gleichzeitig befleißigt sich BC Hydro einer Schmutzkampagne gegen Kritiker des Damms. Erst gestern hat die Journalistin Sarah Cox von der Vancouver Sun der Gesellschaft B.C. Hydro vorgeworfen, im Trump-Stil mit der Presse umzugehen, Berichte und Analysen einfach als falsch zu bezeichnen und Journalisten zu diffamieren. Wir reden hier von ihren Geschäftspartnern, Herr Kaeser.

Ist das der Beitrag zur Gesellschaft, den Siemens leisten soll?

Wechseln wir die Region, aber bleiben wir in den Amerikas.

Östlich der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile wird derzeit das Wasserkraftprojekt Alto Maipo gebaut. Für dieses Projekt werden drei Flüsse in 70 km langen Tunnel umgeleitet, um mit einer Gesamtkapazität von 532 Megawatt Strom zu erzeugen. Auch hier liefert Voith Hydro unter anderem die Turbinen und die elektromechanische Ausrüstung.

Durch das Projekt wird ein wichtiges Naturschutz- und Naherholungsgebiet für das Ballungsgebiet Santiago de Chile gefährdet. Hochmoore werden vermutlich ausgetrocknet, Landwirte in der Region werden ihre Felder nicht mehr bewässern können.

Zudem gefährdet das Projekt die Wasserversorgung von des Ballungsraums Santiago de Chile. Bereits jetzt, in der Bauphase, wird das Wasser enorm verschmutzt. Felipe Grez Moreno aus Chile, der beim „Observatorio de Conflictos Mineros en América Latina“arbeitet und sich an der Protestbewegung gegen das Projekt beteiligt, war vergangene Woche bei mir in Berlin und berichtete, dass im Wasser die Höchstwerte für manche Schwermetalle um bis zu 5000 Prozent überstiegen werden.

Auch hier wird die Energie nicht benötigt, jedenfalls nicht von der Bevölkerung. Felipe Grez berichtete mir, dass Chile neue Energiequellen ausschließlich benötigt, um weitere Bergbauprojekte aufbauen zu können, die dann weitere soziale Konflikte und Umweltschäden verursachen werden.

Wie zum Beispiel die Probleme, die von der Mine Los Pelambres in Chile ausgehen. Bis vor kurzem war das Minenunternehmen Antofagasta einer der Eigner des Alto Maipo Projektes; es möchte den Strom für ihre Kupfermine Los Pelambres nutzen. Auch ohne Beteiligung wird diese Mine eine der Hauptkunden von Alto Maipos Strom sein.

Im März 2015 kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Anwohnern der Region, es gab sieben Verletzte, davon waren zwei schwer verletzt. Bei den verschiedenen Konflikten geht es immer darum, dass die Mine das Wasser, dass die umliegenden Gemeinden nutzen, verschmutzt oder gar nicht mehr durchlässt.

Und auch an der Mine Los Pelambres selbst hat Siemens mitverdient: Sie haben der Mine und ihren Aufbereitungsanlagen einen Antrieb für eine große Kugelmine geliefert, sowie ein 12,7 Kilometer langes Förderband.

Also in gleich mehrfacher Hinsicht profitiert Siemens von diesen beiden hoch umstrittenen Projekten, die für die lokale Bevölkerung wenig Wert haben.

Kommt eigentlich auch das Kupfer, das Sie verarbeiten, aus Los Pelambres oder aus einer der vielen Minen in Peru, wo zahlreiche Umwelt- und Menschenrechtsverbrechen im Rahmen des Kupferabbaus dokumentiert werden?

Denn die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht bezieht sich auch auf die Lieferketten, Herr Kaeser! Wenn Sie sich dazu informieren wollen, empfehle ich Ihnen ein aktuelles Policy Paper: „Deutsche Kupferimporte: Menschenrechtsverletzungen, Unternehmensverantwortung und Transparenz entlang der Lieferkette“, das vor wenigen Tagen von der Forschergruppe GLOCON der FU Berlin herausgegeben wurde.

Aber ich möchte sie noch auf einen Fall aufmerksam machen, bei dem Sie die Chance haben, in der Zukunft ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht besser nachzukommen:

Ende 2015 kam eine äthiopische Ministerdelegation nach Heidenheim, um sich über die Wasserkrafttechnologie von Voith Hydro zu informieren.

Es wäre sehr verwunderlich, wenn es bei diesem Treffen nicht um die Staudammprojekte Gilgel Gibe IV und V ginge, die die äthiopische Regierung am Omo Fluss plant.

Bereits der Bau des Gilgel Gibe III Damms hat zu internationalen Protesten geführt: Etwa 200.000 Menschen könnten davon betroffen sein, in der Zukunft zu wenig Wasser zu bekommen, da die Dämme die saisonalen Hochwasser unterbricht. Ironischerweise verteidigt die äthiopische Regierung die Projekte als Maßnahmen zum Hochwasserschutz.

Das Projekt Gilgel Gibe IV soll mit einer Leistung von 1.450 Megawatt Strom produzieren, der vor allem nach Kenya und Dschibuti exportiert werden soll. Auch dieses Projekt bringt wenig Wert für die lokale Bevölkerung.

Wesentlich dramatischer ist aber, dass die Gilgel Gibe Projekte auch für die Bewässerung von agrarindustriellen Projekten dienen soll. Insgesamt stellt die äthiopische Regierung 375.000 ha Land für solche Hortikultur-Projekte bereit, die gemeinsam mit niederländischen Investoren entwickelt werden sollen.

Das Problem ist: Dieses Land ist nicht leer und ungenutzt. Die äthiopische Regierung verweigert systematisch der lokalen Bevölkerung die Anerkennung ihrer traditionellen Landtitel. Hier wird Land- und Wasserraub in gigantischen Ausmaßen vorbereitet.

Widerstand gegen diese Projekte wird in dieser Entwicklungsdiktatur brutal niedergeschlagen. Derartige Konflikte und Umweltprobleme gehören dann auch zu den wichtigsten Fluchtursachen dieser Region. Viele Menschen aus dem Omo-Tal werden zu Flüchtlingen, wegen der schrecklichen Konsequenzen von Projekten wie Gilgel Gibe oder damit verbundenen Projekten der Agrarindustrie.

Herr Kaeser, Sie haben ja eben von den Herausforderungen der Zukunft gesprochen, und dass zu diesen gehört, dass sich derzeit etwa 60 Millionen Menschen auf der Flucht befinden. Sie sollten bedenken, dass sich darunter auch solche befinden, die wegen der Folgen von Projekten fliehen, an denen auch Siemens beteiligt ist.

Herr Kaeser, ich fordere Sie hiermit auf, ihren Einfluss bei Voith Hydro geltend zu machen, dass sich das Unternehmen nicht an den Projekten Gilgel Gibe IV und V beteiligt!

Ich frage Sie deshalb hier:

  • Wie will Siemens seiner menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht in den Fällen Site C, Alto Maipo und Los Pelambres nachkommen?
  • Was werden Sie tun, um ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht bei Kupferimporten nachzukommen?
  • Werden Sie sich dafür einsetzen, dass sich Voith Hydro und Siemens nicht an so katastrophalen Projekten wie Gilgel Gibe IV und V beteiligt?

Unter anderem aus den hier präsentierten Fällen geht jedenfalls nach meinem Urteil hervor, dass sich Siemens bislang nicht im ausreichenden Maß um seine unternehmerische Sorgfaltspflicht bezüglich Menschenrechte und Umwelt gekümmert hat. Über das Ranking der nachhaltigsten Unternehmen möchte ich gar nicht reden.

Aus diesem Grund verweigere ich dem Vorstand die Entlastung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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