Rede Christian Russau

Sehr geehrte Damen und Herren,

gehen wir doch gleich in medias res! Herr Hiesinger, ich muss Sie leider korrigieren, wie so jedes Jahr. Sie sagten in ihrer Eingangsrede, das ThyssenKrupp-Stahlwerk in Rio hätte zwar keine definitive Betriebsgenehmigung, aber eine vorläufige Betriebsgenehmigung. Das ist falsch. Es könnte sich ja die Frage stellen, ob Ihre Aussage auf einer Fehlannahme beruht oder schlicht Augenwischerei ist. Die vorläufige Genehmigung (licença prévia) ist schon lange abgelaufen, da sie automatisch ersetzt wurde durch die licença de instalação, Die galt ab 2006 – aber sie wurde nie durch eine Licença de operação, also die Betriebsgenehmigung ersetzt. Weil der Stahlwerkstaub aus den toxischen Stoffen – Nickel, Cadmium, Blei, etc – immer noch auf die Anwohnerinnen und Anwohner rieselt. Und da stellt sich doch übrigens gleich die erste Frage: was ist denn mit den Arbeitern ihres Stahlwerks? Werden da die Lungen regelmäßig kontrolliert? Wäre Ihnen und ihnen zu raten.

Zurück in medias res. Nun war 2012 das Problem, dass die Licença de instalação abläuft. Denn laut brasilianischer Gesetzgebung kann eine Licença de instalação maximal 6 Jahre gelten, bis dahin muss der Bauherr das projekt fertig und die Licença de operação erhalten haben. Das haben Sie aber nicht. Da wurde 2012 also ThyssenKrupp Rio richtig panisch, die Landesregierung von Rio auch, denn da drohte dem größten Stahlwerk Lateinamerikas, mit seinen Tausenden von Arbeitsplätzen, der Milliardeninvestition das Aus, weil die Licença de instalação abzulaufen drohte, eine Licença de opereção unerreichbar war. Also was machte da die Regierung und was machte ThyssenKrupp? Den TAC-Vertrag! Termo de Ajuste de Conduta. Und hier wird es nun interessant, auch in Bezug auf Ihre Formulierung der vorläufigen Betriebsgenehmigung und der Frage, war es Irrtum oder Augenwischerei?

Denn wohlweislich wird in Ihrem Jahresbericht – ja, wissen Sie, ich nehme Sie ja durchaus ernst, ich lese Ihren Jahresbericht – nicht von einer vorläufigen Betriebsgenehmigung gesprochen. Aber auch nicht vom TAC-Vertrag. Nein, dort ist die Rede von der ergänzten behördliche Vereinbarung. Ich würde gerne wissen, wie viele Stunden hat Ihr Mitarbeiter zusammen mit den Rechtsbeiständen über dieser Formulierung gebrütete? „Ergänzte behördliche Vereinbarung.“ Ich bitte Sie, mir zu erklären, was – vor dem Hintergrund der brasilianischen Gesetzgebung – der Unterschied ist zwischen behördlicher Vereinbarung und ergänzter behördlicher Vereinbarung. „Ergänzt“: inhaltlich? Oder zeitlich? „Ergänzte behördliche Vereinbarung.“ Das eine ist legal, eine behördliche Vereinbarung eben, das andere aber schrappt scharf an der Rechtsstaatlichkeit vorbei. „Ergänzte behördliche Vereinbarung.“ Was soll das sein? Na, soll wohl eine Umschreibung für einen TAC-Vertrag zu sein. Bin gespannt auf Ihre Erklärung.

Schauen wir uns das Stahlwerk und die Situation kurz nochmal an: Seit mittlerweile viereinhalb Jahren ist Ihr Stahlwerk in Rio de Janeiro im Betrieb. Keine Betriebsgenehmigung. Im Jahresbericht umschreibt ThyssenKrupp dies verbrämend als „Mit den brasilianischen Umweltbehörden wurde eine ergänzte behördliche Vereinbarung zur Betriebserlaubnis unterzeichnet, die eine Laufzeit von 24 Monaten hat. In dieser Zeit werden von den Behörden empfohlene Maßnahmen und Verbesserungsvorschläge unabhängiger Prüfer umgesetzt.“ Es handelt sich nicht um „Verbesserungsvorschläge“, sondern um klare Auflagen, die TK binnen vier Jahren nicht geschafft hat umzusetzen und die TKCSA binnen 24 Monaten umsetzen muss, sonst wird das Werk behördlich geschlossen. Da die Umweltverstöße des Stahlwerks anhalten, kann auch das wirtschaftsfreundlichste Amt nicht die Betriebsgenehmigung erteilen und wird dies auch in den nächsten Jahren nicht tun.

Der Betrieb läuft weiterhin auf Basis der ‚Good will‘-Entscheidung der Regierung des Bundesstaats Rio, die das Umweltamt angewiesen hat, den sogenannten TAC-Vertrag mit seinen Auflagen erneut zu verlängern. Dies zeigt, dass das Stahlwerk auch viereinhalb Jahre nach Inbetriebnahme noch immer nicht den Mindeststandard eines vergleichbaren Werks erreicht hat.

Noch immer weigert sich ThyssenKrupp, den betroffenen gegen TK klagenden 5.763 Fischern die seit 2006 aufgelaufenen Entschädigungen zu zahlen, noch immer weigern sich Behörden und ThyssenKrupp die Messergebnisse der Wasserbelastung der Bucht von Sepetiba zu veröffentlichen. noch immer belastet der auf die Anwohner niedergehende Stahlwerkstaub aus auch toxischen Stoffen, wie das staatliche Institut Fiocruz festgestellt hat, die Gesundheit der lokalen Bevölkerung.

In Ihrer Entgegnung auf unseren Gegenantrag ließen Sie verlauten, es handele sich ja nur um eine Studie von einigen Mitarbeitern des Fiocruz. So argumentiert in etwa der, der sagt, na, den WM-Titel in Brasilien ist ja nur einer, den nur einige wenige Spieler gewonnen haben.

Und gehen wir in medias res weiter. Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht der Blick in den Jahresbericht von ThyssenKrupp, wo TK erstmals „gerichtliche, schiedsgerichtliche und außergerichtliche Auseinandersetzungen sowie behördliche Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Bau, den gewährten steuerlichen Vergünstigungen sowie dem laufenden Betrieb des Stahlwerks in Brasilien, die zu Schadenersatz und Geldstrafen oder zu steuerlichen Belastungen führen können“ erwähnt. TK fährt fort: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erwartet ThyssenKrupp jedoch aus den in diesem Abschnitt nicht separat ausgeführten Rechtsstreitigkeiten keine wesentlichen negativen Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage.“

Tja, wenn Sie wich Philosophie studiert haben, dann haben Sie Spaß an der deduktiven Logik und wenden das auch gerne auf Jahresberichte von Konzernen an. Also: Das Zitat war: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erwartet ThyssenKrupp jedoch aus den in diesem Abschnitt nicht separat ausgeführten Rechtsstreitigkeiten keine wesentlichen negativen Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage.“ Im Umkehrschluss bedeutet dies wohl, dass TK aus den separat ausgeführten Rechtsstreitigkeiten (wie um das Stahlwerk in Rio) durchaus wesentliche negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Konzerns erwartet. Das kann ich dann ja wohl nur als eine erfreuliche Neuigkeit für die 5.763 Fischer werten, die seit Jahren um ihre Entschädigung in Höhe von 250 Millionen PLUS gegen Sie kämpfen.

Also ich denke, da sollten Sie nochmal nacharbeiten bei Ihrem Jahresbericht, wenn das per Deduktion so leicht in sich zusammenfällt…

Wie Ihnen bekannt ist, stellen wir folgende Gegenanträge zu den Tagesordnungspunkten 3 und 4: Wir beantragen die Nicht-Entlastung des Vorstands.

Begründung:

Der Vorstand von ThyssenKrupp hat es im zurückliegenden Geschäftsjahr erneut versäumt, die vom Dachverband der Kritischen Aktionäre auf den Hauptversammlungen seit Jahren angeprangerten Missstände als solche wahrzunehmen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Denn noch immer verstößt ThyssenKrupp gegen Regeln verantwortungsvoller Unternehmensführung und zeigt sich nicht verantwortlich für die negativen Folgen der eigenen Investitionen wie beim Stahlwerk in Rio de Janeiro, als Ausrüster bei der Exploration kanadischer Ölsande und beim Bau des Testturms bei Rottweil. Auch die Produktion von Rüstungsgütern und deren Export in Krisen- und Konfliktgebiete, der dem EU-Kodex von 1998 widerspricht, hält an.

Wir beantragen zudem die Nicht-Entlastung des Aufsichtsrats.

Begründung:

Der Aufsichtsrat hat es versäumt, den Vorstand anzuweisen, die negativen Folgen der eigenen Investitionen wie beim Stahlwerk in Rio de Janeiro endlich abzustellen und hat es versäumt, den Vorstand anzuweisen, die Produktion von Rüstungsgütern und deren Export in Krisen- und Konfliktgebiete endlich einzustellen.

Nun komme ich zu den Fragen:

Unseren Erkenntnissen zufolge beteiligt sich ThyssenKrupp als Ausrüster und mit technologischen Lösungen an der Ausbeutung der kanadischen Ölsande, die besonders klimaschädlich sind und deren Abbau für die Biodiversität vor Ort katastrophale Folgen zeitigt. Können Sie die Explorationsprojekte der Ausbeutung der kanadischen Ölsande beziffern, für die ThyssenKrupp als Zulieferer fungiert? Wurde bei Zusage der Beteiligung und/oder Lieferung von Seiten ThyssenKrupp Einsicht verlangt in die Umweltverträglichkeitsprüfungen? Wie kann sich ThyssenKrupp beteiligen an der schmutzigsten der schmutzigsten Ölförderung?

Nächste Frage: Es geht um die Wirtschaftsprüfung und transnationale Steuersparmodelle. Ich erinnere Vorstand und Aufsichtsrat an Ihre eigenen Vorgaben: Den eigenen Code of Conduct. Dort heißt es: „Seit Mai 2013 werden unsere Lieferanten in mehreren Wellen zur Unterzeichnung des ThyssenKrupp Supplier Code of Conduct aufgefordert. Unser Anspruch ist es, nur mit Lieferanten zusammenarbeiten, die gemäß den Prinzipien des ThyssenKrupp Supplier Code of Conduct handeln, diesen auf unsere Aufforderung hin unterzeichnen, alle Nachhaltigkeitsprozesse unterstützen und ihre eigenen Lieferanten entsprechend zur Einhaltung verpflichten.“

Nun, auch Wirtschaftsprüfer sind Lieferanten im engeren Sinne.

Dazu haben wir folgende Fragen:

Wie reagiert die ThyssenKruppführung auf die Verletzung der Nachhaltigkeits- und Integritätsgrundsätze an Lieferanten bei den bestellten Prüfern, die den Staat durch proaktiv eingeführte transnationale Steuersparmodelle mit mitunter mafiösen Geheimhaltungsvereinbarungen geschädigt haben?

Ist ThyssenKrupp selbst in diese transnationalen Steuersparmodelle verwickelt?

Bestehen Geheimhaltungsvereinbarungen über transnationale Steuersparmodelle mit Steuerberatern?

Letzte Frage: In dem eben bezeichneten ThyssenKrupp Supplier Code of Conduct heißt es:  „Gemäß dem Leitbild und den Richtlinien unseres Konzerns treffen wir unsere Vergabeentscheidungen nicht nur nach wirtschaftlichen, technischen und prozessualen Kriterien. Wir legen auch höchsten Wert auf gesellschaftliche und ökologische Aspekte, dazu gehören unter anderem der Schutz der Menschenrechte, der Kampf gegen Korruption sowie der Umweltschutz.“ Und weiter heißt es dort: „Wir verstehen Lieferantenentwicklung als gemeinsamen Prozess mit den Lieferanten. Aus den Erkenntnissen der Risikoanalyse kann der Entwicklungsbedarf eines Lieferanten für die einzelnen Themenfelder abgeleitet werden.“

Bitte erläutern Sie in Bereich der Rohstoffbeschaffung (Erz, Kohle), wie Sie die eben zitierten Aspekte des „Gemeinsamen Prozesses“ im Einzelnen mit Ihren Lieferanten (auch und vor allem mit denen, denen Sie über Rohstoffbörsen die Rohstoffe abkaufen) abklären.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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