Rede von Tilman Massa

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT.

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,

mein Name ist Tilman Massa, ich bin vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten setzen wir uns für ein stärkeres Engagement von Thyssenkrupp beim Schutz von Menschenrechten und der Umwelt ein.

1. Aufklärung der Dammbruch-Katastrophe bei Brumadinho in Brasilien

Sie alle werden es sicher aus den Medien erfahren haben: Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist vor genau einer Woche in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão gebrochen. Genau dieser Damm, der nun gebrochen ist, wurde im Jahr 1976 von Thyssen erbaut. Genauer: von 1973 bis 2001 gehörte die Mine Córrego do Feijão Ihnen, Ihrer Thyssen-Tochter Ferteco Mineração.

Auch wenn Sie nun nicht mehr Eigentümer sind, möchte ich hierzu Fragen stellen. Der TÜV SÜD hat im Juni und im September des vergangenen Jahres den Damm geprüft und für sicher befunden. Nun, es scheint, dass hier wer schlampig gearbeitet hat: Entweder ließ die TÜV-SÜD-Prüfung zu wünschen übrig – oder aber es wurde bereits beim Unterbau des Dammes 1976 geschludert – oder aber die Vale-Überprüfungen der Jahre 2001 bis 2018 waren schlampig. Äußere Einflüsse wie Starkregenvorfälle oder ein Erdbeben wurden im Vorfeld des Dammbruchs jedenfalls nicht verzeichnet.

Die bittere Konsequenz: Nach letzten Angaben der lokalen Zivilschutzbehörde hat die Schlammlawine fast 100 Menschen getötet. 259 Menschen werden immer noch vermisst. Die heutige Betreiberfirma VALE geht von 12 Millionen Kubikmeter Erzschlamms aus, der den Damm des ersten Rückhaltebeckens durchbrach und einen zweiten Damm des nächstgelegenen Rückhaltebeckens überflutete. Die Erzschlammwelle hat eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter zu Mittag aßen. Busse mit Mitarbeiter*innen von Vale wurden mitgerissen, die Arbeiter*innen sind nun tot. Mindestens ein Dorf wurde zerstört, auch kleine indigene und Quilombola-Territorien sind derzeit noch akut von der Schlammwelle bedroht. Da die Flutwelle sich durch die Flusstäler von Minas Gerais ihren Weg bahnt, wird sie nach dem Stausee Três Marias in den Rio São Francisco fließen, die Lebensader des trockenen brasilianischen Nordostens. Allein dieser Fluss, dessen Wasser nun ungenießbar für Mensch und Tier und unbrauchbar für die Landwirtschaft zu werden droht, allein dieser Fluss deckt 70 Prozent der gesamten im brasilianischen Nordosten zur Verfügung stehenden Wassermenge ab.

Ich frage Sie: Haben Sie noch Bauskizzen, Pläne und Risikoanalysen aus den 1970er Jahren, die bei der Aufklärung, wer für diese Katastrophe verantwortlich ist, hilfreich sein könnten?

Wenn ja, fordern wir Sie auf: Veröffentlichen Sie umgehend alle in Bezug auf diesen Katastrophen-Damm und -Mine relevanten Informationen und Dokumente, damit es eine unabhängige Untersuchung geben kann.

Aber auch in Bezug auf Ihre aktuellen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Ihre Zulieferer aus Brasilien habe ich folgende Fragen an Sie:

  1. In welchem Umfang hat Thyssenkrupp in den letzten drei Jahren Eisenerz von VALE und dessen Tochterunternehmen aus Brasilien bezogen?
  2. Hat Thyssenkrupp in den vergangenen drei Jahren Eisenerz aus der aus der Mine Córrego do Feijão bezogen und wenn ja, in welchem Umfang?
  3. Welche konkreten Maßnahmen hat Thyssenkrupp seit der Schlammlawine von Mariana 2015 durchgeführt, um die Risiken und Folgen des Eisenerzabbaus bei seinen Zulieferminen in Minas Gerais zu untersuchen? Herr Kerkhoff, Sie erinnern sich sicher an unsere diesbezüglich bohrenden Fragen auf der Hauptversammlungen 2016.
  4. Hat Thyssenkrupp in den vergangenen Jahren ein Audit in der Mine Córrego do Feijão durchgeführt und falls ja, mit welchen Ergebnissen?
  5. Hat Thyssenkrupp gegenüber VALE konkrete Erwartungen formuliert, um die Sicherheit der Rückhaltebecken in der Mine Córrego do Feijão und anderen Zulieferminen zu verbessern?

2. Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten allgemein

Apropos Audits: Sie geben an, dass im letzten Geschäftsjahr 173 Audits bei ihren Zulieferern durchführen ließen. Nach Ihren eigenen Angaben thematisieren Sie darin die Achtung der Menschenrechte, die Einhaltung fairer Arbeitsbedingungen und Umweltschutz. Können Sie uns sagen, bei wie vielen Audits es zu Verstößen gegen diese eigentlich selbstverständlichen Regeln gekommen ist? Sind die Audits öffentlich?

Ein Argument begegnet uns bei dieser Thematik immer:

Ohne einen rechtlich verbindlichen Rahmen sind die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zwecklos. Unternehmen, welche sie ernst nehmen, geraten ins Hintertreffen gegenüber der Konkurrenz, welche für die Nichtbeachtung noch nicht einmal juristisch belangt werden kann.

Die Problematik hat die nun wegen Verjährung abgewiesenen Klage gegen die deutsche Billigtextilkette KiK von vier Opfern eines Brands in einem pakistanischen Zulieferbetrieb erneut unter Beweis gestellt. Selbst KiK fordert nun eine „klare gesetzliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf europäischer Ebene“. Für Deutschland fordert nun auch der DGB ein entsprechendes Sorgfaltspflichtgesetz, denn schließlich geht es auch um die Achtung grundlegender Rechte von Arbeitnehmer*innen. Auf internationaler bzw. UN-Ebene setzen wir uns dazu für das sogenannte „Bindung Treaty“ ein, damit unternehmerische Sorgfaltspflichten rechtlich verbindlich geregelt werden und nicht nur auf Freiwilligkeit beruhen. Wie steht Thyssenkrupp, wie stehen Sie als Vorstand zu diesem Thema: Sprechen Sie sich für eine gesetzliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf nationaler, europäischer und/oder internationaler Ebene aus?

3. Umstrittene Rüstungsexporte

Wir können auch dieses Jahr Vorstand und Aufsichtsrat nicht entlasten, da Thyssenkrupp weiterhin kriegführende Staaten aufrüstet. Wir haben einen entsprechenden Gegenantrag gestellt, den ich hier begründen möchte.

Rüstungskooperation mit der Türkei

Aktuelle Zahlen zu Rüstungsexporten in die Türkei zeigen, dass die deutschen Marineexporte in die Türkei letztes Jahr trotz dieser besorgniserregenden Entwicklungen massiv zugenommen haben.Die Türkei steht wegen der zunehmend autoritären Politik ihres Präsidenten Erdoğan sowie wegen des völkerrechtswidrigen Einmarsches in Syrien Anfang 2018 massiv in der öffentlichen Kritik. Hinzu kommt, dass die Türkei gegen die Kurden im eigenen Land und in Syrien mit Gewalt vorgeht. Seit Jahrzehnten ist die Türkei Ihr Stammkunde: Aktuell bauen Sie gemeinsam mit türkischen Unternehmen sechs U-Boote des Typs 214 in deutscher Lizenz. Sie unterstützen damit in unverantwortlicher Weise die Bestrebungen der autoritär regierten Türkei nach rüstungstechnischer Autonomie.

Haben Sie vor, solche Kooperationen auch mit anderen Ländern einzugehen und wenn ja, mit welchen? Spielt bei den Kooperationen wie mit der Türkei die Überlegung eine Rolle, auf diese Weise die Exportverbote und Embargos der Bundesregierung oder der EU umgehen zu können?

Die Frage der Technologietransfers und Produktionsverlagerungen interessiert vor allem die Beschäftigten der deutschen Standorte von Thyssenkrupp Marine Systems.

Trotz Jemenkrieg: Kriegsschiff-Lieferungen an Ägypten

Im Fall der Rüstungskooperation mit Ägypten kommen Sie Ihren politischen und menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten überhaupt nicht nach. Obwohl bereits die Lieferung von zwei U-Booten in den letzten Jahren massiv in der Kritik stand und derzeit zwei weitere U-Boote für Ägypten im Bau sind, wollen Sie offenbar einen neuen Vertrag für den Bau einer oder mehrerer neuer Fregatten des Typs Meko 200 eingehen. Seit dem Militärputsch 2013 regiert Präsident Al-Sisi das Land mit eiserner Hand und geht harsch gegen jede Art von Opposition vor. Darüber hat sich Ägypten an der von Saudi-Arabien angeführten Koalition beteiligt, die einen brutalen Krieg im Jemen führt. So beteiligte sich die ägyptische Marine z.B. an der Seeblockade gegen den Jemen, welche die dortige Bevölkerung teilweise von dringend benötigter Nahrungsmittelzufuhr abschneidet. Sie bleiben hier Ihrer umstrittenen Linie treu, auch Geschäfte mit autoritären Regimen zu tätigen.

Unabhängig von moralischen Fragen wissen aber auch Sie um das Risiko von Rüstungsexporten in Krisenregionen. Sie selbst schreiben in Ihrem Risikobericht:

Im Marinegeschäft bestehen Risiken in einigen Export-Bestandsaufträgen, deren Erfüllung erheblich verzögert ist, wobei aufgrund komplexer vertraglicher Strukturen mit staatlichen Beschaffungsbehörden für militärische Ausrüstung, lokalen Bauwerften und Zulieferungen durch die Business Unit Marine Systems die Ursachenzuordnung strittig ist. Aufgrund politischer Entwicklungen in Kundenländern oder den umliegenden Regionen können sich zudem Risiken aus nicht erteilten Exportgenehmigungen ergeben.

Geschäftsbericht 2017/2018, S. 124

Angesichts dieser Risiken: Prüfen Sie, ob nicht eine prinzipielle Abkehr von Rüstungsexporten in Konflikt- und Kriegsregionen langfristig die sichere Entscheidung wäre? Haben Sie, ausgehend von Ihren Risikoanalysen, eigene Kriterien, ab wann ein Rüstungsdeal aufgrund politischer Unsicherheit für Sie nicht mehr tragbar wäre?

4. Unzureichendes Engagement zum Klimaschutz und den SDGs

Sie bekennen Sich zum Pariser Klimaschutzabkommen, dies ist lobenswert. Doch dem Bekenntnis müssen jetzt Taten folgen. Es fehlen klare Zielvorgaben, wie Sie im Einklang mit den Zielen des Abkommens wie viel Tonnen Treibhausgase bis zu welchem Jahr einsparen wollen. Siemens beispielsweise möchte bis 2030 klimaneutral sein, und ist tatsächlich auf dem besten Weg dorthin.

Haben Sie konkrete Pläne, Ihre Verantwortung für den Klimawandel ernst zu nehmen und einen Fahrplan zur zukünftigen Reduzierung Ihrer Treibhausgasemissionen aufzustellen? Was hält Sie davon ab, zumindest eigene Zielvorgaben z.B. bis 2030 zu formulieren?

Neben konkreten Maßnahmen zum Klimaschutz ist es nun für viele nachhaltig orientierte Investoren und Ratings relevant, welche konkreten Beiträge Sie zu der Nachhaltigkeitsagenda der Vereinen Nationen, den 17 Sustainable Development Goals (SDGs), leisten. Während sich die Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte Ihrer DAX-Kollegen damit überbieten, wer für welches Ziel welche Maßnahmen ergriffen hat, ist bei Ihnen einfach nichts zu lesen. Entsprechend unattraktiv ist Thyssenkrupp für nachhaltige Investments, die sich an konkreten Beiträgen zu den SDGs orientieren. Daher zunächst die Frage: Bekennen Sie sich überhaupt zu der UN-Nachhaltigkeitsagenda, den SDGs? Haben Sie hier vor, entsprechende Beiträge zu den 17 Zielen zu dokumentieren?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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