Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Olena Osmolovska. Ich komme aus der Ukraine und bin Mutter eines 10-jährigen Jungen. Ich gehörte zu einem kleinen Team der ukrainischen Gasgesellschaft Naftogaz, die sich mehrere Jahre gegen die russische Energiedominanz in der EU eingesetzt hat. Aufgrund meiner Arbeit hat mich die russische Regierung auf deren Sanktionsliste gesetzt.
Mein Name ist Klara Butz von der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald und ich werde die Rede und Fragen von Frau Osmolovska auf Deutsch verlesen.
2015 verhalf BASF der russischen Gazprom zur Kontrolle über wichtige Gasinfrastruktur in Deutschland. Das war ein Jahr nach Kriegsbeginn in meinem Land. BASF erlag – nicht zum ersten Mal – den Verlockungen des billigen russischen Gases.
Seit über einem Jahr führt Russland jetzt einen umfassenden Angriffskrieg gegen mein Land. Die Liste der Kriegsverbrechen ist lang und an jedem weiteren Tag sterben Menschen. Großartige Menschen, junge Menschen, unschuldige Menschen, die eine glänzende Zukunft vor sich hatten.
In acht Jahren wird mein Sohn volljährig sein und zur Armee eingezogen werden. Ich denke ständig darüber nach, ob mein Land bis dahin sicher ist oder ob auch mein Sohn Gefahr laufen wird, an der Front zu sterben.
Der Deal mit Gazprom 2015 ist einer der Bausteine, die Deutschland und Europa energiepolitisch extrem verwundbar machten und die russische Aggression ermöglichten. Zusätzlich unterzeichnete Wintershall 2017 ein Finanzierungsabkommen für die Gas-Pipeline Nord Stream 2, obwohl dem Unternehmen die Risiken einer Partnerschaft mit Russland bewusst sein mussten.
In meinem Artikel für den Atlantic Council vom Mai 2018 erläuterte ich, wie Gazprom Falschinformationen einsetzte, um Unterstützung für Nordstream 2 zu gewinnen. Angeblich sei Nord Stream 2 notwendig, um mehr Gas für die deutsche Wirtschaft zu liefern. In Wirklichkeit aber war die bestehende Pipeline-Kapazität doppelt so hoch wie der Bedarf Europas an russischem Gas. Ich frage sie: Wieso bezahlte Wintershall Dea Lobbyisten, um diese Fake News zu verbreiten?
Das Europäische Parlament forderte 2021 den Stopp des Projekts, und sogar Russlands größte Bank, die Sberbank, veröffentlichte 2018 einen kritischen Bericht zu den Pipeline-Projekten von Gazprom: kommerziell nicht sinnvoll. Wieso unterstützte BASF politisch und finanziell über Wintershall DEA ein kommerziell derart unsinniges und offensichtlich geopolitisch motiviertes Projekt?
Wir haben jetzt mehrere Jahre gehört: Russland ist ein verlässlicher Lieferant. Es ist eine wichtige Wachstumsregion. Bisher scheiterte die Kooperation nicht. Naja, 2022 war es soweit: Die übermäßige Abhängigkeit von Russland hat BASF Milliardenverluste beschert, dem Ansehen Deutschlands geschadet und tausende Arbeitsplätze gefährdet.
Bei einem Shareholder-Call am 29. April 2022 sagte Herr Brudermüller: „Ein plötzlicher Ausfall der Erdgaslieferungen aus Russland würde einen irreversiblen wirtschaftlichen Schaden verursachen. Um es klar zu sagen: Es gibt keine kurzfristige Lösung, um das russische Erdgas zu ersetzen. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um unsere Abhängigkeit von russischem Gas so schnell wie möglich zu verringern.“
Ich frage Sie, Herr Brudermüller und Ihren Vorgänger, Herrn Bock:
Nicht einmal 4 Monate nach dem Shareholder-Call stoppte der langjährige Handelspartner Gazprom den Gasfluss. In den Wochen zuvor spielte Putin auch mit der deutsche Industrie Katz und Maus, beispielsweise als er verlangte, Gas in Rubel zu bezahlen, beim Versuch, wichtige Gasinfrastruktur heimlich in Scheinfirmen zu überführen oder beim unsäglichen Geschacher um die Lieferung der Gasturbine. Er erpresste Regierungen, führte Unternehmen vor, setzte Gas als Waffe gegen Europa ein.
Und die BASF? Sie schauten einfach zu, wie Wintershall Dea das Russland-Geschäft fortsetzte und erst im Januar 2023 – nach fast einem Jahr Krieg und ungezählten Kriegsverbrechen – ankündigte, Russland zu verlassen. Nicht aufgrund des brutalen Angriffskrieges, sondern weil man sich praktisch enteignet fühlte vom russischen Regime – wie auch Herr Brudermüller in seiner heutigen Rede erwähnte. Sie beklagen in Ihrem Geschäftsbericht 2022 „Eingriffe der russischen Regierung, insbesondere in der zweiten Jahreshälfte 2022“, die zu erheblichen Wertminderungen und finanziellen Verlusten führten. Nur zur Erinnerung: In der zweiten Jahreshälfte hatten die „Eingriffe“ der russischen Regierung in meinem Heimatland schon tausende Todesopfer gefordert und vielerorts verbrannte Erde hinterlassen.
Gestern nun verkündete Wintershall Dea, dass der Rückzug aus Russland begonnen habe – unter Einhaltung aller geltenden Gesetze und Vorschriften. Meine diesbezüglichen Fragen an Sie lauten:
- Wieso fühlt sich Wintershall Dea in Russland an Gesetze und Vorschriften gebunden, während die russische Regierung tagtäglich unter Beweis stellt, dass ihr Gesetze, Vorschriften und völkerrechtliche Verträge egal sind?
- Wie sieht der konkrete Zeitplan für den kompletten Rückzug Wintershall Deas aus Russland aus? Wie lange wird das Unternehmen noch Gas und Öl an Gazprom verkaufen?
- Wie wird BASF in Zukunft agieren, um kritische Abhängigkeiten von Ressourcen und Operationen in autoritären Staaten zu vermeiden?
- Haben Sie Ihre aktuellen und geplanten Aktivitäten auf solche Risiken hin überprüft und können Sie die Ergebnisse einer solchen Überprüfung mitteilen?
- Wie viel Flüssigerdgas bezieht BASF 2023 immer noch aus Russland? Für wann planen Sie, diese Importe einzustellen, um diese Form der Unterstützung des Putin-Regimes zu beenden?
Ich lade Sie, Herr Brudermüller, dazu ein, die Ukraine selbst zu besuchen und selbst zu sehen, was wir im Bezug auf Wachstum und Entwicklung zu bieten haben. Nehmen Sie meine Einladung an?
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!