Was hätte es gebracht? Marikana, BASF und das Lieferkettengesetz

Ab 2023 wird gesetzlich geregelt sein, wie BASF der eigenen menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen muss. Hätte das Lieferkettengesetz dabei geholfen, dass BASF nach dem Massaker von Marikana vor neun Jahren ernsthafter auf die offensichtlichen Missstände bei seinem damals größten Platin-Zulieferer Lonmin reagiert hätte? Die Antwort darauf legt die Vorteile, aber auch die Defizite des aktuell im Bundestag diskutierten Gesetzentwurfs offen.

Von Tilman Massa, Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre

Lange genug hatten deutsche Unternehmen Zeit nachzuweisen, dass sie freiwillig die UN-Standards bei der Achtung von Menschenrechten in ihren Lieferketten erfüllen. Nachdem letztes Jahr endgültig klar wurde, dass über 80 Prozent dies noch nicht einmal ansatzweise tun, zog die Bundesregierung die Konsequenz und machte den Weg frei für eine gesetzliche Regelung. Auch BASF erfüllte lange nicht die internationalen Standards und ist damit selbst verantwortlich dafür, dass das eigens propagierte Prinzip der freiwilligen Unternehmensverantwortung krachend gescheitert ist.

Aktuell wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung im Parlament kontrovers debattiert. Selbst innerhalb der Unionsfraktion, die eigentlich hinter dem Kompromiss ihrer Minister stehen sollten, gibt es einen offenen Dissens darüber, ob das Gesetz noch entschärft werden sollte. Auf der anderen Seite fordern zivilgesellschaftliche Organisationen und nun sogar auch 50 progressive Unternehmen deutliche Nachbesserungen, damit das Vorhaben überhaupt die gewünschte Wirkung erzielen kann.

Welche Regelungen im aktuellen Gesetzentwurf sinnvoll sind und wo es noch gewaltig hakt, kann hier in unserer Analyse nachvollzogen werden. Hier wollen wir der hypothetischen Frage nachgehen: Wie hätte BASF spätestens nach dem Massaker von Marikana gegenüber dem eigenen Platin-Zulieferer Lonmin reagieren müssen, um den Anforderungen des aktuellen Entwurfs des Lieferkettengesetzes gerecht zu werden?

Ein kurzer Blick zurück: BASF und das Massaker von Marikana

Vor neun Jahren streikten in Südafrika Minenarbeiter für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen bei Lonmin, dem damals größten Platin-Zulieferer von BASF. Am 16. August 2012 wurden 34 streikende Bergleute von der Polizei erschossen, viele von ihnen auf der Flucht, auch in den Rücken. Das Massaker von Marikana, die Hintergründe und die Folgen beschäftigen Südafrika bis heute. Noch immer konnten nicht alle Umstände des Massakers aufgeklärt werden. Fest steht aber: Nicht nur die Polizei und politische Akteure, sondern auch Unternehmensverantwortliche von Lonmin tragen Schuld und Verantwortung für das, was geschehen ist: Von den miserablen Bedingungen am Arbeitsplatz, den schlechten Löhnen und Lebensverhältnissen, damit auch für den Streik und nicht zuletzt für die Toten, Verwundeten und zu Unrecht Inhaftierten.

Selbst nach diesem Ergebnis der offiziellen Untersuchungskommission der südafrikanischen Regierung sah sich BASF nicht dazu veranlasst, aktiv zu werden. Mit der Kampagne „Plough Back The Fruits“ machten wir die enge Geschäftsbeziehung zwischen Lonmin und BASF zunächst öffentlich und stellen klare Forderungen an BASF, der behaupteten Lieferkettenverantwortung gerecht zu werden. Konkret hieß dies: zur Aufklärung des Massakers beizutragen und auf eine Entschädigung der Hinterbliebenen zu bestehen. Mittelfristig sollte sich BASF aktiv dafür einsetzen, dass die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen im südafrikanischen Platin-Bergbau verbessert.

Doch es passierte: nichts – zumindest nichts Substanzielles, das unsere Forderungen erfüllt hätte. BASF ring sich ein öffentliches Statement ab, externe Audits zu veranlassen und sich das Recht vorzubehalten, Geschäftsbeziehungen zu beenden. Zwar kündigten sowohl Lonmin als auch BASF an, dass zumindest die gesetzlichen Anforderungen zum Bau von Unterkünften erfüllt werden sollten, doch die Maßnahmen wurden nicht konsequent verfolgt, Ergebnisse der Audits nicht veröffentlicht und Betroffene nur unzureichend einbezogen. Jahrelang blieben die Hinterbliebenen der Erschossenen ohne Entschädigung, die am Massaker beteiligten Polizisten ohne strafrechtliche Konsequenzen.

Während BASF weiter jährlich Platin im Wert von rund 600 Millionen Euro von Lonmin einkaufte, mussten viele der rund 30.000 Bergleute und ihre Familien in informellen Siedlungen um die Mine leben, bis heute ohne Zugang zu Strom, fließendem Wasser und Sanitäranlagen.

Hätte das Lieferkettengesetz, würde es seit 2012 gelten, eine andere Reaktion von BASF hervorgerufen? Dazu muss zunächst ein Blick in den Gesetzentwurf klären, was der Gesetzgeber nun eigentlich von Unternehmen fordert.

Darum geht es im Lieferkettengesetz

Das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Sorgfaltspflichtengesetz)“, wie das Lieferkettengesetz offiziell heißen soll, verpflichtet größere Unternehmen in Deutschland in erster Linie nur zu einer Sache: Sie müssen ein Risikomanagement einführen und umsetzen, um Menschenrechtsrisiken in den eigenen Lieferketten zu identifizieren und präventiv entgegenzutreten.

Der Gesetzentwurf definiert eindeutig, welche potentiellen Menschenrechtsverletzungen ein Konzern prüfen muss und was im Fall von Hinweisen auf derartige Verletzungen zu tun ist. Dazu bezieht sich die Bundesregierung auf die international anerkannten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Die zu prüfenden Menschenrechte beschränken sich damit nicht nur auf das grundlegende Recht auf Leben, Gesundheit und die Freiheit von Zwangs- oder Kinderarbeit, sondern auch auf die ILO-Kernarbeitsnormen, welche die Rechte auf angemessene Entlohnung, Arbeitspausen und Arbeitszeitbegrenzung festlegen.

Unternehmen sollen nun transparent darlegen, wie sie die Menschenrechtsrisiken ihrer Lieferketten analysieren. Sollten Verstöße bei Zulieferern festgestellt werden, reicht es aber schon aus, ein „Bemühen“ für Abhilfe erkennen zu lassen. Das Gesetz fordert zwar „verhältnismäßige und angemessene Maßnahmen“ ein, die aber im jeweiligen Kontext und im Zweifel von der dazu neu einzurichtenden, staatlichen Kontrollbehörde und wahrscheinlich letztendlich von Gerichten geklärt werden müssen.

Zudem müssen nur direkte Zulieferer automatisch erfasst werden, also die erste Stufe der Liefer- bzw. Wertschöpfungskette. Schon bei der zweiten Stufe muss die Risikoanalyse samt möglicher Folgemaßnahmen erst dann durchgeführt werden, wenn das Unternehmen von außen oder selbst „substantiierte Kenntnis“ über Missstände in tieferen Stellen der Lieferkette erlangt. Das ist eines der Hauptkritikpunkte auch jener Unternehmen, die bereits ihre gesamten Lieferketten ausführlicher analysieren. Sie kritisieren nun verständlicherweise Wettbewerbsnachteile gegenüber jenen Unternehmen, die ihrer Verantwortung entlang der gesamten Lieferkette nicht gerecht werden. Im Fall von Lonmin, das mittlerweile vom einstigen Konkurrenten Sibanye-Stillwater übernommen wurde, ist dies jedoch unerheblich. Lonmin war und Sibanye-Stillwater ist ein direkter Zulieferer der BASF.

BASF hätte schon vor dem Massaker von Marikana aktiv werden müssen

Wäre das Lieferkettengesetz schon 2012 geltendes Recht gewesen, BASF hätte die miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen bei Lonmin nicht nur selbstständig registrieren müssen, sondern auch aktiv eigene Maßnahmen ergreifen müssen, um Lonmin zur Einhaltung von südafrikanischem Recht und internationaler Standards zu drängen.

Die massiven Probleme waren zudem alles andere als ein Geheimnis. Medienberichte über die Situation vor Ort zeigten leider auf den ersten Blick, dass Lonmin nicht den seit 2006 geltenden gesetzlichen und vertraglichen Pflichten der Bergbaulizenz nachgekommen war, beispielsweise in Bezug auf den Bau von Werkssiedlungen. Und selbstverständlich braucht es nicht erst eine Tragödie wie das Massaker von Marikana, um die Notwendigkeit für bessere Bedingungen im südafrikanischen Bergbau zu erkennen – schon zu lange wurden die lautstarke Kritik und Forderungen der Gewerkschaften von Lonmin ignoriert.

Doch was wäre nun eine lieferkettengesetzkonforme, „angemessene und verhältnismäßige Abhilfemaßnahme“ gewesen, mit der BASF das eigene „Bemühen“ für Abhilfe hätte nachweisen können? In § 7(2) gibt der Entwurf des Lieferkettengesetzes eine grobe Antwort:

„Ist die Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht bei einem unmittelbaren Zulieferer so beschaffen, dass das Unternehmen sie nicht in absehbarer Zeit beenden kann, muss es unverzüglich ein Konzept zur Minimierung erstellen und umsetzen. Das Konzept muss einen konkreten Zeitplan enthalten. Bei der Erstellung und Umsetzung des Konzepts sind insbesondere folgende Maßnahmen in Betracht zu ziehen:

  1. die gemeinsame Erarbeitung und Umsetzung eines Plans zur Behebung des Missstandes mit dem Unternehmen, durch das die Verletzung verursacht wird,
  2. der Zusammenschluss mit anderen Unternehmen im Rahmen von Brancheninitiativen und Branchenstandards, um die Einflussmöglichkeit auf den Verursacher zu erhöhen,
  3. ein temporäres Aussetzen der Geschäftsbeziehung während der Bemühungen zur Risikominimierung.“

Die Wirksamkeit des Abhilfekonzepts soll dann jährlich und anlassbezogen überprüft werden. Es geht also mitnichten darum, die Geschäftsbeziehung sofort zu beenden – dies ist auch nie eine Forderung der Gewerkschaften oder unserer Kampagne gewesen.

Es geht darum, ernsthaft, transparent und effektiv für ein Ende der Missstände zu sorgen und dazu auch den eigenen ökonomischen Einfluss geltend zu machen. Als Hauptkunde von Lonmin hatte BASF zu jeder Zeit diesen Einfluss auf Lonmin, denn die langfristigen Abnahmeverträge sicherten maßgeblich das wirtschaftliche Überleben des Platinkonzerns. Es ist daher keine weit hergeholte Vermutung, dass Lonmin eher früher als später seinen vertraglichen Verpflichtungen für angemessene Arbeits- und Lebensbedingungen nachgekommen wäre, hätte BASF schon frühzeitig signalisiert, davon die Abnahme von Platin abhängig zu machen.

Was tun, wenn der direkte Zulieferer in Massenmord involviert ist?

Spätestens aber nach dem Massaker von Marikana hätte BASF Maßnahmen ergreifen müssen – einen denkbar schlimmeren Anlass gibt es kaum, selbst in der jüngeren Geschichte des ohnehin von Menschenrechtsverletzungen geprägten globalen Rohstoffabbaus.

Übrigens hätte BASF auch unabhängig davon, ob das Lieferkettengesetz in Deutschland damals schon gegolten hätte oder nicht, aktiv werden müssen. Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte wurden 2011 vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedet, und BASF hatte sich schon im Jahr 2000 freiwillig im Rahmen des Global Compact dazu erklärt, mit den eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten international gültige Menschen-, Arbeits- und Umweltrechte zu achten. Schon das zweite Prinzip des Global Compact stellt klar: Unternehmen sollen sicherstellen, sich nicht an Menschenrechtsverletzungen mitschuldig zu machen.

2012 musste sich BASF der Situation stellen, dass der entscheidende Platin-Lieferant für die eigenen Katalysatoren unmittelbar für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war – und tat nichts. Damit ist BASF nicht für das Massaker von Marikana direkt mitverantwortlich – BASF versuchte zeitweise, diesen Vorwurf unserer Kampagne zuzuschieben. Eine andere Frage ist hingegen jene, inwieweit das jahrelange Ignorieren der Missstände bei Lonmin durch BASF auch indirekt dazu beigetragen hat, dass die Situation derart eskalieren konnte.

Wohl ist BASF aber dafür verantwortlich, nichts gegen die fatale Untätigkeit von Lonmin bei der Aufarbeitung des Massakers von Marikana und Entschädigungszahlungen im Nachgang des Massakers unternommen zu haben. Stattdessen hat BASF dies kommentarlos hingenommen und damit auch dazu beigetragen, dass Lonmin sich so lange nicht der eigenen Schuld und Verantwortung stellen musste. Es fehlte eben auch an deutlichen Worten des wichtigsten Geschäftspartners.

Hätte das Lieferkettengesetz damals gegolten, dann hätte BASF zusammen mit Lonmin einen Plan erstellen müssen, der sicherstellt, dass Lonmin den eigenen Verpflichtungen gegenüber den Opfern und Hinterbliebenen des Massakers von Marikana nachkommt. Hier geht es um eindeutige Rechtsansprüche, die durch südafrikanisches und internationales Recht geregelt sind. Diese Maßnahmen hätten auch gegenüber der (geplanten) Kontrollbehörde und der interessierten Zivilgesellschaft öffentlich gemacht werden müssen.

Dies scheinen hinreichend angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen zu sein – angesichts eines historischen Verbrechens, bei dem 44 Menschen innerhalb einer Woche ums Leben kamen.

Untätigkeit kann zu empfindlichen Strafzahlungen führen

Da dies nicht geschehen ist, hätte BASF demnach ordnungswidrig gehandelt und mit einer Beschwerde bei der Kontrollbehörde und einer anschließenden Prüfung der Angelegenheit rechnen müssen. Wäre BASF auch dann noch nicht entsprechend der Anforderungen des Lieferkettengesetzes aktiv geworden, dann hätte BASF mit Bußgeldern, möglichen Klagen und dem Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge rechnen müssen. Diese sind als Disziplinierungsmaßnahmen im Entwurf des Lieferkettengesetzes vorgesehen.

Im für BASF schlimmsten Fall hätte die Untätigkeit bis zu zwei Prozent des weltweit jährlichen Konzernumsatzes zur Folge gehabt. Angesichts dieser finanziellen Risiken sollte sich nun nicht nur BASF ernsthafter mit den Missständen in den eigenen Lieferketten auseinandersetzen.

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