- Dachverband ehrt die Initiative Lieferkettengesetz für Zusammenbringen zivilgesellschaftlicher Organisationen und Aktivierung ehrenamtlichen Engagements
- Beispiel Volkswagen in China zeigt: Umsetzung des Lieferkettengesetzes stößt in autoritären Staaten auf grundlegende Probleme
- Diskussionen zum kreativen Umgang mit virtuellen Hauptversammlungen
Nach einer Saison mit 34 virtuellen und 19 Präsenz-Hauptversammlungen hatte der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre am Samstag, den 16. September, zur Jahrestagung nach Köln eingeladen. In den vergangenen Monaten hatten wir zusammen mit ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen unser Mitglieds- und Partnerorganisationen auf den Aktionärsversammlungen genau nachgehakt, wie beispielsweise das Lieferkettengesetz konkret umgesetzt wird. Immer wieder wurde deutlich, dass die Konzerne menschenrechtliche Sorgfaltspflichten nicht ausreichend wahrnehmen und dass es Defizite im Bereich Umwelt- und Klimaschutz gibt.
Bei den diesjährigen virtuellen Hauptversammlungen hatten die Aktionär*innen erstmals das Recht, live eine Rede per Videoübertragung zu halten; eine wirkliche Debatte wie bei Präsenz-Hauptversammlungen kam aber online nicht zustande. Diskutiert wurde bei der Jahrestagung auch, wie in Zukunft Protest im Rahmen von Aktionärsversammlungen wirksam gestaltet werden könnte.
Mit Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes zu Jahresbeginn konnten wir nun auch auf den Hauptversammlungen auf klare, einheitliche und vor allem gesetzlich verbindliche Vorgaben verweisen, wie Großkonzerne ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferketten nachkommen müssen. Unermüdlich hatte sich das zivilgesellschaftliche Bündnis der Initiative Lieferkettengesetz dafür eingesetzt, dass der Bundestag gesetzliche Vorgaben darüber beschließt, wie Konzerne die Einhaltung von Menschenrechten, Umwelt- und Sozialstandards bei ihren Zulieferern analysieren sollen. Für dieses Ziel hatte die Initiative nicht nur große Organisationen wie den DGB oder Greenpeace zusammengebracht, sondern vor allem auch kleinere Initiativen motiviert, ihre Expertise – sei es zu einzelnen Fällen oder branchenspezifische Probleme – einzubringen. So aktivierte die Initiative Lieferkettengesetz ein enormes Potential auch von ehrenamtlichem Engagement in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Angesichts der mächtigen Konzernlobby, die versuchte, das Lieferkettengesetz zu verwässern, erreichte das breite zivilgesellschaftliche Bündnis einen Teilerfolg.
„Es ist rückblickend schwer vorstellbarbar, dass es vielleicht auch ohne die Initiative zu einem Gesetz gekommen wäre“, argumentierte Tilman Massa vom Dachverband. „Aber die Leistung, so viele Gruppen und Organisationen in einer effektiven Mischung aus Koordination und Freiheiten zu einem Thema zusammenzubringen, das hat die Initiative Lieferkettengesetz auch so geschafft.“ Hier kann unsere Laudatio nachgelesen werden.
Für die Initiative Lieferkettengesetz nahm Armin Paasch, Experte für Verantwortliches Wirtschaften und Menschenrechte beim katholischen Hilfswerk Misereor, unseren Henry Mathews Preis für Konzernkritik entgegen. Er betonte, dass das Gesetz den überfälligen Paradigmenwechsel von der rein freiwilligen Unternehmensverantwortung hin zu verbindlichen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Unternehmenspflichten einleitet. Dabei richtete Armin Paasch auch den Blick nach vorne auf die nun bald zum Abschluss kommenden Verhandlungen zu verbindlichen Regeln auf EU-Ebene und forderte: „Jetzt brauchen wir ein EU-Lieferkettengesetz, dass die Chancen der Betroffenen auf Schadensersatz vor hiesigen Zivilgerichten erhöht und die ökologischen Aspekte deutlich stärker erfasst.“
Im zweiten Teil unserer Jahrestagung diskutierten wir dann die konkrete Anwendung des Lieferkettengesetzes anhand des Umgangs von Volkswagen mit den Risiken von uigurischer Zwangsarbeit in seinen Lieferketten in China. Volkswagen ist zudem der einzige westliche Autokonzern, der direkt in der Region Ostturkistan ein Werk mit dem Joint-Venture-Partner SAIC betreibt. In der Region werden in Umerziehungslagern Millionen von Uigur*innen und Angehörige anderer Turkvölker missbraucht und gefoltert. Immer häufiger werden neben diesen Lagern Fabriken errichtet, in denen Inhaftierte Zwangsarbeit verrichten müssen. Nach Recherchen der Sheffield Hallam University (England) sind verschiedene VW-Zulieferer in staatliche Arbeitstransfer-Programme involviert, die auf Zwangsarbeit basieren.
Haiyuer Kuerban, Leiter des Berliner Büros des Weltkongresses der Uiguren (WUC), berichtete über die schon Jahrzehnte bestehende Unterdrückung und Repressionen der chinesischen Regierung, die erst in den letzten Jahren mit dem Leak der sogenannten „China Cables“ internationale Aufmerksamkeit bekommen habe. Er stellte fest: „Niemand, der in der uigurischen Region operiert, kann uigurische Zwangsarbeit ausschließen. Volkswagen muss sich aus der Region zurückziehen, um nicht zum Profiteur des Genozids an den Uiguren zu werden.“
Miriam Saage-Maaß, Legal Director des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), erläuterte anschließend die Gründe, warum das ECCHR Ende Juni Beschwerde gegen VW, BMW und Mercedes-Benz eingereicht hatte.
„Der Bericht der Sheffield Hallam University belegt, dass potentiell in der gesamten Lieferkette der Automobilindustrie in dieser Region uigurische Zwangsarbeit eingesetzt wird“, so Miriam Saage-Maaß. „Laut diesem Bericht pflegen die drei Automobilhersteller Lieferbeziehungen zu Unternehmen, die möglicherweise in Zwangsarbeit verwickelt sind.“ Bisher sei alles andere als klar, was genau die Autokonzerne unternommen hätten, ihre Zulieferer dahingehend zu überprüfen. Die Beschwerde versucht daher in erster Linie, mehr Transparenz von den Konzernen einzufordern. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) prüft nun, ob die Maßnahmen, sofern es denn welche gibt, als angemessen entsprechend der Kriterien des Lieferkettengesetzes beurteilt werden können.
Miriam Saage-Maaß betonte auch, dass es auch auf eine informierte und engagierte Zivilgesellschaft ankomme, um für eine effektive Umsetzung des Lieferkettengesetzes zu sorgen, damit es auch präventiv wirken könne und Konzerne nicht immer nur dann reagieren, wenn es zu spät sei.
In der abschließenden dritten Diskussionsrunde der Jahrestagung haben wir Erfahrungen mit den virtuellen Hauptversammlungen unter den neuen Bedingungen ausgetauscht. Gisela Burckhardt, Vorstandsvorsitzende von FEMNET, verfügt bereits über langjährige Erfahrungen mit den Hauptversammlungen der Textilkonzerne wie Adidas, Hugo Boss oder auch Zalando und konnte die Nachteile einer rein virtuellen Hauptversammlung herausstellen. In einer Präsenz-Hauptversammlung könne durch Reden von Gästen aus Schwellen- und Entwicklungsländern viel mehr Betroffenheit unter den Aktionär*innen erzeugt werden.
Anna Lena Samborski, Campaignern bei urgewald zu deutschen Finanzinstituten, und Professor Niklas Höhnevom New Climate Institute hatten dieses Jahr zum ersten Mal auf einer Hauptversammlung gesprochen und mussten sich gleich mit den besonderen Bedingungen bei virtuellen Hauptversammlungen auseinandersetzen. Anna Lena Samborski schlug vor, bei der Rede müssten „starke Bilder kreiert werden, die auch in den digitalen Raum wirken“. Niklas Höhne bemängelte, dass zwischen der eigenen Rede und den Fragen, die man stelle, sehr viel Zeit vergehe, bis man die Antwort des Vorstands erhalte.