Laudatio auf die Initiative Lieferkettengesetz zur Verleihung des Henry Mathews Preises für Konzernkritik 2023

Protestaktion und Petitionsübergabe der Initiative Lieferkettengesetz vor dem Bundeskanzleramt am 09.09.2020. Foto: Sina Niemeyer/Greenpeace


Liebe Teilnehmende unserer Jahrestagung,

wie in den letzten Jahren auch wollen wir unsere Jahrestagung heute nutzen, um zivilgesellschaftliche Initiativen zu würdigen, die sich durch couragiertes Engagement und hartnäckige Konzernkritik um die Achtung von Menschenrechten und Umweltschutz verdient gemacht haben. Benannt nach unserem bereits 2006 verstorbenen Geschäftsführer und Vorstandsmitglied, haben wir dazu den Henry Mathews Preis ins Leben gerufen.

Üblicherweise ehren wir Graswurzel-Initiativen, die über Jahre hinweg auch auf Hauptversammlungen Konzernverantwortliche für unzureichende Klimaschutzmaßnahmen kritisieren, Greenwashing anprangern oder Verantwortung für und Konsequenzen aus konkreten Umweltverbrechen einfordern. Dass Konzerne in vielen Fällen fahrlässig ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Liefer- und Wertschöpfungsketten missachten oder unzureichend umsetzen, ist dabei auch immer wieder der Anlass, auf Hauptversammlungen Missstände in Lieferketten und die Verbindungen und Verantwortung zum Konzern darzustellen. Aktuelles Beispiel ist hier der unzureichende bis zynische, zumindest intransparente Umgang der deutschen Autokonzerne mit den Risiken uigurischer Zwangsarbeit in ihren chinesischen Lieferketten. Dies werden wir gleich im anschließenden Panel thematisieren.

Meist steht ein konkreter Fall oder wie hier mit Volkswagen ein einzelner Konzern im Fokus, mit denen sich zivilgesellschaftliche Kampagnen auseinandersetzen müssen. Ohne dabei einen klaren Bezugsrahmen zu haben, mit dem Konzernverantwortung statt in diffusen moralischen Appellen in konkrete Sorgfaltspflichten greifbar wird, wäre es auch für uns sehr schwer, Konzerne auf ihren Hauptversammlungen zu kritisieren. Einer der wichtigsten Bezugsrahmen dazu sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die 2011 vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedet worden waren. Praktisch alle deutschen Großkonzerne bekennen sich zur Achtung dieser Leitprinzipien. Bis zur Einführung des Lieferkettengesetzes ab diesem Jahr war dies allerdings nur freiwillig.

Nachdem 2020 auch von der Bundesregierung dazu beauftragte Erhebungen zu dem Ergebnis kamen, dass über 80 Prozent dies noch nicht einmal ansatzweise tun, machte auch die damalige Große Koalition den Weg frei für eine gesetzliche Regelung – so hatte sie es auch schon im Koalitionsvertrag vereinbart.

Ich will hier aber nicht vorschnell die letzte Regierungskoalition Angela Merkels loben – auch wenn die mit den zuständigen Ministern Hubertus Heil (Arbeit und Soziales) und Gerd Müller (wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) das Gesetzesvorhaben konstruktiv unterstützt haben. Die Politik hätte schon viel früher für verbindliche Regeln sorgen müssen, statt dem Mantra der Freiwilligkeit zu folgen, das die deutsche Industrie, konkret BDI und BDA, zwar immer propagiert hat, aber nie bewiesen und letztendlich selbst zum Scheitern gebracht hat.

Es war vor allem die Zivilgesellschaft, die eine gesetzliche Regelung vorangetrieben hat – allen voran die Initiative Lieferkettengesetz, in der sich zuerst die großen Organisationen rund um GermanWatch, Greenpeace, BUND, Brot für die Welt, Misereor, DGB und Co. zu einem Kampagnenbündnis zusammengefunden hatten. Schon bald schlossen sich immer mehr Organisationen und Initiativen an – auch der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Es sollten 140 werden.  

Ob Weltladen- und Fair-Trade-Unterstützer*innen hier, kirchliche Initiative da, Gewerkschaften dort – so etliche Bundestagsabgeordnete müssen schon gestaunt haben, von wem sie da nicht nur E-Mails und Postkarten bekommen haben, sondern auch persönliche Besuche in den Sprechstunden. Und dass selbst die CDU auf ihrem Parteitag Ende 2019 die Regierung aufforderte, „gesetzliche Regelungen für die Wertschöpfungskette zu entwickeln“, ist auch auf das Engagement kirchlicher und CDU-naher Gruppen zurückzuführen. Hierin sehen wir eine der herausstechenden Leistungen, für welche wir den Initiator:innen danken möchten: Das Zusammenbringen vieler zivilgesellschaftlicher Gruppen mit durchaus unterschiedlichen Analysen, Perspektiven und Forderungen, aber vor allem das Aktivieren auch von viel ehrenamtlichem Engagement, sich intensiv mit dem Thema Lieferkettenverantwortung zu beschäftigen. Die mehr als 222.222 Unterschriften der entsprechenden Petition an die Bundesregierung, die bis September 2020 zusammengekommen waren, drücken dies nur oberflächlich aus. Es drückt sich auch dadurch aus, wenn auch Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung, die sich hauptsächlich mit dem Kohleausstieg beschäftigen, das Thema Lieferkettengesetz im Zusammenhang mit den Steinkohle-Lieferketten beispielsweise aus Kolumbien aufgreifen.

Worin besteht die Leistung der Initiative aber nun wirklich? Sicher, das Ziel wurde erreicht, wir haben nun ein Gesetz. Das Lieferkettengesetz markiert ganz konkret die Abkehr vom Prinzip Freiwilligkeit hin zu verbindlichen, gesetzlichen Regeln für Unternehmen. Und diesen Wandel hat die Initiative Lieferkettengesetz vorangetrieben.

Aber besteht darin wirklich die essentielle Errungenschaft der Initiative Lieferkettengesetz?

Meine These lautet: Auch, aber nicht nur.

Denn zum einen ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass wir ein Gesetz auch ohne die Initiative bekommen hätten. Schon jahrelang arbeiten verschiedenen Gruppen und Organisationen zu dem Thema menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, auch wenn etwas weniger als mehr koordiniert. Und die politischen Rahmenbedingungen waren nun nicht nur unvorteilhaft, wenn gleich zwei Ministerien ein Gesetz befürworten.

Zum anderen wären die eben genannten Leistungen, das Aktivieren und Zusammenbringen zivilgesellschaftlichen Engagements, auch ohne einen finalen Gesetzestext nicht wirklich anders. Messen wir den Erfolg und Misserfolg von zivilgesellschaftlichen Initiativen, Kampagnen und Projekten nicht (nur) anhand des Erreichens ihrer eigenen Ziele. Und nicht zuletzt sind es zwei unterschiedliche Fragen: Was bringt das Gesetz? Und: Was hat die Initiative Lieferkettengesetz erreicht?

Ich fürchte, dass in der allgemeinen, öffentlichen Rückschau die Initiative Lieferkettengesetz vor allem auf das Durchbringen des Gesetzes reduziert wird. Keine Frage: Das Gesetz ist alles andere als ein Selbstläufer gewesen. Aber schauen wir doch einmal darauf, was die Initiative darüber hinaus vielleicht noch geleistet hat.

Ich habe daher teils aus Interesse, teils aus Faulheit die künstliche Intelligenz ChatGPT damit beauftragt, eine Laudatio auf die Errungenschaften der Initiative Lieferkettengesetz zu schreiben.

Hier einige der Errungenschaften laut ChatGPT:

„Die Initiative Lieferkettengesetz hat in den letzten Jahren unermüdlich und entschlossen daran gearbeitet, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das nicht nur die unternehmerische Verantwortung, sondern auch die Menschenrechte und die Umweltauswirkungen entlang globaler Lieferketten in den Fokus rückt. Diese Anstrengungen sind von größter Bedeutung, denn sie tragen dazu bei, die Globalisierung fairer, nachhaltiger und ethischer zu gestalten. Ein bedeutender Meilenstein in dieser Initiative war die erfolgreiche Durchsetzung des Lieferkettengesetzes in Deutschland.“

Ein Meilenstein also, nicht die zentrale Errungenschaft. Je nach Perspektive ist es aber auch eine gewagte, zumindest voreilige These, dass „diese Anstrengungen“ dazu beitragen würden, „die Globalisierung fairer, nachhaltiger und ethischer zu gestalten.“

Ob das Gesetz so eine Wirkung entfalten kann, wird sich zeigen. Wichtig ist aber der Wandel in der Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, die nun auch stärker strukturelle Ungleichheiten im Welthandel und konkret die vorteilhafte Position deutscher Großkonzerne und deren Verantwortung mit einbezieht. Beispielhaft steht hierfür die Textilbranche, die ihre Produktion in Länder mit Niedriglöhnen ausgelagert hat, die Wertschöpfung aber nicht angemessen teilt. Die tödlichen Folgen, wenn selbst minimale Arbeits- und Sicherheitsstandards nicht eingehalten werden, hatte der Einsturz der Textilfabrik Rana Plana gezeigt, bei dem am 24. April 2013 über 1.000 Menschen ums Leben kamen. Trotz großer Risse im Mauerwerk hatten dort Menschen Kleidung für Primark, KiK oder C&A produziert. Der Fall löste auch zum Teil ein Umdenken bei den deutschen Modekonzernen aus. Aber nicht von alleine: Vor allem wegen kaum vorhandenen Brandschutzes starben mehr als 250 Arbeiter*innen beim schlimmsten Fabrikbrand in Asien bei Ali Enterprise in Pakistan am 11. September 2012. Der bis heute einzig bekannt Kunde: KiK. Es brauchte jahrelange öffentliche Proteste, bis KiK Entschädigungszahlungen an die Opfer und Angehörigen der getöteten Beschäftigten zustimmte. Als das Landgericht Dortmund eine Zivilklage gegen KiK Anfang 2019 nur mit der Begründung der Verjährung abwies, kommunizierte auch KiK auf einmal öffentlich und dann immer wieder, das eine klare gesetzliche Regelung zur Sorgfaltspflichten gegenüber Zulieferern zwecks Rechtsklarheit auch im eigenen Konzerninteresse liege.

Hier kommen wir zur Rolle der Konzerne. ChatGPT formuliert dazu:

„Darüber hinaus hat die Initiative Lieferkettengesetz einen wichtigen Dialog zwischen Unternehmen, Regierungen, Zivilgesellschaft und anderen Akteuren gefördert. Dieser Dialog ist entscheidend, um die Herausforderungen in globalen Lieferketten anzugehen und effektive Lösungen zu entwickeln.“

Hier möchte ich zwei Dinge hervorheben, welche die Initiative Lieferkettengesetz geleistet hat. Zuerst ist es der Umstand, sich gegen den neoliberalen Mainstream und das Dauerfeuer der Industrieverbände, allem voran die bereits genannten BDI und BDA, behauptet zu haben. Das ist nicht zu unterschätzen, denn das Lieferkettengesetz gehörte neben Mindestlohn zu den wenigen umfassenden Eingriffen des Staates in die Wirtschaft.

Zweitens ist die Initiative Lieferkettengesetz bereits mit der Annahme gestartet, dass es Stimmen aus Unternehmen braucht, die sich für ein Gesetz aussprechen, auch entgegen der zu erwartenden Lobbyarbeit der hiesigen Unternehmensverbände, um den Widerstand in Union und FDP effektiv abzubauen. Es sollte eben nicht nur darum gehen, anhand von Fallbeispielen das bisherige Nichtstun der Konzerne anzuprangern.

Daher hat die Initiative hier auch viel Arbeit in Kontakten zu einzelnen Unternehmen gesteckt. Am Ende sollten es 73 Unternehmen aus über 10 Sektoren werden, die sich in einem gemeinsamen, öffentlichen Statement die Einführung eines Gesetzes ausgesprochen haben, darunter nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern auch Hapag-Llyod – später sollte sich tatsächlich auch noch Daimler öffentlich dazu bekennen. Das wirft interessante Fragen zum Verhältnis zwischen den Konzernen und ihren Verbänden auf, aber auch zwischen Konzernen und Zivilgesellschaft, die ich hier nicht vertiefen möchte, aber gerne in die weitere Diskussion geben möchte.

Die Medien griffen die Nachrichten, dass auch größere Konzerne ein Gesetz gut finden würden, gerne auf, denn dies war schließlich wirklich etwas Neues. Dies bringt mich zur Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der Initiative Lieferkettengesetz. ChatGPT formuliert dazu:

„Durch Aufklärungsarbeit und Lobbying hat die Initiative das Bewusstsein in der Öffentlichkeit und bei politischen Entscheidungsträgern geschärft.“

Dies möchte ich unterstreichen, denn alle beteiligten Organisationen von klein bis groß haben ihre Medienkontakte und Social-Media-Kanäle praktisch pausenlos im Einsatz gehabt. Die Fallbeispiele wurden von Medien aufgegriffen, und auch „Die Anstalt“ hat die etwas technischeren Diskussion und Kritikpunkte hervorragend einem breiten Publikum bekannt gemacht. Es kommt nicht einfach so, dass sich schon im Sommer 2020 ganze 75 Prozent der Deutschen in einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen haben, darunter auch 75 Prozent der Unions-Anhänger*innen.

Es ist bis heute das Team im Kampagnenbüro, das maßgeblich für die Wahrnehmung des Themas in den Medien sorgt, daher muss an dieser Stelle unbedingt der jahrelange Einsatz von Johanna Kusch, Johannes Heeg und nun von Michelle Trimborn und Simone Ludewig genannt werden, die ganz nebenbei auch noch die ganze Initiative Lieferkettengesetz maßgeblich zusammenhalten. 

Ich möchte hier nochmal auf meine Eingangsthese zurückkommen, warum wir heute die Initiative Lieferkettengesetz vor allem danken wollen: Für das Aktivieren und Zusammenbringen zivilgesellschaftlichen Engagements, das Zusammentrommeln und Einbeziehen nicht nur der großen NGOs, sondern auch die kleinen Initiativen, sodass erst in der Gesamtsumme das wirklich entscheidende politische Kapital deutlich wird. Es wird also schwerer, die These aufrechtzuerhalten, dass es vielleicht auch ohne die Initiative zu einem Gesetz gekommen wäre. Aber die Leistung, so viele Gruppen und Organisationen in einer effektiven Mischung aus Koordination und Freiheiten zu einem Thema zusammenzubringen, das hat die Initiative Lieferkettengesetz vollbracht, auch wenn es am Ende zu keinem Gesetz gekommen wäre. Und genau dafür überreichen wir heute den Henry Mathews Preis für Konzernkritik 2023 an die Initiative Lieferkettengesetz.

Heute ist dazu stellvertretend Armin Paasch von Misereor bei uns, der das Entstehen der Initiative aus nächster Nähe miterlebt hat. Wir geben Armin heute die Aufgabe mit auf den Weg, unseren Dank und unsere Thesen zu den Errungenschaften der Initiative Lieferkettengesetz an alle weiterzugeben, die sich im Trägerkreis, im Steuerungskreis und vor allem im Kampagnenbüro nun vor allem unermüdlich dafür einsetzen, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten eine EU-Regelung erreichen, welche die Schwachpunkte des deutschen Lieferkettengesetzes beheben wird. Eure Hartnäckigkeit und Entschlossenheit verdienen unseren Respekt und unsere Anerkennung.

(Laudatio von Tilman Massa)

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  1. […] „Es ist rückblickend schwer vorstellbarbar, dass es vielleicht auch ohne die Initiative zu einem Gesetz gekommen wäre“, argumentierte Tilman Massa vom Dachverband. „Aber die Leistung, so viele Gruppen und Organisationen in einer effektiven Mischung aus Koordination und Freiheiten zu einem Thema zusammenzubringen, das hat die Initiative Lieferkettengesetz auch so geschafft.“ Hier kann unsere Laudatio nachgelesen werden. […]

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