Stellungnahme zum Generationenkapital

Stellungnahme von urgewald und des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zum Entwurf für ein Generationenkapitalgesetz

Hiermit nehmen wir zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums der Finanzen vom 5. März 2024 für ein Gesetz zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zum Aufbau eines Generationenkapitals für die gesetzliche Rentenversicherung Stellung. Während wir die Stabilisierung des Rentenniveau bis 2039 bei 48 Prozent begrüßen, sehen wir den Aufbau des kapitalmarktgedeckten Generationenkapitals zur Teilfinanzierung aufgrund der hohen Risiken am Kapitalmarkt kritisch. Darüber hinaus kritisieren wir, dass der Entwurf keine verpflichtenden nachhaltigkeits- und menschenrechtsbezogenen Anlagekriterien sowie Vorgaben für Transparenz und parlamentarische Beteiligung enthält. Zukünftige Renten dürfen nicht mit Profiten aus klimaschädlichen Geschäftsmodellen, Zwangsarbeit oder Missachtung indigener Rechte finanziert werden.

Schwer kalkulierbares Risiko
Allgemein befürworten wir ein sicheres und solidarisches Alterssicherungssystem, das Altersarmut ausschließt. Diesem wird das geplante Generationenkapital als kapitalmarktfinanzierte Säule des Rentensystems aufgrund hoher Risiken am Kapitalmarkt nicht gerecht. Als Investitionsgrundlage für das Generationenkapital sollen ab diesem Jahr schuldenfinanziert 12 Milliarden Euro durch den Bund eingezahlt werden und dann soll der Betrag in den Folgejahren jährlich um 3 Prozent erhöht werden. Spätestens an dieser Stelle fehlt der gesetzlich verpflichtende Warnhinweis nach dem Wertpapierprospektgesetz, dass der Erwerb von Wertpapieren „mit erheblichen Risiken verbunden“ ist und „zum vollständigen Verlust des eingesetzten Vermögens führen“ kann.[1] Weder wird dieses Risiko offengelegt noch die Annahmen zur zukünftigen Wirtschafts- und Kapitalmarktentwicklung, die der Ausschüttungsprognose von durchschnittlich 10 Milliarden Euro pro Jahr ab 2036 zu Grunde liegen. Eine direkte Verwendung der vorgesehenen öffentlichen Gelder für einen generationen- und klimagerechten Ausbau des umlagefinanzierten Rentensystems unterliegt diesem Risiko nicht. Positive Erfahrungen mit diesem Ansatz macht z.B. Österreich und erzielt damit ein deutlich höheres Rentenniveau als Deutschland.[2]

Nur die Rendite zählt: Keine verbindlichen Investitionskriterien bei Klima, Umwelt und Menschenrechten
Weiterhin kritisieren wir, dass nicht erkennbar ist, ob und wie die zugrundeliegende Renditeerwartung in Einklang mit verbindlichen internationalen und nationalen Klimazielen sowie Umwelt- und Menschenrechtsstandards gebracht werden soll. Ein Generationenkapital, das diesen Namen verdient, muss in seinen Investitionskriterien auch klima- und generationengerecht sein.

Der Gesetzentwurf legt in Artikel 6 ausschließlich fest, dass das Generationenkapital „renditeorientiert und global-diversifiziert zu marktüblichen Bedingungen anzulegen“ sei. Nur in der rechtlich nicht bindenden Gesetzesbegründung heißt es, ohne weitere Nennung von Details, dass die Anlagerichtlinie ESG-Kriterien enthalten solle, die vom Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Nachgang erarbeitet werden. Welche Kriterien dies in den Bereichen Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung/Governance sein sollen sowie die tatsächlich verpflichtende Aufnahme von solchen ESG-Kriterien bleiben durch den Gesetzentwurf selbst ungeklärt.

Beim Klimaschutz hat sich die Bundesregierung jedoch zum Pariser Klimaziel, „die Erwärmung auf unter 2° – besser 1,5°“ zu begrenzen, bekannt. Die Anlagestrategie des Generationenkapitals muss sich ebenfalls an dem Pariser Klimaziel ausrichten und dieses explizit in das vorgelegte Gesetz aufgenommen werden. Da laut der Internationalen Energieagentur (IEA) zur Einhaltung der 1,5°C-Grenze keine neuen fossilen Ressourcen erforscht und erschlossen werden dürfen, müssen zudem Ausschlüsse von Investitionen in Unternehmen mit Plänen zum Ausbau ihrer Öl- und Gasförderaktivitäten oder des Kohleabbaus formuliert werden. Fast jeder Bau neuer Kohle-, Öl- und Gasinfrastruktur ist an die Erschließung neuer fossiler Ressourcen gebunden und führt schlimmstenfalls zu einem jahrzehntelangen fossilen Lock-in. Deswegen müssen auch Unternehmen, die neue Pipelines, LNG-Terminals, Gaskraftwerke oder Kohleinfrastruktur planen, von Investitionen ausgeschlossen werden. Außerdem darf nicht in Kohleunternehmen ohne Ausstiegsplan bis 2030 in OECD-Ländern bzw. weltweit bis 2040 investiert werden.

Ohne solche klaren und transparenten Anlagekriterien droht das Generationenkapital zu Lasten der nächsten Generationen die Klimakrise anzuheizen. Dies zeigen bisherige Erfahrungen zur Anlage staatlicher Gelder, bei denen Nachhaltigkeitsaspekte nur unzureichend umgesetzt werden, etwa bei den Pensionsfonds der Bundesländer.[3]

In diesem Zusammenhang sehen wir auch die Übertragung des Aufbaus der Stiftung Generationenkapital an die KENFO-Stiftung ohne die gesetzliche Vorgabe von den benannten Anlagekriterien kritisch. Trotz ihrer wiederholten Bekenntnisse zu einer nachhaltigen Anlagestrategie ergab eine Analyse des letzten veröffentlichten KENFO-Portfolios durch urgewald Investitionen in Höhe von 771 Millionen Euro in Kohle-, Öl und Gasunternehmen.[4] Alle investierten Öl- und Gasunternehmen haben dabei fossile Expansionspläne, die nicht mit dem 1,5°C-Szenario der IEA vereinbar sind. Das KENFO-Management zeigt auch weiterhin keine Absicht, sich von diesen klimaschädlichen Anlagen zu trennen. [5] [6]

Die fehlenden verpflichtenden ESG-Kriterien sind auch deswegen höchst problematisch, da die Bundesregierung es aktuell unterlässt, für klare gesetzliche Vorgaben für Investoren zu sorgen, damit diese ihren klima-, umwelt- und menschenrechtsbezogenen Sorgfaltspflichten geregelt nachkommen. Dabei haben die Vereinten Nationen gemäß UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte als auch die OECD gemäß OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen wiederholt klargestellt, dass Finanzunternehmen – ob privat oder staatlich – umwelt- bzw. menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für sämtliche Finanzgeschäfte und ausdrücklich auch bezogen auf ihre gesamte Wertschöpfungskette haben.[7] [8] Da bisher noch nicht anders gesetzlich verankert, müssen die Sorgfaltspflichten entsprechend der UN-Leitprinzipien und der OECD-Leitsätze als verpflichtende Anlagekriterien für das Generationenkapital in das vorgeschlagene Gesetz aufgenommen werden.

Dass dies nötig ist, zeigen folgende Beispiele: Deutschland hat die ILO-Konvention 169 der Rechte indigener Völker ratifiziert, darunter deren Recht auf Konsultation und freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC). Insbesondere im Rohstoffsektor und Bergbau wird dieses Recht selten von Bergbaukonzernen und ihren Investoren geachtet, wie auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) festhält.[9] Indigene Rechte wie in der ILO-Konvention 169 ausgeführt müssen jedoch nicht verpflichtend von Investoren beachtet werden, sie befinden sich noch nicht einmal im Rechtekatalog des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes.  Deswegen braucht es hier klare Vorgaben für die Stiftung Generationenkapital nicht in Unternehmen zu investieren, welche indigene Rechte missachten. Ein weiteres Beispiel für Unternehmen, die aus Investitionen ausgeschlossen werden müssten, sind Siemens Energy oder Heidelberg Materials, die in den von Marokko völkerrechtswidrig besetzten Gebieten der Westsahara ohne die nötige Zustimmung des sahrauischen Volkes tätig sind. Die Bundesregierung unterstützt explizit keine Projekte auf diesem Gebiet der Westsahara.[10] Hier muss auch sichergestellt werden, dass in solchen Fällen die entsprechenden Positionen der Bundesregierung beachtet werden.

Fehlende parlamentarische Beteiligung und Transparenz
Weiterhin bemängeln wir die geplante fehlende parlamentarische Beteiligung bei dem Aufbau und der Aufsicht der Stiftung Generationenkapital. Nach dem Gesetzentwurf sollen im Kuratorium lediglich die beteiligten Ministerien vertreten sein und nicht, analog z. B. zum KENFO-Kuratorium, auch Mitglieder des Bundestages. Auch die etwaige Aufnahme und Ausformulierung von nachhaltigkeits- und menschenrechtsbezogenen Anlagekriterien in einer Anlagerichtlinie soll lediglich den Ministerien obliegen. Wie oben genannt, müssen bereits im Gesetz selbst strenge und konkrete nachhaltigkeits- und menschenrechtsbezogene Anlagekriterien sowie die Bekenntnis zur 1,5°C-Grenze bei der Anlagestrategie festgelegt werden. Die Entscheidung über weitere Details, Umsetzung und Ausgestaltung sowie die Überprüfung dieser ESG-Kriterien muss zudem unter weitreichender parlamentarischer Beteiligung stattfinden. Hierzu sollte das Parlament im Kuratorium vertreten sein. Die Kompetenzen des Kuratoriums müssen z. B. bezüglich der Ausformulierung einer Anlagerichtlinie mit Details zu ESG-Kriterien ausgeweitet werden. Weitere Kompetenzen wie z. B. der Entschluss zur jährlichen Freigabe der vom Bund einzuzahlenden Gelder in das Generationenkapital unter Prüfung der ESG-Kriterien sollten dem Parlament übertragen werden.

Die Anlage der Gelder, die das Rentensystem mitfinanzieren sollen, ist von höchstem öffentlichem Interesse. Deswegen bemängeln wir die fehlenden Regelungen zur Transparenz im vorgelegten Gesetzesentwurf. Die regelmäßige Veröffentlichung des Portfolios des Generationenkapitals müsste vielmehr zwingend gewährleistet werden.

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[1]     § 4 Abs. 4 WpPG, https://www.gesetze-im-internet.de/wppg/__4.html

[2]     https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-oesterreich-rente-nachhaltig-finanziert-4206.htm

[3]     https://correctiv.org/aktuelles/klimawandel/2023/05/11/fossile-energien-pensionsfonds-klimakrise/

[4]     https://www.urgewald.org/sites/default/files/media-files/urgewald_KENFO-Briefing-2024-de.pdf

[5]     https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/anja-mikus-wie-die-chefin-des-atomfonds-kenfo-die-rente-aufbessern-soll/100021024.html

[6]     https://www.boersen-zeitung.de/esg-pro/mikus-verteidigt-kenfo-anlagestrategie-gegen-kritik-von-klimaschuetzern

[7]     https://www.ohchr.org/en/business-and-human-rights/financial-sector

[8]     https://mneguidelines.oecd.org/rbc-financial-sector.htm

[9]     https://rue.bmz.de/rue/themen/fpic-86644

[10]   https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Parlamentarische-Anfragen/2023/11/11-048.pdf?__blob=publicationFile&v=4

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