Zu wenig gewagt

Unser Kommentar zum Koalitionsvertrag mit Stimmen aus unseren Mitglieds- und Partnerorganisationen

Nun ist er da, der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition, die laut Überschrift “mehr Fortschritt wagen” möchte. Zumindest waren die Parteispitzen bei der Präsentation des Vertrags sichtlich bemüht, nicht den Eindruck zu erwecken, eine Koalition des “kleinsten gemeinsamen Nenners” zu sein. Wird der Vertrag diesem Anspruch gerecht? Einige Herausforderungen werden angegangen, bei entscheidenden Themen wagt die Ampelkoalition zu wenig. Mit unseren Mitglieds- und Partnerorganisationen haben wir den Vertragstext einem ersten Check unterworfen.

Diese Themen haben wir uns angeschaut:

Haben Sie Kommentare, Rückmeldungen oder Fragen zum Koalitionsvertrag? Schicken Sie uns gerne eine E-Mail:


Klimaschutz und Klimagerechtigkeit 

Es wird immer deutlicher, dass wir schon mitten in der Klimakrise stecken. Die globale Erwärmung ist in vollem Gange und erst jüngst haben uns auch Extremwetterereignisse in Deutschland gezeigt, dass Maßnahmen zum Klimaschutz höchste Priorität haben müssen. Deshalb ist es nach der wenig ambitionierten Klimaschutzpolitik der Großen Koalition ein positives Signal, dass die Ampel-Koalition 2022 ein Klima-Sofortprogramm auflegen will. Nur mit ambitionierten Maßnahmen werden die vom Pariser Klimaabkommen vorgegebenen Ziele erreicht werden können. 

  • Klimaschutz

“Endlich Fortschritt beim Klimaschutz – nun kommt es auf die Umsetzung an”, kommentiert die Klima-Allianz, ein Bündnis von 140 Nichtregierungsorganisationen, in dem auch der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre mitarbeitet. „Mit dem Koalitionsvertrag ist seit langem erstmals Bewegung in den Klimaschutz gekommen. Ob daraus der dringend notwendige Aufbruch wird, hängt nun von der Umsetzung ab. Damit es für einen fairen Beitrag zum 1,5 Grad-Limit reicht, gibt es noch Nachbesserungsbedarf.”

Fridays for Future bewertet den den Koalitionsvertrags in einer ersten Analyse gemischt: “Es werden zwar einige entscheidende Maßnahmen umgesetzt, die wir für eine klimagerechte Welt dringend brauchen, dennoch verfehlen SPD, Grüne und FDP mit dem Vertrag noch vor Regierungsantritt die eigenen Versprechen zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze. Was zur Hölle braucht es denn noch, bis Deutschland seine internationalen Versprechen zu Klimagerechtigkeit einhält?”

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kommt zu dem Ergebnis, dass der Koalitionsvertrag ein umweltpolitisches, klimagerechtes Leitbild schuldig bleibt. “Entscheidend wird nun sein, dass Sofortmaßnahmen hinterlegt werden und ob die Finanzierung gesichert ist. Denn die umweltpolitischen Projekte stehen auf finanzpolitisch wackeligen Beinen.“

  • Klimagerechtigkeit

Den Aspekt der Klimagerechtigkeit wird im Koalitionsvertrag nur in den Kapiteln Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit behandelt. Die Ampel-Koalition will sich für “eine gemeinsame, konsequente Klimaaußenpolitik und Klimagerechtigkeit im Sinne des European Green Deal, der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens” einsetzen.

Die neue Regierung will lediglich 0,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die “ärmsten Länder des Globalen Südens” einsetzen – das sind weniger als 7 Mrd. Euro. (BNP 2020 betrug 3,461 Mrd. €). Nicht viel, wenn man bedenkt, dass es dabei nicht nur um Mittel für Klimaschutz geht … 

Wirklich verzahnt bzw. zusammen gedacht werden Klimagerechtigkeit und Entwicklungspolitik jedoch auch im Koalitionsvertrag noch nicht. Lediglich das Wort “Klimagerechtigkeit” ist den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit hinzugefügt worden. Dass Länder des Globalen Südens, die kaum zum massiven CO2-Anstieg in der Atmosphäre und damit zur Klimakrise beigetragen haben, gegenüber den Industrieländern oder der fossilen Energiewirtschaft auch juristische Ansprüche in Bezug auf Schadensersatz, Präventions- und Folgekosten der Klimakrise haben sollten, wird nicht aufgegriffen. Dies werden nun immer mehr Gerichte klären müssen.

  • Erneuerbare Energien

Das steht im Koalitionsvertrag: “Die bis zur Versorgungssicherheit durch Erneuerbare Energien notwendigen Gaskraftwerke sollen zur Nutzung der vorhandenen (Netz-)Infrastrukturen und zur Sicherung von Zukunftsperspektiven auch an bisherigen Kraftwerksstandorten gebaut werden.”

Die Klima-Allianz sieht “positive Ansätze bei der Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien auf 80 Prozent der Stromerzeugung bis 2030. … Auch in punkto Gas hätte es eine Verständigung für ein konkretes, früheres Ausstiegsdatum gebraucht, der Aufbau neuer überdimensionierter Gasinfrastruktur ist kontraproduktiv. Der Abbau klima- und umweltschädlicher Subventionen bleibt zudem noch zu vage. Beim CO2-Preis fehlt der Mut, diesen zu erhöhen und ein konkrete Maßnahme zur sozialverträglichen Umsetzung vorzuschlagen. Wir fordern die zeitnahe Einführung einer Klimaprämie.”

  • Kohleausstieg

Das steht im Koalitionsvertrag: “Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig. Idealerweise gelingt das schon bis 2030.”

Wir erkennen eine gewisse Bereitschaft der Ampel-Koalition, das Kohle-Ausstiegsdatum von 2038 vorzuziehen. Der einschränkende Begriff “idealerweise” lässt aber erahnen, dass sich wohl zwei der drei Koalitionspartner beim Ausstiegsdatum ein Hintertürchen offenhalten wollen.  

Die Klima-Allianz kommentiert: “Wir begrüßen das Klima-Sofortprogramm und den Erhalt der vom Braunkohletagebau bedrohten Dörfer – dies war überfällig. Die neue Bundesregierung muss nun sicherstellen, dass der Kohleausstieg tatsächlich auch 2030 kommt und auch Lützerath erhalten bleibt.”

Das Bündnis “Alle Dörfer bleiben”, das der Dachverband in diesem Jahr mit seinem konzernkritischen Henry Mathews Preis geehrt hat, kommentiert den Koalitionsvertrag so: “Der Plan, noch bis 2030 weiter Kohle abzubaggern und das Schicksal des akut bedrohten Dorfes Lützerath den Gerichten zu überlassen, stößt bei den Bewohner*innen auf massives Unverständnis. Gleichzeitig feiert das Bündnis den Erhalt von fünf Dörfern am Tagebau Garzweiler II als starken Erfolg ihrer jahrzehntelangen Proteste.”

“Die neue Bundesregierung schließt von vornherein aus, das selbstgesteckte 1,5 Grad Limit überhaupt einhalten zu können – das ist einfach nur peinlich. Schon jetzt starben Menschen in Ahrweiler oder auf Madagaskar an den Folgen der Klimakatastrophe. Sie ist in vollem Gang. Die neue Regierung verkauft uns, bis 2030 weiter Kohle zu verbrennen, sei Klimaschutz. Sagt mal: Geht’s noch?” empört sich Salome Dorfer, Sprecherin der Initiative “Lützerath Lebt”.

Will Deutschland dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabgkommens gerecht werden, darf RWE auch das Dorf Lützerath nicht mehr zerstören, wie wir hier darstellen.

  • Verkehrswende und Transformation der Autoindustrie

Das steht im Koalitionsvertrag: “Wir unterstützen die Transformation des Automobilsektors, um die Klimaziele im Verkehrsbereich zu erreichen, Arbeitsplätze sowie Wertschöpfung hierzulande zu erhalten. Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität, zum Innovationsstandort für autonomes Fahren und beschleunigen massiv den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur. … Gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission werden im Verkehrsbereich in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen – entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus. Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können.”

Wir hätten uns gewünscht, dass das Aus für Verbrennermotoren bereits 2030 kommt. Hier konnten sich die Grünen nicht durchsetzen, so dass es wohl beim in der Europäischen Union verabredeten Jahr 2035 bleiben wird.

“Insbesondere das von der Handschrift der FDP geprägte Vertragskapitel Verkehr bleibt weit hinter den Erwartungen zurück”, ist das Urteil einer Analyse des Bund für Naturschutz Deutschland (BUND). “So gelingt die Mobilitätswende nicht. ÖPNV, Bahn, Fuß- und Radverkehr müssen im Fokus stehen. E-Autos müssen klein, leicht und sparsam sein, energie- und ressourceneffizient bei Herstellung, Betrieb und Recycling der eingesetzten Rohstoffe. Auch E-Autos werden nicht mehr im Zentrum von Mobilität stehen können. Es braucht weniger Autos. Der angekündigte Dialogprozess zum Fernstraßenbau muss jetzt schnell handlungsfähig werden. Bis dahin laufende Projekte müssen gestoppt werden.” Unser Vorstandsmitglied Jens Hilgenberg, Verkehrsexperte des BUND, meint: “Es wäre ein wichtiges Signal für die Mobilitätswende, wenn alle Projekte des Bundesverkehrswegeplans darauf überprüft würden, ob sie CO2-Emissionen erhöhen oder Biodiversitätsziele verletzen.” 

Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) betrachtet den Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien als nicht ausreichend für eine sozial-ökologische Verkehrswende. “Es werden zwar viele richtige Ziele genannt, aber das Instrumentarium zur Erreichung dieser Ziele ist viel zu vage.” VCD-Bundesvorsitzender Prof. Dr. Stefan Bajohr fürchtet: “Ohne Tempolimits, ohne ein klares Aus für Straßenneubau und Verbrenner, ohne absoluten Vorrang für den Umweltverbund aus Bahn, Bus, Rad und Fußgänger*innen scheitert die Verkehrswende.”


Lieferkettengesetz, Handelspolitik und Entwicklungszusammenarbeit

  • Lieferkettengesetz

Das steht im Koalitionsvertrag: “Wir unterstützen ein wirksames EU-Lieferkettengesetz, basierend auf den UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte, das kleinere und mittlere Unternehmen nicht überfordert. Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten wird unverändert umgesetzt und gegebenenfalls verbessert.”

Mit Ach und Krach hatte sich die Große Koalition im letzten Moment doch noch auf ein Lieferkettengesetz geeinigt, welches die Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen regelt. Doch durch massiven Lobby-Druck seitens der Wirtschaft wurde das Gesetz an entscheidenden Stellen massiv verwässert, sodass die aktuelle Frage ist, inwieweit die Prozesse dazu auf EU- und UN-Ebene zu einer Verbesserung führen können – und ob sich die neue Bundesregierung auch dafür einsetzen wird.

Die Ampelkoalition will sich nun immerhin für ein “wirksames” EU-Lieferkettengesetz einsetzen und sich dabei an den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte orientieren. Dies ist ein wichtiges Detail, denn das deutsche Lieferkettengesetz bleibt bislang hinter den Anforderungen der UN-Leitprinzipien zurück.

“SPD, Grüne und FDP erkennen damit an, dass das deutsche Lieferkettengesetz nicht ausreicht”, kommentiert Johannes Heeg von der Initiative Lieferkettengesetz und fordert: “Dieser Ankündigung müssen jetzt Taten folgen: Die neue Bundesregierung sollte sich in Brüssel aktiv für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz einsetzen. Betroffene von Menschenrechtsverletzungen brauchen endlich die Möglichkeit, Schadensersatz von Unternehmen einzuklagen. Das EU-Lieferkettengesetz muss einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten. Und es muss dafür sorgen, dass Sorgfaltspflichten ohne Abstufungen für die gesamte Wertschöpfungskette gelten – so wie in den UN-Leitprinzipien vorgesehen.”

Das Europaparlament  hatte sich im März parteiübergreifend für ein europäisches Lieferkettengesetz ausgesprochen. Inhaltlich ist es dabei weit über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgegangen: Eine zivilrechtliche Haftungsregelung soll Betroffenen den Zugang zu Gerichten erleichtern. Unternehmen sollen entlang der gesamten Wertschöpfungskette proaktiv handeln. Und der vorgeschlagene Anwendungsbereich ist größer als im deutschen Gesetz, es würden also mehr Unternehmen erfasst. 

Doch der EU-Prozess verzögert sich immer wieder, denn die Konzernlobby, vor allem die der Waffenindustrie, läuft gegen diese Pläne Sturm und hofft, dass höchstens das deutsche Gesetz 1:1 übernommen wird. Eigentlich wollte die EU-Kommission ihren Entwurf schon längst vorlegen. Daher wird es nun auch darauf ankommen, ob sich die neue Bundesregierung auch auf EU-Ebene nicht dem Druck der einschlägigen Konzernverbände beugt. Dabei sprechen sich auch immer mehr Unternehmen für den Vorschlag des EU-Parlaments aus. Wie auch in Deutschland ist die Position der Konzerne nicht einheitlich – die Ampel sollte dies zur Kenntnis nehmen.

  • Handelspolitik und Entwicklungszusammenarbeit

Das steht im Koalitionsvertrag: “Wir wollen den regelbasierten Freihandel auf Grundlage von fairen sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Standards stärken und sprechen uns für eine deutsche und europäische Handelspolitik gegen Protektionismus und unfaire Handelspraktiken aus.”

Es bleibt abzuwarten, ob der begonnene Reflektionsprozess bei der Entwicklungszusammenarbeit in Hinblick auf ihre Wirkung und dem Anspruch eines Austauschs auf Augenhöhe wirksam fortgesetzt wird. Ein kohärentes Zusammenspiel von Außen- Wirtschafts- und Kulturpolitik ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Deutsche Konzerne haben ihre größten Sozial- und Umweltkosten ausgelagert und profitieren unverhältnismäßig von billigen Rohstoffimporten, die ihren Preis nur durch entsprechend niedrigere Standards vor allem im Globalen Süden haben. Die globalen Wertschöpfungsketten sind weiterhin von einer massiven Asymmetrie gekennzeichnet, in der Freihandel vor allem den etablierten westlichen Konzernen nützt und der Aufbau nachhaltiger Ökonomien im Globalen Süden erschwert wird. Auch ein noch so effektives Lieferkettengesetz kann hier die Symptome sichtbar machen und bestenfalls abmildern, nicht aber die Ursachen angehen und verändern.

Einerseits will sich die Ampel dafür einsetzen, “dass die Afrikanische Freihandelszone zum Aufbau nachhaltiger Wertschöpfungsketten beiträgt” oder dass das Mercosur-Abkommen ratifiziert wird. 

Andererseits folgt dem Bekenntnis zu Freihandel immer der Hinweis, dass dieser “regelbasiert auf Grundlage von fairen sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Standards” sein müsse. Das Vorhaben, die deutsche und europäische Handelspolitik gegen Protektionismus und unfaire Handelspraktiken auszurichten, muss konsequent zunächst vor der eigenen Haustür beginnen. 

Ein erster Schritt wäre die reale Umsetzung dieser Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag: “Deutsche und europäische Agrarexporte sollen nicht Märkte in den Partnerländern zerstören und mutwilliger Verzerrung des Nahrungsmittelmarktes durch Finanzmarktspekulation wollen wir aktiv begegnen.”

Zudem scheint die Kritik an den bisherigen Freihandelsverträgen angekommen zu sein. Im Hinblick auf die missbräuchliche Anwendung von Investitionsschutzregeln in Freihandelsverträgen zulasten demokratischer Entscheidungen, beispielsweise beim Kohleausstieg, möchte die Ampelkoalition den Investitionsschutz auf direkte Enteignungen und Diskriminierungen – in Hinblick auf China – begrenzen. Damit soll verhindert werden, dass Investor:innen oder Unternehmen gleich ganze Staaten auf verlorene Gewinne verklagen können, die z.B. noch mit der Kohleverstromung möglich gewesen wären.

Immerhin will die Ampelkoalition die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte vorantreiben. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag: “Wir wollen koloniale Kontinuitäten überwinden, uns in Partnerschaft auf Augenhöhe begegnen und veranlassen unabhängige wissenschaftliche Studien zur Aufarbeitung des Kolonialismus.” Dies darf sich nicht allein auf die Kulturpolitik begrenzen, sondern muss auch die bis heute andauernden kolonialen Kontinuitäten beinhalten; sie bilden schließlich die Grundlage der den ungleichen und unfairen globalen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen.


Rüstung 

  • Abrüstung, Rüstungskontrolle und Rüstungsexporte

Das steht im Koalitionsvertrag: “Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik brauchen wir verbindlichere Regeln und wollen daher mit unseren europäischen Partnern eine entsprechende EU-Rüstungsexportverordnung abstimmen. Wir setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein.”

Die Initiative Rheinmetall Entwaffen kritisiert diese Formulierung auf Twitter: “Viel schwächer kann man ein Anliegen nicht formulieren. Blockaden der Rüstungsindustrie bleiben notwendig.” 

Die Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!, in der der Dachverband und seine Mitgliedsorganisation Ohne Rüstung Leben mitarbeiten, findet hingegen: „Es ist ein großer Erfolg der Zivilgesellschaft, dass sich die künftige Regierung zu einem Rüstungsexportkontrollgesetz bekennt. Doch wird erst der genaue Inhalt dieses Gesetzes darüber entscheiden, ob deutsche Rüstungsexporte an menschenrechtsverletzende Staaten und an Länder, die in bewaffnete Konflikte verwickelt sind, tatsächlich ein Ende finden“, so Jürgen Grässlin, Aufschrei-Kampagnensprecher und Bundessprecher der DFG-VK. „Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass in dem Gesetz rechtlich verbindliche, eindeutige und strenge Kriterien für die Exportgenehmigungen festgeschrieben werden.“ 

Susanne Weipert, Koordinatorin der Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!, ergänzt:  „Diese Genehmigungsentscheidungen der Bundesregierung müssen außerdem juristisch überprüft werden können. Dazu brauchen wir ein Verbandsklagerecht. … Ebenso müssen sich auch deutsche Rüstungsunternehmen verantworten. Dazu muss in dem Gesetz eine zivilrechtliche Haftungsregel geschaffen werden, die es überhaupt erst ermöglicht, dass durch Rüstungsexporte geschädigte Personen in Deutschland klagen können.“

Das steht im Koalitionsvertrag: “Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.”

Damit sollte es Konsequenzen für Thyssenkrupp und Rheinmetall geben, die weiterhin Geschäfte mit jenen Ländern machen, die direkt am Jemen-Krieg beteiligt sind. “Der neue Beschluss zu Saudi-Arabien Ende des Jahres und dann hoffentlich auch zu den VAE, Ägypten, Bahrain usw. wird zeigen, was die neue Regierung unter ‚unmittelbar‘ versteht und welche außen- und friedenspolitischen Signale gesetzt werden”, kommentiert Susanne Weipert von der Kampagne Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!.

  • Drohnen und andere Waffensysteme

Das steht im Koalitionsvertrag: “Bewaffnete Drohnen wollen wir verstärkt in internationale Kontrollregime einbeziehen. Letale Autonome Waffensysteme, die vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab.”

Unter anderen Facing Finance kritisiert diese Formulierung als unverbindlich und wenig ambitioniert. “Ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von autonomen Waffen, die menschliche Ziele auswählen und bekämpfen können, wird es auch mit dieser Regierung nicht geben”, so die Organisation auf Twitter. Sie fordert, dass die neue Bundesregierung national wie international für ein rechtsverbindliches Verbot von autonomen Waffensystemen eintritt.


Rentenreform und Aktienrente

Das steht im Koalitionsvertrag: “Wir werden das bisherige System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren. Wir werden dazu das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit prüfen. Daneben werden wir die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester prüfen. Eine Förderung soll Anreize für untere Einkommensgruppen bieten, diese Produkte in Anspruch zu nehmen.” 

Mit dem Einstieg in die Aktienrente will die neue Bundesregierung einen Teil der gesetzlichen Rentenversicherung absichern. In einem ersten Schritt werden zehn Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln an die Deutsche Rentenversicherung weitergeleitet, damit diese das Geld zur Finanzierung der Rente am Kapitalmarkt anlegen kann. Entscheidend ist aus Sicht des Dachverbands, welche Anlagekriterien dabei gelten werden. Es muss dringend festgeschrieben werden, dass nur eine nachhaltige Anlage nach ESG-Kriterien erfolgen darf: ökologisch, sozial und nach Regeln guter Unternehmensführung. Die Kriterien müssen auch konsistent mit dem Regierungshandeln sein: Wenn Atom- und Kohleausstieg beschlossen sind, darf auch nicht in Atom- und Kohlekonzerne investiert werden. Wenn Rüstungsexporte in Kriegsregionen verboten werden, dann darf der Bund auch nicht in jene Konzerne investieren, die dies tun.


Finanzwirtschaft und nachhaltige Finanzen

Dem Finanzthema ist im Koalitionsvertrag gleich ein ganzes Kapitel gewidmet, auch wenn auch das letzte inhaltliche Kapitel ist. Es ist ein Spagat zwischen Wünschen der FDP und Ansätzen einer Korrektur der in den letzten Jahren deutlich gewordenen fehlenden bzw. schlechten Regulierung der Finanzwirtschaft. Es wird versucht, extreme Gegensätze zwischen pandemiebedinger Neuschulden, Schuldenbremse und dringend nötigen Investitionen in den Klimaschutz zu verbinden.

Die Bürgerbewegung Finanzwende weist auf den Einfluss der Finanzlobby durch die FDP hin. “Einige gute Vorschläge lagen auf dem Tisch, die dann in den letzten Stunden noch durch Herrn Lindner und Co. gekippt wurden”, kritisiert die Organisation. “So sehen die Ampelkoalitionäre zum Beispiel nun doch davon ab, den provisionsbasierten Finanzvertrieb durch unabhängige Honorarberatung zu ersetzen.”

  • Kriterien für nachhaltige Geldanlagen

Das steht im Koalitionsvertrag: “Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken sind Finanzrisiken. Wir setzen uns für europäische Mindestanforderungen im Markt für ESG-Ratings und die verbindliche Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken in Kreditratings der großen Ratingagenturen ein. Wir setzen uns dafür ein, dass auf europäischer Ebene ein einheitlicher Transparenzstandard für Nachhaltigkeitsinformationen für Unternehmen gesetzt wird.”

Es ist zu begrüßen, dass die Ampelkoalition endlich gegen Greenwashing bei Finanzprodukten und in Geschäftsberichten vorgehen möchte. Glaubwürdig ist dies aber auch nur dann, wenn sie sich dafür einsetzt, dass weder Atomenergie noch fossiles Gas in den EU-Katalog nachhaltiger Wirtschaftssektoren aufgenommen wird.

  • Bekämpfung von Finanzkriminalität und Geldwäsche

Das steht im Koalitionsvertrag: “Das strategische Vorgehen gegen Steuerhinterziehung, Finanzmarktkriminalität und Geldwäsche werden wir im Bundesfinanzministerium organisatorisch und personell stärken, und dabei auch Zoll, Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) und die Financial Intelligence Unit (FIU) stärken.”

Ob Steuerflucht, Wirecard oder Cum-Ex: Der Handlungsbedarf ist enorm, und die Ampel will hier begonnene Präventionsmaßnahmen weiter ausbauen und Betrug stärker sanktionieren. So sollen die illegalen Cum-Ex-Geschäfte mit doppelt erstatteten Dividenden endgültig rechtssicher unterbunden werden und dadurch verlorene Steuern eingezogen werden. Die von Olaf Scholz mit begonnene Einführung einer globalen Mindestbesteuerung muss nun entschieden auf internationaler Ebene vorangetrieben werden. Die Vermeidung der Zahlung von Grunderwerbssteuer durch sogenannte Share Deals, wie zuletzt von Vonovia bei der Übernahme der Deutschen Wohnen praktiziert, soll in Zukunft nicht mehr möglich sein. Der illegalen Finanzierung von Immobilien soll mit Versteuerungsnachweisen und einem Verbot von Immobilienkauf mit Bargeld begegnet werden.

Das Austrocknen von Steueroasen wird leider nicht mit konkreten Maßnahmen flankiert; die Ampel will sich lediglich um die Aktualisierung der Steueroasen-Liste der EU einsetzen und “für mehr globale Steuergerechtigkeit gerade auch gegenüber dem globalen Süden” eintreten. Wie, bleibt offen.

Bei der Bekämpfung von Geldwäsche sind hingegen einige Maßnahmen genannt. Die Ampel unterstützt das Vorhaben der EU-Kommission, eine unabhängige EU-Geldwäschebehörde einzurichten. Die Financial Intelligence Unit (FIU) in Deutschland soll mehr Befugnisse erhalten und direkt mit Landeskriminalämtern kooperieren.


Pestizide, Pestizidexporte und Schutz der Biodiversität

Das steht im Koalitionsvertrag: “Wir setzen uns für konsequenten Insektenschutz ein, werden den Einsatz von Pestiziden deutlich verringern und die Entwicklung von natur- und umweltverträglichen Alternativen fördern.”

Ein klares Bekenntnis zum Pestizidausstieg sieht anders aus. Hier fehlt ein ambitionierter Fahrplan mit einem eindeutigen Ausstiegsszenario. Die Forderungen der Zivilgesellschaft und Umweltverbänden nach einer Pestizidabgabe oder eine Reduktion des Einsatzes von synthetischen Pestiziden bis 2030 um 80 Prozent bis 2030 und das EU-weite Aus für diese Ackergifte müssen damit weiter politisch ausgehandelt werden.

Bei der Forderung nach einem Exportverbot für hochgefährliche Pestizide ohne EU-Zulassung scheint es hingegen leichte Fortschritte zu geben. Die Ampelkoalition behält sich vor, den Export von solchen Pestiziden juristisch zu untersagen, “die in der EU aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit nicht zugelassen sind.” Es bleibt zu hoffen, dass damit den bestehenden Doppelstandards beim Gesundheitsschutz ein Ende gesetzt wird. Denn ein Ackergift richtet in Brasilien nicht weniger Schaden als in Deutschland an. Hier werden sich Bayer und BASF endlich auf eine stärkere Regulierung und Kontrolle einrichten müssen. 


Lobbykontrolle und Transparenz

  • Legislativer Fußabdruck

Das steht im Koalitionsvertrag: “Für Gesetzentwürfe der Bundesregierung und aus dem Bundestag werden wir Einflüsse Dritter im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben und bei der Erstellung von Gesetzentwürfen umfassend offenlegen (sog. Fußabdruck).”

Nicht nur die Streitigkeiten um das Lieferkettengesetz zeigen, wie einflussreich die organisierte Vertretung von Konzerninteresseren in Deutschland ist. Mit einer “Lobby-Fußspur” für Gesetze will die neue Koalition nun für mehr Transparenz bei der Einflussnahme auf die Gesetzgebung sorgen. Imke Dierßen, politische Geschäftsführerin von LobbyControl, begrüßt, “dass die Ampelparteien nach den Skandalen in der letzten Wahlperiode Transparenz und Integrität in der Politik weiter stärken wollen. Im Wahlkampf hatten wir gemeinsam mit über 50 zivilgesellschaftlichen Organisationen gefordert, den mit den schärferen Regeln für Abgeordnete und dem Lobbyregister eingeschlagenen Weg nun konsequent weiterzugehen. Dass das Lobbyregister nun durch eine Fußspur ergänzt wird, ist dabei zentral. So wird künftig nicht nur sichtbar, wer Lobbyarbeit macht, sondern auch in welcher Weise Gesetze davon beeinflusst werden.“

  • Whistleblowing

Das steht im Koalitionsvertrag: “Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt.”

Es ist eine unser ältesten Forderungen: Das Unternehmensrecht muss das Aufdecken von Korruption, Missständen und Fehlverhalten in Konzernen unterstützen statt kriminalisieren. Ob WireCard, CumEx oder der Dieselskandal: Die nicht enden wollenden Fälle von Wirtschaftskriminalität zeigen, dass die Unternehmenskultur noch längst nicht da ist, wo sie die Konzerne gerne in ihrer Selbstdarstellung wähnen. Dennoch gibt es immer mutige Einzelpersonen und engagierte investigative Journalist*innen, welche maßgeblich zur Aufdeckung und Aufklärung beitragen. Die EU-Whistleblower-Richtlinie muss nun entsprechend von der Ampel im Unternehmensrecht verankert werden.


Aktionärsrechte in Hauptversammlungen

Das steht im Koalitionsvertrag: “Wir ermöglichen dauerhaft Online-Hauptversammlungen und wahren dabei die Aktionärsrechte uneingeschränkt.”

Damit kündigt sich eine Reform des Aktienrechts an. Uns ist bisher schleierhaft, wie die bisherigen Aktionärsrechte “uneingeschränkt” auf Online-Hauptversammlungen gewahrt werden sollen. Fest steht: Die aktuellen Regeln können mit dieser Willenserklärung der Ampelkoalition nicht bestehen bleiben, denn das elementare Rederecht ist derzeit abgeschafft.

Aufgrund der Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber übergangsweise die Durchführung rein virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften ermöglicht. Im August 2022 wird diese Übergangsregelung auslaufen, sodass eine entsprechende Anpassung des Aktienrechts für eine dauerhafte Lösung wahrscheinlich wird. Die Umsetzung zukünftiger Hauptversammlung muss gesetzlich und detaillierter als bisher geregelt werden, um für zukünftige rein virtuelle oder hybride Formate Rechtssicherheit zu schaffen bzw. Willkür und Einschränkungen von Aktionärsrechten zu vermeiden. 

Unsere Grundposition: Sollte der Gesetzgeber die Möglichkeit rein virtueller oder hybrider Hauptversammlungen gesetzlich ermöglichen, muss die Ausübung der Aktionärsrechte analog zu jenen der physischen Hauptversammlung vollumfänglich gewährleistet sein. Selbstverständlich sind bei der Umsetzung Anpassungen an das digitale Format erforderlich, diese dürfen jedoch nicht zu Einschränkungen der Aktionärsrechte führen. Sollte eine Hauptversammlung rein virtuell stattfinden, müssen die Partizipationsmöglichkeiten von Aktionär*innen erweitert werden. Hierzu zählt insbesondere das Rede- und Fragerecht.  Wir setzen uns dafür ein, dass Hauptversammlungen nicht zu einseitigen Werbeveranstaltungen, sondern zum Ort des argumentativen und direkten Austauschs zwischen Aktionär*innen und Vorständen werden. Ob virtuelle, Präsenz- oder Hybrid-Versammlung: Redebeiträge und Nachfragen sind elementare Aktionärsrechte.

Wir werden entschieden für die Wahrung dieser Aktionärsrechte eintreten und dies gegenüber der Ampelkoalition und insbesondere dem FDP-geführten Justizministerium deutlich machen.


Haben Sie Kommentare, Rückmeldungen oder Fragen zum Koalitionsvertrag? Schicken Sie uns gerne eine E-Mail:

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://www.kritischeaktionaere.de/lieferkettengesetz/zu-wenig-gewagt/