Appell an die Bundesregierung: Der Finanzsektor gehört in die EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie!


Für die Trilog-Verhandlungen am Mittwoch, den 13.12.2023 fordern wir die Bundesregierung auf, ihr begrüßenswertes Engagement fortzusetzen und sich dafür einzusetzen, dass der Finanzsektor nicht aus seiner Pflicht zur Einhaltung der Menschenrechte und der planetaren Grenzen entlassen wird.

Derzeit wird in Brüssel um die Ausgestaltung der EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) gerungen. Auf der Agenda der nächsten Trilog-Sitzung in der zweiten Dezemberwoche gilt eine Frage als besonders kontrovers: Sollen für Banken, Versicherungen und Investoren verbindliche umwelt- und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten gelten? Das EU-Parlament und die EU-Kommission sprechen sich klar dafür aus. Der EU-Rat hingegen hat seine ablehnende Position jüngst nochmals verschärft: Die Ständigen Vertreter*innen der EU-Mitgliedstaaten haben sich am 15.11.2023 darauf geeinigt, den Finanzsektor vorerst vollständig auszunehmen. Einer Überprüfungsklausel zufolge soll über eine nachträgliche Aufnahme des Sektors in die Richtlinie erst in der nächsten Legislaturperiode verhandelt werden. Sie haben damit einem überraschend eingebrachten Kompromissvorschlag der spanischen EU-Ratspräsidentschaft zugestimmt. Deutschland hatte zusammen mit Dänemark, den Niederlanden und Finnland diesen Kompromissvorschlag explizit abgelehnt und sich für Sorgfaltspflichten für Kredit- und Versicherungsdienstleistungen eingesetzt.[1] Frankreich hingegen hatte unter massivem Einfluss der Finanzwirtschaft den Einbezug des Finanzsektors weiterhin kategorisch abgelehnt.[2]

Wir begrüßen die Bemühungen der Bundesregierung für den Einbezug von Banken und Versicherungen, fordern aber auch den Einbezug von Investoren. Frankreichs Blockadehaltung und den Beschluss der EU-Mitgliedsstaaten kritisieren wir aufs Schärfste.

Freiwillige Selbstverpflichtungen unwirksam

Als zivilgesellschaftliche Organisationen, die seit Jahren auf die Verwicklungen von Banken, Versicherungen und Investor*innen in menschenrechtsverletzende oder klimaschädliche Projekte aufmerksam machen, wissen wir um die fatalen Folgen bislang fehlender verbindlicher Mindeststandards für die Sorgfaltspflichten der Finanzindustrie. Viele Finanzunternehmen bekennen sich zwar zu freiwilligen Standards wie den UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) oder dem Global Compact. Verstöße durch finanzierte Unternehmen führen aber zu keinen ernsthaften Konsequenzen im Sinne der Betroffenen.[3] 

Finanzwirtschaft profitiert von Menschenrechtsverletzungen und befeuert die Klimakrise

Das zeigen zum Beispiel die andauernd problematischen Bergbauaktivitäten des Schweizer Rohstoffkonzerns Glencore in der Antapaccay-Kupfermine in Espinar (Peru) und der Cerrejón-Kohlemine in Nord-Kolumbien, finanziert durch zahlreiche Banken und Investoren. Allein von deutschen Banken wurden seit 2016 Kredite im Umfang von 5,8 Milliarden US-Dollar vergeben. Hinzu kommen 483 Millionen US-Dollar an Investitionen aus Deutschland. Hunderttausende Menschen rund um die kolumbianische Steinkohlemine leiden an Atemwegserkrankungen, in Peru sind mehr als 50.000 Menschen hohen Belastungen durch Schwermetalle ausgesetzt, die durch den Kupferbergbau entstehen. In beiden Fällen ist es zu zahlreichen weiteren Menschenrechtsverletzungen gekommen.[4]

Banken und Investoren heizen auch die Klimakrise an. Allein 2022 haben Banken mehr als 150 Milliarden Dollar in Unternehmen gesteckt, deren fossilen Energieprojekte die Klimaziele unerreichbar machen könnten. Werden die 425 weltweit größten Projekte fortgesetzt, würden sie das Vierfache des ohnehin rasch schwindenden globalen Emissionsbudgets verbrauchen.[5] Europa ist aktuell weltweit die zweitgrößte Quelle für institutionelle Investitionen in die fossile Energieindustrie (375 Milliarden US-Dollar).[6] Große Vermögensverwalter wie BlackRock, Vanguard und State Street Global Advisors profitieren von enormen Dividenden großer Ölkonzerne in Milliardenhöhe.[7]

Internationale Standards gelten auch für den Finanzsektor

Es ist nicht nachvollziehbar, dass menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten lediglich für Unternehmen der Realwirtschaft gelten sollen, nicht aber für diejenigen, die mithilfe ihrer Kredite, Versicherungen und Investitionen erhebliche Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden ermöglichen. Sowohl die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte als auch die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen erkennen deshalb ausdrücklich die Gültigkeit ihrer Standards für Finanzunternehmen an. Im Juli 2023 hatte die UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte die EU-Institutionen in diesem Sinne nachdrücklich aufgefordert, den Finanzsektor unbedingt entsprechend dieser globalen Standards in die Pflicht zu nehmen.[8]

Verbindliche Sorgfaltspflichten als Chance für wirksamen Klima- und Menschenrechtsschutz

Verbindliche menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für Finanzdienstleistungen können dazu beitragen, drängende globale Herausforderungen wie die Klimakrise, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen wirksam anzugehen. Sie ergänzen die Berichtspflichten der Sustainable Finance-Regulierung um die bislang fehlende Pflicht zum Handeln, wenn Risiken oder Verstöße erkannt wurden. Dass rechtliche Sanktionsmöglichkeiten notwendig sind, zeigen die genannten Beispiele sowie die Greenwashing-Skandale in der jüngeren Vergangenheit.[9]

Zahlreiche Verbände der Finanzwirtschaft sprechen sich für Regulierung aus

Niederländische, dänische und schwedische Finanzunternehmensverbände, die Investorennetzwerke PRI, IIGCC und Eurosif und jüngst Frank Elderson, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, sprechen sich ebenfalls für den Einbezug des Finanzsektors in die EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie aus.[10] Sie betonen, dass verbindliche Sorgfaltspflichten das fehlende Element in einer effektiven Sustainable Finance-Regulierung ist, die nicht nur Transparenz, sondern auch Handeln einfordert. Zugleich können sie Finanzunternehmen dabei unterstützen, die eigenen Geschäftsrisiken in ihren Wertschöpfungsketten durch die Klimakrise, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen mithilfe systematischer Risiko-Assessments, konsequenter Ausschlusskriterien und proaktiver Engagement-Praktiken zu reduzieren.

Einsatz der Bundesregierung in den anstehenden Trilog-Verhandlungen gefragt

Angesichts der Dringlichkeit und entscheidenden Rolle des Finanzsektors für die Bewältigung aktueller Krisen darf die verbindliche Verankerung von Sorgfaltspflichten für Finanzdienstleistungen auf keinen Fall verschoben werden. Wir können es uns nicht mehr leisten, auf das unwirksame Prinzip der Freiwilligkeit bei der Unternehmensverantwortung zu setzen. Mit dem bevorstehenden Abschluss der Trilog-Verhandlungen zur EU-Sorgfaltspflichtenrichtlinie besteht jetzt die Chance, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für alle Finanzdienstleistungen verbindlich zu verankern. Für die Trilog-Verhandlungen kommende Woche fordern wir die Bundesregierung deshalb auf, ihr bisheriges Engagement fortzusetzen und ihren Einfluss geltend zu machen, damit der Finanzsektor nicht aus seiner Pflicht zur Einhaltung der Menschenrechte und der planetaren Grenzen entlassen wird.

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[1] https://www.politico.eu/article/eu-countries-back-french-call-exempt-finance-sector-from-supply-chain-rules/

[2] https://www.sustainableviews.com/french-banks-lead-opposition-to-finance-sectors-inclusion-in-eu-csddd/

[3] Das zeigt BankTrack für die 50 weltweit führende Banken und ShareAction für die 77 weltweit größten Vermögensverwaltungen.

[4] https://oxfamilibrary.openrepository.com/bitstream/10546/621550/1/bp-a-toxic-legacy-glencores-footprint-in-colombia-and-peru-161123-en.pdf

[5] https://www.theguardian.com/environment/2023/oct/31/banks-pumped-more-than-150bn-in-to-companies-running-carbon-bomb-projects-in-2022

[6] https://investinginclimatechaos.org/

[7] https://www.somo.nl/the-trillion-dollar-threat-of-climate-change-profiteers/

[8] https://www.business-humanrights.org/en/latest-news/un-working-group-calls-for-inclusion-of-financial-sector-in-scope-of-csddd/

[9] https://www.finanzwende-recherche.de/unsere-themen/nachhaltige-finanzmaerkte/greenwashing-in-zeiten-von-ukrainekrieg-und-energiekrise/; https://shareaction.org/reports/green-ambitions-grey-realities-european-banks-journey-from-pledges-to-practice

[10] https://www.business-humanrights.org/en/latest-news/csddd-financial-sector-statements/

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