Bürostühle oder Landraub? Worauf Finanzinstitute jetzt achten müssen


Stellungnahme zur weitgehenden Befreiung des Finanzsektors von Sorgfaltspflichten im EU-Lieferkettengesetz

Die Trilog-Verhandlungen zum EU-Lieferkettengesetz wurden am 14.12.2023 abgeschlossen. Insgesamt ist es ein wichtiger Meilenstein für die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards im Wirtschaften.

Es gibt jedoch große Lücken – und eine besonders gravierende Ausnahme: Dem Finanzsektor sollen keine Sorgfaltspflichten für Investitionen, Kredite und Versicherungen auferlegt werden. Zwar fällt der Finanzsektor grundsätzlich in den Anwendungsbereich des EU-Lieferkettengesetzes. Das gilt aber nur für die vorgelagerte Lieferkette, also beispielsweise die Beschaffung von Bürostühlen und -klammern. Doch Finanzdienstleistungen – wie beispielsweise Kredite für, Investitionen in oder Versicherungen von Kupferminen, die möglicherweise indigene Bevölkerungen ihrer Landrechte berauben – sind ausgenommen und damit der Geschäftsbereich, in dem die meisten Umwelt- und Menschenrechtsrisiken des Finanzsektors liegen.

Wir kritisieren die Ausnahme des Finanzsektors daher scharf. Darüber hinaus werden all jene Finanzunternehmen benachteiligt, die sich in dieser Hinsicht engagieren, gegenüber solchen, die sich weniger darum kümmern, zu welchen Kosten für Menschen und Umwelt sie ihre Gewinne erwirtschaften.

Eklatante Abweichung von globalen Standards

Durch die Ausnahmeregelung für den Finanzsektor weicht das EU-Lieferkettengesetz substanziell von den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen ab. Sowohl die Vereinten Nationen als auch die OECD haben wiederholt klargestellt, dass Finanzunternehmen selbstverständlich in den Anwendungsbereich dieser Standards fallen. Sie haben damit entsprechende menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für sämtliche Finanzgeschäfte und ausdrücklich auch bezogen auf ihre gesamte Wertschöpfungskette.[1] Noch im Februar 2023 haben Vertreter*innen der OECD-Mitgliedsstaaten in ihrer Deklaration über verantwortliche Unternehmensführung in der globalen Wirtschaft die Relevanz dieser Standards für die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit eines nachhaltigen Finanzsystems betont.

Vage Verpflichtungen zum Klimaschutz

Immerhin in Bezug auf den Klimaschutz wird der Finanzsektor nicht aus seiner Pflicht entlassen: Finanzunternehmen sollen wie alle anderen Unternehmen einen “Klimaplan” zur Emissionsreduzierung in ihrem Geschäftsbereich sowie ihrer Wertschöpfungskette erstellen und “nach besten Kräften” umsetzen. Kontrolliert werden soll aber nur, ob ein solcher Plan vorliegt und stimmig ist, nicht aber seine tatsächliche Umsetzung. Schon heute haben viele Finanzunternehmen Klimaziele und -pläne entwickelt. Dies hält sie aber nicht davon ab, weiter in fossile Energieprojekte zu investieren, welche die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens gefährden. Sich auf die freiwillige Einhaltung selbst gesteckter Ziele zu verlassen, greift zu kurz, denn diese werden auch einfach zurückgenommen.[2]

Überprüfungsklausel im Widerspruch zur EU-Sustainable Finance Strategie

Eine Überprüfungsklausel soll dafür sorgen, dass ein möglicher Einbezug von Finanzdienstleistungen zu einem späteren Zeitpunkt neu bewertet wird. Diese Verschiebung in die Zukunft steht aber im deutlichen Widerspruch zur selbst auferlegten Zielsetzung der EU, Nachhaltigkeitsaspekte zu einem integralen Bestandteil ihrer Finanzpolitik zu machen. Dieses Bekenntnis wird unglaubwürdig, wenn dem global agierenden Finanzsektor, ergänzend zu den bereits bestehenden Berichtspflichten, keine Pflicht auferlegt wird, bei negativen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Auswirkungen seiner Geschäftstätigkeiten auch zu handeln.

Dringender Bedarf menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten für eine faire Klimapolitik

Das ist gerade auch mit Blick auf die Klimapolitik und den enormen Ressourcenbedarf, den die Energie- und Verkehrswende mit sich bringt, unverzichtbar. Der Abbau der erforderlichen Rohstoffe wie Kupfer, Lithium und Kobalt ist mit erheblichen Risiken für die Menschen in den Bergbauregionen dieser Welt verbunden. Die Minen werden oft nicht von europäischen Unternehmen betrieben, aber umfangreich von Banken und Investoren aus der EU finanziert. Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten sind deshalb unerlässlich, um das Risiko zu minimieren, dass die Zielkonflikte klimapolitischer Maßnahmen zulasten von Menschen und der Natur außerhalb der EU aufgelöst werden.

Bundesregierung muss klarstellen, dass der Finanzsektor in den Anwendungsbereich des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) fällt

Nach der Handreichung zur Anwendung des LkSG auf die Kredit- und Versicherungswirtschaft des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und der EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR) ist es innerhalb eines Jahres das dritte Mal, dass der Finanzsektor ohne nachvollziehbare Gründe von wegweisenden Regeln und Plänen für den Schutz von Umwelt und Menschenrechten ausgenommen wird.

Der Versuch, verbindliche menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten für Finanzdienstleistungen auf EU-Ebene zu verankern, ist vorerst gescheitert. Deshalb muss nun auf nationaler Ebene nachgesteuert werden. Die Bundesregierung hatte sich in den Trilog-Verhandlungen für verbindliche Sorgfaltspflichten für Banken und Versicherungen eingesetzt. Diese Position muss sie nun auch auf das LkSG anwenden, um glaubwürdig zu bleiben.

Das bedeutet vor allem, dass sie eine LkSG-Auslegung entsprechend der Begründung des Gesetzgebers sicherstellen muss. Nach dieser sind diejenigen Finanzdienstleistungen eingeschlossen, “die so bedeutend sind, dass mit ihnen typischer [Weise] besondere Informations- und Kontrollmöglichkeiten einhergehen”. In diesen Fällen sei es “gerechtfertigt, den Endkunden in die Lieferkette einzubeziehen”, der vom LkSG eigentlich nicht erfasst wird. Das BAFA hatte sich allerdings in seiner LkSG-Handreichung über diesen Hinweis hinweggesetzt und Kund*innenbeziehungen von Finanzunternehmen pauschal ausgeklammert. Diese Interpretation überschreitet aber möglicherweise die Kompetenzen der Behörde. Die Bundesregierung sollte deshalb dringend veranlassen, dass das BAFA seine Handreichung für die Kredit- und Versicherungswirtschaft anpasst.

Autor*innen: Philippe Diaz, Tilman Massa, Sophia Cramer

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[1] Bereits die Vorschläge der Ko-Legislatoren zum EU-Lieferkettengesetz wichen mit zahlreichen Ausnahmeregelungen für den Finanzsektor in unterschiedlichem Ausmaß von den UNGP und den OECD-Leitsätzen ab. Siehe dazu das gemeinsame Policy Briefing Paper von FIAN und Südwind.

[2] Siehe als Beispiel “Allianz Investment Management SE” unter https://sciencebasedtargets.org/target-dashboard oder auch in Bezug auf Energiekonzerne: https://www.theguardian.com/us-news/2023/jul/16/big-oil-climate-pledges-extreme-heat-fossil-fuel

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