Neun Jahre nach dem Massaker von Marikana

Am 16. August 2012 erschoss die südafrikanische Polizei 34 Bergleute, die vor der Platinmine Marikana für höhere Löhne streikten.

Lasst uns nicht vergessen!
Gedanken zum neunten Jahrestag des Massakers von Marikana von Bischof Johannes Seoka

Der 16. August 2021 markiert neun Jahre Polizeibrutalität ohne Konsequenzen für die Täter. Aber es markiert noch viel mehr: Jahrzehntelange Ausbeutung von mittelosen WanderarbeiterInnen, die Ausbeutung von „billiger, schwarzer Arbeitskraft“, die schlussendlich zum ersten Massaker in unserer „Demokratie“ führte. Alles, was die Arbeiter von ihrem Arbeitgeber Lonmin forderten war ein existenzsichernder Lohn. Stattdessen bekamen sie Schüsse in den Rücken, sie bekamen Gräber statt Geld oder eine anständige Unterkunft. Wenn wir an das Massaker von Marikana denken, können wir nicht anders, als den Kopf in den Sand zu stecken.

Es ist kein Geheimnis, dass im Jahr des Massakers der Lonmin-CEO und seine Executive Directors mit saftigen Boni überhäuft wurden. Ben Cave etwa erhielt einen Bonus in Höhe von 11 Millionen Rand (gut 1 Million €). Unterdessen kehrten die Minenarbeiter mit leeren Händen und Trauer in ihren Heimatregionen zurück. Einige von ihnen, wie Mzoxolo Magidiwana, haben noch keinen Cent an Reparationszahlungen für ihre schwere Verletzungen und monatelangen Gefängnisaufenthalte erhalten. Bis heute sind den überlebenden Opfern, den Witwen und Waisen des Massakers von Marikana, keine ernst zu nehmenden Maßnahmen für ein menschenwürdiges Dasein zuteil geworden. Den Täter kommt dagegen weiterhin der Dank für ihre „gut gemachte Arbeit“ zu (so bezeichneten die Polizeioffiziere den Einsatz kurz nach dem Massaker). Niemand wurde vom Dienst abgezogen, niemand verurteilt – auch keiner der Manager von Lonmin.

Lonmin verkaufte das Unternehmen an Sibanye-Stillwater. Der CEO des Unternehmens, Neal Froneman versprach vor dem Kauf der Mine Verantwortung für die Folgen des Massakers zu übernehmen. Seitdem spricht Sibanye-Stillwater von der Bereitstellung von Häusern für die Witwen und der Einführung von Gemeindeentwicklungsprojekten in Form von Gemüsegärten. Beschämenderweise wurden einige Kirchenführer von der schamlosen Scharade hypnotisiert und tragen diese bloßen Ankündigungspolitik mit.
Fährt man heute nach Marikana, wird man keine Verbesserungen sehen, nichts erzählt von einer vermeintlich veränderten, oder gar „geheilten“ Marikana-Gemeinde. Nicht einmal ein Symbol für Heilung und Versöhnung, eine Gedenkstätte mit den Namen aller Opfer des Massakers, die oft gefordert wurde, ist errichtet. Neal Froneman spricht jedoch über den Erneuerungsprozess von Marikana unter Einbeziehung aller Beteiligten. Die Wahrheit ist, dass mit Sibanye-Stillwater business as usual wie gehabt weitergeht. Das Leben in und um Marikana ist nach wie vor von Armut und Arbeitslosigkeit geprägt.

Angesichts der Situation in Marikana kann man nicht anders, als Fragen zu stellen, die beantwortet werden müssen. Was ist zum Beispiel mit den 150 Millionen US-Dollar passiert, die Lonmin damals von der Weltbank für Infrastrukturprojekte erhalten hat? In Tom Burgis Buch, „The looting Machine“, sind die Lonmin-Chefs beim Erhalt dieser Fonds folgendermaßen zitiert: „Wenn die Zusammenarbeit erfolgreich ist, wird dies einen neuen Standard für die Beziehung der Bergbauindustrie zum Land und zur Südafrikanischen Bevölkerung setzen. Eine nachhaltige und für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft mit der Gemeinschaft im Bergbau-Umfeld ist in Sicht.“
Denkt man an die Geschichte der kolonialen Ausbeutung afrikanischer Rohstoffe und Arbeitskräfte, kann man schwer umhin, Lonmin als die Verlängerung der imperialen Agenda zu sehen, Afrikas Reichtümer zu stehlen. Das bei Lonmin investierte Geld hätte – wenn es verantwortungsvoll verwendet und abgerechnet worden wäre – das Massaker verhindern können, immerhin waren es die miserablen Lebensbedingungen und niedrigen Löhne, die zum Streik führten. Das Massaker erinnert uns daran, dass die „Investitionen in Afrika“ allzu oft dafür genutzt werden, Ressourcen zu zerschlagen und Rohstoffe zu stehlen anstatt sie den Leuten vor Ort zu Gute kommen zu lassen.
Die Gründe, die zum Massaker von Marikana führen, lassen uns die Forderung unterstreichen und lautstark wiederholen: Gebt uns unsere Reichtümer zurück! Gebt uns unsere Mineralien, unser Gold, unsere Diamanten, gebt uns unsere Metalle der Platingruppe zurück. Wie Deutschland an Nigeria nun die Benin-Bronzen zurückgibt oder Belgien, das endlich beschlossen hat, dass seine Kunstwerke aus dem Kongo, die während der Kolonialherrschaft gestohlen wurden, in ihr Herkunftsland zurückgegeben werden sollen. Dementsprechend muss Lonmin seine Rücklagen zurückgeben, die der Konzern während der Kolonialherrschaft in Südafrika gestohlen und in der Bank of England angehäuft hat. Sie werden auf 75 Milliarden Rand (4,5 Milliarden €) geschätzt und könnten zu ein wenig Wiedergutmachung beitragen.

Newsletter von Plough Back the Fruits zum 9. Jahrestag des Massakers von Marikana

London Mining Network: Nine Years On, Still No Justice for the Dead of Marikana

Johannes Seoka war von 1998 bis 2015 Bischof von Pretoria (Südafrika) in der Provinz Gauteng. Seine Diözese erstreckte sich über den ganzen sogenannten Platinum Belt, den Platingürtel der Provinz Nordwest, wo mehr als die Hälfte der weltweiten Vorkommen an Platin lagert. Seoka setzte sich für eine Entschädigung der Witwen der Bergleute ein, die beim Massaker von Marikana ums Leben gekommen waren. Als Sprecher der südafrikanisch-europäischen Kampagne Plow Back the Fruits nahm er an Hauptversammlungen des Platin-Bergbauunternehmens Lonmin und und seines Kunden BASF teil.

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