Vorab schriftlich eingereichte Fragen von Christian Russau, Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, zur virtuellen Hauptversammlung der Munich RE am 29. April 2020
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Christian Russau, ich bin Kleinaktionär der Munich Re und Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen AktionärInnen.
Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar 2019 in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho, rund 25 Kilometer südwestlich des Landeshauptstadt Belo Horizonte, ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Corrego do Feijao gebrochen. 370 Menschen starben, so genau weiß das niemand bis heute, denn noch immer werden Menschen vermisst. Die Betreiberfirma von Mine und Rückhaltebecken, die brasilianische Bergbaufirma Vale, erklärte, in dem gebrochenen Becken hätten sich 11,7 Millionen Kubikmeter Erzschlammreste befunden. Nachdem der Damm des ersten Rückhaltebeckens gebrochen war, flutete der Erzschlamm das nächstgelegene Rückhaltebecken und überflutete dieses. Der sich ins Tal ergießende Schlamm-Tsunami hatte unter anderem eine Betriebskantine mit sich gerissen, in der gerade viele Arbeiter zu Mittag aßen, Busse, in denen Arbeiter saßen, die von oder zur Betriebsschicht fuhren, wurden itgerissen, mindestens ein Dorf wurde zerstört und auf hunderten Kilometern ist der vom Schlamm geflutete Fluss Paraopeba biologisch tot.
Das Alles erinnert leider viel zu sehr an den Dammbruch von Mariana des Rückhaltebeckens Fundao, als dort bei der Mine Germano der Firma Samarco (im gleichanteiligen Besitz von Vale und BHP Billiton) der Damm brach. Millionen Kubikmeter an Bergwerksschlamm aus der Eisenerz-Mine der Firma Samarco und ein Tsunami aus Schlamm zerstörte mehrere Dörfer, 349 Häuser, Schulen und Kirchen. Die Flüsse Rio Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce wurden verseucht. Fischfang ist entlang der 680 Kilometer Flusslauf bis heute nicht möglich, ein Desaster für Tausende von Kleinfischern, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten. Insgesamt starben 19 Menschen. Laut Erhebung der US-amerikanischen Beraterfirma Bowker Associates stellte die Katastrophe von Mariana einen Dreifach-Negativ-Rekord in der Geschichte des Bergbaus dar: 1. Die Menge an ausgetretenem Schlamm: 32 bis 62 Millionen Kubikmeter, 2. Die Größe des betroffenen Gebiets: 680 Kilometern Flusslauf, 3. Die Schadenshöhe: 5 bis 55 Milliarden USD.
Die Münchener Rück war damals an der (Rück-)Versicherung des Dammbruchs von Mariana beteiligt, und auch an der (Rück-)Versicherung des bei Brumadinho gebrochenen Dammes.
Ich frage Sie:
1) Die Münchener Rück hat ja gemeinsam mit dem TÜV Süd (neben Vale der derzeit mutmaßliche Hauptverantwortliche für den Dammbruch bei Brumadinho) im Januar 2014 das gemeinsame Projekt „Project Risk Rating“ gestartet. Bitte legen Sie mir daher dar, welche Inhalte dieses Projekt genau hatte und ob es derzeit fortgeführt wird?
2) Wie oft haben Ihre Spezialisten die Dämme von Mariana und Brumadinho vor den jeweiligen Brüchen geprüft? Hatten Ihre Spezialisten dabei irgendwelche nennenswerten Erkenntnisse?
3) Noch eine Frage: Laut unseren Recherchen hielt die Münchener Rück im vergangenen Jahr keine Aktien oder Anleihen des brasilianischen Bergbaukonzern Vale. Ist dies nach wie vor korrekt? Falls nein, in welchen Anlagen sind Münchener Rück und oder Tochterfirmen und oder Fonds direkt oder indirekt an Vale beteiligt? Bitte schlüsseln Sie die Daten je Unternehmenseinheit auf.
4) Sie werden sich erinnern, dass wir Sie auf der Aktionärsversammlung von 2016 wegen des Dammbruchs bei Mariana befragt haben, und Sie werden sich sicherlich auch daran erinnern, dass wir Ihnen die grundlegenden Risiken von Dämmen bei Bergbau-Rückhaltenbecken, die nach der Upstream-Methode gebaut wurden, dargelegt haben und Sie aufgefordert haben, solche Upstream-Dämme schnellstens auszuphasieren, da sie für Mensch und Umwelt ein untragbares Risiko darstellen. Der bei Brumadinho (2019) gebrochene Damm war wie der bei Mariana (2015) ein sogenannter Upstream-Damm. Die meisten Dämme (tailings) von Bergwerksdeponien werden gebaut nach dem Upstream-Verfahren, dann gibt es noch das Center-Verfahren und das Downstream-Verfahren. Beim Upstream-Damm kann der Damm eines Rückhaltebeckens im Laufe von Jahrzehnten bis zu 10 Mal aufgeschüttet werden und so Hunderte von Meter an Höhe gewinnen, sofern die unten abgelagerten Bergbaureste entsprechend ausgetrocknet sind. Upstream-Dämme sind deutlich billiger als Center- oder Downstream-Dämme, deswegen sind sie bei den Bergbaufirmen so beliebt. Sie brechen aber auch viel häufiger.
Nach dem Dammbruch von Mariana (5.11.2019) haben wir Sie auf der Hauptversammlung 2016 also aufgefordert, für die Zukunft festzulegen, dass das Upstream-Verfahren bei Tailings (also Bergwerksdeponien) in Zukunft als klares Ausschlusskriterium bewertet werden müsse. Dies ist trotz unserer klaren Warnung, dass weitere Dämme brechen würden, unseres Wissens nach bei Ihnen in der Firma noch nicht geschehen. Es gibt zwar Debatten: Das International Council on Mining and Metals, ein Zusammenschluss der weltweit 23 größten Bergbau- und Metallunternehmen, hatte im Dezember 2015 angekündigt, die Standards für die Lagerung von Abraumschlamm zu überprüfen. Solche Ankündigungen sind wohlfeil, wenn Sie ihren werbetechnischen Hochdruckglanz ausstrahlen, sind aber zynisch, wenn sie hohle Phrasen und somit alles beim Alten bleibt – und dann der nächste, noch größere Dammbruch – wie im vergangenen Jahr bei Brumadinho geschehen, kommt.
In einem Debattenbeitrag aus dem Dezember 2017 erklärt die Münchener Rück auf ihrer Webseite: ‘Auch in der Assekuranz hat ein Umdenken begonnen, nachdem Dammbrüche in den vergangenen Jahren mehrere Großschäden ausgelöst hatten. Ziel ist es, die Risiken besser einschätzen zu können, um auch künftig die Versicherbarkeit von Tailings Dams zu gewährleisten. Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang, den Bergbau mit seinen speziellen Risiken aus der gewöhnlichen Sachversicherung herauszutrennen. Munich Re ist in ihrer Einheit Corporate Insurance Partner (CIP) diesen Weg bereits gegangen. Denn anders als etwa für den Öl- und Gassektor ist in der Assekuranz traditionell kein eigener Geschäftsbereich für den Bergbau vorgesehen. Versicherungspolicen werden aus den Policenformularen für ‘gewöhnliche‘ Sachrisiken anderer Branchen abgeleitet, indem man bergbauspezifische Zusätze hinzufügt. Dadurch hat die Produktentwicklung nicht mit den Bedürfnissen und Gefahren der Branche Schritt gehalten.‘
Statt also das Problem an der Wurzel anzugreifen, sprich: die gefährlichen Tailing ganz aus der Welt zu schaffen, setzt die Münchener Rück auf ein graduell verschobenes Geschäftsfeld, mit neuen und höheren Umsätzen, ohne dabei das eigentliche zugrundeliegenden Problem anzugehen.
Die Münchener Rück darf solche Upstream-Dämme explizit nicht mehr versichern. Und die Münchener Rück hätte die Verantwortung, firmenübergreifend in der Industrieversicherungsbranche dafür zu sorgen, dass alle Versicherer Upstream-Dämme ablehnen, um so die Praxis dieser enorm bruchgefährdeten Dämme schnellstmöglich auszuphasieren. Das wäre ein erster Schritt. Weitere Schritte wie grundlegend neue Regeln und Gesetze für den Bergbau vor allem in den Ländern des Globalen Südens müssten schnellstmöglich folgen.
Grundsätzlich müssen Sie als Versicherer endlich anfangen, sich konkrete menschenrechtliche und umweltbezogene Kriterien geben, die es wert sind, als solche bezeichnet zu werden. Ihnen bei der Münchener Rück fehlt noch immer ein umfassender Ansatz zur menschenrechtlichen Sorgfalt.
Ich sehe der Verlesung und Beantwortung meiner Fragen auf Ihrer diesmal virtuellen Hauptversammlung mit Spannung entgegen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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