Seit einigen Jahren werden in deutschen Unternehmen sogenannte Nachhaltigkeitsräte oder ähnliche Gremien gegründet, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen. Damit versuchen Konzerne der wachsenden Bedeutung des Themas gerecht zu werden und überzeugend darzustellen, wie man sich damit auseinandersetzt und bestimmte Kriterien berücksichtigt. Mittlerweile haben die meisten DAX-30 und M-DAX-Konzerne Nachhaltigkeitsgremien installiert und veröffentlichen (oft zusammen mit den jährlichen Geschäftsberichten) auch Nachhaltigkeitsberichte. Doch wie viel Macht und Einfluss haben diese Gremien wirklich?
Auf den ersten Blick ist man überrascht und erstaunt, wie sehr sich Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit und den sogenannten ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) beschäftigen und das Thema ernst nehmen. So hat Bayer zum Beispiel gleich drei Gremien, die den Vorstand sowohl beraten, als auch Strategien und Ziele für den Konzern festlegen, bei Volkswagen sind es sogar fünf unterschiedliche Gremien.
Man kann die Bedeutung von Nachhaltigkeitsgremien in Konzernen weder pauschal als sehr groß noch als sehr gering einordnen, da sich die Effektivität dieser Nachhaltigkeitsräte von Unternehmen zu Unternehmen unterscheidet und wir in den letzten Jahren sehr unterschiedliche Erfahrungen mit diesen Gremien gemacht haben. Zwar sind die Ansprechpartner und Mitglieder der jeweiligen Gremien gerne gesprächsbereit und offen für einen Austausch, allerdings hält sich die Bereitschaft, auf Vorschläge und Kritik unsererseits einzugehen, oftmals in Grenzen.
Beispiel BASF:
Im seit 2016 mit der BASF SE geführten Dialog zwischen dem NGO-Netzwerk Plough Back the Fruits (PBTF), in dem der Dachverband mitarbeitet, geht es um die Verantwortung von BASF in der Lieferkette. Wir werfen BASF vor, die Produktions- und Arbeitsbedingungen bei seinem wichtigsten Platin-Lieferanten, dem britisch-südafrikanischen Bergbauunternehmen Lonmin plc (seit 2019 Sibanye Stillwater), nicht ausreichend überprüft zu haben. In Auftrag gegebene Audits wurden den Aktionärinnen und Aktionären nie zugänglich gemacht. Die Verwicklung von Lonmin in das Massaker von Marikana hatte BASF seinen Aktionären bis 2016 verschwiegen, ehe unser Netzwerk den Fall auf der BASF-Hauptversammlung publik machte.
Beim sich anschließenden Dialog zwischen PBTF und dem Corporate Sustainability Board bzw. dem Sustainability Core Team hatten wir es zunächst mit dem „Director Sustainability Relations“ und dem „Senior Vice President Global Product Safety & Registration – Agricultural Solutions“ zu tun. Weil der Prozess für uns bzw. die Anspruchssteller in Südafrika unbefriedigend verlief, drangen wir darauf, dass ein BASF-Vorstandsmitglied direkt in den Dialog involviert werden müsse. Daraufhin nahm 2019 dann erstmals ein Vorstandsmitglied an einem Dialogtreffen mit PBTF teil.
Beispiel Siemens:
Dass das Nachhaltigkeits- und Kommunikations-Management in der Siemens AG nicht funktioniert, hat der Fall Adani gezeigt. Der Auftrag sei demnach vom Vorstandsmitglied Roland Busch (im Vorstand auch für Sustainabilty zuständig) unter dem Tagesordnungspunkt „Around the table“ („Sonstiges“) in der Vorstandssitzung am 5. Dezember 2019 vorgestellt worden. Der Adani-Auftrag hatte es aufgrund seines geringen Volumens nicht zu einem eigenen Tagesordnungspunkt gebracht. Obwohl der Nachhaltigkeitsrat von Siemens bezüglich des Auftrags Bedenken äußerte und Busch die Teilnehmer der Sitzung über die anhaltenden Proteste gegen die Kohlemine in Australien informierte, gab es keine Einwände, den Vertrag zu unterzeichnen. Daraufhin wurde der Vertrag unterschrieben.
Beispiel Volkswagen:
Im VW-Konzern gibt es gleich fünf verschiedene Gremien, die sich dem Thema Nachhaltigkeit widmen. Der Konzern-Steuerkreis-Nachhaltigkeit informiert den Vorstand regelmäßig über das Thema Nachhaltigkeit, prüft das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele und verabschiedet den Nachhaltigkeitsbericht. Unterstützt wird er dabei von der Geschäftsstelle Nachhaltigkeit, die einen Stakeholder-Dialog auf Konzernebene mit Analysten und Investoren koordiniert. Im engen Austausch mit dem Vorstand, dem Top-Management und der Arbeitnehmervertretung befindet sich auch der Internationale Nachhaltigkeitsbeirat. Dieser setzt sich aus Wissenschaftlern, Politikern und Vertretern der Gesellschaft zusammen und diskutiert Themen wie nachhaltige Mobilität, Klimaschutz und Digitalisierung. Zusätzlich existieren in den verschiedenen Marken CSR*-Projektteams, die an Themen wie Berichterstattung und Nachhaltigkeit in den Lieferantenbeziehungen arbeiten. Seit 2009 kommen die Koordinatoren dieser Projektteams einmal jährlich im Group-CSR-Meeting zusammen, um den konzernweiten Austausch zu fördern und einheitliche Strukturen zu schaffen.
Die verschiedenen Nachhaltigkeitsräte von Volkswagen sind hochkarätig und international besetzt und machen auf den ersten Blick einen seriösen Eindruck. Dass der Internationale Nachhaltigkeitsbeirat im Jahr 2016 ins Leben gerufen wurde, ist klar auf den Dieselskandal zurückzuführen, somit soll dieses Gremium den Neuanfang von Volkswagen signalisieren. Doch wie viele Einflussmöglichkeiten die Mitglieder dieser Gremien wirklich haben, ist umstritten. Es wird sich erst noch zeigen, in wieweit es sich bei all den Nachhaltigkeitsräten, die Volkswagen eingerichtet hat, um PR-Maßnahmen handelt oder es um ernst gemeinte Schritte Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz geht.
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*) CSR = Corporate Social Responsibility (soziale Unternehmensverantwortung)