Factsheet: RWE und die „verdeckte“ Korruption am Beispiel der Stadt Essen

In der Stadt Essen und von Essen aus werden seit Jahrzehnten Entscheidungen getroffen, die die Klimakatastrophe befeuern. Die beiden größten kommunalen RWE-Anteilseignerinnen, die Städte Dortmund und Essen, sind zugleich Nutznießerinnen der RWE AG, aber auch mitverantwortlich für die zerstörerischen Folgen von Kohleabbau und -verstromung.

Die RWE AG und ihre kommunalen Aktionär*innen
Etwa 130 Kommunen, Zweckverbände und kommunale Unternehmen halten gemeinsam einen Anteil von ca. 24% an RWE. Die Kommunen, die Anteile an RWE halten, waren im Verband der kommunalen RWE-Aktionäre (VKA) im Rheinland und dem gleichnamigen Verband in Westfalen zusammengeschlossen. Nun fusionieren die beiden Verbände.

Die Stadt Essen als RWE-Aktionärin
Die Stadt Essen hält 18.761.230 Stück der insgesamt 676.220.048 Stück ausgegebenen stimmberechtigten Stammaktien der RWE AG. Dies entspricht einem rechnerischen Anteil in Höhe von 2,77 Prozent (siehe Tabelle).

Kommune RWE-Aktien Aktien-Anteil an RWE in % Einwohner Aktien pro Einwohner
Dortmund24.500.0003,60585.81341,8
Essen18.761.2302,77583.08432,2
Mülheim8.560.0001,30170.93650,1



Klimaschädigung durch RWE-Aktienbesitz
Die Stadt Essen hat in den Jahren 2015 bis 2020 durchschnittlich jährlich 9,38 Mio. Euro Dividende von RWE bezogen. Aufgrund ihres Besitzes von RWE-Aktien lässt sich der Stadt Essen ein Anteil an
den CO2-Emissionen der RWE AG zuweisen. Sogar noch vor Essen liegt die Stadt Dortmund als größte kommunale RWE-Aktionärin (siehe Tabelle S. 2).

Kommune Anteil an RWE-CO2-Emissionen
(t in 2018)
Ökosystemkosten = Klimaschaden (2019) in € Von RWE bezogene Dividende (2020) in € Durchschnittlich zwischen 2015 und 2020 bezogene RWE-Dividende in €
Dortmund10.283.0001.850.940.00018.880.00012.000.000
Essen7.874.3611.417.384.98015.008.9839.380.000
Mülheim3.592.756646.696.0806.840.0004.280.000


Zum Vergleich: Größter privater Einzelaktionär ist der US-amerikanische Vermögensverwalter BlackRock, der derzeit rund 6,4 % der RWE-Aktien hält. Über ihre Aktionärsstruktur informiert die RWE AG auf ihrer Webseite (siehe https://www.rwe.com/investor-relations/die-rwe-aktien/aktionaersstruktur). Gemäß Wertpapierhandelsgesetz (§ 33 Abs. 1 WpHG) muss der Erwerb und die Veräußerung von Anteilen ab 3% gemeldet werden.


Personelle und strukturelle Verflechtungen

Die personellen und strukturellen Verflechtungen sowie die ökonomischen Abhängigkeiten zwischen RWE und der kommunalen Verwaltung sind bedeutend.

Der Oberbürgermeister der Stadt Essen, Thomas Kufen
Thomas Kufen (CDU), seit 2015 Oberbürgermeister der Stadt Essen, ist Aufsichtsratsmitglied der RWE Power AG. In dieser RWE-Tochtergesellschaft werden die Braunkohletagebau und -kraftwerke im Rheinland verwaltet. In der Gesellschafterversammlung des Verbands der kommunalen RWE-Aktionäre vertritt Kufen die 18,75 Millionen Essener RWE-Aktien.
Als NRW-Landtagsabgeordneter war Kufen von 2012 bis 2015 energiepolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.

Der Europaminister der NRW-Landesregierung, Stephan Holthoff-Pförtner
Der Essener Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) ist NRWE-Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales. Er ist Gesellschafter und Sprecher der Funke Familien Gesellschaft (WAZ). „Stephan Holthoff-Pförtner ist die schillerndste Figur im Düsseldorfer Landeskabinett. Er verkörpert etwas, das man das NRW-Prinzip nennen könnte: die gut gelaunte Kumpanei.“ (Die Zeit, 01.06.2021: Der Mann in Laschets Windschatten).

Stephan Holthoff-Pförtner gründete 1980 die Kanzlei Holthoff-Pförtner in Essen. Die Kanzlei wirbt damit, ihr stehe „ein einzigartiges Netzwerk in Wirtschaft, Politik und Verwaltung zur Verfügung“ (https://holthoff-pfoertner.de/kanzlei/). Zur Kanzlei Holthoff-Pförtner gehört seit 1993 auch der Ex-Chef des Bundeskanzleramtes, Ronald Pofalla (CDU), der seit Januar 2017 als Vorstand Infrastruktur der Deutschen Bahn tätig ist und 2018 einer der Vorsitzenden der Kohlekommission war. Möglicherweise ist durch diese Verflechtungen möglich geworden, dass entgegen den Empfehlungen der Kohlekommission das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 ans Netz gehen konnte. Datteln 4 liefert jetzt Strom an RWE und die Deutsche Bahn. 

Das von Holthoff-Pförtner seit 30 Jahren geleitete Politische Forum Ruhr wird u.a. von RWE, BP, der Funke Medien Gruppe und den Stadtwerken Essen unterstützt (https://www.politisches-forum-ruhr.de). Bei diesem Forum stellen Industrie-Lenker und Politiker*innen ihre Sicht der Welt dar – zuletzt der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Armin Laschet (Titel der Veranstaltung: „Pulsschlag aus Stahl“ im Green Deal).


RWE und die Entschädigung für den Kohleausstieg

Die RWE AG wird für den viel zu späten Ausstieg aus der Braunkohle mit Milliardenbeträgen versorgt – viele meinen, die Entschädigung falle viel zu hoch aus. Falls die EU-Kommission zu dem Schluss kommt, dass die Zahlungen eine unerlaubte Beihilfe darstellen, müssten die Entschädigungen neu berechnet werden.
„Die Entschädigungen für die deutsche Braunkohle sollen das Ende dieser klimaschädlichen Energiegewinnung einläuten. Bereits im Januar 2020 verkündete Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) daher, die Bundesregierung werde der ostdeutschen Leag 1,75 Milliarden Euro und dem Energiekonzern RWE im Rheinland 2,6 Milliarden Euro für das vorzeitige Abschalten ihrer Kohlemeiler zahlen. Das Geld sollte für die „endgültige und sozialverträgliche Stilllegung von Braunkohleanlagen“ genutzt werden, so steht es im Kohleausstiegs-Gesetz. Doch wie die Bundesregierung die einzelnen Summen kalkulierte, blieb geheim. Auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen antwortete die Bundesregierung, es handele sich um eine „formelbasierte Entschädigungslogik“. Energieexperten und Wissenschaftlerinnen hatten monatelang gerätselt, die Summen erschienen willkürlich und viel zu hoch. Dieser Verdacht bekommt nun neue Nahrung. Interne Dokumente, die CORRECTIV und dem Spiegel vorliegen, legen nahe, wie das Wirtschaftsministerium die Entschädigungen hochrechnete.“
Siehe: Correctiv, Wie die Bundesregierung Milliarden für den Kohleausstieg hochrechnete, 15.05.2021, https://correctiv.org/aktuelles/2021/05/15/bundesregierung-milliarden-fuer-kohleausstieg/


Die Zuordnungswissenschaft, Wetterphänomene und der Klimawandel

Weltweite Dürreperioden und Extremwetter wie die jüngste Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind erst ein Vorgeschmack auf das, was uns noch erwartet. Das Pariser Klimaschutzabkommen gibt vor, dass die Erderwärmung auf 1,5-Grad Celsius begrenzt werden muss. Für Deutschland bedeutet dies u.a., so schnell wie möglich aus der Kohleverstromung auszusteigen. Mit den Daten der Zuordnungswissenschaft (Attribution Science) ist es möglich, „die konkreten Verursacher für Wetterphänomen haftbar zu machen. Unternehmen, ja ganze Länder können jetzt vor Gericht gebracht werden. Und es wird verhindert, dass der Klimawandel weiter als Argument missbraucht wird: PolitikerInnen können sich nicht mehr auf ihn berufen, um Missmanagement und eigenes Versagen zu vertuschen.“
Siehe: Friederike Otto, Wütendes Wetter, Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewelle, Hochwasser und Stürme“, Berlin 2019

Kostenberechnung von Klimaschäden

Im Klimabereich wird mit dem Schadenskostenansatz die Höhe der Schäden geschätzt, die der Gesellschaft durch Treibhausgasemissionen und dem daraus resultierenden Klimawandel entstehen. Mit dem Vermeidungskostenansatz werden hingegen die Kosten geschätzt, die die Gesellschaft tragen muss, wenn sie den Klimawandel auf ein bestimmtes Ziel begrenzen, also Treibhausgasemissionen vermeiden will. Je nach Kontext und Fragestellung entspricht der eine oder der andere Ansatz dem konzeptionell richtigen Vorgehen (siehe auch Kap. 3.1 und 3.2 im Teil
„Methodische Grundlagen“ der Methodenkonvention 3.0).
Siehe: Umweltbundesamt, Methodenkonvention 3.1 zur Ermittlung von Umweltkosten. Kostensätze, 12/2020, https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-12-21_methodenkonvention_3_1_kostensaetze.pdf


Das RWE-Tribunal

Das zivilgesellschaftliche RWE-Tribunal wird von Attac Deutschland, dem Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie, der Gesellschaft für bedrohte Völker, Grannies for Future Köln, Parents for Future Köln und der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW unterstützt. Es ersetzt keine Klagen vor ordentlichen Gerichten, sondern soll Öffentlichkeit herstellen und durch die Anhörung von Zeug*innen und die Expertise von Sachverständigen reale Klagen vorbereiten.
Nach dem 1. RWE-Tribunal im Dorf Lützerath (18. – 20. Juni 2021), auf dem es vor allem um die Folgen des Braunkohletagebaus für die Menschen in der Region ging, wird auf dem 2. Tribunal am 18./19. September in Essen über RWE und die „verdeckte“ Korruption am Beispiel von Essen und die Ursachen von Extremwetterereignissen gesprochen (siehe https://www.rwe-tribunal.org/einladung-essen). Weitere RWE-Tribunale sollen 2022 in Düsseldorf und Köln folgen.

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://www.kritischeaktionaere.de/rwe/factsheet-rwe-und-die-verdeckte-korruption-am-beispiel-der-stadt-essen/

1 Ping

  1. […] Factsheet „RWE und die ´verdeckte´ Korruption am Beispiel der Stadt Essen“, RWE-Tribunal, September 2021, https://www.kritischeaktionaere.de/rwe/factsheet-rwe-und-die-verdeckte-korruption-am-beispiel-der-st… […]

Kommentare sind deaktiviert.