Sehr geehrter Herr Bruch, sehr geehrter Herr Kaeser,
sehr geehrte Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat,
sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre,
mein Name ist Vladimir Slivyak, ich arbeite für die russische Nichtregierungsorganisation Ecodefense, die sich seit über 30 Jahren für sichere Energie und Klimaschutz einsetzt. Ecodefense musste sich aufgrund dieser Arbeit über viele Jahre gegen falsche Anschuldigungen der russischen Regierung zur Wehr setzen. Wir haben dabei unter anderem Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt. Ich habe Russland im Jahr 2021 verlassen, weil es ab diesem Zeitpunkt einfach nicht mehr möglich war, unsere Arbeit fortzusetzen. Ich wohne aktuell in Deutschland und werde nicht mehr nach Russland zurückkehren, solange Präsident Putin an der Macht ist, weil mein Weg vermutlich direkt ins Gefängnis führen würde. Genau wie der Rest der europäischen Gemeinschaft bin ich schockiert über den barbarischen russischen Krieg in der Ukraine.
Jede Art von Geschäft mit russischen Unternehmen, insbesondere im Energiebereich, bedeuten zusätzliches Geld für das Regime und den Krieg. Ich freue mich daher über jedes europäische Unternehmen, das seine Geschäfte mit Russland eingestellt hat. Auch Siemens Energy hat verkündet, die Geschäfte in Russland zu beenden. Ich verstehe aber nicht, wieso Siemens Energy nach wie vor mit dem staatlichen russischen Atomkonzern Rosatom und diversen Tochterunternehmen zusammenarbeitet. Siemens Energy beteiligt sich beispielsweise nach wie vor am Bau des Kernkraftwerks Paks II in Ungarn, das aus dem russischen Staatshaushalt finanziert wird. Wenn ich Ihre Erwiderung auf den Gegenantrag der Kritischen Aktionäre richtig verstehe, halten Sie lediglich noch nicht erteilte Genehmigungen des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle davon ab, Bauteile für dieses Projekt zu liefern. Sehen Sie nicht, welchen Schaden sie anrichten, wenn sie Russland helfen, seinen Einfluss auf das EU-Mitglied Ungarn durch Paks II entscheidend zu vergrößern? Was denken Sie, wieso Ministerpräsident Orban damit droht, sämtliche Sanktionsforderungen im Nuklearbereich zu blockieren, obwohl diese dringend notwendig wären, um Russlands geopolitischem Machtstreben Einhalt zu gebieten?
ROSATOM ist nicht einfach nur ein Energieunternehmen, sondern ein Zusammenschluss von mehr als 350 Unternehmen, die in allen Bereichen der Kernenergie tätig sind. Rosatom wurde 2007 von der russischen Regierung gegründet und untersteht direkt Präsident Putin.
Kein anderes Unternehmen baut aktuell mehr Kernkraftwerke in der ganzen Welt als Rosatom. Fast alle Kosten für diese Geschäfte werden aus dem russischen Staatshaushalt bestritten. Durch die Finanzierung und den Bau neuer Reaktoren schafft Rosatom eine gefährliche Abhängigkeit von russischer Technologie und Knowhow, von russischen Krediten und russischen Brennstofflieferungen. Dadurch kann sich das terroristische Regime über viele Jahrzehnte politischen Einfluss in vielen Teilen der Welt sichern.
Doch damit nicht genug: ROSATOM ist auch für die Entwicklung, Produktion und Wartung der russischen Atomwaffen zuständig, mit deren Einsatz der Kreml schon des Öfteren gedroht hat, um die eigenen Machtansprüche zu untermauern.
Laut einem kürzlich erschienenen Artikel der Washington Post ist ROSATOM außerdem Zulieferer mehrerer russischer Waffenhersteller, deren Produkte seit Februar 2022 viele tausend Ukrainerinnen und Ukrainer, Frauen, Männer und Kinder ermordet haben.
Vor knapp vierzehn Jahren schloss der damalige Siemens-Chef Peter Löscher eine Partnerschaft im Bereich Kernenergie mit dem damaligen ROSATOM-Chef Sergej Kirienko ab. Letzterer ist mittlerweile nicht nur Aufsichtsratsvorsitzender von ROSATOM, sondern gleichzeitig auch stellvertretender Leiter der russischen Präsidialverwaltung und somit quasi Putins rechte Hand. In verschiedenen Medien wurde er als Vizekönig des Donbass tituliert, weil er offensichtlich Putins Mann für die besetzten Gebiete ist. Kirienko ist seit der Vergiftung Nawalnys mit Sanktionen der EU, des Vereinigten Königreichs und der USA belegt. Sie wissen nur allzu genau, mit wem Sie es da zu tun haben.
Laut des Berichts der Washington Post waren ROSATOM-Mitarbeiter federführend an der Besetzung und dem Beschuss des AKW Zaporizhzhia sowie dessen illegaler Aneignung durch Russland beteiligt.
Hört sich das alles in ihren Ohren an wie die Beschreibung eines ehrenwerten Geschäftspartners oder eher wie eine Anklageschrift für den Internationalen Strafgerichtshof? Wenn es Ihnen geht wie mir, fordere ich Sie auf, die Geschäfte – egal, ob direkt oder im Rahmen der Zusammenarbeit mit Framatome – umgehend zu stoppen. Die Zusammenarbeit mit Kriegsverbrechern sollte für jedes europäische Unternehmen inakzeptabel sein, und es ist höchst beunruhigend, dass Siemens Energy immer noch an einer solchen Zusammenarbeit beteiligt ist.
Ich möchte Ihnen des Weiteren folgende Fragen stellen:
- Seit wann sind Ihnen die von mir vorgetragenen Vorwürfe gegen Rosatom bekannt? Wurde darüber im Vorstand und Aufsichtsrat gesprochen? Wenn ja, zu welchem Ergebnis sind sie gekommen?
- Beabsichtigt Siemens Energy, die Zusammenarbeit mit Rosatom – direkt oder über die Kooperation mit Framatome – beim Bau des Kernkraftwerks Paks-2 fortzusetzen? Wenn ja, wann sollten die Mess- und Regelsysteme für zwei Reaktoren planmäßig geliefert werden? Wird Siemens Energy darüber hinaus noch weitere Bauteile für das AKW Paks-2 liefern?
- Verfügt Siemens Energy aktuell über bestehende Verträge zur Lieferung von Teilen für neue Kernreaktoren, die in Russland gebaut werden?
- Hat Siemens Energy bestehende Verträge mit Rosatom über die Modernisierung und Wartung von Kernreaktoren in Russland?
- Liefert Siemens Energy direkt oder indirekt (über die französische Framatome) Teile für das KKW Rooppur, das von Rosatom in Bangladesch gebaut wird oder beabsichtigt Siemens Energy, solche Teile zu liefern bzw sich an Ausschreibungen zu beteiligen??
- Liefert Siemens Energy direkt oder indirekt (über die französische Framatome) Teile für das KKW Akkuyu, das von Rosatom in der Türkei gebaut wird oder beabsichtigt Siemens Energy, solche Teile zu liefern bzw sich an Ausschreibungen zu beteiligen??
- Liefert Siemens Energy direkt oder indirekt (über die französische Framatome) Teile für das KKW El Dabaa in Ägypten, das von Rosatom gebaut wird oder beabsichtigt Siemens Energy, solche Teile zu liefern bzw sich an Ausschreibungen zu beteiligen?
- Liefert Siemens Energy direkt oder indirekt (über die französische Framatome) Teile für die chinesischen Kernkraftwerke Tianwan und Xudapu, die von Rosatom gebaut werden oder beabsichtigt Siemens Energy, solche Teile zu liefern bzw sich an Ausschreibungen zu beteiligen?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!