„Wie stellen Sie sicher, dass staatliche Garantien nicht für Projekte in der Westsahara verwendet werden?“: Rede von Tilman Massa

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,

mein Name ist Tilman Massa, ich bin Co-Geschäftsführer des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir ein stärkeres Engagement von Siemens Energy bei Menschenrechten und beim Umwelt- und Klimaschutz.

Herr Bruch, Herr Kaeser, wir begrüßen für Ihre klaren Worte gegen Antisemitismus, gegen Ausgrenzung, Hass und Hetze gegen Menschen mit Migrationsgeschichte. Klare Worte gegen menschenverachtende Deportationspläne und auch die fatale Rolle der AfD dabei sollen hier und heute aber nicht fehlen. Denn: Allen Konzernverantwortlichen sollte es zu denken geben, dass der AfD-Politiker Roland Hartwig, ehemaliger Chefjurist der Bayer AG und ehemaliger Vorsitzender des VCI-Rechtsausschusses, an jenem Geheimtreffen mit Faschisten und Rechtsextremisten im November 2023 zu rassistischen Vertreibungsplänen teilgenommen hat.

Unsere Kritikpunkte an Ihrem Festhalten am fossilen Geschäftsmodell und den hausgemachten Problemen bei Siemens Gamesa haben wir in unseren Gegenanträgen zusammengefasst, die ich hiermit auch formal stelle. In der Summe erschweren Sie völlig unnötig die Energiewende, daher entlasten wir Vorstand und Aufsichtsrat nicht.

Westsahara: eingeschränkte staatliche Unterstützung

Herr Bruch, wir verstehen sehr wohl, dass im Rahmen der staatlichen Bürgschaften, die durch die hausgemachte Krise bei Siemens Gamesa nötig geworden sind, keine Steuergelder fließen. Dennoch sollten Sie hier nicht versuchen zu verdecken, dass Sie hier hausgemachte Probleme und Risiken unnötigerweise vergesellschaften und die Energiewende unnötigerweise noch schwieriger als ohnehin wird. Unsere Kritik gilt aber vor allem der Siemens AG, die hier deutlich mehr Bürgschaften und Risiken ohne Probleme hätte übernehmen können. Dies hatte ich auf der Hauptversammlung der Siemens AG deutlich kritisiert.

Im Rahmen der nun mit der Bundesregierung vereinbarten Rückbürgschaften ist nun aber auch wieder unser Dauerkritikpunkt auf die Tagesordnung gekommen: Ihre skandalösen Windparks in den besetzten Gebieten der Westsahara.

Siemens Energy ist über den Konzernteil Siemens Gamesa Renewable Energy in der von Marokko völkerrechtswidrig besetzten und annektierten Westsahara aktiv. In direkter Zusammenarbeit mit einem Privatunternehmen des marokkanischen Königs hatten Sie bereits mehrere Windparks gebaut, die unter anderem dazu dienen, dem marokkanischen Besatzungsstaat die Energie für die völkerrechtswidrige Ausbeutung der Phosphatreserven der Westsahara zu liefern. Laut marokkanischen Behörden wurde im Sommer letzten Jahres der Windpark Boujdour in Betrieb genommen, der auch industrielle Abnehmer versorgen soll. Wie bei allen seinen anderen Projekten in der Westsahara hat Siemens Energy dabei ohne die Zustimmung der Menschen gehandelt, welche laut Völkerrecht die Eigentümer*innen dieses Territoriums sind. Sie behaupten weiterhin unverdrossen, dass die europäische Rechtsprechung zur Westsahara, welche eindeutig die Zustimmung der Sahrauis für die Westsahara betreffende Wirtschaftsabkommen einfordert, für privatwirtschaftliche Unternehmungen keine Relevanz hätte. Gleichzeitig hat die Bundesregierung im November 2023 in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage im Bundestag klargestellt, dass die vom Bund für Siemens Energy übernommen Bürgschaften in Höhe von 7,5 Mrd. € nicht für Projekte in der Westsahara verwendet werden dürfen. Dazu unsere Fragen:

  1. Wie stellen Sie sicher, dass die erwähnten Garantien des Bundes nicht für Projekte in der Westsahara verwendet werden?
  2. Hält Siemens Energy es weiterhin für irrelevant für seine eignen Geschäftstätigkeiten, dass die Bundesregierung keine Projekte in der Westsahara unterstützt und staatliche Gelder auch in der Privatwirtschaft nicht in der Westsahara verwendet werden dürfen? Wenn ja, wieso?
  3. Seit wann ist der Windpark Boujdour in Betrieb und stimmt es, dass dieser industrielle Abnehmer versorgt? In welchem Wirtschaftsbereich sind diese Abnehmer tätig? Wie weit sind die Arbeiten für den Windpark Tiskrad, ebenfalls in der besetzten Westsahara, fortgeschritten?
  4. Den Daten von WSRW zufolge hat das Frachtschiff Breb Cuxhaven, IMO 9421142, den Hafen von Dakhla am 8. Oktober 2023 angelaufen. Das Schiff war mit seiner Ladung aus Cuxhaven aufgebrochen und hatte einen kurzen Zwischenstopp in Casablanca (Marokko).
    • Stammte die Ladung des Schiffes aus dem Siemens-Werk in Cuxhaven? Um welche Ladung handelt es sich?
    • Kann Siemens Energy bestätigen, dass die Ladung an Bord der Breb Cuxhaven Dakhla als Zielort hatte?
    • Handelte es sich um eine einzelne Lieferung, oder gab es bzw. wird es weitere Ladungen nach Dakhla geben?
    • Welches Projekt in der besetzten Westsahara wurde beliefert?
  5. Im März dieses Jahres wird das Gutachten der Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs im Berufungsverfahren zwischen der EU und der Frente Polisario zu Wirtschaftsabkommen zwischen Marokko und der EU erwartet. Der Gerichtshof hatte 2021 die Abkommen für illegal erklärt, da sie die Westsahara ohne die Zustimmung der Polisario einschließen, woraufhin die EU in Berufung ging. Setzen Sie sich mit den Folgen einer wahrscheinlichen Bestätigung der Annullierung der Abkommen auseinander und informiert Aktionärinnen und Aktionäre über mögliche darauf folgende Schadensersatzforderungen?
  6. Können Sie weitere Beteiligungen an Projekten in der Westsahara ausschließen?
  7. Es gelten nun auch für Sie neue Nachhaltigkeitsberichtspflichten nach CSRD/ESRS: Werden Sie über die Risiken in der Westsahara berichten in Bezug auf ESRS S3 „Betroffene Gemeinschaften“? Wieso ist dies bisher nicht im Nachhaltigkeitsbericht erfolgt?

Auch haben Antworten auf unsere Fragen von Siemens-Finanzvorstand Ralf Thomas auf der Siemens-Hauptversammlung zu Garantien und Bürgschaften neue Fragen aufgeworfen: Wer hat nun in Bezug auf die Projekte in der Westsahara gegenüber wem genau Garantien und Bürgschaften?

Lieferkettengesetz und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten allgemein

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist nun seit über einem Jahr in Kraft. Sie müssen nun proaktiv und systematisch Menschenrechtsrisiken bei direkten Zulieferern prüfen und ggf. darauf hinwirken, dass Missstände behoben werden.

Um Ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen, verlassen Sie sich weiterhin zu sehr auf freiwillige Selbsteinschätzungen von Zulieferern und intransparente externe Audits. Der Besuch von Auditdienstleistern liefert bestenfalls eine Momentaufnahme. Selbsteinschätzungen und externe Nachhaltigkeitsaudits können allein nicht als Nachweis dazu dienen, dass Sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind.

Wir erwarten nun, dass Sie nicht bei diesem Schritt stehen bleiben und selbstständig aktiv werden, um präventiv menschenrechtliche Risiken in ihren Lieferketten, vor allem den Rohstofflieferketten, zu minimieren. Dazu gehört es, dass Sie selbst aktiv werden und diese Arbeit nicht an externe Dienstleister und Audits outsourcen.

Welche Menschenrechtsverletzungen werden von Ihnen bei der Umsetzung und Berücksichtigung der Berichtspflichten unter dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erfasst? Was ist der Plan, die identifizierten Probleme anzugehen?

Welche konkreten Fälle und Risiken wurden bei Zulieferern identifiziert, die nicht im Geschäftsbericht erwähnt werden? Wie viele Fälle sind es, um was geht es genau und welche Verbesserungsmaßnahmen müssen bis wann umgesetzt sein? Wurden Geschäftsbeziehungen aufgrund von Menschenrechtsrisiken beendet und wenn ja, wie viele und um welche Zulieferer handelt es sich?

Damit Unternehmen ihre eigenen Sorgfaltspflichten nicht an externe Audit-Unternehmen auslagern, sehen die Berichtspflichten des Lieferkettengesetzes explizit vor, dass Unternehmen die Auswirkungen und die Wirksamkeit der von ihnen gewählten Maßnahmen bewerten und darüber berichten, welche Schlussfolgerungen daraus für zukünftige Maßnahmen gezogen werden (§ 10 LkSG). Dieser gesetzlichen Anforderung ist Siemens aus unserer Sicht nicht hinreichend nachgekommen.

Dabei braucht es gerade in der aktuellen Debatte um Lieferkettengesetze, ob nun auf nationaler oder internationaler Ebene dringend Stimmen aus der Praxis, um berechtigte Kritik an Umsetzung und Machbarkeit von jener zu trennen, die ohne Sachkenntnis und auch auf Grundlage von falschen Informationen gegen faire Lieferkettenregulierung argumentieren. Wie ist Ihre Position zum EU-Lieferkettengesetz? Wenn Sie angebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Nicht-EU-Wettbewerb anführen, wie sieht Ihre Position zum entsprechenden Vorhaben auf UN-Ebene aus, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten weltweit nicht mehr nur freiwillig, sondern verbindlich für alle Unternehmen zu regeln, dem UN Binding Treaty?

Virtuelle Hauptversammlung

Wir schließen uns der auch heute wieder sehr deutlich gewordenen Kritik an, dass sie erneut das virtuelle Format gewählt haben. Ja, Sie sind auf unsere Forderung eingegangen, nun endlich auch englischsprachige Redebeiträge möglich zu machen und die gesamte Hauptversammlung auch öffentlich zu übertragen. Doch kann dies nicht die offensichtlichen Defizite des virtuellen Formats, der den Dialog auch unter den Aktionär*innen unmöglich macht, kompensieren. Wir fordern Sie weiterhin auf, eine hybride Hauptversammlung umzusetzen, an der sowohl in Präsenz als auch virtuell aktiv teilgenommen werden kann. Haben Sie unsere Forderungen in dieser Hinsicht vom letzten Jahr bei der Planung der diesjährigen Hauptversammlung berücksichtigt? Was sind Ihre Argumente gegen eine hybride Hauptversammlung? Wie sehen Ihre Planung für die Hauptversammlung im nächsten Jahr aus?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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