Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Vorstand, sehr geehrter Aufsichtsrat,
sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre,
mein Name ist Regine Richter, ich arbeite bei der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald. Ich vertrete auch den Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, der heute 641 Aktionär*innen vertritt und fast 90.000 Aktion. Der Dachverband hat einen Gegenantrag zur HV eingereicht, und die Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat gefordert. Ich bringe außerdem die Bedenken eines Kollegen aus Indonesien hier vor, der aus Visumsgründen leider nicht persönlich kommen konnte.
Wenn ich mir den Geschäftsbericht von Siemens anschaue und nach dem Wort „Kohle“ suche, werde ich nur drei Mal fündig: einmal, weil Sie sagen, dass der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft eine Chance für Siemens ist. Das klingt sehr gut! Und zweimal, wenn Sie über den Rückgang kohlebefeuerter Stromerzeugung reden sowie über Kohlendioxid.
Ganz unbefangen würde ich sagen, prima, der Konzern hat die Zeichen der Zeit verstanden, Kohle spielt keine Rolle mehr. Leider wirkt das bestenfalls an der Oberfläche so.
Das Bahnsignaltechnikgeschäft mit Adani ist ein Beispiel, aber es gibt leider noch viel mehr. Seit Jahren setzen Sie sich bei der OECD dagegen ein, dass es Einschränkungen der staatlichen Exportförderung für Kohlekraftwerke gibt. Denn Sie beteiligen sich als Zulieferer immer noch gerne am Bau von Kohlekraftwerken.
Ein Beispiel sind die Kohlekraftwerksblöcke Jawa 9 und 10, die etwa 100 km außerhalb von Jakarta, Indonesien, gebaut werden sollen. Siemens arbeitet für dieses Kraftwerk mit dem südkoreanischen Energiekonzern Doosan zusammen. Und laut Project Finance International von Anfang Januar will die Siemens Bank bei der Finanzierung des Kraftwerks helfen. Mein Kollege Yuyun Indradi von Trend Asia hat mich gebeten, Sie darauf hinzuweisen, dass die Luftverschmutzung in Jakarta enorm ist, so dass es den Menschen dort schwer fällt zu atmen und Atemwegserkrankungen sowie vorzeitige Todesfälle verbreitet sind. Eine der Verschmutzungsquellen sind die bereits laufenden Kraftwerksblöcke Jawa 1-8 und zahlreiche andere Kohlekraftwerke in und um Jakarta.
Wenn die zusätzlichen Blöcke Jawa 9 und 10 gebaut werden, verschärft sich dieses Problem und zusätzlich werden die Lebensgrundlagen der benachbarten Fischer bedroht. Das sind sehr düstere Zukunftsaussichten für die lokale Bevölkerung, vor allem weil es in Indonesien ein enormes Potenzial an erneuerbaren Energiequellen gibt und der Klima Think Tank Carbon Tracker recherchiert hat, dass 2027/28 der Bau neuer Photovoltaikanlagen billiger sein wird als existierende Kohlekraftwerke weiter zu betreiben. Das bedeutet billigere erneuerbare Energie bereits in der Anfangsphase des Betriebs von Jawa 9 und 10. Vielleicht wäre deshalb das Erneuerbarengeschäft eine bessere Zukunftsinvestition als das Kohlekraftwerk.
- Yuyun Indradi fragt: in Anbetracht des schwerwiegenden Schadens, zu dem die fortgesetzte Verbrennung von Kohle führt, für Klima, Gesundheit und die lokalen Gemeinden, wird Siemens von der Finanzierung von Jawa 9 und 10 absehen?
Kohle ist dabei ja nur die Spitze des Eisbergs. Dafür, dass Sie den Übergang in eine kohlenstoffarme Wirtschaft als Chance sehen, ist der Jahresbericht noch sehr voll mit den großen Chancen im Öl- und Gasgeschäft. Dabei sind die Warnungen klar: wenn wir die Pariser Klimaziele erreicht wollen, müssen wir raus aus Fossilen Energien, eher früher als später, je nachdem, welche Wahrscheinlichkeit für das Erreichen gelten soll. Das heißt, auch neue Gas- und Ölinfrastruktur zu bauen ist keine gute Idee. Nicht aus Klimasicht, aber auch nicht aus Investitionssicht. Und auf Seite der Investoren tut sich ja gerade sehr viel. Institutionelle Investoren bereinigen ihre Portfolios erst einmal von Kohle, aber auch große Ölunternehmen befürchten, dass sich viele Investoren von ihnen abwenden, weil sie sich Sorgen ums Klima und damit auch um ihre Geldanlagen machen. Ölfelder, Pipelines und Kraftwerke, die vorzeitig stillgelegt werden, sind ja klassische Investitionsruinen.
Herr Kaeser, von Ihnen wird gesagt, dass sie als einen Leitspruch haben „verpasse niemals einen Paradigmenwechsel“. Dann sollten Sie diesen Paradigmenwechsel bei den Anlegern sehr genau beachten und natürlich auch Sie, Herr Sen, als künftiger Chef von Siemens Energy. Für den Börsengang brauchen Sie Investoren und denen müssen Sie aufzeigen, wohin Siemens Energy gehen will und wie das Unternehmen auch in 10, 20, 30 Jahren noch eine Rolle spielen will. (Fast) jedes fossile Geschäft auf dem Weg mitnehmen erscheint mir da kein zukunftsweisender Weg zu sein.
- Arbeitet Siemens für Siemens Energy an einer Transformationsstrategie, um die Chancen des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft tatsächlich zu nutzen und ein langfristig haltbares Geschäftsmodell zu entwickeln? Und wenn ja, wie sieht das aus? Wofür genau soll die eine Milliarde Euro aufgewendet werden, von der Herr Kaeser berichtet hat?
- Und dann muss ich doch noch einmal auf Adani zurückkommen: Ich frage mich beim Kunden Adani, ob der „Vertragsbruch“ auch deshalb so dramatisch wäre, weil der Kunde weit über das kleine Bahnsignaltechnik wichtig für Siemens ist. Wie viele Geschäfte gab es mit der Adani-Gruppe in den letzten 3 Jahren und wie viele Geschäfte stehen in Aussicht, oder befinden sich in Anbahnung?
Danke!