„Wer derart hohe Gewinne einfährt, sollte Risiken nicht vergesellschaften“: Rede von Tilman Massa

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,

mein Name ist Tilman Massa vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir ein stärkeres Engagement von Siemens bei Menschenrechten und Klimaschutz.

Vielen Dank, Herr Dr. Busch, für Ihre klaren Worte gegen Ausgrenzung, Hass und Hetze gegen Menschen mit Migrationsgeschichte. Klare Worte gegen menschenverachtende Deportationspläne und auch die fatale Rolle der AfD dabei sollten hier und heute aber nicht fehlen, das hatten Sie ja Ende Januar öffentlich getan.

Selbst wenn wir einmal außer Betracht lassen, dass Siemens mit der Abspaltung von Siemens Energy den großen Teil der Probleme und Risiken des fossilen Geschäfts und dessen Klimaschäden einfach ausgelagert hat, reicht es immer noch nicht für eine Klimabilanz, die in die richtige Richtung zeigt: Noch immer sorgen Siemens-Produkte für deutlich mehr Treibhausgasemissionen, als sie helfen einzusparen. Auch bei der Umsetzung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten fehlt es uns weiter an Transparenz. Wir entlasten daher den Vorstand nicht und haben einen entsprechenden Gegenantrag eingereicht, den ich hiermit auch formal stelle. Zunächst komme ich aber zu unserem Gegenantrag zu TOP 2, der Verwendung des Bilanzgewinns.

Dividende und Siemens Energy

Ihr Rekordgewinn aus dem letzten Geschäftsjahr steht außer Frage. Warum lehnen wir dann Ihren Dividendenvorschlag als zu hoch ab? Zwei Punkte fallen hier negativ auf, die bei aller Feierlaune bedacht werden sollten:

Erstens: Ihre Rekordergebnisse gingen mit einem entsprechenden Wachstum zulasten des Klimas einher. Ein Blick in Ihre Klimabilanz verrät: Sie sind weit davon entfernt, Ihr Wachstum und effektiven Klimaschutz vereinbaren zu können. Die klimaschädlichen Emissionen, die durch die Nutzung von Siemens-Produkten entstehen werden (im Scope 3 downstream), sind um über 27 Mio. Tonnen auf über 469 Mio. t CO2e stark angestiegen.

Da reicht es nicht aus, wenn Sie, Herr Dr. Busch, in Ihrer Eingangsrede darauf verweisen, dass Sie in Bezug auf Ihre eigenen Emissionen „voll im Plan“ liegen würden und Ihrer Kundschaft helfen, weniger CO2 auszustoßen. Wenn wir die knapp 190 Mio. t CO2e, die durch die Nutzung von Siemens-Produkten bzw. Dienstleistungen eingespart werden, von Ihrem Fußabdruck abziehen, bleiben unter dem Strich immer noch Mehremissionen von 279 Mio. t CO2e für 2023, die Sie, die Siemens zu verantworten hat. Zum Vergleich: Das sind immer noch über 40 Prozent der Treibhausgasemissionen, die allein in ganz in Deutschland 2023 emittiert wurden (673 Mio. t, vorläufige Zahlen). Daher sollte auch mehr vom erwirtschafteten Gewinn in Klimaschutzmaßnahmen statt Dividenden fließen.

Zweitens: Wer derart hohe Gewinne einfährt, hat auch eine soziale Verantwortung und es nicht nötig, Risiken zu vergesellschaften. Doch genau das haben Sie getan: Siemens Energy ist in erhebliche Schieflage geraten. Erst nach langem Hin- und Her konnten Sie sich bei Siemens dazu durchringen, zumindest etwas für Garantien und den Fortbestand Ihrer ehemaligen Tochter zu tun. Doch mit Staatsgarantien in Höhe von 7,5 Milliarden Euro trägt die deutsche Bundesregierung nun eindeutig das größere Risiko. Wohlgemerkt: Bis vor Kurzem hat Siemens noch deutlich mehr Garantien für Siemens Energy gestellt. Dieses Pokern um die Zukunft von Siemens Energy, bei der nun die Risiken zugunsten von Siemens vergesellschaftet wurden, sind für uns angesichts der guten Finanzlage von Siemens und höchst prekärer öffentlicher Haushalte nicht nachvollziehbar. Um es klar zu sagen: Herr Dr. Busch, hier werden Sie Ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht, sondern nutzen die Abspaltung von Siemens Energy samt dessen Risiken zulasten der Allgemeinheit aus. Sie halten doch sonst das Zitat von Werner von Siemens hoch: „Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht!“

 Daher meine Fragen:

  • Was hat Sie davon abgehalten, nicht alle nötigen Garantien für Siemens Energy zu übernehmen? Sie hatten rechtliche Bedenken angebracht, ohne Details zu nennen.
  • Haben Sie Informationen zu den Risiken bei Siemens Energy, die etwa der Bund nicht hat? Haben Sie darauf gesetzt, dass der Staat schon einspringen wird?

Ich muss in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass ein Teil Ihrer Gewinne auch dadurch zustande kommt, dass Siemens Energy weiterhin jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag an Siemens zahlen muss, nur um den Markennamen „Siemens“ weiter nutzen zu können. Dieses Geld fehlt Siemens Energy, um in die sozial-ökologische Transformation zu investieren und sich vom fossilen Energiegeschäft lösen zu können.

Zu Ihrer Beteiligung an Siemens Energy habe ich diese Fragen:

  • Herr Dr. Busch, Sie haben gesagt, dass Sie den Prozess fortsetzen werden, Ihre Anteile an Siemens Energy weiter zu reduzieren. Wie genau sehen hier Ihre Pläne aus? Wollen Sie am Ende überhaupt noch einen Anteil an Siemens Energy halten?
  • Finanziert die Siemens-Sparte „Siemens Financial Services“ auch Geschäfte der Siemens Energy AG? Falls ja, welche Finanzierungsformen (Kredite, Anleihen etc.) nutzt Siemens Financial Services hierfür und wie hoch waren diese Finanzierungen an die Siemens Energy AG in 2023?
  • Sie haben Ihre Beteiligung an der Siemens Energy AG geprüft, daraus scheinen sich keine Einwendungen zu ergeben (vgl. Siemens-Bericht, Vermerke des unabhängigen Abschlussprüfers S. 3-4). Haben Sie im Rahmen der Bewertung der Beteiligung an der Siemens Energy AG auch menschenrechtliche, klima- und umweltbezogene Risiken geprüft?
  • Falls ja, zu welchem Ergebnis kam die Prüfung bezüglicher menschenrechtlicher, klima- und umweltbezogener Risiken für die Siemens AG?

Seit Jahren kritisieren wir die Windparks von Siemens Energy in den von Marokko besetzten Gebieten der Westsahara, da diese ohne die nötige Zustimmung der sahrauischen Bevölkerung gebaut wurden und zur illegalen Plünderung der Ressourcen der Westsahara eingesetzt werden. Im Rahmen der Garantien für Siemens Energy hat die Bundesregierung klargestellt, dass davon Projekte in der von Marokko besetzten Westsahara explizit ausgeschlossen sind.

  • Wie sieht das im Fall der Garantien von Siemens aus? Müssten nicht auch Ihre menschenrechtlichen Risikoanalysen Alarm schlagen und nun einen entsprechenden Ausschluss vorsehen?

Klimaschutz und Klimaziele

Solange Siemens-Produkte für mehr statt weniger Treibhausgasemissionen sorgen, sind die Klima- bzw. Nachhaltigkeitsversprechen von Siemens nicht glaubwürdig. Bei steigenden Emissionen ist noch nicht einmal ersichtlich, wie Siemens selbst die eigenen, nicht gerade ambitionierten Klimaziele in Bezug auf Scope 3 auch tatsächlich wird erreichen können.

  • Wie sind hierzu Ihre Einschätzungen, liegen Sie auch in Bezug auf Scope 3 mit ihren Klimazielen „voll im Plan“, Herr Dr. Busch?

Wie nur wenige Konzerne hat Siemens nicht nur das Potential, sondern auch die Verantwortung, einen entscheidenden Beitrag zum tatsächlichen Gelingen der Energie-, Wärme- und Verkehrswende zu leisten, etwa beim effizienten Umgang mit weniger Ressourcen. Angesichts der schon jetzt immer deutlicher werdenden Auswirkungen der Klimakrise reicht es nicht mehr aus, nur auf Klimaziele zu verweisen oder auf fragwürdige CO2-Kompensationsprogramme zu setzen. Der Handel mit CO2-Zertifikaten ist zuletzt noch mehr als ohnehin schon in Verruf geraten. So sind fast alle Zertifikate aus Waldschutzprojekten des führenden Zertifizierers auf dem Kompensationsmarkt, Verra, wertlos.

  • In welchen Umfang setzen Sie aktuell und auch in Zukunft auf solche Kompensationen, statt Emissionen einzusparen?
  • Welche Projekte werden so gefördert und für wie effektiv halten Sie diese?
  • Vertrauen Sie auch noch auf Zertifikate von Verra?

Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten und Lieferkettengesetz

Auf dem Papier scheint Siemens die Anforderungen internationaler Standards an nachhaltige Lieferketten zu erfüllen. Es kommt aber auf effektive Umsetzung an, und hierzu verlässt sich Siemens zu sehr auf Selbsteinschätzungen und externe Audits von Zulieferern, deren Aussagekraft immer limitiert ist. Bei über 67.700 Zulieferern aus 140 Ländern ist der von Siemens gewählte risikobasierte Ansatz sinnvoll. Doch bleibt weiterhin intransparent, welche konkreten Probleme Sie bei Ihren Zulieferern identifiziert haben und mit welchen Maßnahmen Sie diese auch präventiv adressieren.

Im Nachhaltigkeitsbericht geben Sie beispielsweise an, in Bezug auf Kinderarbeit im Geschäftsjahr 2023 nach über 5.000 Zulieferer-Selbsteinschätzungen 168 Verbesserungsmaßnahmen, nach 481 externen Audits 106 Verbesserungsmaßnahmen in Bezug auf das Verbot von Kinderarbeit mit Zulieferern getroffen zu haben. Ob es sich dabei um reale, systematische Risiken, die bezüglich Kinderarbeit identifiziert worden sind, oder um formale Aktualisierung von Verträgen in dieser Hinsicht handelt, ist nicht ersichtlich.

  • Können Sie hier zumindest ein paar Beispiele nennen, also konkreten Fällen transparent und nachvollziehbar darlegen, welche Missstände identifiziert und welche Gegenmaßnahmen von Ihnen unternommen worden sind?
  • Herr Dr. Busch, Sie haben Northvolt erwähnt, in das Sie investieren. Erst im Herbst letztes Jahr hat Northvolt damit begonnen, kein Nickel aus Russland mehr zu beziehen. Haben Sie hier etwa nicht schon früher entsprechende Forderungen an Northvolt gestellt, wenn überhaupt?
  • Der Abbau der Rohstoffe für die Batterieproduktion bleibt aber weltweit mit hohen Umweltbelastungen und menschenrechtlichen Risiken behaftet. Wie sieht Ihre Risikoanalyse dazu bei Northvolt und allgemein aus, gerade da Sie Ihr DEGREE-Rahmenwerk und den Batteriepass erwähnt haben?

Damit Unternehmen ihre eigenen Sorgfaltspflichten nicht an externe Audit-Unternehmen auslagern, sehen die Berichtspflichten des Lieferkettengesetzes explizit vor, dass Unternehmen die Auswirkungen und die Wirksamkeit der von ihnen gewählten Maßnahmen bewerten und darüber berichten, welche Schlussfolgerungen daraus für zukünftige Maßnahmen gezogen werden (§ 10 LkSG). Dieser gesetzlichen Anforderung ist Siemens aus unserer Sicht nicht hinreichend nachgekommen.

Dabei braucht es gerade in der aktuellen Debatte um Lieferkettengesetze, ob nun auf nationaler oder internationaler Ebene dringend Stimmen aus der Praxis, um berechtigte Kritik an Umsetzung und Machbarkeit von jener zu trennen, die ohne Sachkenntnis und auch auf Grundlage von falschen Informationen gegen faire Lieferkettenregulierung argumentieren.

Laut Lobbyregister geben Sie für Ihre Interessenvertretung über 1 Million Euro jährlich aus. Sie sind Mitglied in etlichen Interessensverbänden wie dem VDMA oder ZVEI, die nun gegen den Kompromiss für ein EU-Lieferkettengesetz mobil machen. Da sich aber auch etliche Unternehmen für das EU-Lieferkettengesetz aussprechen:

  • Wie ist Ihre Position dazu?
  • Falls sie konstruktive Kritik, aber keine fundamentale Blockadehaltung haben, fühlen Sie sich in dieser Sache noch hinreichend von den Verbänden vertreten?

Virtuelle Hauptversammlung

Ich schließe mich der Kritik an, dass Sie heute wieder eine rein virtuelle Hauptversammlung durchführen. Schon auf der letzten Hauptversammlung haben Sie von allen Seiten die Kritik vernommen, die ich hier nicht zu wiederholen brauche. Doch muss ich meine Fragen dazu erneut stellen:

Herr Dr. Busch, wie schon letztes Jahr werden Sie nicht müde zu betonen, was die neue Siemens im Kern tut: die reale mit der digitalen Welt verbinden. Wenn es ein Hauptversammlungsformat gibt, dass zu Siemens passt, dann ist es nicht das virtuelle, sondern das hybride Format. Daher frage ich Sie wie letztes Jahr:

  • Wenn es also ein Unternehmen geben sollte, das eine hybride Hauptversammlung durchführen können, an der sowohl in Präsenz als auch digital teilgenommen werden kann, sollte das ja wohl Siemens sein, oder? Haben Sie diese Option ernsthaft geprüft und wenn ja, diese etwa nur wegen geringer Mehrkosten verworfen?
  • Wie sehen dahingehend Ihre Pläne für die Hauptversammlung 2025 aus?

Wie letztes Jahr fordern wir Sie dazu auf, der Hauptversammlung auch die Option eines hybriden Formats zur Abstimmung vorzuschlagen, welches die Vorteile einer Präsenz-Hauptversammlung mit jenen einer rein virtuellen Veranstaltung verbindet.

Auch nutzen Sie erneut nicht die gesetzliche Möglichkeit, dass Fragen schon vorab an Sie gestellt werden können. Wie Sie trocken in Ihrer Einladung schreiben: „Die Möglichkeit zur Einreichung von Stellungnahmen begründet keine Möglichkeit zur Vorab-Einreichung von Fragen nach § 131 Abs. 1a Aktiengesetz.“ Doch es erscheint mir kaum sinnvoll, umfangreiche Stellungnahmen zu verfassen, wenn ich nicht weiß, ob oder wie diese von Ihnen zur Kenntnis genommen werden und noch nicht einmal veröffentlicht werden. Das dürfte auch die überschaubare Beteiligung erklären: Es gibt nur zwei eingereichte Stellungnahmen, die im internen Aktionärsportal einzusehen sind, und auch diese kritisieren, dass Sie erneut das virtuelle Format gewählt haben. Es ist ja löblich, dass Sie für Fragen den direkten Austausch in der Hauptversammlung bevorzugen, dann aber doch bitte in einer Präsenz-Veranstaltung, die einen Austausch auch unter den Aktionär*innen ermöglicht. Öffentliche Vorab-Fragen und Vorab-Antworten können, solange sie den direkten Dialog mit Ihnen ergänzen und nicht ersetzen, durchaus einen Mehrwert darstellen, auch wenn dies für Sie Mehrarbeit bedeutet. Nicht alle haben die Zeit, auf der Hauptversammlung wichtige Fragen zu stellen, deren Antworten auch für alle und das Abstimmungsverhalten relevant sein können. Daher meine Frage:

  • Werden Sie die Möglichkeit von Vorab-Fragen prüfen?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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