Ernüchternde Klimabilanz: ein Schritt vor, zwei Schritte zurück

Gegenanträge zur Hauptversammlung der Thyssenkrupp AG am 2. Februar 2024

Im Geschäftsjahr 2022/2023 haben die Treibhausgasemissionen von Thyssenkrupp um zwei Mio. Tonnen gegenüber dem Vorjahrszeitraum zugenommen und belaufen sich jetzt auf knapp 24 Mio. Tonnen (Scope 1 und 2). Grafik und Foto: Dachverband


Gegenantrag zu Tagesordnungspunkt 2: Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns

Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre beantragt, die von Vorstand und Aufsichtsrat vorgeschlagene Verwendung des Bilanzgewinns abzulehnen.

Begründung:

Thyssenkrupp sollte den Betrag von 93.379.761,15 € (0,15 € je Stückaktie) nicht als Dividende ausschütten, sondern für Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der eigenen Geschäftstätigkeit, die Erhaltung der Arbeitsplätze und das schnellere Erreichen der Klimaziele verwenden.

Thyssenkrupp erhält für die Umstellung der Produktion auf grünen Stahl Staatshilfen des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen in Höhe von zwei Milliarden €. Die Beanspruchung von Staatshilfen, die sich aus Steuergeldern speisen, ist für uns nicht vereinbar mit der gleichzeitigen Ausschüttung einer Dividende. Angesichts der akuten Probleme im Bundeshaushalt können die Konzernverantwortlichen von Glück reden, dass die staatliche Förderung für Thyssenkrupp bereits zugesagt wurde. Angesichts dieser Unterstützung durch die Gesellschaft sollte Thyssenkrupp kurzfristige Gewinne für langfristige Transformationsprojekte nutzen.


Gegenantrag zu Tagesordnungspunkt 3: Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands

Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre beantragt, den Mitgliedern des Vorstands die Entlastung zu verweigern.

Begründung:

Der Vorstand der Thyssenkrupp AG versagt beim Erreichen von Klimaschutz-Meilensteinen und muss Unklarheiten zur Herkunft von grünem Wasserstoff beseitigen.  

Klimabilanz: ein Schritt vor, zwei Schritte zurück
Im Geschäftsjahr 2022/2023 haben die Treibhausgasemissionen von Thyssenkrupp um zwei Mio. Tonnen gegenüber dem Vorjahrszeitraum zugenommen und belaufen sich jetzt auf knapp 24 Mio. Tonnen (Scope 1 und 2). Nachdem Thyssenkrupp im vorigen Geschäftsjahr einen Schritt nach vorn gemacht hatte, macht der Konzern jetzt zwei Schritte zurück. So ist schwer nachvollziehbar, wie Thyssenkrupp sein Versprechen einlösen will, bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein.

Thyssenkrupp führt die „Schmutzigen Dreißig“ an
Laut einer Studie des Öko-Instituts im Auftrag des WWF steht Thyssenkrupp an der Spitze der „Dirty Thirty“ in Deutschland. Allein das Hüttenwerk in Duisburg hat 7,9 Mio. Tonnen CO₂ im Jahr 2022 emittiert, mehr als jede andere Industrieanlage in Deutschland. Zusammen mit den dazugehörigen Heizkraftwerken und Kokereien ist der Duisburger Standort von Thyssenkrupp sogar für 16 Mio. Tonnen jährlicher CO₂-Emissionen verantwortlich – mehr als etwa Litauen.

Grüner Stahl, staatliche Milliardenförderung und Rohstoff-Kolonialismus
Es bleibt zu hoffen, dass Thyssenkrupp bald die Trendwende schafft. Mit staatlichen Fördermitteln von zwei Mrd. Euro soll am Standort Duisburg eine Direktreduktionsanlage zur Herstellung von „grünem“ Stahl gebaut werden. Sie soll mit klimaneutral erzeugtem Wasserstoff betrieben werden und so den Ausstoß von Treibhausgasen bei der Stahlerzeugung deutlich verringern. Die Anlage soll Ende 2026 in Betrieb gehen. Einen Großteil des teuren Wasserstoffs wird Thyssenkrupp zukaufen müssen – möglicherweise aus autoritären Staaten und Ländern des Globalen Südens. Solange konkrete und effektive sozial-ökologische Standards beim Wasserstoff-Bezug nicht sichergestellt werden, ist zu befürchten, dass einerseits neue Abhängigkeiten und andererseits ein grüner Rohstoff-Kolonialismus entstehen.

Brasilien: Problematische Infrastruktur für grünen Wasserstoff als Gefahr für Landrechte traditioneller Gemeinschaften

Das brasilianische Unternehmen Unigel und die Thyssenkrupp-Tochter Nucera haben eine Vereinbarung zur Erhöhung der Produktionskapazität für grünen Wasserstoff getroffen. Aber die Erfahrungen in Brasilien der letzten Jahre beim eigentlich positiv zu bewertenden Ausbau erneuerbarer Energien wie Windkraft und Photovoltaik haben gezeigt, dass diese „grünen“ Projekte – ebenso wie zuvor auch schon bei der Wasserkraft – sehr oft die Ländereien traditioneller Völker und Gemeinschaften oder von Kleinbäuer*innen betreffen, die das Land historisch gemeinschaftlich und oft ohne ausgestellte Landtitel nutzen und davon leben. So verschärfen sich teils schwere soziale Konflikte um Land weiter. Dies stellt das Nachhaltigkeitsversprechen des künftig grünen Wasserstoffs zutiefst infrage, sei es für den Inlandsverbrauch oder für den Export nach Deutschland als nachhaltige und sozial gerechte Lösung. Thyssenkrupp muss umgehend sicherstellen und transparent beweisen, dass die künftige Energie für das Kooperationsprojekt mit Unigel zur Gewinnung des „grünen“ Wasserstoffs aus sozial fairen Projekten kommt. Dazu gehört, dass es Projekte (sei es Wasserkraft, Windkraft, Solarenergie, Stromgewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr, Palmöl etc.) sind, die eben nicht nur die propagierte klimaneutrale Wirkung haben, sondern Projekte sind, bei denen nachweislich vor Baubeginn eine freie, vorherige und informierte Konsultation aller betroffenen traditionellen Gemeinschaften der Region durchgeführt wurde und deren explizites Einverständnis dazu eingeholt wurde, so wie es die von Brasilien und Deutschland ratifizierte ILO-Konvention 169 vorschreibt.


Gegenantrag zu Tagesordnungspunkt 4: Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats

Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre beantragt, den Mitgliedern des Aufsichtsrats die Entlastung zu verweigern.

Begründung:

Der Aufsichtsrat hat es unterlassen, den Vorstand effektiv zu kontrollieren und für einen Ausgleich von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen zu sorgen.

Intransparente Rüstungsexporte: Umsetzung von Sorgfaltspflichten unklar
Thyssenkrupp treibt den Konzernumbau voran. Da die Transformation der Stahlsparte Milliardeninvestitionen erfordert, plant der Konzern aktuell die Abspaltung/Verselbständigung der Rüstungssparte Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS). Die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ sowie steigende Rüstungsetats vieler Orten lassen den Konzern auf günstige Rahmenbedingungen für dieses Vorhaben hoffen.
Seit Jahren steht die Rüstungssparte in der Kritik, nicht zuletzt wegen der Lieferung ihrer U-Boote, Fregatten und Korvetten an Länder wie u.a. Ägypten oder Indien, in denen Menschenrechte systematisch verletzt werden und/oder die in völkerrechtsverletzende Kriegshandlungen verwickelt sind. TKMS rechtfertigt derartige, höchst problematische Lieferungen mit dem lapidaren Verweis auf vorliegende Exportgenehmigungen seitens der Bundesregierung. Der Konzern negiert somit eigene menschenrechtliche Sorgfaltspflichten. Nach den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte liegt es jedoch auch in der Verantwortung der Unternehmen, selbst zu prüfen und zu bewerten, ob sie mit ihren Produkten, Dienstleistungen und Aktivitäten indirekt zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Eine solche Prüfung scheint Thyssenkrupp aber zu unterlassen, obwohl der Konzern im Geschäftsbericht auf eine „hohe Transparenz der ethischen und moralischen Geschäftsstandards im Exportgeschäft“ verweist.

Vorstandsvergrößerung gegen den Willen der Arbeitnehmer-Seite
Darüber hinaus hat es der Aufsichtsrat – insbesondere der Aufsichtsratsvorsitzende Siegfried Russwurm – unterlassen, für einen Ausgleich von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen im Konzern zu sorgen.
Im November 2023 erweiterte der Aufsichtsrat den Konzernvorstand von drei auf fünf Vorstände. Dies geschah gegen die Stimmen aller Arbeitnehmervertreter, darunter der zweite Vorsitzende der IG-Metall, Jürgen Kerner, und Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol. Vor allem gegen die Berufung von Volkmar Dinstuhl, bisher Vorstand des Thyssenkrupp-Segments „Multi Tracks“ sowie zuständig für M&A-Projekte, hatten sich die Arbeitnehmervertreter gesperrt. Entscheidend war beim Stimmen-Patt zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter*innen die Doppelstimme von Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm. Angesichts des Performanceprogramms „Apex“ (siehe unten), das die Effizienz im Konzern erhöhen soll, ist das Durchdrücken von Vorstandsmitgliedern das falsche Signal an die Beschäftigten.
Die Arbeitnehmervertreter waren nachgerade wütend, dass mit der Bestellung von zwei zusätzlichen Vorstandsmitgliedern gegen die Stimmen der Arbeitnehmerbank „ein Kulturbruch in der Mitbestimmung“ stattfand. Die Anteilseigner und der neue Vorstandsvorsitzende Miguel Ángel López Borrego hätten mit der „bewährten Mitbestimmungspraxis bei Thyssenkrupp“ gebrochen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens seien Vorstände trotz der geschlossenen Ablehnung der Arbeitnehmerseite bestellt worden.

Kostet „Effizienzprogramm“ weitere Arbeitsplätze?
Bereits mit der Ankündigung des Effizienzprogramms APEX (Anm. lat. Spitze) hatte Thyssenkrupp-Chef Miguel López Borrego für Unruhe in der Belegschaft gesorgt und den Widerspruch des Konzernbetriebsrats provoziert. Der Chef des Konzernbetriebsrats, Tekin Nasikkol, warnte López Borrego, es dürfe beim geplanten Sparprogramm keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Die Sorge ist nicht unbegründet, hat Thyssenkrupp doch in den vergangenen Jahren 11.000 Jobs gestrichen.

Subunternehmen und Leiharbeitskräfte
Der Aufsichtsrat muss dem Vorstand außerdem strengere Vorgaben bezüglich des Systems der Subunternehmen und Leiharbeiter machen und konkrete Konsequenzen aus der Aufklärung eines Todesfalls ziehen. Das System der Leiharbeit ermöglicht eine nicht den Tarifen entsprechende Entlohnung von Arbeitskräften und geht oft mit mangelndem Arbeitsschutz einher. Schwere Verletzungen von Leiharbeitern werden in Kauf genommen.
Besonders tragisch ist dieser Fall: Refat Süleyman war über die Leiharbeitsfirma Eleman an die Firma Buchen Umweltservice verliehen worden, die wiederum Teil der Remondis Maintenance & Services GmbH & Co. KG ist. Buchen führt seit langem per Werkvertrag Reinigungsarbeiten im Duisburger Thyssenkrupp-Stahlwerk durch. Der Verein Stolipinovo in Europe beklagt die fehlende Aufklärung über die genauen Umstände von Refat Süleymans Tod am 14.10.2022 auf dem Gelände des Thyssenkrupp-Stahlwerks in Duisburg-Bruckhausen. „Die massiven Gesundheits- und Sicherheitsrisiken in der Stahlindustrie werden durch die Beschäftigung von Subunternehmen und deren Praxis der massiven Ausbeutung und des Missbrauchs noch verschärft.“ (vgl. https://www.wsws.org/de/articles/2023/03/27/refa-m27.html)

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