Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Christian Russau, ich bin Vorstandsmitglied des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre.
Gehen wir gleich in medias res:
Im August vergangenen Jahres haben wir, unterstützt von 21 zivilgesellschaftlichen Organisationen, Ihnen einen offenen Brief geschickt, in dem wir Sie, Thyssenkrupp, dazu auffordern, Ihr Bekenntnis zu Menschenrechten in Ihrer Lieferkette und Abnehmerkette endlich ernst zu nehmen: Es geht dabei um die eminent drohende Gefahr, die von einem Mann wie dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro ausgeht, der den Bergbau in Indigenen Territorien in Brasilien freigeben möchte. Dies würde die großflächige Zerstörung der letzten intakten Waldgebiete Amazoniens bedeuten, dies würde die Verseuchung von Grundwasser und die Flüsse mit Abraum, Quecksilber und Schwermetallen bedeuten, Wasser, dass den Indigenen Völkern vor Ort Lebensgrundlage, da es ihre einzige Trinkwasserquelle ist. Wir haben Sie im August unmißverständlich aufgefordert, sich explizit und öffentlich zu erklären, zu sagen, dass Sie bei Thyssenkrupp kein Equipment für Bergbauaktivitäten an die künftig dort tätigen Firmen verkaufen werden.
Diese Aufforderung ist, nach Ansicht von uns NGOs, eigentlich nur eine Minimalforderung, denn jegliche wie auch immer geartete Beteiligung an künftigem Bergbau in indigenen Territorien in Brasilien, wie sie einem Autokraten und Indigenen-Hasser wie Bosonaro vorschwebt, ist abscheulich, ist ein Menschenrechtsverbrechen, bedeutet den Ökozid und kulturellen Ethnozid der dort lebenden indigenen Bevölkerung.
Nun, Ihre Antwort war… wie soll ich es sagen?
Peinlich.
Eines Unternehmens Ihres Kalibers unwürdig.
Ein einziges Blabla über wie wichtig doch für Thyssenkrupp die Menschenrechte seien. Ihre schwulstig-peinliche Antwort triefte nur so von leeren Worthülsen wie „Nachhaltigkeit“ und „verantwortliches Wirtschaften“, „Klima- und Umweltschutz“ sowie „Achtung der Menschenrechte“.
Dabei war unsere Aufforderung doch ganz einfach und unmißverständlich: Erklären Sie öffentlich Ihr „Nein!“ zu Equipmentlieferungen für künftigen Bergbau in indigenen Territorien in Brasilien. Ist das so schwer?
Schon merkwürdig, denn Siemens tat sich da viel leichter. Siemens erklärte über twitter: „Wir haben aktuell & planen auch künftig keine Geschäftsaktivitäten in indigenen Gebieten, in denen die brasilianische Regierung plant, Bergbauaktivitäten zu erlauben.“
Tja, werte Damen & Herren von Thyssenkrupp. Wäre das so schwer gewesen? Was Siemens kann, kann Thyssenkrupp noch lange nicht? Wollen Sie so in die Geschichte eingehen?
Dabei sollte gerade der Blick auf Siemens dieser Tage Ihnen bei Thyssenkrupp das Fürchten lehren. Sie haben das PR-Desaster von Joe Kaeser wegen der Zulieferung von Signaltechnik wegen der Adani-Mine in Australien sicher mitbekommen. Das fliegt Siemens grad ganz gehörig um die Ohren. Sie sollten aus der Beobachtung aus der nahen Ferne dieses Vorgangs endlich etwas lernen.
Ein erster Schritt wäre, wenn Sie endlich einmal uns NGOs zuhören würden, und sich nicht immer nur wegducken würden, nicht immer nur ignorieren, abwiegeln würden. Vor allem, da sich mir seit 2010, seit ich das erste mal auf Ihrer Hauptversammlung sprach, der Eindruck aufdrängt, dass Ihr Wegducken, Ignorieren, Abwiegeln von uns aufgedeckten Menschenrechtsverletzungen in ihrer Produktions-, Zulieferer- und Abnehmerkette vielleicht auch mit Kalkül zu tun haben könnte, dem Kalkül des eiskalt dergleichen in der betriebswirtschaftlichen Gewinn- und Verlustrechnung kalkulierenden Abstaubers. Ich würde mich freuen, wenn Sie diesen meinen Eindruck durch Taten endlich ausräumen könnten!
Nun, wie Sie es sich vielleicht schon denken können: Wir vom Dachverband der Kritischen Aktionär*innen verweigern Ihnen, den Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat von Thyssenkrupp, vollständig und komplett die Entlastung und wir begründen dies wie folgt:
Missachtung der UN-Vorgaben bei menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten!
Thyssenkrupp erfüllt weiterhin nicht die Mindeststandards der Vereinten Nationen in Bezug auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten. Thyssenkrupp belegt nicht ausreichend, wie und ob die Menschenrechtsrisiken der eigenen Lieferketten identifiziert, bewertet und minimiert werden.
Seit Jahren kritisieren wir diesen Missstand und veranschaulichen den Handlungsbedarf anhand von Fallbeispielen. Nun ist auch anhand einer aktuellen Studie des Business & Human Rights Resource Centre und der ZHAW School of Management and Law nachzuvollziehen, dass Thyssenkrupp grundlegende Anforderungen der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGPs) an unternehmerisches Verhalten nicht voll erfüllt. Zwar müssen Lieferanten von Thyssenkrupp in einem Supplier Code of Conduct (SCoC) unterschreiben, etliche Grundsätze in Bezug auf Menschenrechte einzuhalten. Jedoch hält sich Thyssenkrupp hier nicht an alle UN-Standards: Zulieferfirmen müssen weder die ILO-Konventionen in Bezug auf Arbeitszeiten, Gesundheit und Sicherheit von Beschäftigten noch über ein eigenes Beschwerdesystem für Beschäftigte und Interessengruppen verfügen. Eigene Beratungen und Rücksprachen mit betroffenen Interessensgruppen und Menschenrechtsexpert*innen finden nicht systematisch statt und werden nicht ausreichend dokumentiert. Effektivität und mögliche Änderungen der eigenen Maßnahmen zur Verhinderung und Prävention von Menschenrechtsverletzungen werden nicht hinreichend geprüft und evaluiert.
Katastrophen in Brasilien und Mexiko als Mahnung: Kommerzielle Audits sind keine Lösung!
Thyssenkrupp lässt Zulieferer durch kommerzielle, externe Audits überprüfen. Doch diese sind intransparent, garantieren nicht die UN-Standards und liefern auch unzuverlässige Ergebnisse.
So hat Thyssenkrupp den brasilianischen Bergbaukonzern Vale im Jahr 2016 zweimal mithilfe von Audits überprüfen lassen. Da das Audit keine Beanstandungen erkannte, kaufte auch Thyssenkrupp weiter Eisenerz von Vale ein, 2018 noch 11 Mio. Tonnen.
Am 25.1.2019 brach bei Brumadinho im Bundesstaat Minas Gerais ein Abraumdamm von Vale, obwohl dem Damm vom TÜV-Süd noch im Jahr zuvor physische und hydraulische Sicherheit attestiert worden war. Dies geschah rund 3 Jahre nach dem vergleichbaren Dammbruch von Mariana, auch in Brasilien, auch bei einer Ihrer Zuluefererfirmen, Samarco. Die giftige Bergbauschlamm-Lawine des Brumadinho-Dammbruchs kostete 270 Menschen das Leben. Vale, TÜV-Süd sowie insgesamt 16 verantwortliche Mitarbeiter werden nun strafrechtlich belangt. Unter anderem wegen Mord.
2017 ließ Thyssenkrupp den mexikanischen Erzzulieferer Molymex überprüfen, mit tadellosen Ergebnissen. Es ist aber unklar, was und wie geprüft wurde. Dabei gibt es auch hier genügend Hinweise, dass die Sicherheit von Dämmen dringend besser gewährleistet werden müsste, würde Thyssenkrupp seine Menschenrechtsrisiken ernsthaft zu minimieren beabsichtigen: Am 6.8.2014 brach der Damm eines Rückhaltebeckens der Mine Buena Vista del Cobre des Bergbaukonzerns Grupo México im Bundesstaat Sonora, aus der auch Molimex Erze bezieht. Molimex ist Lieferantin von Molybdänerzen für Thyssenkrupp. Der giftige Schlamm von 40.000 Kubikmeter Kupfersulfat ergoss sich in zwei Flüsse, 7 Gemeinden mit 20.048 Bewohner*innen verloren den Zugang zu sauberem Wasser, 322 Brunnen mussten geschlossen werden. Grupo México hatte aus Kostengründen nie ein erforderliches Notfallbecken eingerichtet. Kommerzielle Audits können keine eigene Risikoanalyse von Thyssenkrupp ersetzen, wenn derart UN-Standards missachtet und Methoden wie Ergebnisse nicht öffentlich zugänglich sind. Im Übrigen seien Sie nochmal erinnert, was es bedeuten würde, wenn Grupo México irgendwo in Ihrer Lieferkette auftaucht. Grupo México ist jene Firma, die der mexikanische Bischof Raul Vera als „Serienkiller“ bezeichnet hatte. Bitte erklären Sie hier und heute klipp und klar, dass Sie nichts, aber auch gar nichts direkt oder indirekt an Rohstoffen oder Materialien beziehen, die irgendwie von Grupo México stammen.
Zur Erinnerung: SIE – Thyssenkrupp – sind der wichtigste Importeur Deutschlands für Molybdänerze, namentlich die Thyssenkrupp Materials Trading GmbH, Ihre Rohstoffhandelssparte. SIE sind Deutschlands größter Importeur von Eisenerz. Was haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren des Vorstands, persönlich unternommen, als sie von dem Bruch 2014 in Sonora gehört haben, als Sie von dem Bruch 2015 bei Mariana in Minas Gerais, Brasilien, als Sie 2019 von dem Bruch bei Brumadinho gehört haben?
Im Übrigen, ist Ihnen eigentlich klar, dass alle diese Dämme der Abraum- und Rückhaltebecken, die dort gebrochen sind, sogenannte Upstream-Dämme sind? Upstreamdämme, die um den Faktor 10 häufiger – das ist immerhin eine Potenz – brechen als Staudämme? Ja, das müsste Ihnen klar sein, denn zumindest der Brumadinho-Damm, tja, der wurde 1976 von Ihnen, von Thyssen geplant und errichtet. Im Laufe der Jahre wurde dieser Upstream-Damm in der Höhe immer weiter erweitert, auch noch unter Ihrer Regie. Haben Sie das Video des Bruchs von Brumadinho gesehen? War Ihr Eindruck nicht auch, dass die Bruchstelle im zentralen, unteren rechten (aus Blickrichtung) Dammbereich der Struktur geschah? Also genau dort, wo die alten, noch von Thyssen erreichteten Tailingdammstrukturen liegen. Ich möchte dazu Ihre Bewertung hören.
Zumindest sollte es Ihnen endlich die Überlegung wert sein, diejenigen Lieferanten auszuschließen, die weiterhin auf Upstream-Dämme setzen.
Dann hätte ich da noch eine Nachfrage: Im Zuge der Neuausrichtung der Rohstoffstrategie der deutschen Bundesregierung hat diese auch die Kriterien für die sogenannten Ungebundenen Finanzkredite (UFK) dahingehend geändert, dass die sogenannte Corporate Finanzierung nicht mehr an ein konkretes Investitionsvorhaben im Ausland gekoppelt sein muss, sondern dass ein langfristiger Abnahmevertrag mit dem Lieferanten genügt. In der jüngsten Vergangenheit wurden so Projekte mit einem Umfang bis zu insgesamt 4,4 Milliarden Euro abgesichert. Bitte nennen Sie mir die Höhe der im Rahmen dieses öffentlichen UFK-Programms für Sie, Thyssenkrupp, abgesicherten Langfristverträge, nennen Sie mir die Jahreszahl, das Produkt, die Menge, den Lieferanten, die Minen oder Fabriken, aus den die von Ihnen abgenommenen Produkte stammen – und kommen Sie mir bitte nicht mit Verschwiegenheits- und Vertraulichkeitsvereinbarungen, die Sie mit den Lieferanten getroffen hätten und kommen Sie mir bitte auch nicht mit dem ominösen Verweis auf Betriebs-und Geschäftsgeheimnisse, die es vor der Konkurrenz zu schützen gelte.
Weil: Wenn Sie dies nicht preisgeben wollen, dann schalten wir halt das Informationsfreiheitsgesetz ein, es geht hier immerhin um öffentliche Gelder, Steuergelder. So einfach geht das. Und wenn da dann auf einmal die Crème de la Crème der Umwelt- und Menschenrechtsdelinquenten in Ihrer Lieferantenliste auftaucht, was denken Sie, wie dann Ihre Publicity in Medien und öffentlicher Meinung ausschaut?
Zudem bitte ich Sie, mir bitte detailliert zu erläutern, wie Sie die von dem UFK-Programm geforderten IFC Performance Standards sowie die Environmental, Health und Safety Guidelines der Weltbank dabei in situ konkret anwenden und einzuhalten gedenken.
Im Übrigen, dies zum Abschluss, verstehe ich Ihre ewige Geheimniskrämerei uns gegenüber im Grunde eigentlich gar nicht. Sie müssten doch froh sein, dass wir Ihnen immer wieder den Spiegel vorhalten, Sie mit Nachdruck darauf hinweisen, wo Sie in Ihrer Produktions-, Liefer- und Abnehmerkette menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken haben. Denn diese sind letztlich auch immer ein massives Reputationsrisiko für Sie, wenn Ihnen das dann wieder einmal medial um die Ohren fliegt, weil etliche Ihrer Mitarbeiter*innen vor Ort eben nicht so den rechten Blick für Menschenrechte und Umwelt haben. Und dass wir in solchen Fällen hinreichend Mittel und Wege haben, diese Skandale an die Medien zu spielen und somit über Bande einer breiten Öffentlichkeit ausführlich bekannt zu machen, dies hat Ihnen unsere während zehn Jahren damals laufende Kampagne zu Ihrem Stahlwerk in Rio de Janeiro zu Genüge gezeigt. Also, Sie möchten einen Neustart? Dann fangen Sie mit Transparenz an, dann können wir reden. Miteinander Reden bildet – und Reden hilft. Auch Ihnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.