„Das Geld steht im Mittelpunkt, nicht der Mensch“: Rede von Tobi Rosswog

Auszüge aus der spontanen Impulsrede von Tobi Rosswog, u.a. Mit-Initiator des Projekthauses AMSEL44 in Wolfsburg:

„… ich danke Olli (Dr. Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen Group und von Porsche) für seine Ausführungen, wobei einiges klar gestellt werden muss:

Es braucht weniger Emotionen bei der Diskussion rund ums Auto! Das fordert Olli immer wieder in der Presse. Und da sind wir beieinander. Das braucht es: Weniger Emotion – mehr Ratio. Denn rational betrachtet, ergibt das Auto keinen Sinn.

Einige Zahlen verdeutlichen dies: 8 bis 9 Tote täglich, über 1.000 Verletzte. Wäre ein anderes Verkehrsmittel so dramatisch gefährlich, würde es sofort verboten werden. Im Autoland Deutschland mit BMW, Daimler und VW selbstverständlich nicht. Es gibt noch deutlich mehr Gründe, die zeigen: Wir haben nichts zu verlieren, sondern richtig viel zu gewinnen.

Auf der heutigen Versammlung werden in Werbespots höchst emotionale Bilder präsentiert. Wir sehen „Lilly und Mathilda“: Sind damit Kinder gemeint oder Autos? Sie machen deutlich: des Deutschen liebstes Kind ist das Auto. In Berlin gibt es 0,6 m2 eingezäunte Spielplatzfläche pro Kind, damit es beim Spielen vor den tödlichen Autos geschützt wird. 12 m2 sind es hingegen, die wir dem Auto zum Parken und damit zum Platz wegnehmen zubilligen. Das Auto ist das ineffektivste Verkehrsmittel. Es ist kein Fahr-, sondern ein Stehzeug: Von 24 Stunden des Tages bewegt es sich nur eine und dann sitzen durchschnittlich 1,1 Menschen drin. Rational ist das nicht begründbar.

Olli, du sagtest, VW decke „alle Mobilitätsformen“ ab. Ich sehe davon noch nichts, freue mich aber, dass die Aktionen in Wolfsburg Wirkung zeigen und dazu führen, an Fahrrad, Bahn und Bus zu denken. Diese Mobilitätsformen sind aktuell nicht im Portfolio. Oder Du verwechselst das Recht auf Mobilität mit dem Recht auf Autofahren. Aber das Auto ist nicht alles. Es gibt noch so viel mehr. Als wir das Protestcamp gegen die E-Autofabrik in Wolfsburg platzierten, war unser Slogan: Wir haben eine Utopie, Straßenbahn statt Trinity. Die neue Dreifaltigkeit: Straßenbahn, Busse und Lastenräder. Busse kann VW schon. Das andere dürfen wir noch gemeinsam lernen.

Olli prognostiziert, weitere 9,5 Millionen Autos in 2023 auf den Markt zu bringen. Es gibt bereits 48 Millionen zugelassene Autos auf deutschen Straßen. Dies sind deutlich zu viele, egal, ob sie mit Diesel, Benzin, eFuels, Strom oder Luft und Liebe fahren. E-Autos sind eine Scheinlösung. Wir brauchen eine Verkehrswende und keine Antriebswende. Um nicht falsch verstanden zu werden, sei gesagt: Die paar Autos, die wir dann noch brauchen werden für Feuerwehr, Handwerk oder Krankenwagen, können gerne elektrisch betrieben werden.

Es ist eine Farce, dass heute immer wieder das Wort Nachhaltigkeit in den Mund genommen wird, obwohl allen klar ist, dass hier weder sozial noch ökologisch Sinnvolles verhandelt wird. Vor ein paar Tagen – am 4. Mai – gab es den Überlastungstag für Deutschland, der das Überschreiten der ökologischen Grenzen markierte, den Raubbau an der gesamten Mitwelt und auch an den Menschen, die dafür ausgebeutet werden.

Deswegen ist es alles andere als verständlich, dass du, lieber Olli, mantrahaft von dir gibst, im Mittelpunkt stehe der Mensch. Lügen werden nicht wahrer, weil sie oft wiederholt werden. Also, das Geld steht im Mittelpunkt und nicht der Mensch. Die Stimme eines Menschen habe ich mitgebracht. Es ist Ziki, ein Kind aus dem Kongo, das für die Automobilindustrie ausgebeutet wird:

„Ich habe tiefste Traurigkeit in meinem Herzen, wenn ich an diese Menschen denke, die diese Mineralien kaufen. Sie machen so viel Geld damit und verändern nichts.“

Leben auf Kosten Anderer. Das darf so nicht bleiben. Damit kommen wir zum Geburtstagskind: Lieber Wolfgang, du willst heute wieder in den Aufsichtsrat gewählt werden und hast deinen Lebenslauf abgegeben. Der bedarf einer wichtigen Ergänzung und Korrektur. Denn wer bist du, Wolfgang Porsche? Zunächst bist du reichster Österreicher und hast so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Wie kann das sein? Wie hart du gearbeitet haben magst, wie effektiv und produktiv du warst, egal wie wenig du geschlafen hast, niemals wirst du so viel schaffen können wie 4,5 Millionen Menschen.

Wir stellen fest: Es ist ungerecht. Sehr gut brachte das Bertolt Brecht in einem Vierzeiler auf den Punkt:

„Armer Mann und reicher Mann,
standen da und sah’n sich an.
Sagte der arme kreidebleich:
Wär ich nicht arm, wärst Du nicht reich.“

Das ist die strukturelle Ungerechtigkeit des Kapitalismus. Wichtig ist mir zu sagen: Das ist nicht deine Schuld, lieber Wolfgang. Du hast Geld und Macht geerbt. Du bist 1943 während des Zweiten Weltkriegs geboren. Dein Großvater, der angeblich ‘geniale Konstrukteur’ Ferdinand Porsche, wurde 1938 von Adolf Hitler beauftragt, bei Fallersleben eine Musterstadt für Auto und Arbeit zu errichten. Dein Großvater war nicht der geniale Konstrukteur, sondern ein Profiteur und Kriegsverbrecher, in dessen Fabrik 20.000 Zwangsarbeiter*innen Rüstungsgerät produzierten. Als es 1945 für Kriegsverbrecher ungemütlich wurde, ging Ferdinand Porsche mit der gestohlenen Gewerkschaftskasse nach Österreich, wo die Familie heute noch ihren Sitz hat. Darauf bauen dieser Reichtum und diese Macht auf. Und auch das darf so nicht weitergehen.

Wir müssen die soziale und ökologische Frage zusammendenken, damit aus Wolfsburg kein Detroit wird. Der Wandel wird kommen: by disaster or by design. Fahren wir den Karren an die Wand oder lenken wir ihn um?

Letzteres ist noch möglich in zwei Schritten:

  1. Konversion: Umbau von VW vom Automobilkonzern zur Mobilitätsfabrik. Straßenbahnen, Busse und Lastenräder statt Autos. Das wirft keine hohen Renditen ab.
  2. Vergesellschaftung: VW für alle. Wir können uns Wolfgang und das Emirat Katar nicht länger leisten.

Das ist nichts Revolutionäres oder gar Neues. Jörg (Hofmann), im Aufsichtsrat für und Vorsitzender der IG Metall, wird sich an die eigene Satzung erinnern:

„…Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum;“
IG Metall Satzung, § 2 Absatz 4

Lasst uns loslegen. Olli bedient sich der Metapher der Renovierung des Hauses. Es sei schon viel passiert. Ich sehe davon nichts und erinnere an Erich Mühsam:

„Warum das Dach flicken, wenn das Fundament morsch ist? Wir brauchen den Komplettumbau“.

Genau das braucht es jetzt. Alles ändern. Gemeinsam. Solidarisch. Kämpferisch. Mit einer Prise Utopie. Und damit ende ich mit Arundhati Roy, die einst so kraftvoll sagen konnte:

„Eine andere Welt ist bereits am Entstehen. An leisen Tagen kann ich sie sogar atmen hören.“

Herzlichsten Dank!

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