„Erkennen Sie Ihre Mitverantwortung an den Verbrechen im Fall Ayotzinapa an!“: Rede von Charlotte Kehne

Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre,
sehr geehrte Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats,

mein Name ist Charlotte Kehne, ich spreche für die Organisation Ohne Rüstung Leben und die Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch zu den Tagesordnungspunkten 3 und 4. Vorab: Wir empfehlen Ihnen, gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat zu stimmen.

Wie komme ich zu dieser Empfehlung?

Zunächst möchte ich, wie bereits im vergangen Jahr, auf die Verbindung zwischen illegalen G36-Exporten nach Mexiko und den Verbrechen im Fall Ayotzinapa eingehen. Diese Verbindung ist Ihnen basierend auf der umfangreichen medialen Berichterstattung sicherlich bekannt. Gerne führe ich Ihnen diese jedoch nochmals vor Augen:

In der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 griffen Sicherheitskräfte in Iguala im mexikanischen Bundesstaat Guerrero einen Bus an, in dem Lehramtsstudenten der pädagogischen Hochschule Ayotzinapa unterwegs waren. Sechs Personen starben, Menschen wurden teils schwer verletzt und 43 Studenten fielen der Praxis des »Verschwindenlassens« zum Opfer. Ihr Fall ist bis heute nicht aufgeklärt. Einem Studenten, Aldo Gutiérrez Solano, wurde in dieser Nacht in den Kopf geschossen. Er liegt seitdem im Koma. Bei den anschließenden Ermittlungen zu diesem Fall wurden bei involvierten Sicherheitskräften Gewehre dieses Unternehmens sichergestellt, die laut den offiziellen Genehmigungen nie nach Guerrero hätten gelangen dürfen. 38 der beschlagnahmten Waffen sind Sturmgewehre des Typs G36, mit sieben davon wurde in der Nacht geschossen. Auch am Tatort, an dem Aldo niedergeschossen wurde, wurden Patronenhülsen gefunden, die für diese Waffen benutzt werden.[1]

Am 21. Februar 2019 wurde im Fall des Verdachts illegaler Exporte nach Mexiko das Urteil vor dem Landgericht Stuttgart gefällt. Das Urteil bestätigte, ja: es handelte sich um illegale Waffenexporte! Die Folgen der illegalen G36 Exporte nach Mexiko – wobei Ayotzinapa nur eines von wahrscheinlich mehreren Beispielen ist, bei denen H&K-Gewehre bei Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen zum Einsatz kamen[2] – wurden dort leider nicht verhandelt.

Doch die fatalen Konsequenzen, die die exportierten Gewehre im Empfängerland hervorrufen, dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Ich fordere den Vorstand deshalb abermals auf, eine Mitverantwortung Heckler & Kochs an den Verbrechen im Fall Ayotzinapa anzuerkennen. Dabei möchte ich den Vorstand empfehlen, seine letztjährige Position grundlegend zu überdenken. Denn letztes Jahr bedauerte der Vorstand die Verbrechen zwar und bezeichnete diese als „tragisch“, eine Mitverantwortung verneinte der Vorstand jedoch. Vielmehr wurde von ihrer Seite argumentiert, dass H&K-Waffen vielerorts in den richtigen Händen helfen würden, Verbrechen zu verhindern. Das war ein mehr als zynisches Signal an die Betroffenen und Angehörigen der Opfer von Iguala.[3]

Meine Damen und Herren,

zudem möchte ich auf die Geschäftspraxis Heckler & Kochs in den USA eingehen. Heckler & Koch stuft die USA als grünes Land ein. Auf 100 Einwohner*innen der USA kommen nach Angaben des Small Arms Survey durchschnittlich 120,5 Schusswaffen.[4] Für Heckler & Koch sieht so der „mit Abstand wichtigst[e] Zivilmarkt der Welt“[5] aus. Doch es sprechen viele Aspekte dafür, dass dies kein grüner, sondern ein tief roter Markt ist.

Schusswaffen sind die Ursache für über die Hälfte aller gewaltsamen Tode in den USA.[6] Zudem wurden nach einer Analyse des Center for American Progress 70 Prozent der über 105.000 Handfeuerwaffen, die von Strafverfolgungsbehörden im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung in Mexiko von 2011 bis 2016 festgestellt und zur Rückverfolgung vorgelegt wurden, ursprünglich von einem lizenzierten Waffenhändler in den Vereinigten Staat gekauft.[7] Inwiefern fließt die evidente Gefahr des illegalen Waffenhandels zwischen den USA und Mexiko in die Bewertung der USA als „grünes Land“ ein? Wenn dies nicht der Fall ist, erklären Sie bitte warum nicht?

Darüber hinaus möchte ich noch einige in Bezug auf die Rüstungsexportkontrolle relevante Nachfragen zu den Heckler & Koch Standorten in den USA stellen. Sig Sauer, einer ihrer Konkurrenten im Kleinwaffensegment, hat seine Produktion weitgehend in die USA verlagert. Dort trifft er auf ein politisches Umfeld in dem es, im Vergleich zu Deutschland leichter ist, in Drittstaaten zu exportieren. Wird es perspektivisch bei Heckler & Koch ebenfalls zu einer Verlagerung der Produktion in die USA kommen? Welche H&K-Produkte werden derzeit an US-Standorten in welchem Umfang produziert und welche Produkte sollen zukünftig an diesen Standorten produziert werden? Wie hoch ist der Anteil der in den USA produzierten H&K-Waffen für das Jahr 2018, gemessen an der Gesamtproduktion der H&K AG? Welchen Produktionsumfang (aufgeschlüsselt nach Produktionsleistung, Beschäftigtenzahl und Anteil an der Gesamtproduktion der H&K AG) plant Heckler & Koch in den kommenden 5 Jahren für seine US-Standorte, welchen für seinen Standort in Deutschland?

Auf der Website guns.com wurde ihre Sprecherin Angela Harrell, angesprochen auf die Frage, wie die deutsche Qualität auch in der US-Produktion gewahrt bleibt, mit folgendem Satz zitiert: “We have brought German engineers over from Germany. So, we have brought one of the G36 designer engineers in the U.S. and then we’re also rotating designers. They’ll come over and stay a year and then go back and then kind of rotate through”[8]. Gleichzeitig wird im Konzernlagebericht von „speziell für den U.S.-Zivilmarkt entwickelten Neuprodukten“[9] gesprochen. Kommt es derzeit zur Produktion oder Entwicklung von Waffentypen in den USA, die keine deutschen Technologierechte beinhalten und somit für den Export aus den USA heraus keinerlei Genehmigungen aus Deutschland benötigen? Wie viele deutsche Ingenieur*innen bzw. Produktdesigner*innen arbeiteten im Jahr 2018 dauerhaft oder temporär am US-Standort in Georgia? Wird das von Angela Harrell angesprochene Einjahres-Ingenieur-Rotations-Programm auch zukünftig durchgeführt?

Bisher wurde von Seiten des Vorstands betont, dass die Standorte in den USA lediglich den US-Markt bedienen und über sie keine Rüstungsexporte getätigt werden sollen.[10] Trifft dies weiterhin zu? Wenn dies nicht der Fall ist, nennen Sie bitte die Empfängerländer und beantworten Sie die Frage, ob die Grüne-Länder-Strategie auch für alle Tochterunternehmen gilt. Dass die Belieferung des US-Markts an sich kritikwürdig ist habe ich bereits ausgeführt. US-Standorte als Hintertür für den Export von Waffen in „nicht-grüne“ Länder zu nutzen, stellt eine weitere Sorge dar, die mit der Expansion Heckler & Kochs im US-amerikanischen Raum einhergeht. Wird der Vorstand an seiner Position, die US-Standorte nicht zum Export in andere Länder außerhalb der USA zu nutzen festhalten, auch wenn der finanzielle Druck auf das Unternehmen steigt? Wie schließen sie generell aus, dass H&K-Waffen aus der USA heraus weiterexportiert werden?

Meine weiteren Fragen:

  1. Der Umsatz des Unternehmens stieg im Vergleich zum Jahr 2017 von rund 182 Mio. € auf knapp 221 Mio. €. Laut den Angaben des Konzernlageberichts fielen rund 77 Mio. € auf das Inland, 33,5 Mio. € auf sonstige „grüne Länder“ und 16,4 Mio. € auf den „Rest der Welt“.[11]
    a) Auf welche Geschäfte mit welchen Waffentypen und Empfängerländern geht dieser Umsatz mit den „sonstigen grünen Ländern“ zurück? Bitte führen Sie den Umsatzanteil, der auf die Länder, die zu „sonstigen grünen Ländern“ zählen, jeweils pro Land, aufgeschlüsselt nach Waffentypen, auf.
    b) Auf welche Geschäfte mit welchen Waffentypen und Empfängerländern geht dieser Umsatz mit dem „Rest der Welt“ zurück? Bitte führen Sie den Umsatzanteil, der auf die Länder, die zum „Rest der Welt“ zählen, jeweils pro Land, aufgeschlüsselt nach Waffentypen, auf.
  2. Ist die Errichtung weiterer H&K-Produktionsstandorte außerhalb Deutschlands geplant?
  3. Wie begründete Heckler & Koch die eingereichte Revision gegen das Urteil vom Landgericht Stuttgart vom 21. Februar 2019?
  4. Ist Mexiko aktuell ein „grünes Land“? Wenn dies nicht der Fall ist, welche Kriterien sprechen dagegen?
  5. In der letztjährigen Hauptversammlung kündigte der Vorstand die Erarbeitung eines Konzepts an, welches sozial-verantwortliche Maßnahmen im Rahmen der Corporate Social Responsability umfasst.[12] Wie weit ist dieser Prozess vorangeschritten und wann können die Aktionär*innen die Ergebnisse einsehen?
  6. Werden für die Produktion des HK MR762A1 in Columbus, Georgia noch Zulieferungen deutscher Komponenten benötigt?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!


[1] https://www.torial.com/wolf-dieter.vogel/portfolio/326115 und https://www.zeit.de/2018/31/mexiko-heckler-koch-ruestung-waffen-lieferung-massaker/seite-2

[2] Das G36 landete beispielsweise auch in den Händen eines mexikanischen Drogenkartells https://www.zeit.de/2015/38/mexiko-bundesregierung-export-g36-heckler-koch/komplettansicht, Bereits 2011 trugen Beamte in Guerrero G36 bei einem Einsatz gegen Ayotzinapa-Studenten, bei dem zwei der Lehramtsanwärter starben, https://taz.de/Morde-an-Studenten/!5502021/.

[3] https://www.ohne-ruestung-leben.de/nachrichten/article/heckler-koch-hauptversammlung-2018-kritische-aktionaere-mexiko-256.html

[4] http://www.smallarmssurvey.org/fileadmin/docs/T-Briefing-Papers/SAS-BP-Civilian-Firearms-Numbers.pdf, S. 4

[5] Konzernlagebericht für das Geschäftsjahr 2018 der H&K AG, Oberndorf/Neckar, S. 18

[6] http://www.smallarmssurvey.org/fileadmin/docs/U-Reports/SAS-Report-GVD2017.pdf, S. 53

[7] https://www.americanprogress.org/issues/guns-crime/reports/2018/02/02/445659/beyond-our-borders/

[8] https://www.guns.com/news/2018/01/25/hecker-koch-drops-prices-adds-new-colors

[9] Konzernlagebericht für das Geschäftsjahr 2018 der H&K AG, Oberndorf/Neckar, S. 18

[10] https://www.deutschlandfunk.de/heckler-koch-mit-neuem-geschaeftsmodell-waffen-nur-fuer.724.de.html?dram:article_id=402903

[11] Konzernlagebericht für das Geschäftsjahr 2018 der H&K AG, Oberndorf/Neckar, S. 7

[12] https://www.ohne-ruestung-leben.de/nachrichten/article/heckler-koch-hauptversammlung-2018-kritische-aktionaere-mexiko-256.html

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