Heckler & Koch-Prozess: Bundesregierung und Kleinwaffenhersteller müssen massive Mitverantwortung anerkennen

  • Nichtregierungsorganisationen sehen im Prozess gegen ehemalige Mitarbeitende der Firma Heckler & Koch wegen illegaler Waffenexporte nach Mexiko historische Bedeutung, um auf Verantwortung deutscher Waffenexporteure hinzuweisen.
  • Beobachtung des Heckler & Koch-Prozesses lässt den Schluss zu: Auch die Genehmigungsbehörden hätten auf die Anklagebank gehört.  
  • Die Nichtberücksichtigung der Opfer prägt den Prozess. Die Zulassung der Nebenklage von Betroffenen hätte die wahren Konsequenzen der Waffenexporte in Mexiko deutlich gemacht.
  • Die Firma Heckler & Koch muss ihre massive Mitverantwortung anerkennen und einen Fonds zugunsten der Opfer des Heckler & Koch-Waffeneinsatzes gründen.
  • Eventuelle Strafzahlungen sollten der Menschenrechtsarbeit in Mexiko zu Gute kommen.

Rund zehn Monate nach Beginn der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Stuttgart wird am kommenden Donnerstag, den 21. Februar 2019, das Urteil im Prozess gegen ehemalige Mitarbeitende des Waffenherstellers Heckler & Koch erwartet. Angestoßen wurde das Verfahren wegen illegaler Exporte von G36-Sturmgewehren nach Mexiko durch Strafanzeigen des Rüstungsgegners Jürgen Grässlin, Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros sowie Bundessprecher der DFG-VK, und seines Rechtsanwalts Holger Rothbauer. Alle unterzeichnenden Nichtregierungsorganisationen und Bündnisse begrüßen, dass der Kleinwaffenhersteller aus Oberndorf dadurch erstmals im Rahmen eines Gerichtsprozesses Stellung zu seiner skrupellosen Geschäftspraxis beziehen musste.

Von 2006 bis 2009 sollen tausende Sturmgewehre vom Typ G 36, Maschinenpistolen sowie Zubehörteile in mexikanische Bundesstaaten gelangt sein, deren Menschenrechtslage so kritisch war, dass sie vom Auswärtigen Amt als nicht belieferungsfähig angesehen wurden. Heckler & Koch wusste von der Absicht, dass die Waffen an diese Bundesstaaten weitergeleitet werden sollten. Auf dem Papier wurde jedoch im Zusammenwirken mit den Genehmigungsbehörden ein scheinbar sauberes Geschäft vorgetäuscht. Die Genehmigungsbehörden erlaubten den Export der Sturmgewehre nach Mexiko auf Basis von sogenannten Endverbleibserklärungen. In diesen waren als Empfänger nur mexikanische Bundesstaaten aufgeführt, die als unproblematisch galten. Eine der Kernfragen des Gerichtsverfahrens ist nun, ob diese Endverbleibserklärungen überhaupt Teil der Genehmigung sind, und ob damit ein Export an die als nicht belieferungsfähig bewerteten Bundesstaaten rechtlich explizit ausgeschlossen wurde. Der Vorsitzende Richter äußerte im Verlauf des Prozesses mehrmals Zweifel daran.

Jürgen Grässlin erstattete Strafanzeige wegen illegalen Waffenhandels.

Damit wird das Urteil im Heckler & Koch-Prozess zur Nagelprobe für die gesamte deutsche Rüstungsexportkontrolle: Bislang wird von Seiten der Bundesregierung stets argumentiert, Endverbleibserklärungen seien Teil einer Rüstungsexportgenehmigung und könnten sicherstellen, dass aus Deutschland exportierte Waffen nicht an unerwünschte Empfänger weitergegeben würden. Der Angriff von Polizeikräften und weiteren bewaffneten Gruppen auf Studenten der Lehramtsuniversität Ayotzinapa im September 2014 im mexikanischen Iguala, Bundesstaat Guerrero, ist einer der tragischen Fälle, die das Gegenteil zeigen. Bei dem Angriff wurden nachweislich auch G 36-Gewehre eingesetzt, die gemäß der offiziellen Genehmigungen nicht in Guerrero sein durften.

Besonders beunruhigend dabei: Ein solches Risiko wird im für die Rüstungsexportkontrolle federführenden Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) anscheinend ganz bewusst eingegangen. Ein als Zeuge vernommener Beamter des Ministeriums bestätigte mit den Worten „Fort ist fort“, was von Nichtregirungsorganisationen bereits seit Jahren kritisiert wird. Nach dem Export von Waffen ist überhaupt keine Kontrolle mehr möglich. Zudem betonte der Zeuge, man sei das Ministerium für Wirtschaft und suggerierte damit, im Zweifel nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten über Rüstungsexporte zu entscheiden. Dies ist ein beunruhigendes Selbstverständnis für eine Behörde, die in einem solch heiklen Bereich als federführendes Kontrollorgan fungieren soll. Der Prozess zeigt, dass ein Weiter so in der deutschen Rüstungsexportkontrolle nicht haltbar ist. Als ersten Schritt bedarf es einer grundlegenden Reform der Kleinwaffenexportpraxis und der Verabschiedung eines Rüstungsexport-Kontrollgesetzes.  

Anlässlich des erwarteten Urteils im Heckler & Koch-Prozess betonen die stellungnehmenden Nichtregierungsorganisationen, dass Mexiko nie mit deutschen Waffen hätte beliefert werden dürfen: Schon damals war das Land geprägt von Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Straflosigkeit. Sie kritisieren zudem aufs Schärfste, dass die Frage nach einer Mitverantwortung der Genehmigungsbehörden im Prozess nicht behandelt und die Opfer der illegalen Exportpraxis zu keinem Zeitpunkt berücksichtigt wurden. Die vom ECCHR beantragte Akteneinsicht im Hinblick auf eine Zulassung zur Nebenklage der Angehörigen des Studenten Aldo Gutiérrez aus Ayotzinapa, der bis heute im Koma liegt, wurde vom Gericht nicht zugelassen. Heckler & Koch selbst direkt in die strafrechtliche Verantwortung zu nehmen, war wegen des fehlenden Unternehmensstrafrechts in Deutschland zudem nicht möglich.

Das Unternehmen ist jedoch als Drittbegünstigter im Verfahren vertreten, da es von Straftaten der Mitarbeitenden profitieren konnte. Sofern das Gericht der Argumentation der Staatsanwaltschaft folgt, muss Heckler & Koch den Bruttokaufpreis der Waffen, die in die nicht belieferungsfähigen Bundesstaaten gelangten, als Strafzahlung leisten. Diese würde sich auf eine Höhe von bis zu 4,1 Mio. Euro belaufen. Im Falle einer Strafzahlung durch das Unternehmen sowie Bußgeldauflagen für Angeklagte fordern die Nichtregierungsorganisationen, das Geld der Menschenrechtsarbeit in Mexiko zu Gute kommen zu lassen. Zudem fordern sie die Firma Heckler & Koch auf, einen Fonds zugunsten der Opfer des Heckler & Koch-Waffeneinsatzes zu gründen.

Das begangene Unrecht kann nicht wieder gut gemacht werden, aber es geht um die Anerkennung von massiver Mitverantwortung – sowohl der Firma Heckler & Koch als auch der deutschen Genehmigungsbehörden.

Wir fühlen uns den Opfern der skrupellosen Geschäftspraxis sowie der skandalösen Exportpolitik und ihren Angehörigen verbunden und rufen für den 21. Februar 2019 vor Beginn der Urteilsverkündung zu einer Mahnwache für sie vor dem Stuttgarter Landgericht auf (Olgastraße 2, 70182 Stuttgart, 8:30 bis 9:15 Uhr).

Pressekontakte:

  • Jürgen Grässlin, RIB e.V., DFG-VK, Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!, Mob.: 0170-6113759, jg@rib-ev.de, www.gn-stat.org, www.rib-ev.de  
  • Holger Rothbauer, DEHR-Anwälte Tübingen, Tel.: 07071-1504949, Mob.: 0173-6577693
  • Charlotte Kehne, Ohne Rüstung Leben, Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!, Tel.: 0711-62039372, Mob.: 0162-5784235, orl-kehne@gaia.de, www.ohne-ruestung-leben.de
  • Carola Hausotter, Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko, Tel.: 0711-57646879,
  • hausotter@mexiko-koordination.de, www.mexiko-koordination.de

Interviews während der Mahnwache am 21. Februar 2019 zwischen 8:30 und 9:15 Uhr vor dem Landgericht Stuttgart, Olgastraße 2, 70182 Stuttgart.

Stellungnahme von „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Dachverband Kritische Aktionäre, Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko, DFG-VK Bundesverband, European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), GLOBAL NET – STOP THE ARMS TRADE, Ohne Rüstung Leben, pax christi und RüstungsInformationsBüro zur bevorstehenden Urteilsverkündung im Heckler & Koch-Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht am 21. Februar 2019

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