Ohne Haftung keine Wirkung

Protest für Transparenz und Achtung der Menschenrechte in Lieferketten anlässlich der BASF-Aktionärsversammlung 2020

Zu lange konnten Unternehmen wie BASF ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten nur halbherzig nachkommen, denn Konsequenzen mussten sie nicht fürchten. Nun treten verschiedene Initiativen für gesetzliche Regelung auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene in entscheidende Phasen. Anhand der Haftungsfrage wird sich zeigen, ob die Wirtschaft oder die Zivilgesellschaft ihre Forderungen durchsetzen konnte.

Der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft weiß genau, bei welchem deutschen Bundesministerium die eigenen Interessen am besten durchgesetzt werden können. Es ist nicht – was für einen Außenwirtschaftsverband nahe liegend könnte – das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) oder das Außenministerium (AA), sondern das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Empört schrieb der Verein, bei dem auch BASF Mitglied ist, 2019 direkt an das BMWi, nun in veröffentlichten Dokumenten einsehbar: „Der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft fordert die Bundesregierung auf, sich eindeutig von dem im BMZ vorliegenden Entwurf für ein sogenanntes Wertschöpfungskettengesetz zu distanzieren.“ In seiner Reaktion ließ das BMWi wissen, dass man zuversichtlich sei, eine dem „gemeinsamen menschenrechtlichen Anliegen als auch den Interessen der deutschen Unternehmen gerecht werdende Lösung zu finden.“

Folgenlose Freiwilligkeit

Bisher sah die „gemeinsame Lösung“ bloße freiwillige Maßnahmen vor, wie deutsche Unternehmen ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nach Vorgaben der Vereinten Nationen (UN) nachkommen sollen. Bloß keine einheitlichen, verbindlichen Regeln für alle. Die Folge ist bisher ein Flickenteppich an Initiativen, mal in Bezug auf einen Rohstoff, mal in Bezug auf eine Branche, mit der Unternehmen versuchen, ihr Engagement für Menschenrechte eher werbewirksam der Öffentlichkeit zu vermitteln, anstatt mehr Transparenz über die Zustände in den eigenen Lieferketten zu schaffen.

Mit der Kampagne „Plough Back the Fruits“ haben wir dieses Problem anhand der Platin-Lieferkette von BASF deutlich gemacht. BASF sollte darauf hinwirken, dass die in der südafrikanischen Mine Marikana arbeitenden Bergleute, welche das Platin für die BASF-Katalysatoren gewinnen und damit die Grundlage für die Einhaltung von Umwelt- und Gesundheitsstandards für die Automobilindustrie sicherstellen, Zugang zu Wasser und Löhne erhalten, die ihre Existenz und die ihrer Familien sichern. Generell sollte der weltgrößte Chemiekonzern sich darum kümmern, dass Sozialstandards und grundlegende Menschenrechte auf Gesundheit, Arbeit oder Arbeitssicherheit gewahrt werden.

Bisher hat BASF die Durchführung mehrerer externer Audits erwirkt, deren Ergebnisse nicht öffentlich sind. Die Situation vor Ort hingegen hat sich nicht entscheidend verbessert. Immer mehr Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Audits selbst Mängel, die zu größeren Katastrophen führten, nicht hinreichend adressiert haben. Oftmals ist die Abhängigkeit der Auditoren von ihren Auftraggebern ein Problem, da diese zukünftigen Aufträge vergeben. Es ist klar, dass ohne fließend Wasser und sanitäre Einrichtungen schon grundlegende Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in den Bergbau-Gemeinden Südafrikas nicht umsetzbar sind. Ob, welche und wie Arbeits- und Sozialstandards in den BASF-Audits mit welchen Ergebnissen geprüft werden, ist alles andere als transparent. Selbstverständlich ist BASF nicht allein für die Situation in Marikana verantwortlich. Aber hinsichtlich der Transparenz und Wirkung der bisherigen Audits ist BASF klar in der Verantwortung, denn zu lange hat man die untragbaren Verhältnisse hingenommen, und BASF selbst bestreitet den eigenen Einfluss auf die Zulieferer auch jenseits von Audits nicht.

Schon bei den Berichtspflichten gescheitert

Wie alle anderen global agierenden Konzerne hat BASF aber eine klare Berichtspflicht gemäß dem 15. Leitprinzip der UN für Wirtschaft und Menschenrechte, „Auswirkungen auf die Menschenrechte zu ermitteln, zu verhüten und zu mildern sowie Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie diesen begegnen“.

Dass deutsche Unternehmen wie BASF diese und andere UN-Anforderungen für die Achtung von Menschenrechten freiwillig nicht ausreichend erfüllen, ist mehrfach belegt. Die deutsche Bundesregierung wollte es aber nochmal genau wissen und ließ Unternehmen erneut befragen, ob sie sich freiwillig an menschenrechtliche Standards halten würden.

Dieses „Monitoring“ im Rahmen des Nationalen Aktionsplans (NAP) Wirtschaft und Menschenrechte wiederrum rief die Wirtschaftslobby wie den eingangs erwähnten Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft auf den Plan. Über ihre Kontakte zum Wirtschaftsministerium gelang es diesen Lobbyisten zum Teil, die Kriterien abzuschwächen, ab wann ein Unternehmen die Standards einhält und den Test bestehen würde. Das erst kürzlich vollständig mitgeteilte Ergebnis ist trotzdem ein Armutszeugnis für die zuvor von den Unternehmen so gepriesene Freiwilligkeit: Nur 13 bis 17 Prozent der befragten Unternehmen erfüllen die niedrigen Anforderungen des NAP vollständig.

Schon im aktuellen Koalitionsvertrag hatten sich die Regierungsparteien darauf verständigt, dass im Fall einer derart geringen Einhaltung von menschenrechtlichen Standards eine gesetzliche Regelung folgen würde. Dabei wäre die Bundesregierung schon damit zufrieden gewesen, wenn nur die Hälfte der Unternehmen die Anforderungen erfüllt hätte. Um ein Gesetz, dass nun tatsächlich in Arbeit ist, zu verhindern, hätten die Wirtschaftsverbände besser bei ihren Unternehmen lobbyiert als bei den Ministerien.

Haftungsfrage: Knackpunkt und Missverständnis zugleich

Aus demokratisch-rechtsstaatlicher Perspektive ist eine gesetzliche Regelung ohnehin sinnvoll, auch wenn wünschenswerterweise alle Unternehmen die UN-Standards einhalten würden: Gemäß den UN-Leiprinzipien müssen Unternehmen nämlich nicht nur transparent berichten, sondern auch über Verfahren verfügen, „die die Wiedergutmachung etwaiger nachteiliger menschenrechtlicher Auswirkungen ermöglichen, die sie verursachen oder zu denen sie beitragen“.

Damit im Streitfall auch juristisch geklärt werden kann, ob, wann, für wen und wie solche Wiedergutmachungen umzusetzen sind, braucht es gesetzliche Regeln – in einem demokratisch verfassten Rechtsstaat sollte dies selbstverständlich sein. Schon 2018 hatte der UN-Sozialausschuss Deutschland dazu aufgefordert, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, damit Unternehmen auch bei Missachtung der Sorgfaltspflichten haftbar gemacht werden können.

Dies ist der entscheidende Punkt, warum die hiesige Unternehmenslobby ein Lieferkettengesetz verhindern möchte. So fürchtet etwa besagter Afrika-Verein, dass Unternehmen für das Verhalten Dritter, sprich: von ihren Geschäftspartnern, verantwortlich gemacht würden. Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), wähnte sich gar bald „mit beiden Beinen im Gefängnis“.

Um das Missverständnis gleich aus dem Weg zu räumen: Niemand will Unternehmen für das Verhalten von Dritten haftbar machen. Es geht um eine zivilrechtliche Haftung für ein Unternehmen, das seinen eigenen menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht nachkommt. Nur dann könnten Betroffene von Menschenrechtsverletzungen vor deutschen Gerichten Schadensersatz von dem Unternehmen einklagen.

Die Wirtschaftslobby hat diesen Umstand sowohl in der öffentlichen als auch der vertraulichen Kommunikation nie deutlich gemacht, was eigentlich nur zwei Schlüsse zulässt: Entweder sie haben sich nicht genau mit den UN-Leitprinzipien, den Forderungen der Zivilgesellschaft oder den vorliegenden Gesetzentwürfen auseinandergesetzt. Oder sie haben darauf gesetzt, dass dies auch niemand anderes tut und das „Beide-Beine-im-Gefängnis“-Totschlagargument jegliche ernsthafte Gesetzesinitiative im Keim ersticken würde.

Seit Jahren laufen auf nationaler, aber auch auf europäischer und internationaler Ebene Prozesse, gesetzliche Regeln zu schaffen, die neben der Haftungsfrage auch Berichtspflichten betreffen. Großbritannien schuf bereits 2015 mit dem Modern Slavery Act einheitliche Berichtspflichten, wie Unternehmen offenlegen müssen, wie sie gegen Menschenhandel und Zwangsarbeit in ihrer Lieferkette vorgehen. Frankreich folgte 2017 mit einem Gesetz, bei dem eine Verletzung der Sorgfaltspflichten im Schadensfall zur Haftung gegenüber Betroffenen führen kann – allerdings nur bei Unternehmen mit mindestens 5.000 Mitarbeiter*innen.

Entscheidende Phase – national wie international

Auch die kürzlich bekannt gewordenen Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz in Deutschland sehen eine zivilrechtliche Haftung vor. Demnach würden Unternehmen nur bei nachweisbaren, unangemessen Sorgfaltspflichtverletzungen für Schäden haften müssen, und dann auch nur im Fall von vorhersehbaren und vermeidbaren Menschenrechtsverletzungen. Gerichte müssten dann entscheiden, was im Einzelfall als angemessen gelten soll. Die Initiative Lieferkettengesetz befürchtet jedoch zu Recht, dass es für Geschädigte schwer werden dürfte, Sorgfaltspflichtverletzungen nachzuweisen. Denn nicht das angeklagte Unternehmen, sondern die Geschädigten selbst müssten den Beweis dazu erbringen – und die haben keinen Zugang zu unternehmensinternen Prozessen. Hier sollte die Beweislast beim Unternehmen liegen.

Es ist davon auszugehen, dass die Wirtschaftsverbände ihre Anstrengungen nun darauf konzentrieren, solche sinnvollen Regelungen bei der Haftung nicht in das Gesetz einfließen zu lassen. Längst geht es nicht mehr um das Pro und Contra einer gesetzlichen Regelung, sondern um die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes, damit es überhaupt eine Wirkung auf Unternehmenshandeln haben kann. Aber auch an anderer Stelle zeigt sich Nachholbedarf: So ist keine eigenständige umweltbezogene Sorgfaltspflicht vorgesehen, und Menschenrechte werden auf Verletzungswahrscheinlichkeiten reduziert, statt alle international anerkannten Menschenrechte einzubeziehen. Selbst die etablierten UN-Standards werden unterboten, da weder die Einbeziehung von Stakeholdern noch Wiedergutmachungen erwähnt werden.

Beim Thema der Berichtspflichten hingegen betonen die Verbände, aber auch immer mehr Konzerne, die Vorteile einer europäischen Regelung. So befürwortet neben Bayer oder Adidas nun auch BASF ein europäisches Lieferkettengesetz, denn national unterschiedliche Berichtspflichten sind ihnen schon jetzt ein Dorn im Auge.

Es ist dabei unbestritten, dass eine international einheitliche Regelung sinnvoll ist – darum bemüht sich die Zivilgesellschaft auch über Grenzen hinweg um ein „Binding Treaty“, ein internationales Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte, welches die UN-Leitprinzipien verbindlich machen würde. Dass der Prozess seit Jahren stockt, liegt auch an der Weigerung der deutschen Bundesregierung, sich unterstützend daran zu beteiligen. Schließlich, so die perfide Argumentation, hatte man bisher noch keinen Nachweis darüber, dass die freiwilligen Maßnahmen der Unternehmen nicht doch wirken.

Diese Ausrede kann nun nicht mehr gelten, denn schließlich befindet sich die Bundesregierung nun in einem selbst initiierten Gesetzgebungsprozess. Damit kommt Deutschland auf UN-Ebene nun eine besondere Verantwortung zu, die derjenigen auf EU-Ebene durch die aktuelle Ratspräsidentschaft in nichts nachsteht. Dies zeigt, weshalb es für die Zivilgesellschaft strategisch nötig war, in den letzten Monaten alle Kräfte auf eine nationales Lieferkettengesetz zu legen.

Bei all dem dürfen die politischen oder zivilgesellschaftliche Initiativen aber nie die konkreten Realitäten in den globalen Lieferketten und die Bedürfnisse der betroffenen Menschen aus dem Blick verlieren. Diese sollen im Mittelpunkt bleiben und nicht die Klagen gegen Unternehmen. Letztere haben leider nun selbst lange genug unter Beweis gestellt, dass es ohne verbindliche Haftungsregeln nicht geht. Dies wird wohl Klagen in der Zukunft unvermeidbar machen.

Von Tilman Massa, Dachverband Kritische Aktionärinnen und Aktionäre
zuerst erschienen im Newsletter August 2020 der Kampagne Plough Back The Fruits

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