Die Räumung von Lützerath: 35.000 Menschen bei Großdemo

Nichtregierungsorganisationen fordern Moratorium für den Ort am Rande des Tagebaus Garzweiler und kritisieren Polizeigewalt / Widerstand in der Region hält auch nach Zerstörung von Lützerath an

Widerstand in „Mordor“: Demonstrant*innen kamen dem RWE-Monster am 14. Januar sehr nahe. (Foto: Herbert Sauerwein)

Lützerath, der kleine Ort am Tagebau Garzweiler, ist geräumt und weitgehend von Baggern des RWE-Konzerns zerstört. Um das Abbaggern der ergiebigen Braunkohleflöze unter Lützerath zu vermeiden, verlangen zahlreiche Organisationen, darunter auch der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, die Aufnahme neuer Verhandlungen zwischen der NRW-Landesregierung und dem Kohlekonzern RWE. Wissenschaftler*innen verweisen darauf, dass ein Abbau der Braunkohle unter Lützerath für eine technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig sei.

An der Großdemo „Auf nach Lützerath!“ am 14. Januar nahmen nach Angaben der Veranstalter 35.000 Menschen teil. Bei Regenwetter und starken Windböen ermutigte die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg die Demonstrant*innen in Sichtweite des Braunkohletagebaus Garzweiler: „Ihr seid der Wandel und Ihr seid die Hoffnung.“ Thunberg verglich die Kraterlandschaft des Rheinischen Braunkohlereviers um Lützerath mit „Mordor“ aus der Triologie „Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien. Im Film ist Mordor das Reich und die Basis des bösen Sauron.

Ein Bagger reißt vor dem Ort Lützerath ein großes „X“ ab: Logo der Initiative Alle Dörfer bleiben (Screenshot gmx live 2023-01-11 13.27 Uhr)

Während den Aktivist*innen bescheinigt wird, dass sie sich gegenüber dem Großeinsatz der Polizei zur Räumung von Lützerath friedlich verhalten, wird von Polizeigewalt gegenüber der Klimabewegung berichtet. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen wie das lokale Bündnis Alle Dörfer bleiben und Fridays for Future kritisieren die mangelhafte Kommunikation von Seiten und innerhalb der Polizei scharf. Absprachen würden gebrochen und Menschenleben gefährdet.

Polzisten führen Aktivisten vom bestzten Gelände in Lützerath ab. (Screenshot gmx live, 12. Januar 2023, 14.29 Uhr)

Der Vorstand des Diözesanrates der Katholik*innen Aachen und die Superintendenten der Kirchenkreise Gladbach-Neuss und Jülich forderten alle Beteiligten zur Vernunft und Deeskalation auf und verlangten von der NRW-Landesregierung ein sofortiges Moratorium für die Räumung des Geländes. „Stattdessen sollten sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, unter Einhaltung aller Klimaziele und unter Berücksichtigung der neusten Gutachten des DIW die noch zur Versorgungssicherheit notwendigen Kohlemengen für die Stromerzeugung zu sichern und dann schnellstens die Braunkohlenutzung zu beenden. Ein Abbaggern Lützeraths in diesem Winter ist dafür keinesfalls nötig, da ausreichend Kohle für die Kraftwerke an anderen Stellen zur Verfügung steht.“

Die Scientists vor Future fordern in einem Offenen Brief an NRW-Ministerpräsident Wüst, Klimaministerin Neubaur und Innenminister Reul ein Moratorium für Lützerath und warnen vor den gesellschaftlichen Kosten einer erzwungenen Räumung. „Welche Wirkung hat die Räumung im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der deutschen Klimapolitik? Lützerath ist ein Symbol geworden. Es geht um ein aussagekräftiges Zeichen für die notwendige Abkehr vom fossilen Zeitalter.  Es gibt substanzielle wissenschaftliche Zweifel an der akuten Notwendigkeit einer Räumung. Mehrere wissenschaftliche Gutachten [1,2, 3, 4, 7] kommen zu dem Schluss, dass ein Abbau der Braunkohle unter Lützerath für eine technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig, sondern politisch bestimmt ist. Vielmehr steht die Förderung und Verstromung dieser Kohle einer am Pariser Klimaabkommen und dem europäischen Klimagesetz ausgerichteten Energiepolitik entgegen. Die Verschärfung des europäischen Emissionshandels vom 18.12.2022 auf minus 62 Prozent THG-Emissionen im Stromsektor bis 2030 (bezogen auf 1990) lässt mindestens fraglich erscheinen, ob Kohleverstromung in Deutschland bis 2030 noch wirtschaftlich sein wird [5].“ (Die Zahlen in Klammern verweisen auf wissenschaftliche Literatur am Ende dieses Artikels.)

Polizisten stürmen am Vormittag des 11. Januar 2023 das von Klimaaktivist*innen besetzte Lützerath (Screenshot ARD-Mittagsmagazin, 13.02 Uhr)

„Die Räumung des Dorfes und die darauffolgende Verbrennung der darunter liegenden Kohle ist in der bestehenden und sich noch weiter verschärfenden Klimakrise falsch“, unterstrich der Landessprecher der Grünen Jugend NRW, Rênas Sahin, in einer Mitteilung. Damit wandte sich Sahin offen gegen die in Nordrhein-Westfalen mitregierende Partei Bündnis 90/Die Grünen und deren stellvertretende Ministerpräsidentin und Klimaschutzministerin Mona Neubaur.

Antje Grothus, früheres Mitglied der Kohlekommission schrieb auf Twitter: „Als Mensch, Mutter, Großmutter, Christin, Umwelt- und Klimaschützerin und als Abgeordnete des Landtags NRW bitte ich alle, in deren Macht es steht, jetzt dafür zu sorgen, dass nachverhandelt wird und diese für alle Menschen gefährliche Räumung abgebrochen wird!“ Die NRW-Landesregierung lehnt bisher Forderungen nach einem Moratorium für den Abriss von Lützerath ab.

Was wird von Lützerath und dem 1,5-Grad-Ziel noch bleiben? (Screenshot gmx live 2023-01-11, 14.26 Uhr)

Ein Polzeisprecher teilte am Mittwochvormittag mit, dass die „Einsatzlage Lützerath“ komplett von Polizeifahrzeugen umschlossen sei. Kletterpolizisten holten Aktivist*innen von Bäumen und Tripods, andere Einsatzkräfte führten Dorfbesetzer*innen ab. Derweil begannen Bagger mit dem Einreißen von Gebäuden am Rand von Lützerath. Der Energieriese will den Weiler abreißen, um die unter der Ortschaft gelegene Braunkohle abbaggern zu können. Um die Rückkehr von Aktivist*innen nach Lützerath zu verhindern, begann RWE mit der Errichtung eines Zauns rund um den Ort.

„Es ist einfach unglaublich, mit was für einem Aufgebot die Polizei und der Staat die Kapitalinteressen von RWE schützt“, sagte Lakshmi Thevasagayam von der Initiative „Lützerath lebt!“. Aktivist*innen, die von der Polizei abgeführt wurden, riefen: „Klimaschützen ist kein Verbrechen!“

Möglichst viel Kohle scheffeln will RWE: Die kohlführenden Flöze unter Lützerath sind dicker als in der Umgebung. (Grafik: Geologischer Dienst NRW)

Nach Daten des geologischen Dienstes des Landes NRW liegen unter Lützerath besonders ergiebige Braunkohlevorkommen. „Es ist einfach betriebswirtschaftlich für RWE günstiger, Lützerath noch abzubaggern“, sagte Catharina Rieve von der „Fossil Exit Group“ dem Deutschlandfunk. Denn hier liege die Kohle deutlich dichter als unter dem bereits völlig devastierten Ort Immerath. Es müsse also weniger Abraum aus dem Tagebau entfernt werden.

Der Braunkohlebagger steht unmittelbar vor Lützerath (Screenshot aus Luftaufnahmen rund um den Tagebau Garzweiler vom 4. Januar 2023, Der Pilger)

Luftaufnahmen rund um den Tagebau Garzweiler:
Der Pilger, 04.01.2023

Wissenschaftliche Literatur:

[1] Nicolas Leicht & Philipp Hesel 2022. https://www.bund-nrw.de/fileadmin/nrw/dokumente/braunkohle/221128_EBC_Aurora_Kohleausstiegspfad_und_Emissionen_as_sent.pdf

[2] Catharina Rieve, Philipp Herpich, Luna Brandes, Pao-Yu Oei, Claudia Kemfert und Christian von Hirschhausen 2021, https://www.diw.de/de/diw_01.c.819607.de/publikationen/politikberatung_kompakt/2021_0169/kein_grad_weiter_-_anpassung_der_tagebauplanung_im_rheinisch___-grad-grenze__im_auftrag_von_alle_doerfer_bleiben__kib_e.v..html 

[3] Philipp Herpich, … Pao-Yu Oei. 2022: https://coaltransitions.org/publications/das-rheinische-braunkohlerevier/

[4] Philipp Herpich, Catharina Rieve, Pao-Yu Oei, Claudia Kemfert 2022: https://vpro0190.proserver.punkt.de/s/K43yiKR4Yz3Xxeg

[5] Europäische Kommission. „Fit für 55“: Rat und Parlament erzielen vorläufige Einigung zum Emissionshandelssystem der EU und zum Klima-Sozialfonds. Pressemitteilung vom 18. Dezember 2022 https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/12/18/fit-for-55-council-and-parliament-reach-provisional-deal-on-eu-emissions-trading-system-and-the-social-climate-fund/ 

[6] Sachverständigenrat für Umweltfragen 2022. https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2022_06_fragen_und_antworten_zum_co2_budget.pdf, siehe zur Übersicht Abbildung 2 und 4, Tabelle 1.

[7] Aurora Energy Research 2022. https://kohlecountdown.de/wp-content/uploads/2022/12/Aurora-Kohleausstiegspfad-und-Emissionen_01122022.pdf 

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