Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre,
ich heiße David Dresen und komme aus dem Dorf Kuckum – ein Dorf über dem seit meiner Geburt vor 28 Jahren das Damoklesschwert des Braunkohletagebaus Garzweiler II schwebt, denn im Jahr 2027 soll mein Zuhause für immer vernichtet werden.
Mein Leben lang habe ich gedacht, dass es soweit niemals kommen wird, doch bald steht mir und vielen anderen Menschen genau dieses Horrorszenario bevor. Was für eine absurde Vorstellung, Tausende von Menschen ihrer Heimat zu berauben, Jahrhunderte alte Wälder, Kirchen und Dörfer zu zerstören, nur um tief unter der Erde nach Braunkohle zu graben, die dann im Anschluss für ein paar wenige Sekunden verfeuert wird.
Ist das ernsthaft der technologische Stand eines der größten deutschen Unternehmen? Ist Braunkohleverstromung noch innovativ und fortschrittlich? Nein, das ist so rückständig wie die Buhrufe aus dem Publikum von alten weißen Männern gegen Luisa von Fridays for Future.
In der Schule habe ich gelernt, dass wir in einer aufgeklärten und humanistischen Zeit leben. Das deutsche Grundgesetz deklariert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Laut Immanuel Kant – einem Mitbegründer der Aufklärung und damit einem jener Vorreiter unseres heutigen Menschbildes – liegt die Würde des Menschen in seiner Fähigkeit zu vernünftigem und moralischem Handeln begründet.
Seit nun fast fünf Jahren beschäftige ich mich intensiv mit der Unternehmensführung von RWE und muss leider feststellen: Von Vernunft und Moral fehlt hier jede Spur!
Es ist einfach nicht vernünftig, wenn ein Konzern wie RWE im 21. Jahrhundert in Zeiten einer drohenden Klimakatastrophe über 80% der erzeugten Energie aus fossilen Brennstoffen wie Braun- und Steinkohle produziert und damit die Klimaerwärmung unseres Planeten weiter anheizt! Sie verkünden eine grüne Zukunft und nennen sie „die neue RWE“. Doch sie sind so grün wie es Braunkohle ist – nämlich absolut gar nicht!
Es ist einfach nicht moralisch, wenn RWE im Jahr 2019 nach einem beschlossenen Kohleausstieg daran festhält, das Zuhause von 1600 Menschen am Tagebau Garzweiler II zu vernichten – obwohl dies für die Energiesicherheit Deutschlands überhaupt nicht mehr notwendig ist, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belegt.
Auch die Kohlekommission spricht im Zusammenhang mit den bedrohten Dörfern davon, „soziale Härten“ für die Betroffenen zu vermeiden. Soziale Härten vermeiden heißt für uns Betroffene konkret: „Wer bleiben will, soll bleiben können.“ Über eine vollständige zwangsweise Umsiedlung steht dort – entgegen Ihrer eigenen Aussagen – nichts.
In der Rheinischen Post vom 28. Januar 2019 behaupten Sie: „Was die Umsiedlung betrifft, bin ich für die Klarheit im Kommissionsbericht dankbar. Denn es wird ganz eindeutig ersichtlich, dass die bereits in Umsetzung befindlichen Umsiedlungen weiter fortgeführt werden müssen. Ganz unabhängig von der Notwendigkeit der Umsiedlung wäre den Menschen vor Ort auch nichts andres zuzumuten.“
Lieber Herr Schmitz – Sie haben keinerlei Ahnung, was den Menschen vor Ort zuzumuten ist! Es ist eine absolute Frechheit von Ihnen, sich dies anzumaßen. Ich bin ein Mensch von vor Ort und ich sagen Ihnen: Zwangsumsiedlungen und Vertreibungen sind grauenvoll. Das Wort Sozialverträglichkeit im Zusammenhang mit Zwangsumsiedlungen überhaupt in den Mund zu nehmen, ist einfach nur unmenschlich und eine dreiste Lüge.
Aber nicht nur hier erzeugen Sie mehr soziale Härten als Sie vermeiden. Warum versuchen Sie immer wieder, Ihre eigenen Mitarbeiter gegen die Menschen aus den bedrohten Dörfern auszuspielen? Sie verschieben die Verantwortung, indem Sie behaupten, es sei unsere Schuld, dass Arbeitsplätze vernichtet werden.
Falls überhaupt welche vernichtet werden, dann doch ausschließlich aus dem Grund, weil RWE den Einstieg in die betriebseigene Energiewende absichtlich verpasst hat! Hätte sich Ihr Konzern früh genug zukunftsfähig aufgestellt und in erneuerbare Energien investiert, dann müssten wir heute weder über die Vernichtung meiner Heimat noch über einen möglichen Verlust von Arbeitsplätzen reden! Doch eine Umstrukturierung ist bis heute ausgeblieben. Gerade einmal 5% erneuerbare Energien befinden sich derzeit im RWE-Strommix! Das ist absolut lächerlich und der Beweis dafür, dass Sie alle ihr Geld in den letzten Jahren in keiner Weise nachhaltig angelegt haben.
Ich würde mich schämen – und das meine ich vollkommen ernst – hier zu sitzen und zu wissen, dass für meine Dividenden Menschen ihres Zuhauses beraubt, Wälder und Flüsse vernichtet, ja ganze Kulturlandschaften für immer unwiederbringlich zerstört werden.
Ihr Kapital ist der Motor dieses ganzen Wahnsinns!
Wir Menschen aus den bedrohten Dörfern sind nicht weiter bereit, uns diesem Wahnsinn zu beugen. Wir werden Widerstand leisten! Seit mehr als einem Jahr kämpfen Menschen aus allen Braunkohlerevieren Deutschlands – vereint im Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ – für den Erhalt ihrer Heimat.
Unsere Dörfer haben den ersten und zweiten Weltkriegt überlebt. Und sie werden auch den Braunkohlebergbau von RWE überleben. Egal wie sehr Sie auch versuchen, uns gegeneinander aufzuhetzen, Sie werden uns niemals besiegen. Denn eins sind Ihnen die Menschen in den bedrohten Dörfern ganz sicher voraus: Sie kämpfen von ganzem Herzen für etwas, an das es sich zu glauben lohnt.
Lieber Herr Schmitz, abschließend möchte ich ihnen noch zwei Fragen stellen:
1. Wie können Sie es vor sich selber rechtfertigen, mein Leben und das meiner Familie und Freund*innen in den bedrohten Dörfern so fundamental und nachhaltig für immer zu beschädigen? Wie können Sie nachts ruhig schlafen, wenn sie doch ganz genau wissen, dass ihre Unternehmensstrategie Menschen – hier und weltweit – Leid und Schmerz zufügen wird?
2. Die Studie „Ergebnis des Kohlekompromiss: Der Hambacher Wald und alle Dörfer können erhalten bleiben“ vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung belegt, dass ein möglicher Weg existiert, der die Energiesicherheit Deutschlands garantiert, ohne die bedrohten Dörfern an den Tagebauen Garzweiler II und Hambach zu vernichten. Es ist somit wissenschaftlich belegt, dass unsere Dörfer erhalten bleiben können. Es ist klimapolitisch notwendig, die darunter liegende Kohle nicht mehr zu verbrennen. Folglich wäre es absolut unvernünftig und willkürlich, mein Zuhause trotzdem zu vernichten. Wollen und werden Sie Verantwortung übernehmen und unsere Dörfer retten? Oder setzt auch die „neue RWE“ ihre zerstörerische Agenda fort?