Sehr geehrte Damen und Herren,
gehen wir doch gleich in medias res: Herr Fuhrmann, wie jedes Jahr möchte ich Sie als erstes fragen: Im Jahr 2016 haben Sie, von der Salzgitter AG inklusiver Tochtergesellschaften, wie viele Tonnen Rohstoff aus der brasilianischen Erzmine Carajás bezogen? Wie Sie wissen, interessieren mich Ihre Kontroll- und Sorgfaltspflichten in Bezug auf die menschenrechtlichen, sozialen sowie umweltbezogenen Dimensionen bei Ihren Abnehmern und bei Ihren Zulieferern, also im Rahmen Ihrer gesamten wirtschaftlichen Aktivität, sei es down- oder upstream, interessieren. Über die grundlegenden menschenrechtlichen Probleme bei der Beschaffung von Erzen und Kohle habe ich die vergangenen Jahre bereits gesprochen, – das gilt noch heute, aber um Zeit zu sparen, wiederhole ich das heute hier nicht.
Nur eine Frage zu diesem Themenkomplex: die Deutsche Bundesregierung hat ja Ende 2016 den sog. NAP-Prozess, also den Nationalen Aktionsplan zu Wirtschaft und Menschenrechten verabschiedet. Ich möchte von Ihnen hören, wie Sie diesen Prozess bewerten und welche konkreten Maßnahmen Sie ergreifen, um die rechtlichen Vorgaben zu erfüllen und welche weiteren Schritte Sie über den rechtlichen Rahmen freiwillig noch bereit sind, um die die Mißstände up- wie downstream zu entschärfen? Oder läuft da Ihrer Ansicht nach alles zum Besten?
Nächster Punkt: Beim Studieren Ihres Jahresberichts fiel mir folgende Aussage in die Augen. Auf Seite 69 schreibt die Salzgitter AG zum Marktausblick Stahlrohre: „Von der […] wieder stärker auf fossile Energieträger ausgerichteten Energiepolitik in Nordamerika“ dürfte der Konzern in Zulunft „profitieren“. Höre ich da ein wenig klammheimliche Freude bei Ihnen heraus, darüber, dass die USA unter der Regierung Trump in Sachen Klimaschutz eine Rolle rückwärts macht? Bitte erklären Sie mir das etwas genauer.
Mir geht es heute um Pipelines. Reden wir also über Ihre 50%-Tochter Europipe.
Fangen wir doch also gleich mit diesem an: In Ihrem Jahresbericht lassen sie frohlockend verlautbaren: „So trägt die Vormaterialproduktion für den Nord Stream II-Auftrag im Mülheimer Werk zu einer nennenswerten Grundauslastung bei.“ Schauen wir uns doch den „Nord Stream II“-Auftrag etwas genauer an. Laut der Wirtschaftswoche gehe es insgesamt „um rund 2.500 Kilometer Stahlrohre mit einem Gesamtgewicht von 2,2 Millionen Tonnen, wobei sich Europipe den Löwenanteil von 40 Prozent sichern konnte. Salzgitter teilte mit, die Großrohre sollten ab August im Europipe-Werk Mülheim an der Ruhr gefertigt werden. Nord Stream II soll von 2019 an russisches Gas nach Europa bringen und damit das Volumen der direkten Gaslieferungen nach Deutschland verdoppeln.“
Die Probleme, die wir damit haben, sind mehrere (und ich lasse jetzt mal die politischen Zwist- und Rankünekämpfe zwischen Russland, Deutschland und einer ganzen Reihe von osteuropäischen Staaten über Nord Stream II bewusst außen vor, da dies hier angesichts meiner begrenzten Redezeit zu weit führen würde).
Unsere Probleme damit sind: 1.) Statt weiter auf die fossile Industrie zu setzen, müssen ökologische Alternativen her. Nur die Devise „mehr fossiles Gas!“ – das ist angesichts des Klimawandels falsch. 2.) Das Verlegen einer Pipeline in einem maritimen Areal wie der Ostsee birgt massive Gefahren für die Umwelt, sei es bei einer möglichen Leckage im Betriebsmodus, aber auch bereits während der Verlegungsarbeiten, die die Flora und Fauna in Mitleidenschaft ziehen können. 3.) Die Ostsee ist neben Nordsee eines der am meisten mit Munitionsrückständen und noch intakten Munitionskörpern aus dem 2. Weltkrieg belastetes Gewässer. Dort Pipelines zu verlegen, erhöht die potentiell dort vorhandenen Gefahren von schwerwiegenden Unfällen. 4.) Wo kommt das Gas denn her und was macht die Gasexploration da so vor Ort?
Künftiges Verbindungsglied zwischen Nordstream (1 und 2) soll auch die künftig 578 Kilometer lange Gasleitung Uchta-Torschok 2 sein, so der PipelineTicker. Der Bau von Uchta-Torschok 2 startete im Oktober 2015. Sie ist Teil der Nordtrasse, um Gas von der Jamal-Halbinsel an die russische Ostseeküste für die Gasleitung Nord Stream zu transportieren. Zusammen mit dem Strang Uchta-Torschok 1 ist sie auf eine Transportkapazität von jährlich 90 Milliarden Kubikmeter Gas veranschlagt.
Schauen wir uns die Situation auf der Jamal-Halbinsel an: Die Nichtregierungsorganisation GegenStrömung kritisiert die dortige Gasförderung, die die Existenzgrundlage der indigenen Rentierzüchter massiv bedroht. Die Jamal-Halbinsel ist bisher das größte zusammenhängende Gebiet der Erde, in dem nomadische Rentierzucht betrieben wird und das einzige Gebiet, wo nach dem Ende der Sowjetunion diese einmalige Lebensweise nicht nur nicht verschwunden, sondern angewachsen ist. Der Ausbau der Jamal-Gasförderung, die dann auch durch Nord Stream II transportiert werden wird, wird zahlreiche Weideflächen zerstören und Wanderrouten zerschneiden, auf die die Rentier-Nomaden essentiell angewiesen sind. Schon jetzt ist die Weidefläche nur noch rund die Hälfte dessen, was nach dem Ende der Sowjetunion noch verfügbar war, und diese Knappheit führt zu Konflikten, unter denen besonders die traditionellen, nicht in staatlichen Betrieben organisierten Nomaden zu leiden haben. Besonders beliebt bei der Gasindustrie sind die wenigen trockenen Anhöhen, auf die die Rentierzüchter mit ihren Herden angewiesen sind. Die traditionellen Nomaden werden bei der Genehmigung von Gasförderprojekten und Pipelinebauten nicht gefragt, und da ihre traditionellen Landrechte vom Staat nicht anerkannt werden, erhalten sie keinerlei Entschädigung.
Auch bei den Fischvorkommen, die für die Rentierzüchter unabdingbare Nahrungsquelle sind, hat es in den vergangenen Jahren überall dort, wo Gas gefördert wird, dramatische Einbrüche gegeben. Im Rahmen eines derzeit im Bau befindlichen Gasprojekts sollen zwar Häuser für die Indigenen gebaut werden, die die Rentierzucht aufgeben und sesshaft werden müssen, doch werden – abgesehen davon, dass diese Wohnungen längst durch andere in Beschlage genommen sind – eine andere Lebensperspektive und Einkommensmöglichkeiten nicht aufgezeigt. Die Folgen solcher Zwangsansiedlung sind oft tragisch, wie im Fall von Warandej im Autonomen Kreis der Nenzen. Dort zwang der unangekündigte Bau von Gaspipelines durch ihre Migrationsrouten zahlreiche Nenzen zur Aufgabe des Nomadismus. Wenige Jahre später waren die meisten ehemaligen Rentier-Nomaden tot – infolge von Alkoholismus, Depression und Unfällen.
Zudem werden die Beschränkungen in der Meinungsfreiheit völlig ungenügend berücksichtigt: Die Jamal-Halbinsel ist als sog. „Grenzzone“ für Ausländer ohne besondere Erlaubnis des Geheimdienstes FSB nicht zugänglich. Selbst russische Umwelt- und Menschrechtsschützer werden oft nicht in das Gebiet gelassen, und jeder Besucher wird von Administration und Geheimdiensten argwöhnisch beobachtet. Informanten müssen nach der Abreise von Besuchern mit Repressionen rechnen.
Sämtliche indigenen Organisationen stehen unter massivem Druck des Geheimdienstes und können sich kaum frei äußern, viele sind in den vergangenen Jahren zu „ausländischen“ Agenten erklärt worden und wurden anschließend aufgelöst. Eine Zustimmung der verbliebenen Organisationen kann aufgrund des herrschenden Drucks und der staatlichen Kontrolle daher nicht als Zustimmung der Betroffenen gewertet werden. Eine Fact-Finding-Mission zu einem Gasprojekt im Nordosten der Halbinsel im vergangenen Jahr hat ergeben, dass niemand vor Ort etwas von einer angeblich erteilten Zustimmung wusste. Zeugenaussagen sprechen dafür, dass Unterschriften von nichtsahnenden Ureinwohnern nach Wildwestmanier erschlichen wurden.
Daher kann es aus unserer Sicht nur heißen: „Nein“ zum Europipe-Auftrag zum Bau der „Nord Stream II“-Pipeline. Ich frage Sie nur eines, und seien Sie bitte ehrlich: Hat Ihre Firma all diese Tatbestände gekannt bzw. in Erwägung gezogen, als Sie sich um die Ausschreibung für die Rohre der „Nord Stream 2“-Pipeline beworben haben?
Auch Ihre Beteiligung am Trans-Adria-Pipeline-(TAP)-Projekt ist unserer Ansicht nach nicht konform mit den Standards guter Unternehmensführung und mit Respektierung und Achtung der Menschenrechte. Ich erkläre Ihnen gerne, warum: Die Tap-Pipeline soll von der türkisch-griechischen Grenze über insgesamt 870 Kilometer durch Griechenland, Albanien und durch die südliche Adria bis nach Süditalien führen. Die TAP-Pipeline ist das letzte Teilstück der neuen Leitung, die aserbaidschanisches Erdgas über die Türkei nach Europa bringen soll.
Der Jahresbericht 2016 von Amnesty International zu Aserbaidschan spricht eine klare Sprache: „Die Behörden setzten ihr hartes Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft und die Verfolgung politisch Andersdenkender fort. Menschenrechtsorganisationen wurden weiter an ihrer Arbeit gehindert. Mindestens 18 gewaltlose politische Gefangene befanden sich Ende 2015 weiterhin in Haft. Nach wie vor kam es zu Repressalien gegen unabhängige Journalisten und Aktivisten im In- und Ausland, auch ihre Familien liefen Gefahr, schikaniert und festgenommen zu werden. Internationalen Menschenrechtsbeobachtern wurde ihre Tätigkeit untersagt, und man verwies sie des Landes. Es gab weiterhin Berichte über Folter und andere Misshandlungen.“
Nichtregierungsorganisationen wie Urgewald und das Netzwerk CEE Bankwatch kritisieren, dass die EU mit der Unterstützung des sogenannten südlichen Gaskorridors Menschenrechtsstandards unterlaufe. Laut der im Januar veröffentlichten Bankwatch-Studie „Pipe dreams“ ist das Projekt eine Stütze für das autoritäre Regime in Aserbaidschan. Auch Grüne, Linke und Sozialdemokraten im EU-Parlament halten die Brüsseler Erdgaspläne für schädlich und fordern stattdessen eine europäische Energiewende.
Also, Ceterum Censeo, viele gute Gründe, dass Sie Ihr Pipelinegeschäft endlich mal gründlich überdenken sollten!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.