Rede von Christian Russau

CHRISTIAN RUSSAU ÜBERTRUG SEIN REDERECHT AUF TOMAS GOMEZ (COPINH, HONDURAS), DAMIT DIESER SEINE REDE NOCH RECHTZEITIG HALTEN KANN. DENNOCH WOLLEN WIR UNSEREN LESERINNEN UND LESERN DIESEN REDEENTWURF NICHT VORENTHALTEN.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau. Ich bin vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Gehen wir gleich in medias res.

Reden wir doch zunächst einmal über das U-Bahn-Kartell in São Paulo. Seit 2014 laufen in São Paulo die Prozesse gegen insgesamt 15 Firmen, denen die Bildung des sogenannten U-Bahnkartells vorgeworfen wird. Die Staatsanwaltschaft des Bundesstaats von São Paulo fordert wegen der Kartellabsprachen bei U-Bahn- und Regionalbahnzügen Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe von den Firmen, darunter auch Siemens Brasilien, Alstom Brasilien und Bombardier Brasilien.

Ich war im März vergangenen Jahres in São Paulo und habe den Staatsanwalt Dr. Marcelo Milani interviewt. Milani wirft im Interview Siemens vor, nicht hinlänglich bei der Aufklärung der Sachverhalte zu kooperieren und fordert zudem die gerichtliche Schließung von Siemens Brasilien. „Siemens, in Komplizenschaft mit anderen Firmen, ergatterte Aufträge der öffentlichen Hand seit dem Jahr 2000 auf Basis von betrügerischem Vorgehen. Eine Firma, die wiederholt betrügerisch handelt, darf in Brasilien nicht operieren. Siemens ist in Brasilien illegal tätig und muss deshalb aufgelöst werden. Das brasilianische Unternehmensrecht sieht genau das vor“, so Dr. Marcelo Milani im Interview vom 2. März dieses Jahres in São Paulo. Eine Argumentation, die den in Deutschland aufkommenden Debatten und ersten juristischen Entwürfen zur Einführung eines Unternehmensstrafrechts nahekommt. Im Entwurf des nordrhein-westfälischen Justizministeriums vom November 2013 für den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortung von Unternehmen in Deutschland wird unter § 12 „Verbandsauflösung“ ausgeführt: „Ist eine Straftat im Sinne des § 2 Absatz 1 dieses Gesetzes beharrlich wiederholt worden und lässt die Gesamtwürdigung der Tatumstände und der Organisation des Verbandes die Gefahr erkennen, dass bei Fortbestand des Verbandes dessen Entscheidungsträger weiter erhebliche rechtswidrige Zuwiderhandlungen der bezeichneten Art begehen werden, kann das Gericht die Auflösung des Verbandes anordnen, soweit diese nach bürgerlichen Recht vorgesehen ist.“ Ein Unternehmen also, das wiederholt kriminell tätig ist, könnte demnach in Zukunft auch in Deutschland aufgelöst werden. In Brasilien ist dies – in der Theorie – schon jetzt möglich. Und genau dies ist die juristische Argumentation des Staatsanwalts Dr. Marcelo Milani: Denn Siemens Brasilien habe sich bandenmäßig und organisiert mit anderen zu einer Straftat – der Kartellbildung – abgesprochen und diese Straftat wiederholt begangen. Dies entspräche damit der Definition Organisierter Kritminalität.

Hinzu kommt noch ein weiterer Punkt.

Ich zitiere den Staatsanwalt Dr. Marcelo Milani:

Hinzu kommt, dass es parallel dazu einen weiteren Punkt gibt, den wir im Rahmen unserer Untersuchungen herausgefunden haben: Der zur fraglichen Zeit verantwortliche Direktor von Siemens Brasilien, Adilson Primo, wurde vom Mutterkonzern in Deutschland seines Postens in Brasilien enthoben und entlassen, da im Zuge von internen Siemens-Ermittlungen festgestellt worden war, dass er und zwei weitere Siemens-Mitarbeiter ein geheimes Bankkonto in Luxemburg mit sieben Millionen Euros hatten. Es gibt starke Verdachtsmomente, die dafür sprechen, dass dieses Konto der Zahlung von Schmiergeldern diente. Siemens führte also die interne Untersuchung durch und stellte fest, dass Adilson Primo einer der Kontobefugten war. Aber Siemens hat uns nie diese Erkenntnisse ihrer Untersuchungen zukommen lassen. Nie. Wir haben mehrmals diesbezüglich nachgefragt. Unser vorrangiger Ansatz ist nicht, Siemens den Prozess zu machen. Wir wollen den durch Schmiergelder begünstigten Personen der brasilianischen Verwaltung und Behörden den Prozess machen. Dies ist unser prinzipieller Fokus. In Bezug auf Siemens liegt unser Fokus auf die Frage, dass Siemens die der öffentlichen Hand zugefügten Schäden ersetzt.“

Ich frage Sie konkret:

Herr Kaeser, da Sie ja gerne Transparenz und Wahrung der Rechtsstaatlichkeit predigen: Bitte nennen Sie mir die Namen der brasilianischen Politiker und Behördenvertreter, die Ihren Erkenntnissen zufolge von Siemens/Siemens-Mitarbeitern im Zuge des U-Bahn-Kartells Zahlungen erhalten haben. Nennen Sie bitte auch die Daten und Höhen dieser Beträge.

Nächster Punkt:

Siemens liefert Transformatoren und Kabel an das 4,8 GW-Kohlekraftwerk Kusile in Südafrika. Mit einem Großauftrag in Höhe von 100 Millionen Euro ist Siemens an dieser Lieferung beteiligt. Zum Kraftwerk Kusile äußerte sich Siemens zu der Frage menschenrechtlicher Risiken der Kraftwerke: „Die Auswirkungen, die Kohlekraftwerke und Kohleminen auf die Menschenrechte (einschließlich Rechte auf Nahrung, Wasser, Gesundheit und Arbeitsrechte) haben, sind uns bekannt.“ Zugleich attestiert das Unternehmen der südafrikanischen Regierung, die Wasserprobleme proaktiv zu adressieren. Eine eigene Verantwortung für die möglichen menschenrechtlichen Auswirkungen des Kraftwerks Kusile erkennt Siemens jedoch nicht an: „Als Komponentenlieferant sehen wir die  Verantwortung zur Einhaltung der Menschenrechte maßgeblich beim Betreiber Eskom.“

Das geht natürlich nicht, dass Sie sich da so billig aus der Mitverantwortung rausreden wollen.

Denn schauen wir uns die Folgen von Kusile einmal genauer an: 2008 definierte die südafrikanische Regierung die Region um Kusile als Region mit offiziell hoher Schadstoffbelastung für die Bevölkerung. Studien haben den Zusammenhang zwischen der Luftverschmutzung in der Region und dem vermehrten Auftreten der „Staublunge“ sowie anderen Atemwegserkrankungen aufgezeigt. Kohlepartikel in der Luft beeinträchtigen die Atmung, das Nervensystem und das Herz-Kreislaufsystem großer Teile der lokalen Bevölkerung. Das Kusile-Kraftwerk zusammen mit den neu geplanten Minen in der Region stellen eine große Gefährdung für das Recht auf Gesundheit, Wasser, Nahrung und Wohnung dar. Ist Ihnen das bekannt? Ja oder nein?

Nächster Punkt: Siemens baut des Weiteren schlüsselfertige Gaskraftwerke in Argentinien, die in Zukunft mit dem per Fracking gewonnenen Shale-Gas des Großvorkommens Vaca Muerta betrieben werden sollen und setzt mit der Zulieferer-Tochter Dresser-Rand auf das Öl- und Gasgeschäft. Eine Aussage wie die von Siemens-Energy-Chefin Lisa Davis „Oil and gas is here to stay“ ist in Zeiten des Klimawandels absolut unzeitgemäß und verantwortungslos.

„Oil and gas is to stay“ – in the ground! Wer die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Risiken und Bedrohungen durch den menschengemachten Klimawandel nicht ernst nimmt, den werden in Zukunft Ihre Enkelkinder die Gretchenfrage stellen, „Oma und Opa, wie habt Ihr es mit Öl, Gas und Kohle gehalten?“

Siemens ist also noch immer Teil der Klimakiller-Fraktion – das muss sich schleunigst ändern.

Zudem ist Siemens am Bau der Transadriatischen Pipeline (TAP) beteiligt. Die soll mit Gas aus Aserbaidschan gespeist werden, ebenso ist der staatliche aserbaidschanische Öl- und Gaskonzern SOCAR am TAP-Konsortium beteiligt. Die Einnahmen aus dem Gasgeschäft festigen das autokratische Aliyev-Regime, das Kritiker verfolgt und verhaftet. Aber auch in Albanien und Griechenland, durch die die Pipeline läuft, gibt es Proteste wegen mangelnder Konsultation, Kompensation und Zerstörung öffentlichen Lands. In Italien wehrt sich die ganze Region, in der die Pipeline landen soll, seit Jahren massiv gegen das Projekt, weil sie Schäden für Landwirtschaft und Tourismus befürchtet.

Sind Siemens die Probleme bekannt, gerade auch die Blockade in Italien, hat dies mögliche wirtschaftliche Auswirkungen auf das Projekt und wie verhält sich Siemens zur Kritik an der Transadriatischen Pipeline?

Nächster Punkt.

Siemens ist Zulieferer für zwielichtige Bergbau-, Infrastruktur und Energieprojekte:

Die Siemens AG liefert Anlagen und Dienstleistungen an zwielichtige Großprojekte wie dem Bahn- und Hafenkomplex Nacala in Mosambik, über den die Kohle aus Vales Mine Moatize abtranportiert werden soll, eine Mine, die die Vertreibung Tausender Kleinbauern zur Folge hat. Wie beurteilen Sie dies? Gab es vor, bei und nach Vertragsabschluss soziale Folgeabschätzungen? Haben Sie je mit den Betroffenen gesprochen?

Siemens liefert zudem E-House-Transformatorstationen an (offenkundig wohlweislich nicht namentlich spezifizierte) Uranminen in Namibia. Wie bewerten Sie die Entsorgungs- und Vorbeugemaßnahmen bei namibischem Uranbergbau? Welche Risiken konnten Sie identifizieren? Wie bewerten Sie bei der Mine die Situation von Landrechtsfragen der lokalen Bevölkerungen sowie die Fragen von Zugang zu sauberem Wasser?

Siemens liefert zudem Förderbänder an einen der weltgrößten Betreiber offener Tagebaue PT Kaltim Prima Coal in East Kalimantan, Indonesien, wo durch Kohleabraum Flüsse verschmutzt werden und die lokalen Gemeinschaften Umweltschäden und Landraub ausgesetzt sind. Auch hier die Frage: Wie beurteilen Sie dies? Gab es vor, bei und nach Vertragsabschluss soziale Folgeabschätzungen? Haben Sie je mit den Betroffenen gesprochen?

Siemens belieferte zusammen mit Thyssenkrupp neben der Titancaya-Mine in Peru – dies habe ich Ihnen schon im vergangenen Jahr vorgetragen – auch die peruanische Kupfermine Cuajone, die der Southern Copper Corporation SCC gehört. Kennen Sie die Situation in der peruanischen Küstenstadt Ilo, wo die Schmelzerei der SCC Mineralien aus Toquepala und Cuajone veredelt? Ist Ihnen bekannt, wie die Anwohner der Schmelzerei unter enormen Verschmutzungsproblemen zu leiden haben? SCC gehört übrigens zur Grupo Mexico, die ich ebenfalls im vergangenen Jahr angesprochen hatte, jene Firma, die der mexikanische Bischof Raul Vera als „Serienkiller“ bezeichnet hatte.

Jetzt komme ich zu meinem letzten Punkt.

In den USA ist Siemens unter anderem mit der Tochterfirma Siemens Government Technologies (SGT) aktiv. Laut einem Pressebericht (DIE WELT, 1.1.16) agiert diese Siemens-Tochter im Auftrag von US-Regierungsbehörden und tut dies auf vertraglicher Anweisung unter kompletter Verschwiegenheit. Über das Aufgabengebiet der SGT wird nichts bekannt gegeben. Da SGT mit den US-Militärs Geschäfte macht, „arbeitet SGT abgekapselt vom Rest des Unternehmens. Es gelten die Pentagon-Sicherheitsauflagen und US-Gesetze“, so der Pressebericht. Dies ist natürlich komplett inakzeptabel, in Zeiten einer Trump-Regierung umsomehr. Oder wollen Sie Gefahr laufen, beispielsweise einen Ihrer E-House-Generatoren für ein zuerst harmlos wirkendes militärisches Gelände zur Verfügung zu stellen und hinterher dann vielleicht feststellen zu müssen, dass auf diesem Gelände Waterboarding praktiziert wurde? Immerhin haben wir es hier mit einem Präsidenten zu tun, der Folter für zweckdienlich hält. Also, stellen Sie diese Tochterfirma SGT schleunigst ab.

Und nun die letzte Frage:

Kann Siemens kategorisch ausschließen, sich an dem Mauerbau von US-Präsident Trump an der Grenze zu Mexiko zu beteiligen, egal ob mittels Zulieferung, Dienstleistung oder was auch immer?

 

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