Rede von Tilman Massa

ES GILT DAS GESPROCHENE WORT.

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,

mein Name ist Tilman Massa, ich bin vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten setzen wir uns für ein stärkeres Engagement von Siemens beim Schutz von Menschenrechten und der Umwelt ein. Wir können auch dieses Jahr Vorstand und Aufsichtsrat nicht entlasten, da beide unserer Auffassung nach bei der Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten bei vielen Projekten mit Siemens-Beteiligung nicht hinreichend nachgekommen sind. Wir haben einen entsprechenden Gegenantrag eingereicht, den ich hier begründen möchte.

Wir möchten an dieser Stelle aber auch klar sagen: Wir distanzieren uns von den anderen beiden Gegenanträgen, die Herrn Kaeser wegen seiner kritischen Haltung gegenüber der AfD nicht entlasten möchten. Ganz im Gegenteil: Wir begrüßen es ausdrücklich, dass Herr Kaeser so deutlich Stellung gegen Nationalismus und rassistisches Vokabular bezogen hat. Der Skandal besteht darin, dass er nicht mehr Unterstützung anderer Konzernchefs bekommen und sogar Morddrohungen erhalten hat.

  1. Thema: Neues menschenrechtsbezogenes Due-Diligence-System

Zunächst muss festgehalten werden: Bei Siemens tut sich etwas beim Thema Menschenrechte! Sie haben letztes Jahr ein neues Programm entwickelt, um mögliche Menschenrechtsverletzungen bei eigenen Projekten und in der Lieferkette identifizieren zu können.

Nur kommt dieses Engagement reichlich spät: Seit 16 Jahren ist die Siemens AG Mitglied im UN Global Compact und hat sich damit freiwillig der Achtung der Menschenrechte verschrieben. Mit den 2011 angenommenen UN-Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte ist auch Siemens aufgefordert, Menschenrechtsverletzungen in den eigenen Lieferketten nicht zu tolerieren.

Aber besser spät als nie. Wie in ihrem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht nachzulesen ist, sind Sie nun zu der Erkenntnis gekommen:

„Im Kontext großer Infrastrukturprojekte wird offensichtlich, dass Menschenrechte indigener und besonders schutzbedürftiger Gemeinschaften wie das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, das Recht auf Leben, das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf Meinungsäußerung potenziell dem Risiko nachteiliger Einwirkungen ausgesetzt sind.“

Siemens Nachhaltigkeitsinformationen 2018, S. 45

Mit Verlaub: Dass es sich dabei nicht nur um ein „potenzielles Risiko“, sondern bei vielen Infrastrukturprojekten um bittere Realität handelt, ist dem Vorstand durch unsere Gegenanträge und Reden seit Jahren bekannt.

Staudammprojekte wie in Belo Monte in Brasilien und Agua Zarca in Honduras, aber auch Windkraftprojekte in Mexiko haben alle das in der ILO-Konvention 169 verbriefte Recht auf vorherige, freie und informierte Konsultation und Zustimmung der betroffenen indigenen Gemeinden verletzt.

Das neue Programm ist nun aber nicht vollständig in Kraft, Sie wollen es erst „im Laufe der nächsten Jahre“ umsetzen. Wird sich dadurch etwas ändern? Bitte zeigen Sie uns, dass Sie Ihre eigenen Erkenntnisse in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen bei Infrastrukturprojekten ernst nehmen. Zeigen Sie uns, dass Menschenrechtsverletzungen bei Infrastrukturprojekten mit Siemens-Beteiligungen nicht länger hingenommen werden!

Sie schreiben in Ihrem aktuellen Nachhaltigkeitsbericht, dass Sie nicht nur begonnen hätten, „detaillierter spezifische Menschenrechts-Themenfelder und Risiken“ in der Lieferkette zu erkennen, sondern auch aktuell weiter damit beschäftigt sind, „geeignete Hebel zu finden“, diese Themen in Ihr Lieferketten-Management zu integrieren.

Zur Einrichtung Ihres neuen menschenrechtsbezogenen Due-Diligence-Systems entlang der gesamten Wertschöpfungskette bei Siemens habe ich daher folgende Fragen:

  1. Können Sie uns sagen, ob Sie bereits konkrete Risiken erkannt haben und falls ja, in Bezug auf welche Projekte?
  2. Haben Sie nun „geeignete Hebel“ gefunden, menschenrechtsbezogene Themen in Ihr Lieferketten-Management zu integrieren?
  3. Sollen mit dem neuen System nur neue Projekte analysiert oder auch bestehende Projekte, Verträge und spezifische Lieferketten neu bewertet werden?
  4. Werden Sie das System auch auf Projekte von Minderheitsbeteiligungen anwenden?

Gerade bei letztem haben wir immer umstrittene Staudammprojekte kritisiert. Nur ein Beispiel: Über das Siemens Joint-Venture mit Voith, Voith Hydro, beteiligt sich Siemens auch am Bau des umstrittenen Staudamms Site C am Peace River in British Columbia, Kanada. Voith Hydro soll die Turbinen und die elektromechanische Ausstattung des Kraftwerks liefern. Durch den Bau werden die seit 1899 im Treaty 8 garantierten Landrechte der indigenen Bevölkerung missachtet, weshalb eine indigene Vereinigung mit juristischen Mitteln gegen das Projekt vorgeht. Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung hat nun von Kanada verlangt, das Projekt zu unterbrechen, um gemeinsam mit den Betroffenen Alternativen für das 10,7 Milliarden teure Projekt zu erarbeiten.

Neben den Landrechten von Indigenen würden durch den Staudamm über 2.000 Hektar landwirtschaftliche Fläche verloren gehen. Durch die nötig werdenden Lebensmittelimporte würde British Colombia mit Site C laut dem kanadische Wissenschaftler David Suzuki sogar mehr Kohlendioxid ausstoßen, als ohne.

Werden Sie in Zukunft Voith Hydro darauf hinweisen, sich nicht mehr an Projekten zu beteiligen, bei denen indigene Rechte nach ILO-Konvention 169 missachtet werden?

Nun gibt es immer zwei wichtige Argumente, welche im Fall von Menschenrechtsverletzungen den Abbruch von Geschäftsbeziehungen als Ultima Ratio generell in Zweifel ziehen:

Ein Unternehmen sollte auch in Ländern mit Menschenrechtsverletzungen tätig sein, wenn es sich um die Einhaltung der Menschenrechte bemüht. Wenn sich Siemens aus umstrittenen Projekten zurückziehen sollte, übernimmt die Konkurrenz, die erst gar nicht nach Menschenrechten fragt.

So ähnlich haben Sie, Herr Kaeser, dies in Bezug auf Ihre Optionen zur Teilnahme oder zum Fortbleiben an der Investorenkonferenz in Saudi-Arabien formuliert: „Wenn ich nirgendwo mehr hin dürfte, wo Menschen verschwinden, könnte ich gleich zu Hause bleiben.“

Inwieweit spielt Ihr neues Programm zur Achtung der Menschenrechte eine Rolle bei der Entscheidung, in kriegführenden Staaten oder Ländern mit Menschenrechtsverletzungen durch Regierungen tätig zu werden?

Ein zweites Argument zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen kommt auch immer:

Ohne einen rechtlich verbindlichen Rahmen sind die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zwecklos. Unternehmen, welche sie ernst nehmen, geraten ins Hintertreffen gegenüber der Konkurrenz, welche für die Nichtbeachtung noch nicht einmal juristisch belangt werden kann.

Die Problematik hat die nun wegen Verjährung abgewiesene Klage gegen die deutsche Billigtextilkette KiK von vier Opfern eines Brands in einem pakistanischen Zulieferbetrieb erneut unter Beweis gestellt. Selbst KiK fordert nun „eine klare gesetzliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf europäischer Ebene“.

Für Deutschland fordert nun auch der DGB ein entsprechendes Sorgfaltspflichtgesetz, denn schließlich geht es auch um die Achtung grundlegender Rechte von Arbeitnehmer*innen. Auf internationaler bzw. UN-Ebene setzen wir uns dazu für das sogenannte „Binding Treaty“ ein, damit unternehmerische Sorgfaltspflichten rechtlich verbindlich geregelt werden und nicht nur auf Freiwilligkeit beruhen.

Wie steht Siemens, wie stehen Sie zu diesem Thema: Sprechen Sie sich für eine gesetzliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf nationaler, europäischer und/oder internationaler Ebene aus?

Bisher haben Sie zu der Sicherstellung ihrer Sorgfaltspflichten interne und externe Audits ihrer Zulieferer. Doch im Zweifel werden auch die externen Auditierungsfirmen keine Haftung bei Menschenrechtsverletzungen übernehmen wollen. Ein weiterer Grund, die Haftungsfrage gesetzlich zu regeln.

Apropos Audits: Sie geben an, dass Siemens im letzten Geschäftsjahr 3.688 eigene und 387 externe Audits bei ihren Zulieferern durchführen ließ. Bei 342 Audits (intern und extern) wurde als „Verbesserungsmaßnahme“ das Verbot von Kinderarbeit vereinbart. Aus Ihren Angaben geht jedoch nicht hervor, bei wie vielen Audits es tatsächlich zu einem Verstoß gegen das Verbot von Kinderarbeit gekommen ist oder nur eine entsprechende Vereinbarung zuvor nicht getroffen wurde. Können Sie uns sagen, ob es zu tatsächlichen Verstößen gegen das Verbot von Kinderarbeit gekommen ist und wenn ja, bei wie vielen und welchen Zulieferern? Sind die Audits öffentlich?

2. Thema: Klimaschutz

Siemens möchte bis 2030 klimaneutral sein und erkennt seine Verantwortung zum Klimaschutz an. Das ist sehr lobenswert – gerade deshalb, weil kein anderer Industriekonzern dieses Ziel verfolgt und eine solche relative Reduktion von Treibhausgasen wie CO2 vorweisen kann.

Doch gilt das Ziel nur für die direkten Emissionen der Siemens-Betriebe. 90 Prozent der Treibhausgasemissionen von Siemens fallen hingegen in der Lieferkette an, im sogenannten Scope 3. Im Geschäftsjahr 2018 waren dies 15,5 Mio. Tonnen, die eigenen Betriebe verursachten „nur“ 1,5 Mio. Tonnen Treibhausgase.

Für dieses größere Problem haben Sie Ihr „Carbon Emissions Suppliers“-Projekt, dazu haben Sie laut aktuellem Nachhaltigkeitsbericht 5.000 Ihrer Lieferanten zu ihren Treibhausgasemissionen befragt. Ihre Lieferanten wollen Sie aber nur „zur Wichtigkeit einer CO2-effizienteren Produktion sensibilisieren“.

Für die Lieferkette fehlen uns klare Ziele für eine weitere Senkung der Treibhausgasemissionen. Daher meine Frage:

Haben Sie eine konkrete Zielvorgabe für die weitere Senkung von Treibhausgasemissionen in der Lieferkette? Welche konkreten Vereinbarungen treffen Sie dazu mit Ihren Zulieferern?

Doch das Engagement von Siemens für das Klima hat mehr als nur einen schlechten Beigeschmack. Das zentrale Geschäftsmodell  der Siemens-Division „Power and Gas“, die Ermöglichung der Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern sowie Förderung und Transport von Öl und Gas, trägt entscheidend zum Klimawandel bei. Zudem liefert Siemens elektronisches Equipment an Kohlekraftwerke, etwa das umstrittene Kraftwerk Kusile in Südafrika. Siemens trägt damit dazu bei, dass die gesamte Energiebranche weiter auf klimaschädliche Technologien setzt, anstatt stärker in erneuerbare Energien zu investieren.

Für die zukünftigen Generationen ist letzteres entscheidend, und eine Abkehr vom klimaschädlichen Geschäft der Kohle- und Ölförderung oder dem Fracking wäre der konsequentere Schritt für den Klimaschutz. Es ist inkonsequent, den eigenen Betrieben Ökostrom zu verordnen, wenn Siemens weltweit die Verstromung fossiler Energieträger weiter vorantreibt.

Dabei scheint Siemens in Bezug auf Gasturbinen auf den ersten Blick bereits ein „Opfer der Energiewende“ zu sein. Dabei kann Siemens der große Gewinner der Umstellung auf erneuerbare Energien sein. Wie kann es sein, dass die von Massenentlassungen bedrohten Belegschaften in den ostdeutschen Standorten den Vorstand daran erinnern mussten, dass die Entwicklung von Wasserstoff-Gasturbinen entscheidend für das Gelingen der Energiewende ist?

Für den Kohleausstieg in Deutschland ist das Know-how von Siemens hier gefragter denn je. Der Osten könnte hier die entscheidende „Entwicklungshilfe“ für den Strukturwandel im Rheinischen Braunkohlerevier liefern. Nun hat die sogenannte Kohlekommission ihre Empfehlungen für einen Fahrplan des Kohleausstiegs und Strukturhilfen für die betroffenen Regionen beschlossen. Hat Siemens hier konkrete Pläne, sich an Projekten zur Stromspeicherung und dezentralen Netzen zu beteiligen?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Permanentlink zu diesem Beitrag: https://www.kritischeaktionaere.de/siemens/rede-von-tilman-massa-8/