Der Fall Volkswagen, Wilson Witzel – und Marielle Franco

VW-Manager Roberto Cortes (rechts im Bild) schüttelt die Hand
des Gouverneurs von Rio de Janeiro, Wilson Witzel (auch ziemlich rechts)

Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, KoBra – Kooperation Brasilien, Brasilieninitiative Freiburg und die Brasilien Initiative Berlin fordern: Kein Händeschütteln von Volkswagen-Managern mehr mit Politikern, die über die Ermordung der brasilianischen Menschenrechtsaktivistin Marielle Franco öffentlich johlend und feixend gegrinst haben und der Verunglimpfung dem Andenken Verstorbener massiv und aktiv Vorschub geleistet haben!

50 Jahre nach dem Beginn der direkten Kollaboration von Volkswagen do Brasil mit der brasilianischen Militärdiktatur, in deren Zuge VW-Mitarbeiter erst bespitzelt, dann bei der Folterpolizei DOPS denunziert und dort der Folter ausgeliefert wurden, nun 50 Jahre später betreibt Volkswagen auch heute, im Jahr 2019, ein übles Spiel in Brasilien: Erst benutzte Roberto Cortes, seines Zeichens nach CEO von Volkswagen Caminhões e Ônibus, nach der Wahl des Ex-Hauptmanns Jair Bolsonaro zum Präsidenten Brasiliens, das tumbe „Aber er hat doch die Autobahnen“-Argument, als er erklärte, das letzte Mal, dass der Staat in Brasilien kompetent die Infrastruktur geplant und ausgebaut habe, sei unter den Militärs vor 50 Jahren geschehen, – und nun schüttelt derselbe Roberto Cortes dem neuen Gouverneur von Rio de Janeiro, Wilson Witzel, beim Treffen am 7. März 2019 in den Räumen der DIHK, in Berlin die Hand und verspricht dem Gouverneur von Rio neue, weitreichende Investitionen. 

Das Problem dabei: Wilson Witzel will Polizisten, die im Dienst töten, einen Freifahrtschein erteilen; Wilson Witzel begrüßte vor Kurzem die Polizeimassaker im Morro do Fallet und Morro dos Prazeres in Rio, bei dem 15 Favelabewohner von der Polizei erschossen wurden; Wilson Witzel will Sniper auf Favelabewohner schießen lassen; Wilson Witzel will für Rio de Janeiro ein Gefängnis à la Guantanamo; und Wilson Witzel erklärte wiederholt öffentlich, mutmaßliche Kriminelle „abschlachten“ zu wollen. Das bewußte gewählte Narrativ „Abschlachten“ („abater“, kann auch als „Keulen“ übersetzt werden) ist deutlichste LTI-Sprache, die ungeschminkt alle, die als „anders“ wahrgenommen werden, erst als „Feind“ definiert, dann als „Feind, den es zu vernichten“ gelte und diesen letztlich gänzlich zu entmenschlichen trachtet – so als wären diese Menschen Schlachtvieh. Es war dies die wenig sublime Botschaft der LTI-Lingua Tertii Imperii, wie sie von den Nazis propagiert und angewandt wurde. Und dieser Diskurs greift in Brasiliens extrem Rechter seit ein paar Jahren massiv, wie ein Gehirnwäschevirus, um sich.

Und Wilson Witzel ist einer der prominentesten Vertreter dieser Riege an Politikern, deren LTI-Sprache faschistische Politik erst fordert und dann selbst direkt mitbefördert. 

Wilson Witzel ist zudem jener Politiker, der wenige Tage vor den Gouverneurswahlen 2018 in Rio de Janeiro auf einer Wahlkampfkundgebung neben zwei Kandidaten seiner Partei auf der Bühne stand, als einer beiden unter lautem Gejohle das Gedächtnis-Straßenschild von Marielle Franco, das an die Ermordung der Stadtverordneten Franco am 14. März 2018 erinnerte und gemahnen sollte, demonstrativ zerrissen hat – und Wilson Witzel stand daneben und applaudierte und feixte.

Wie kann ein hochrangiger Volkswagen-Manager wie Roberto Cortes erfreut lächelnd einem solchen Politiker die Hand schütteln? Wie kann Volkswagen einen solchen Manager wie Roberto Cortes weiter beschäftigen? Dabei ist es keine Frage, ob Wilson Witzel demokratisch gewählt wurde, es ist für die Volkswagen AG eine Frage des minimalsten humanistischen Standpunktes, den eine Firma wie VW in dieser Welt einnehmen will – oder ob die Firma eben über die letzten Reste von Anstand und Respekt hinwegsehen will und dem Gedenken Verstorbener – wie in diesem Fall dem Gedenken an Marielle Franco, linker, schwarzer, lesbischer, aus der Favela stammender Menschenrechtsaktivistin und Stadträtin – Hohn und Spott zuteil lassen will. Volkswagen muss sich entscheiden. Am 14. März 2019 jährt sich die brutale Ermordung Marielle Francos zum ersten Mal, noch immer wurden weder die Täter noch die eigentlichen Hintermänner, die bis in höchste Politiketagen zu reichen scheinen, verhaftet.

Es bleibt die Frage: Dürfen VW-Manager weiter Politikern wie Wilson Witzel fröhlich-selig die Hände schütteln, Politikern, die lachend dabeistehen, wenn das Gedenken an eine brutalst hingerichtete Menschenrechtsaktivistin zerrissen und mit den Füßen getreten wird, dürfen VW-Manager dies weiter mit Deckung durch das oberste VW-Management in Wolfsburg tun? Oder wird VW hier endlich disziplinarische Konsequenzen ziehen und Roberto Cortes entlassen? VW muss sich entscheiden, wo es steht: erneut im Sumpf, wie vor genau 50 Jahren, während der bleiernen Jahre der brasilianischen Militärdiktatur – oder eben endlich auf Seiten von Anstand und gegenseitigem Respekt. Das ist hier die Frage, die die Führungsetage der Volkswagen AG umgehend zu beantworten hat.

Christian Russau
Vorstandsmitglied Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, Köln/Berlin, 8.3.2019

Günther Schulz
Brasilieninitiative Freiburg, Freiburg, 8.3.2019

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