Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat von Adidas,
Mein Name ist Artemisa Ljarja und ich stehe hier als Vertreterin der Kampagne für Saubere Kleidung –Clean Clothes Campaign Germany und im Besonderen des Bündnisses der Kampagne Pay Your Workers.
Diese wird die von mehr als 280 Gewerkschaften und Organisationen weltweit getragen und fordert von großen Bekleidungsunternehmen, wie Adidas, ein verbindliches Abkommen zu unterzeichnen, was die Sicherung von Löhnen, Abfindungen sowie die Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen in der Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Lederindustrie gewährleistet.
In diesem Zusammenhang spreche ich hier mit Autorisierung des Dachverbandes der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zum Punkt 2 der Tagesordnung: Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns der Adidas AG und zu Tagesordnungspunkt 3: Beschlussfassung über die Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2023. Wir beantragen, die Mitglieder des Vorstands nicht zu entlasten, denn der Adidas-Vorstand kommt seinen Verpflichtungen gegenüber den Beschäftigten in seiner Lieferkette nicht nach.
Durch die Pandemie gibt es verstärkt Lohngefälle, Abfindungsdiebstahl und Verletzung grundlegender Arbeitsrechte. Außerdem unternimmt der Vorstand nicht genügend, um sich grundsätzlich auf zu erwartende Lieferkettenstörungen im Zuge der Klimakrise vorzubereiten.
Des Weiteren lehnen wir die von der Verwaltung vorgeschlagene Verwendung des Bilanzgewinns ab. Die vorgeschlagene Dividende von 0,70 Euro pro dividendenberechtigter Stückaktie ist zu hoch. Wir fordern stattdessen, dass anstatt der Ausschüttung der Dividende ein größerer Teil des Bilanzgewinns für umfassende Maßnahmen verwendet wird, um strukturelle Probleme in der Lieferkette von Adidas anzugehen und grundlegende Arbeitsrechte und Sozialstandards umzusetzen. Heute werde ich von dem Vertreter der Arbeiter von Hulu Garments begleitet. Er hat eine lange Reise auf sich genommen und möchte sich direkt an Sie wenden:
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat von Adidas,
Mein Name ist Sithyneth Ry, und es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber ich wäre heute lieber nicht hier. Ich bin allein aus dem Grund aus Kambodscha angereist, um im Namen der Arbeitnehmer*innen, die meine Gewerkschaft vertritt, zu Ihnen zu sprechen. Wären diese Beschäftigten nicht vor vier Jahren durch einen Trick dazu gebracht worden, auf ihre Abfindung zu verzichten, wäre ich nicht hier.
Wenn Adidas in den vergangenen vier Jahren die von uns geforderten Maßnahmen ergriffen hätte, um diese Situation in Ordnung zu bringen, müsste ich jetzt nicht hier stehen. Aber jetzt bin ich hier, um im Namen dieser Arbeitnehmer*innen zu sprechen. Sie hätten gerne direkt mit Ihnen gesprochen. Aber ich hoffe, Sie verstehen, dass es im Leben einer*s Bekleidungsarbeiters*in nicht möglich ist, einfach eine Woche Urlaub zu nehmen, um nach Deutschland zu reisen. Es ist eine gute Nachricht, dass alle Arbeiter*innen nach den Ereignissen vor vier Jahren wieder Arbeit gefunden haben, aber das schmälert nicht die Ungerechtigkeit, die ihnen angetan wurde. Folgendes ist passiert:
Als die Corona-Pandemie im März 2020 ausbrach, schloss die Bekleidungsfabrik Hulu Garment in Phnom Penh (Kambodscha), die Kleidung für Adidas herstellte, vorübergehend ihre Tore – wie viele andere Unternehmen auf der ganzen Welt auch. Als sich das Ende der Schließung im April näherte, rief die Betriebsleitung die Beschäftigten zu sich und teilte ihnen mit, dass sie ein Dokument mit ihrem Daumenabdruck „unterschreiben“ müssten, um ihr Schließungsgeld zu erhalten, das 40 % ihres regulären Monatslohns betrug. Sie sagten: „Ihr müsst unterschreiben, sonst können wir euer Geld nicht überweisen“. Hunderte der Hulu Garment-Beschäftigten unterschrieben an diesem Tag das Dokument, ohne zu wissen, dass sich unter ihrer Lohnabrechnung ein Vermerk befand, der besagte, dass sie kündigten. Am nächsten Tag, als den Arbeitnehmer*innen klar wurde, dass ihr Arbeitgeber sie hinters Licht geführt hatte, indem er sie zur Unterzeichnung eines Kündigungsschreibens verleitete, um die Zahlung von Abfindungen zu vermeiden, protestierten mehr als 300 Arbeitnehmer*innen und forderten ihre Wiedereinstellung.
Vier Jahre später fordern 500 Beschäftigte weiterhin die Zahlung einer Abfindung von über 1 Million US-Dollar, die ihnen bei einer Entlassung rechtlich zustünde – Da sie betrogen worden waren und nicht freiwillig gekündigt hatten, kann man faktisch von einer Entlassung sprechen. Die Beschäftigten wurden arbeitslos und ohne die Abfindung, die sie bei einer Entlassung erhalten hätten, zurückgelassen – und das mitten in einer Pandemie. Dies führte zu erschütternden Situationen. Die Arbeiter*innen waren jahrelang mit niedrigen Löhnen ausgekommen und hatten keine Puffer, auf die sie zurückgreifen konnten. Diese plötzliche Arbeitslosigkeit ohne Entschädigung bedeutete, dass sie ihre Familien nicht mehr ernähren konnten, Kredite aufnehmen oder ihr Hab und Gut verkaufen mussten.
Die Arbeiter*innen müssen die Abfindung erhalten, die ihnen zusteht und um die sie betrogen wurden. Sie litten nicht nur unter Hunger und Schulden, sondern wurden auch auf grausame Weise behandelt, weil sie auf diese Weise betrogen wurden. Wir fordern Gerechtigkeit. Um es mit den Worten der Arbeiter*innen zu sagen: „Wir, die ehemaligen Arbeiter von Hulu, möchten Adidas bitten, alles zu tun, was in Ihrer Macht steht, um uns zu helfen, unsere angemessene Abfindung zu bekommen, in Übereinstimmung mit dem Gesetz.“ Angesichts des Ausmaßes dieser arbeitsrechtlichen Verstöße in der globalen Lieferkette der Adidas AG und der Erwartung, dass im Zuge der Klimakrise u.a. Überschwemmungen und Hitzewellen zu unvermeidbaren Fabrikschließungen führen werden, wird deutlich, dass eine systemische Lösung der Adidas AG erforderlich ist. Wie andere Unternehmen muss sich auch Adidas vermehrt darauf vorbereiten, dass Fabrikschließungen und Massenentlassungen entlang der Lieferkette u.a. in Folge des Klimawandels oder Pandemien zunehmen werden. Das verbindliche Abkommen „Pay Your Workers – Respect Labour Rights“ (PYW-RLR), das von Gewerkschaften und Arbeitsrechtsorganisationen ins Leben gerufen wurde, bietet einen solchen strukturellen Ansatz zum Schutz der Grundrechte der Arbeitnehmenden.
Ich frage Sie, sehr geehrte Adidas-Verantwortliche:
Welche weiteren Schritte wird Adidas unternehmen, um sicherzustellen, dass die 500 Beschäftigten von Hulu Garment in Kambodscha, die zu Beginn der Covid-19-Pandemie unrechtmäßig entlassen wurden, ihre gesetzlich geschuldeten Abfindungen und Sozialleistungen in Höhe von einer Million Euro erhalten?
Wie wird sich Adidas auf zu erwartende Lieferkettenstörungen in Folge der Klimakrise vorbereiten und dafür Sorge tragen, dass Arbeiter*innen in seinen Lieferketten zu jeder Zeit die Entschädigung oder Abfindung bekommen, die Ihnen gesetzlich zusteht?
Wird Adidas endlich auf die Einladung der Gewerkschaften eingehen und in guter Absicht über einen Abfindungsgarantiefonds verhandeln, um Gewerkschaftsrechte zu schützen?
Wird Adidas das Abkommen „Pay Your Workers – Respect Labour Rights“ unterzeichnen?
Und an Sie, sehr geehrte Investor*innen, möchte ich mich abschließend auch nochmals wenden:
Es sollte dieses Jahr ein großer Teil des Umsatzes nicht zur Auszahlung einer Dividende genutzt werden. Denken Sie an die Arbeiter*innen von Hulu Garment, denen Sie immer noch rund 2.000 € pro Person schulden. Ihre Dividende stammt von den Produkten, die u.a. diese Beschäftigten hergestellt haben.
Ich hoffe, dass Sie sich unserer Haltung anschließen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!