„Strukturelle Lösung zum Schutz der Grundrechte der Arbeitenden in der Lieferkette erforderlich“: Rede von Vivien Tauchmann, Kampagne für Saubere Kleidung


Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat von Adidas,

zunächst möchte ich Ihnen – vielleicht unerwartet – ein kleines Lob aussprechen. Das Ihre Hauptversammlung physisch und nicht nur virtuell stattfindet betrachten wir als wichtig und gut! Andere Unternehmen führen nur noch virtuelle Hauptversammlungen durch, was die Möglichkeit  für kritische Nachfragen nimmt.

Mein Name ist Vivien Tauchmann und ich stehe hier in meiner Rolle als Vertreterin der Kampagne für Saubere Kleidung – Clean Clothes Campaign Germany und im Besonderen des Bündnisses der Kampagne Pay Your Workers, die von mehr als 280 Gewerkschaften und Organisationen weltweit getragen wird und mit der wir von großen Bekleidungsunternehmen, wie Adidas, fordern ein verbindliches Abkommen zu unterzeichnen, was die Sicherung von Löhnen, Abfindungen sowie die Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen in der Textil-, Bekleidungs-, Schuh- und Lederindustrie gewährleistet. 

In diesem Zusammenhang spreche ich hier mit Autorisierung des Dachverbandes der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre zum Punkt 2 der Tagesordnung: Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns der Adidas AG und zu TOP 3: Beschlussfassung über die Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2022.

Wir beantragen, die Mitglieder des Vorstands nicht zu entlasten. Der Adidas-Vorstand kommt seinen Verpflichtungen gegenüber den Beschäftigten in seiner Lieferkette nicht nach. Abfindungs- und Lohndiebstahl und die Verletzung grundlegender Gewerkschaftsrechte sind seit langem Probleme in der Lieferkette von Adidas und haben sich für die Beschäftigten seit der Pandemie nur noch verschärft.

Des Weiteren lehnen wir die von der Verwaltung vorgeschlagene Verwendung des Bilanzgewinns ab und fordern stattdessen, dass ein höherer Teil des Bilanzgewinns statt als Dividende für effektive Maßnahmen verwendet werden sollte, um strukturelle Probleme in den Lieferketten von Adidas zu lösen. Wir fordern gezielt, das verbindliche Abkommen „Pay Your Workers – Respect Labour Rights“ zu unterzeichnen, um Lohndiebstahl zu bekämpfen und das Recht von Textilarbeiter*innen auf Abfindungen sowie ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen zu schützen.

Doch bevor ich auf die weitere Begründung für unsere Anträge eingehe, möchte ich Sie alle im Saal zunächst bitten, ihre Jackentaschen zu kontrollieren.

Ja, wir hätten Sie bestehlen können, so wie Adidas Textilarbeiter*innen in seiner Lieferkette bestiehlt. Stattdessen geben wir Ihnen Informationen darüber, was adidas den Arbeiter*innen in seiner Lieferkette schuldet.

Wenn es Ihnen nicht gefällt, dass jemand in ihren Taschen kramt, verstehen wir das. Den Beschäftigten, die für Adidas hochwertige Produkte fertigen, gefällt es auch nicht, dass sie Geld was ihnen zusteht, nie erhalten haben.

So zum Beispiel die Beschäftigten von Hulu Garment:

Zu Beginn der Covid-19-Pandemie Anfang März 2020 suspendierte der Adidas-Zulieferbetrieb in Kambodscha, alle 1.020 Beschäftigten. Ende April 2020 wies die Betriebsleitung die Beschäftigten an, mit einem Daumenabdruck ein Dokument zu unterzeichnen, um ihre Entlassungsentschädigung zu erhalten, sagte ihnen aber nicht, dass es sich in Wirklichkeit um ein Kündigungsdokument handelte. Die Fabrikleitung brachte Hunderte von Beschäftigten dazu, zu kündigen, um die Zahlung von Abfindungen zu vermeiden. Einen Monat später wurde die Fabrik wiedereröffnet, aber die Hälfte der Belegschaft wurde nie wieder eingestellt. Fünfhundert Beschäftigte kämpfen noch immer um die ihnen geschuldete Summe von mehr als 1 Million €.

Oder die Beschäftigten von Pou Chen:

Im Oktober 2022 streikten die Beschäftigten des langjährigen Adidas-Zulieferbetriebs in Myanmar für ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit und eine Lohnerhöhung. Daraufhin wurden 26 Beschäftigte, darunter 16 Gewerkschaftsmitglieder entlassen. Erst nach einem langwierigen Kampf durch die Unterstützung von Anwälten und Kampagnen stellte die Fabrik im Februar 2023 13 Beschäftigte wieder ein und 13 erhielten eine Abfindung. Aber die Unterdrückung der Gewerkschaften in der Fabrik hält unvermindert an und die Löhne wurden nicht erhöht.

Das sind nur zwei aktuelle Beispiele für Arbeitsrechtsverletzungen in der globalen Lieferkette von Adidas. Weitere Forschungen zeigen, dass Beschäftigten in acht Adidas-Zulieferfabriken in Kambodscha allein von März 2020 bis Mai 2021 Lohnzahlungen in Höhe von fast 10 Millionen Euro geschuldet werden; eine Momentaufnahme des viel größeren Problems des Lohndiebstahls.

Das Ausmaß dieser und weiterer Menschenrechtsverstöße macht eine strukturelle Lösung zum Schutz der Grundrechte der Arbeitenden erforderlich. Das „Pay Your Workers-Respect Labour Rights“ Abkommen bietet diesen praktischen Ansatz. Es sieht vor, sowohl einen globalen Abfindungsgarantiefonds einzurichten, als auch einen Mechanismus für unabhängige Untersuchungen und Abhilfemaßnahmen, wenn Fälle von Verletzungen grundlegender Arbeitsrechte bekannt werden. Damit ist das Abkommen ein wirksames Instrument für Adidas, um nachzuweisen, dass das Unternehmen die Sorgfaltspflichten der einschlägigen Gesetzgebung, wie des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes erfüllt.

Ihrem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Kasper Rørsted zahlten Sie eine Abfindung in Höhe von 12 Millionen €.

Wenn für Sie die Pflege einer Unternehmenskultur der Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion wirklich Priorität hat, dann sollten sie auch sicherstellen, dass Beschäftigte die Ihre Produkte herstellen, ihre Abfindungen erhalten.

Wenn Sie Ihr Engagement für Frauenrechte und gegen Rassismus wirklich ernst meinen, dann stellen Sie sicher, dass die zahlreichen Women of Colour, die in Ihren Zulieferfabriken arbeiten, ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen wahrnehmen können.

Ich frage Sie, sehr geehrte Adidas-Verantwortliche:

  • Wird Adidas mit den Gewerkschaften verhandeln und das Abkommen „Pay Your Workers – Respect Labour Rights“ unterzeichnen, um sicherzustellen, dass nicht noch mehr Textilarbeiter*innen ihrer Abfindungen und ihrer grundlegenden Arbeitsrechte beraubt werden?
  • Welche weiteren Schritte wird Adidas unternehmen, um sicherzustellen, dass die 500 Beschäftigten von Hulu Garment in Kambodscha, die zu Beginn der Covid-19-Pandemie unrechtmäßig entlassen wurden, ihre gesetzlich geschuldeten Abfindungen und Sozialleistungen in Höhe von einer Million Euro erhalten?
  • Welche Schritte wird Adidas unternehmen, um sicherzustellen, dass die Beschäftigten des langjährigen Zulieferers Pou Chen Myanmar einen fairen Lohn erhalten und ihre Gewerkschaftsrechte respektiert werden?
  • Mit Blick auf eine weitere Produktionsregion – Indonesien – haben Forscher*innen ein halbes Dutzend historischer Fälle von Abfindungsbetrug bei Adidas Zulieferbetrieben dokumentiert, bei denen Tausende von Arbeiter*innen Abfindungen in Millionenhöhe schuldig geblieben sind. Welche Schritte hat Adidas unternommen, um die Auswirkungen dieses Abfindungsdiebstahls durch seine Zulieferbetriebe für die Beschäftigten und ihre Familien zu erfassen und im Laufe der Zeit zu überprüfen?

Und an Sie, sehr geehrte Investor*innen, möchte ich mich abschließend auch nochmals wenden:

Statt Arbeiter*innen zu bezahlen, bezahlt Adidas Sie. Wenn Sie sich über die enttäuschende Dividende in diesem Jahr Sorgen machen, dann denken Sie an die Arbeiter*innen von Hulu Garment, denen immer noch rund 2.000 € pro Person geschuldet werden. Ihre Dividende stammt von den Produkten, die u.a. diese Beschäftigten hergestellt haben.

Ich hoffe, dass Sie sich unserer Haltung anschließen.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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