„Menschenrechte und intakte Umwelt müssen endlich auch in Kapitalanlage und Versicherungsgeschäft präventiv beachtet werden“: Rede von Christian Russau

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Christian Russau und ich bin Vorstandsmitglied des dachverbands der Kritischen Aktionär:innen und Aktionäre aus Köln.

Herr Bäte, ich muss leider gleich in medias res und Sie scharf rügen. Ihre Anfang Januar getätigte Äußerung gegenüber Medien bezüglich der Einführung eines Karenztages bei kranken Arbeitenden ist unverschämt! Ihre Forderung nach Einführung eines Karenztages im Krankheitsfalls zielt wohl ab auf eine Änderung der Lohnfortzahlung in § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) und dies warum? Weil Sie, Herr Bäte, der arbeitenden Bevölkerung pauschal Blaumacherei unterstellen, aber Sie trauen sich das nicht direkt so zu sagen. Irgendwie scheint sich der Unverschämte dann also doch zu schämen – oder ist es doch politisch-mediales Kalkül?

Jedenfalls stimmt auf jeden Fall Folgendes: Eine aktuelle Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigt (https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/mehrheit-arbeitnehmer-arbeitet-krank-100.html), dass Zweidrittel der Beschäftigten krank zur Arbeit geht. Fast zwei Drittel der Beschäftigten gaben an, „2024 mindestens einen Tag trotz starker Krankheit gearbeitet zu haben – manche sogar teilweise über Wochen. Dabei arbeiten vor allem Frauen krank.“ Und es stimmt auch, dass „Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland, die im Homeoffice arbeiten, haben das einer Umfrage zufolge bereits krank oder krankgeschrieben getan. Das geht aus dem neuen Arbeitssicherheitsreport der Prüforganisation Dekra hervor“ (https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/umfrage-homeoffice-krank-arbeiten-100.html) Und es stimmt auch: Es ist die Arbeit selbst, die krank macht: „Mehr als zwei Drittel aller Tage verbringen wir also in diesem Jahr im Job. Kein Wunder also, dass die Erkrankungen von Menschen häufig auf die Arbeitsbelastung zurückzuführen sind.“ (https://www.hannoversche.de/wissenswert/wenn-arbeit-krank-macht)

Herr Bäte, Sie sehen also, die Datenlage ist eindeutig: der arbeitenden Bevölkerung Blaumacherei zu unterstellen und dreist Karenztage zu fordern, steht der Realität diametral entgegen – und ist mithin unverschämt.

Anstelle also von Karenz-Tagen bei Lohnfortzahlung sollten wir schnellstmöglich über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen reden. Und wir sollten darüber reden, eine gesetzliche Einführung von Karenz-Boni und Karenz-Dividenden zu besprechen, und dies ganz ohne Scham, Herr Bäte. Fangen wir doch mit dem Kürzen bei Ihren Boni an, Herr Bäte. Diese nicht unerheblichen Mittel könnten doch in einen neuen Sonderfonds eingehen, der die Arbeitsbedingungen in den Betrieben und Unternehmen verbessert, damit eben weniger Menschen durch ihre Arbeit krank werden. Also, Herr Bäte, ich frage Sie: Sind Sie persönlich bereit, mit gutem Beispiel voranzugehen und sich politisch dafür einzusetzen, dass es gesetzlich geregelte Karenz-Boni und Karenz-Dividenden geben wird, die zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt werden?

Nächstes Thema: Auf den Hauptversammlungen 2016 und 2019 haben wir Sie bezüglich der Versicherungspolicen der Allianz für die Tailing-Rückhaltebecken der Samarco bzw. der Vale befragt, deren Dämme im November 2015 („Mariana“) bzw. im Januar 2019 („Brumadinho“) gebrochen waren und mit zu den größten Katastrophen im Bergbau weltweit zählen. Dazu antwortete die Allianz, diese Rückhaltebecken seinen in der Tat von der Allianz (mitrück-)versichert worden, aber nicht wie man gemeinhin annehmen würde mit einer Art Haftpflichtversicherung zur Deckung der Schäden Dritter bzw. Umweltschäden, sondern einer Versicherung, die die entgangenen Gewinne der Samarco bzw. der Vale gegen Ausfall absichert.

  1. Da beide Dammbrüche noch immer straf- wie auch zivilrechtlich in Brasilien, in UK und in Deutschland vor Gericht verhandelt werden, bitte ich Sie, mir zu erläutern, ob Ihrerseits irgendwelche Versicherungsleistungen in den beiden Fällen ausgezahlt wurden, in welcher Höhe, wann und mit welcher Begründung?
  2. Trifft es weiterhin zu, dass Sie den Firmen Samarco und Vale u.a. Versicherungsleistungen anbieten bzw. vertraglich zugesichert haben, die entgangenen Gewinne der Bergbaukonzerne gegen Ausfall absichern?
  3. Wie ist dort das Verhältnis zu den Versicherungspolicen, die die Schäden Dritter oder Umweltschäden abdecken?
  4. Inwieweit und wie nah verfolgen Sie die noch andauernden Gerichtsprozesse zu den Dammbrüchen von „Mariana“ und „Brumadinho“? Haben Sie – gerne auch Sie persönlich, daraus irgendwelche Lehren gezogen?
  5. Wie viele Tailing-Rückhaltebecken weltweit, die nach der Upstream-Konstruktion errichtet wurden, hat die Allianz inkl. aller Tochtergesellschaften versichert?
  6. Falls die Allianz derzeit noch Tailing-Rückhaltebecken der Upstream-Konstruktion in den Versicherungspolicen in irgendeiner Form abdeckt, plant die Allianz das Ausphasieren dieser enorm bruchanfälligen Tailing-Dämme?
  7. Beteiligt sich die Allianz in welcher Form in ggf. existierenden Industriebemühungen, diese bruchanfälligen Dämme schnellstmöglich auszuphasieren?
  8. Unseren Recherchen zufolge hielt die Allianz inkl. ihrer Tochtergesellschaften im vergangenen Jahr u.a. Anteile bzw. hatte Anleihen gezeichnet der Unternehmen Cargill, Bunge und ADM? Trifft dies zu und trifft dies weiterhin zu?
  9. Ist Ihnen im Falle Cargills der Rechtsstreit um den von Cargill in der amazonischen Kleinstadt Abaetetuba geplanten Hafenterminals bekannt, bei dem es zum einen Gerichtsprozesse um die Legalität bzw. Illegalität des Grundstückserwerbs durch Cargill auf einem eigentlich von traditionellen Fischer:innengemeinschaften genutzten und von der Agrarreformbehörde eigentlich als agroextraktivistischem Gebiet ausgewiesenen Terrains bewusst bzw. in irgendeiner Weise bekannt?
  10. Der zweite diesbezügliche Gerichtsprozess bezieht sich auf die Nichteinhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Konsultationsvorschriften, wie sie die brasilianische Verfassung und die von Brasilien und Deutschland ratifizierte ILO-Konvention Nr. 169 zum Schutze der Rechte indigener und weiterer traditioneller Völker vorschreiben: Ist der Allianz dieser Vorgang bekannt?
  11. Wie beurteilen Sie diese Vorgänge vor allem vor dem Hintergrund, dass die Allianz sich ja eigentlich auf das Kriterium der Einhaltung der freien, vorherigen und informierten Konsultation (FPIC) indigener und weitere traditioneller Völker in ihren eigenen ESG-Kriterien beruft?

In ihrem „Policy Statement of Allianz SE on the implementation of human rights and environmental due diligence“ (Version 2, Januar 2025) erklärt die Allianz erst emphatisch „die Bedeutung der Menschenrechte als ein wertebasiertes Thema“ und dass das Unternehmen sicherstelle, „sich nicht an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen“. Im allgemeinen Geschäftsbetrieb als Finanzdienstleisterin aber, so heißt es weiter, sei „das Menschenrechtsrisiko, das mit dem eigenen Betrieb dieser Art von Geschäftstätigkeit verbunden ist, im Vergleich zur produzierenden Industrie eher gering. […] Ebenso wird das Risiko, dass die ureigene Geschäftstätigkeit von Finanzdienstleistern schwere Umweltschäden verursacht, als bescheiden eingeschätzt.“ Diese Schlussfolgerung werde „durch unsere Forschung unter Verwendung öffentlich zugänglicher Daten zu sektoralen Menschenrechtsrisiken sowie durch unsere GSCA-Risikobewertungen gestützt“. Angesichts jahrzehntelanger Erfahrungen bei Versicherungs- und Rückversicherungsdienstleistungen sowie bei Investment- und Anleiheentscheidungen durch die Allianz und ihre Tochterfirmen bei Dritten, deren Großprojekte teils verheerende Umwelt- und menschenrechtsbezogene Konsequenzen (bspw. Dammbrüche im Bergbau) verursacht haben, bezweifelt der Dachverband der Kritischen Aktionär:innen die Ernsthaftigkeit, Tiefe und Reichweite der erwähnten Untersuchungen. Menschenrechte und intakte Umwelt müssen folglich endlich auch in der Kapitalanlage und im Versicherungsgeschäft präventiv systematisch Beachtung finden und deren Missachtung im Rahmen einer umfassenden Risikoanalyse als Vorab-Ausschlusskriterium fungieren. Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht als Vorbedingung für Wahrung, Achtung und Gewährleistung der Menschenrechte in ihrer Unteilbarkeit darf nicht dem Profitinteresse der Finanz- und Kapitaldienstleistung geopfert werden. Wir erwarten von der Allianz, dass sie hier als Trendsetter endlich mit Nachdruck aktiv werden. Dazu gleich meine letzte Frage:

  1. Bitte übermitteln Sie uns zur allfälligen Prüfung die in unserem Gegenantrag bereits angesprochene „Forschung unter Verwendung öffentlich zugänglicher Daten zu sektoralen Menschenrechtsrisiken sowie […] unsere GSCA-Risikobewertungen“, aufgrund derer die Allianz meint behaupten zu können, dass „das Risiko, dass ureigene Geschäftstätigkeit von Finanzdienstleistern schwere Umweltschäden verursacht, als bescheiden eingeschätzt“ wird und dass „das Menschenrechtsrisiko, das mit dem eigenen Betrieb dieser Art von Geschäftstätigkeit verbunden ist, im Vergleich zur produzierenden Industrie eher gering“ sei.

Nächster Fragenblock:

  1. Verschiedene Fondshäuser wie Deka oder Union Investment sagen, Rüstung sei notwendig, aber nicht nachhaltig und begründen somit ihre Entscheidung, mit konventionellen Fonds in Rüstung zu investieren, aber mit nachhaltig gelabelten Fonds nicht. Warum hat sich Allianz Global Investors dieser Vorgehensweise nicht angeschlossen? Was spricht aus der Sicht von Allianz Global Investors dagegen ausschließlich mit konventionellen Fonds in Rüstung zu investieren?
  2. Gab es vor der Entscheidung, künftig Rüstung in nachhaltig gelabelte Fonds aufzunehmen, eine Umfrage unter Kunden, Investoren oder anderen Stakeholdern? Glaubt Allianz, dass die Mehrheit der Investoren der nachhaltig gelabelten Fonds von Allianz Global Investors zufrieden sind mit dieser Richtungsänderung? Wie sind die Reaktionen der Investoren und Kunden auf die Richtungsänderung ausgefallen?
  3. Welche Rolle hat die finanzielle Performance von Rüstungsaktien seit 2022 gespielt bei der Entscheidung von Allianz Global Investors, künftig mit nachhaltig gelabelten Fonds in Rüstung zu investieren? Welche Rolle hat die Befürchtung von Fondsmanagern gespielt, sie könnten ohne Rüstungsaktien ihre Benchmark unterperformen?
  4. Es gibt aktuell divergierende Einschätzungen von kontroversen und geächteten Waffen im Finanzsektor. Bei einigen völkerrechtlich geächteten Waffen – Landminen, Streubomben, Biowaffen, Chemiewaffen – gibt es im Finanzsektor Einigkeit, dass diese nicht in nachhaltig gelabelte Fonds gehören. Aber bei einigen kontroversen Waffen – Atomwaffen, weißer Phosphor, Brandbomben, blindmachende Laserwaffen – geht neuerdings die Einschätzung auseinander. Offenbar können Firmen, die an der Atomwaffenproduktion beteiligt sind, künftig Teil von nachhaltig gelabelten Fonds von Allianz Global Investors sein. Warum beurteilt Allianz Atomwaffen nun anders? Wie ist die Position der Allianz zu diesen kontroversen Waffen? Können Firmen, die an der Produktion von weißem Phosphor, Brandbomben oder blindmachenden Laserwaffen beteiligt sind, künftig in nachhaltig gelabelten Fonds von Allianz Global Investors sein?
  5. Die Allianz hat keinerlei Kriterien gegen Rüstungsexporte an kriegführende und menschenrechtsverletzende Regime. Europäische Rüstungsfirmen rüsten nicht nur die EU-Armeen auf, sondern exportieren auch Waffen für völkerrechtswidrige Kriege in Libyen, Syrien, Jemen, Sudan, Gaza, Myanmar, Karabach, etc. Somit können Firmen, die völkerrechtswidrige Angriffskriege mit Waffenlieferungen unterstützen, künftig Teil von nachhaltig gelabelten Fonds von Allianz Global Investors sein. Plant Allianz, künftig Kriterien gegen Rüstungsexporte an kriegführende und menschenrechtsverletzende Regime zumindest für nachhaltig gelabelte Fonds zu implementieren? Falls ja, wie werden diese Kriterien konkret aussehen? Plant die Allianz einen Ausschluss von Firmen, die Waffen an menschenrechtsverletzende Diktaturen liefern? Plant die Allianz einen Ausschluss von Firmen, die Waffen an Parteien liefern, die an den Kriegen in Libyen, Syrien, Jemen, Sudan, Gaza, Myanmar, Karabach beteiligt sind? Plant die Allianz einen Ausschluss von Firmen, die Waffen liefern an Parteien, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese zur Verletzung von Menschenrechten oder Völkerrecht verwendet werden? Plant die Allianz einen Ausschluss von Firmen, die an korrupten Rüstungsdeals beteiligt sind? Welche Datengrundlagen wird die Allianz berücksichtigen zur Bewertung von Rüstungsexportpraktiken von Rüstungsfirmen? Den Corruption Tracker? Die ExitArms Datenbank? Die Sipri Arms Transfers Database? Andere Datengrundlagen?
  6. Allianz Global Investors begründet die geänderte Richtlinie unter anderem mit der Notwendigkeit, die Armeen demokratischer europäischer Staaten auszurüsten. Sind der Allianz börsennotierte Rüstungsfirmen bekannt, die ausschließlich für die Sicherheitskräfte von demokratischen Staaten produzieren und keine Waffen an kriegführende und menschenrechtsverletzende Regime liefern? Falls ja, welche?
  7. Plant Allianz Global Investors sich künftig im Rahmen von shareholder engagement als aktiver Aktionär bei Rüstungsfirmen dafür einzusetzen, dass diese keine Waffen an kriegführende und menschenrechtsverletzende Regime liefern? Plant Allianz auf Hauptversammlungen von Rüstungsfirmen gegen Vorstand und Aufsichtsrat zu stimmen, wenn diese Firmen Waffen an kriegführende und menschenrechtsverletzende Regime liefern?
  8. Derzeit hat der Allianz-Konzern keinerlei demokratie- oder menschenrechtsbezogene Kriterien für Staatsanleihen veröffentlicht, weder am Primärmarkt noch am Sekundärmarkt, weder beim Kauf noch bei Emittierung oder Underwriting, weder bei Anleihen in nationaler Währung noch bei Fremdwährungsanleihen. Hat die Allianz intern bereits demokratie- oder menschenrechtsbezogene Kriterien für Staatsanleihen festgelegt, die einfach nicht veröffentlicht wurden? Falls ja, wann plant die Allianz diese Kriterien zu veröffentlichen? Falls nein, warum hat die Allianz keinerlei Kriterien festgelegt?
  9. Gerade bei der Ausgabe von Fremdwährungsanleihen von diktatorischen Regimen bestehen für den Allianz-Konzern menschenrechtliche Risiken. Plant die Allianz wenigstens für diesen Teilbereich des Staatsanleihenmarkts, demokratie- oder menschenrechtsbezogene Kriterien einzuführen und offenzulegen?
  10. Die Allianz hat keine Engagement/Stewardship-Strategie für Staatsanleihen veröffentlicht. Andere wie z.B. Shareholders for Change haben gezeigt, dass Engagement/Stewardship auch bei Staatsanleihen möglich ist und teilweise zu positiven Ergebnissen führt. Hat der Allianz-Konzern im vergangenen Geschäftsjahr Engagement-Aktivitäten im Bereich Staatsanleihen vorgenommen? Falls ja, in wie vielen Fällen? Bei welchen Staaten konkret? Auf welche Art und Weise? Welche Ergebnisse wurden erzielt? Wurden die Engagement-Aktivitäten eingestellt oder halten sie an?

Und, zum Schluss, ich freue mich auf ein Wiedersehen IN PRÄSENZ nächstes Jahr, gerne wieder in München.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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