Rede Verena Glass

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Verena Glass. Ich bin heute hier als Repräsentantin der Widerstandsbewegung am Xingu-Fluss im brasilianischen Amazonas. Diese Widerstandsbewegung ist das wichtigste Bündnis gegen den Bau des Wasserkraftwerks Belo Monte. Ich bedanke mich für die Möglichkeit, heute hier sprechen zu können, um über die enormen sozialen und ökologischen Auswirkungen dieses Projekts zu informieren, an dessen Absicherung die Allianz mit über 400 Mio. € beteiligt ist.

Vielleicht haben Sie es der Presse entnommen: Das Baugelände von Belo Monte ist seit Tagen von über 200 Indigenen BESETZT. Die Indigenen protestieren dort – weil die brasilianische Regierung die Verfassung bricht und die ILO-Konvention 169 missßachtet, obwohl sie diese ratifiziert hat: Laut Gesetz, Verfassung und internationalen Verträgen muss die brasilianische Regierung die von Staudammbauten wie Belo Monte betroffenen Indigenen VORAB konsultieren. Dies ist nicht geschehen. Dies ist ein weiterer von vielen Rechtsbrüchen, der bei Belo Monte und anderen Staudämmen begangen wird.

Demnächst, vielleicht noch in diesem Jahr, wird der Oberste Gerichtshof Brasiliens über die Rechtmäßigkeit von Belo Monte urteilen. Wir sind guter Hoffnung, dass das Urteil entsprechend der Verfassung und internationalem Recht gesprochen wird: demnach müsste Belo Monte gestoppt werden müssen.

Meine Frage an Sie, den Vorstand der Allianz: welche Folge hätte ein vom Obersten Gericht Brasiliens ausgesprochener Baustopp für Ihre Firma: Wären Sie gegenüber den Baufirmen regresspflichtig? Deckt Ihre Versicherung das Risiko eines gerichtlichen Baustopps ab? Falls nicht, werden Sie im Falle eines Baustopps auf Erhalt ihrer Prämien bestehen? Belo Monte – das Kraftwerk am Xingu-Fluss in Amazonien: Wahrscheinlich kennen die meisten von Ihnen die Region nicht, wo das Belo Monte Wasserkraftwerk gebaut wird.

Im Herzen Amazoniens wird das Bauvorhaben 100 km des Xingu-Flusses trockenlegen. Dieser Fluss, der den Amazonas speist, ist eine der wichtigsten Lebensadern der Region. Der Xingu stellt die Lebensgrundlage der Bevölkerung dar: Er bedeutet Fischfang, Transport und Existenzsicherung. Durch das Staudammprojekt werden 400 km² Regenwald vernichtet und bis zu 40.000 Menschen sind von Zwangsumsiedlung bedroht. Tausende Fischer, Flussanwohner, Indigene und Kleinbauern und Bewohner der Stadt Altamira stehen vor dem Verlust ihrer Existenzgrundlage. Deshalb begreifen wir Belo Monte als massiven Eingriff auf das Überleben Tausender Menschen in einer der artenreichsten Regionen der Welt.

Der Kampf gegen Belo Monte dauert mittlerweile mehr als zwei Jahrzehnte an. Wie richtig und wie wichtig unser Widerstand ist, zeigt sich bereits jetzt während der Bauphase. Viele der von uns befürchteten Folgen stellen sich ein und dies leider in größerer Zahl und Intensität als wir je geahnt haben.

– Aktuell sind 17 Klagen der Bundessstaatsanwaltschaft in Pará gegen das Staudammprojekt/ Baukonsortium anhängig, weil es an zahlreichen Punkten gegen nationales und internationales Recht verstößt. So wurden bis heute die betroffenen indigenen Gemeinschaften nicht angemessen konsultiert. Das stellt einen Verstoß gegen die nationale Verfassung Brasiliens dar. Zudem verlangt dies auch die Konvention 169, die Brasilien 2002 unterzeichnet hat.

– Auch die Baugenehmigung von Belo Monte selbst wird gerichtlich angefochten und ist aktuell an die Erfüllung von über 40 Auflagen gebunden. Viele davon sind bis heute nicht umgesetzt worden. Z.B.: die Ausgabe von Besitztiteln für die indigene Bevölkerung, die Ausweisung von Farmern aus den Indigenen-Gebieten und allen voran der Bau eines funktionierenden Abwassersystems in Altamira.

– Bis heute hat das Unternehmerkonsortium von Belo Monte 850 ländliche Familien enteignet. Eine Zahl, die sich voraussichtlich noch verdoppeln wird. Viele Familien haben Klagen gegen das Betreiberkonsortium eingereicht, weil sie kein Ersatzland bekommen, bzw. keine oder eine so geringe Entschädigung erhalten haben, dass sie davon nicht umsiedeln und ein würdevolles Leben wiederaufbauen können.

– In den zwei direkt an Belo Monte angrenzenden indigenen Dörfern der Arara und Juruna können Hunderte Familien weder fischen noch jagen gehen und können keinen Feldbau mehr betreiben. Sie sind abhängig von Hilfslieferungen geworden, statt sich selbst zu versorgen. Durch die Baumaßnahmen ist das Wasser des Flusses so verunreinigt, dass entnommenes Trinkwasser, vor allem bei Kindern, starke Schwellungen und schmerzhaften Hautausschlag verursacht.

– Tausende Bauarbeiter werden nicht entsprechend der gesetzlich vorgesehenen Mindestlöhne bezahlt. Versuche einer gewerkschaftlichen Organisierung und der Einforderung von Rechten wird mit Massenentlassungen geahndet. Allein im April 2013 wurden 1500 Arbeiter entlassen, weil sie ihre Rechte eingefordert haben. Die Situation ist inzwischen so dramatisch, dass es zu Streiks und Aufständen auf der Baustelle kommt. Auf Proteste reagiert die Regierung wiederum mit Repression: Sie hat mehrfach Spezialeinheiten des Militärs zur Aufstandsbekämpfung gegen die Bevölkerung und die Arbeiter eingesetzt.

Es sind diese Konflikte, meine Damen und Herren, an denen Sie, vermutlich ohne Kenntnis darüber, wie ernst die Lage ist, teilhaben. Sonst würden Sie nicht einfach so lapidar sagen, dass Belo Monte zwar mit erheblichen Eingriffen in Natur und Lebensraum für Menschen verbunden ist, aber dass diesen Beeinträchtigungen ein dauerhafter Nutzen gegenübersteht. Nochmal: Für die betroffenen bis zu 40.000 Menschen bedeutet Belo Monte eine unwiderrufliche Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. Kann dann da wirklich noch von sauber erzeugter Energie sprechen? Sehr geehrte Damen und Herren in Vorstand und Aufsichtsrat, Sie sind aktuell mitverantwortlich für die durch Belo Monte begangenen Verbrechen. Ziehen Sie sich umgehend aus dem Projekt zurück, da es (inter-)national gültige grundlegende Sozial- und Umweltkriterien aufs Schlimmste missachtet.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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