„Halten Sie es wirklich für vereinbar mit Ihrer Sorgfaltspflicht, sich ausgerechnet dort aus der Verantwortung zu ziehen, wo die Risiken am größten sind?“: Rede von Lara Krahlisch

Sehr geehrte Damen und Herren auf dem Podium,
sehr geehrter Herr Niedermaier, sehr geehrter Herr Martinez,
liebe Aktionärinnen und Aktionäre,

mein Name ist Lara Krahlisch, ich spreche heute im Namen des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Wir vertreten Aktionärinnen und Aktionäre, denen verantwortungsvolles Wirtschaften wichtig ist – und bringen zugleich die Stimmen derjenigen mit, die von den Geschäftspraktiken der Alzchem Group AG unmittelbar betroffen sind.

Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen – dem Women on Farms Project aus Südafrika, INKOTA und PAN Germany – richten wir heute den Blick auf ein Produkt, das Ihre Bilanzen stärkt, aber auf Feldern im Globalen Süden fatale Folgen haben kann: Dormex.

Dormex enthält Wasserstoffcyanamid – ein hochgiftiges Pestizid, das in der EU als reproduktionstoxisch der Kategorie 1B eingestuft ist. Es besteht also der begründete Verdacht, dass es die Fruchtbarkeit beeinträchtigt und zu Entwicklungsstörungen beim ungeborenen Leben führen kann. Zudem können bei wiederholtem Kontakt schwere chronische Gesundheitsschäden auftreten – insbesondere durch Einatmen.

In Europa ist Dormex nur noch unter strengen Auflagen zugelassen, in Ländern wie Dänemark oder Schweden sogar ganz verboten. Trotzdem wird es weiter produziert – und gezielt in Länder des Globalen Südens exportiert. Dort fehlen oft wirksame Arbeitsrechte, persönliche Schutzausrüstung ist Mangelware, und staatliche Kontrollen greifen nicht.

Daher unsere erste Frage:

  • Wie hoch war der Umsatz mit Dormex im Jahr 2024 – und welcher Anteil entfiel auf Exporte außerhalb der Europäischen Union?

Unsere Partnerorganisation Women on Farms Project dokumentiert seit Jahren die Situation von Landarbeiterinnen in Südafrika. Viele von ihnen arbeiten auf Obstplantagen, auf denen Dormex eingesetzt wird – häufig ohne Schutzkleidung, ohne Schulung und unter Bedingungen, die es unmöglich machen, sich gegen eine giftige Exposition zu schützen. Betroffene berichten von Atembeschwerden, Hautausschlägen, Menstruationsstörungen und Fehlgeburten.

Vor diesem Hintergrund fordern wir:

Legen Sie offen,

  • welche Schulungs-, Schutz- und Monitoringmaßnahmen Sie vor Ort unterstützen und:
  • wie Sie Ihrer Verantwortung gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nachkommen:
  • Haben Sie eine menschenrechtliche Risikoanalyse durchgeführt?
  • Gab es 2024 konkrete Risikoberichte oder Beschwerden – etwa aus Südafrika?

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist nicht hinnehmbar, dass ein Produkt, das hier nur unter höchsten Sicherheitsstandards verwendet werden darf – und das aus gutem Grund – außerhalb der EU unter Bedingungen verkauft wird, die Menschenrechte und Gesundheit gefährden.

Daher auch folgende Fragen:

  • Warum hält Alzchem an Dormex fest?
  • Arbeiten Sie an weniger gefährlichen Alternativen?
  • Welche Investitionen tätigen Sie in agrarökologische, nachhaltige Produkte?

In Ihrem Nachhaltigkeitsbericht sprechen Sie von Energieeinsparung, Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft – alles wichtige Themen. Doch echte Nachhaltigkeit zeigt sich auch im Umgang mit den sozialen Folgen Ihrer Produkte – dort, wo sie angewendet werden.

Im Geschäftsbericht betont Alzchem zudem regelmäßig seine „soziale Verantwortung“ – als „guter Partner“, als „nachbarschaftliches Unternehmen“. Doch wie glaubwürdig ist dieses Bild, wenn der Vorstand auf zivilgesellschaftliche Kritik nicht reagiert?

Wir und unsere Partnerorganisationen haben wiederholt auf schwerwiegende Missstände im Zusammenhang mit dem Pestizid Dormex hingewiesen. Auf unseren Gegenantrag hat die Alzchem Group zwar mit einer schriftlichen Stellungnahme reagiert – doch anstatt sich inhaltlich mit den zentralen menschenrechtlichen und gesundheitlichen Bedenken auseinanderzusetzen, weicht die Antwort aus. Kritische Punkte wie der fehlende Gesundheitsschutz für Landarbeiter*innen, die Risiken für die Arbeitenden oder die Verantwortung im Rahmen des Lieferkettengesetzes werden entweder relativiert oder durch Verweise auf andere Themen verdrängt.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz heißt nicht ohne Grund so: Es verpflichtet Unternehmen zur Sorgfalt gegenüber allen Beteiligten in ihrer Lieferkette – also auch gegenüber den Landarbeitenden, die mit Ihren Produkten arbeiten. Warum verweist Alzchem in ihrer Stellungnahme dennoch wiederholt darauf, dass Schulungen, Schutzmaßnahmen und sichere Anwendung „Sache der Anwender*innen“ seien? Halten Sie es wirklich für vereinbar mit Ihrer Sorgfaltspflicht, sich ausgerechnet dort aus der Verantwortung zu ziehen, wo die Risiken am größten sind?

Statt ernsthaften Dialogs erleben wir eine Rhetorik, die die Realität der Betroffenen verkennt.

Doch Verantwortung zeigt sich nicht in PR-Versprechen, sondern im ehrlichen Dialog – auch mit kritischen Stimmen.

Dormex ist in der EU nicht mehr zugelassen, wird aber weiterhin in Länder des Globalen Südens exportiert. Sie rechtfertigen dieses Ungleichgewicht unter anderem mit dem Argument, dass es in Regionen mit milden Wintern keine Alternativen zur Einleitung der Blütenbildung gebe. Gleichzeitig wissen wir, dass in denselben Regionen auch Weinbaubetriebe erfolgreich wirtschaften – ohne Dormex einzusetzen.

  • Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
  • Und wie stehen Sie grundsätzlich zur Verantwortung Ihres Unternehmens, den Einsatz potenziell gesundheits- und umweltschädlicher Stoffe zu minimieren – gerade dann, wenn praktikable Alternativen offenbar existieren?
  • Welche Pläne verfolgt Ihr Unternehmen, um Dormex durch weniger riskante oder natürliche Alternativen zu ersetzen – insbesondere vor dem Hintergrund global steigender Anforderungen an nachhaltige Landwirtschaft?
  • Welche Forschung betreiben oder fördern Sie selbst zu nicht-chemischen Alternativen im südafrikanischen Weinbau – etwa zur Züchtung klimaangepasster Rebsorten oder mechanischen/kulturellen Verfahren zur Blühinduktion?
  • Gibt es wissenschaftlich belegte Erkenntnisse zu den Langzeitfolgen von Dormex auf Bodenleben, Wasserqualität und Biodiversität? Falls ja: Wie berücksichtigt Ihr Unternehmen diese bei der Produktvermarktung?
  • Wie stellen Sie sicher, dass Dormex in Ländern mit schwächerer Regulierung nicht missbräuchlich eingesetzt wird – etwa ohne Schutzmaßnahmen für Anwender*innen oder ohne Rücksicht auf ökologische Folgen?
  • In vielen Regionen Südafrikas arbeiten saisonale Erntehelfer*innen, oft unter prekären Bedingungen. Wie stellen Sie sicher, dass auch diese besonders vulnerable Gruppe vor den gesundheitlichen Risiken von Dormex geschützt wird?

In Deutschland verfügen Sie über Werkfeuerwehr, Notfallversorgung und betriebliches Gesundheitsmanagement.

  • Wie gehen Sie damit um, dass Arbeiter*innen in Exportländern keinen Zugang zu solchen Schutzsystemen haben? Halten Sie den Export unter diesen Bedingungen überhaupt für verantwortbar?

Sie betonen, dass Sie auf ergonomische und sichere Arbeitsplätze achten.

  • Wie überprüfen Sie konkret die Arbeitsbedingungen in den Ländern, in denen Ihre Produkte eingesetzt werden – oder akzeptieren Sie dort niedrigere Standards?

Sie bieten in Deutschland freiwillige Gesundheitsinitiativen wie „gesund punkten“ an.

  • Welche vergleichbaren Programme unterstützen Sie in Ländern wie Südafrika – für die Menschen, die mit Dormex arbeiten?

Und zuletzt: Sie möchten als „guter Nachbar“ wahrgenommen werden.

  • Wie nehmen Sie Verantwortung für Menschen in den Regionen wahr, in denen Ihre Pestizide angewendet werden? Gilt Ihre Nachbarschaftlichkeit auch außerhalb Bayerns?

Wir fordern Sie deshalb auf: Treten Sie in Austausch mit den Betroffenen – und mit uns. Ihre Verantwortung endet nicht am Werkstor in Trostberg.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit – und erwarte ausführliche, nachvollziehbare Antworten auf unsere Fragen.

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