„Wenn BASF so tut, als ob sie sich für saubere Lieferketten einsetzt, dann ist sie auch diesen Menschen verpflichtet“: Rede von Niren Tolsi


Mein Name ist Niren Tolsi, und ich bin Journalist aus Südafrika.

Seit dem Massaker in Marikana im August 2012, bei dem 34 Männer starben, haben der Fotojournalist Paul Botes und ich das Leben der Familien, die in Marikana Angehörige verloren haben, dokumentiert.

Mit diesem Projekt wollten wir die tatsächlichen Kosten des Massakers von Marikana für die Familien, die Gemeinden und das neue Südafrika untersuchen, weil es ist ein verändertes Südafrika, das durch das Marikana eingeläutet hat. So ein gewaltsamer Bruch in einem angeblich demokratischen Südafrika erfordert, über seine Bedeutung nachzudenken.

Wir versprachen, das zu tun, und immer wieder zurückzugehen: Zu den Familien. Zu den Minenarbeitern. Zu den Minen in Marikana selbst, deren Abnehmer von Platin ja die BASF ist – das, dieses Immer-Wieder-Kommen, dieses Teilnhmen am Leben, dieses Zurückkehren, war die Arbeit des letzten Jahrzehnts.

In diesen 10 Jahren haben wir Menschen wie Nokuthula Zibambele sehr gut kennen gelernt. Ihr Ehemann Thabiso wurde am 16. August 2012 von der Polizei getötet, wo 17 Männer von der Polizei in einem acht Sekunden niedergemäht wurden. Siebzehn weitere Männer wurden an einem anderen Hügel in der Nähe gejagt und getötet – viele von ihnen versteckten sich oder flohen vor der Polizei.

Elf Männer wurden in den Rücken geschossen, vier in den Hals oder in den Kopf.

Sie wurden ermordet.

Bis heute wurde kein einziger Polizist für die 34 Todesfälle vom 16. August 2012 angeklagt, und die Gerichtsverfahren ziehen sich in die Länge.

Als wir Nokuthula im Dezember 2012 zum ersten Mal in ihrem Haus in Lusikisiki trafen, trug sie immer noch die Trauerkleidung.

Ihre Augen spiegelten dieses Schwarz wider. Auch sie waren wie vom Erdboden verschluckt.

Viele Witwen, die in Marikana ihr Leben verloren haben, trugen diesen Blick lange Zeit. Einige tun es oft immer noch.

Im Jahr 2016 sah ich wieder in ihre mandelförmigen Augen.

Nokuthula starrte auf den Sarg ihrer Tochter Sandisa.

In Nokuthulas Augen stand die nagende Frage einer Mutter. Die Frage, was sie hätte anders machen können, um den Selbstmord ihres 24-jährigen Kindes zu verhindern?

Denn ihre Tochter Sandisa war eine sorglose junge Frau, der Verantwortung auferlegt wurde, bevor sie dazu bereit war – was dazu führte, dass sie sich das Leben nahm. Als ihre Mutter 2014 das Angebot von Lonmin annahm, in der Mine zu arbeiten, weil sie keine andere Möglichkeit hatte, ihre sechs Kinder und die Großfamilie, die ihr Mann unterstützte, mit Essen und Kleidung zu versorgen, wurde

Sandisa die Verantwortung für ihr Haus im ländlichen Ostkap übertragen. Sie brach unter dieser Verantwortung zusammen und war nicht in der Lage, den Haushalt zu führen, den Gemüsegarten und das Vieh mit der erforderlichen Aufmerksamkeit zu pflegen oder sich um ihre Geschwister zu kümmern, die noch zu jung waren, um die Schule zu besuchen. Sandisa beging Selbstmord, indem sie Rattengift trank. Ihre Mutter arbeitet noch immer im heutigen Sibanye-Stillwater und reinigt Toiletten und Büros. Der Selbstmord ihrer Tochter und die bittere Ironie, dass die Annahme eines Jobs, um ihre Kinder zu unterstützen, zum Tod eines von ihnen geführt hat, verfolgen sie noch immer.

Ich weiß, dass sich Nokuthula nichts sehnlicher wünscht, als das graue Elend von Marikana zu verlassen und in die sanften grünen Hügel des Ostkaps zurückzukehren, um ein friedlicheres Leben zu führen. Bis sie das Rentenalter erreicht hat, kann sie das nicht.

Ich frage Sie alle, die Sie heute hier versammelt sind:

Ist das würdevoll? Ist das Gerechtigkeit?

Ich bin durch diese hübsche, saubere Stadt Mannheim spaziert.

Sie ist weit entfernt von der Armut und dem Elend von Marikana.

Mehr als ein Jahrzehnt nach den Todesfällen in Marikana sind die sozialen Bedingungen in den informellen Siedlungen rund um den Bergbaubetrieb von Sibanye-Stillwater immer noch dieselben. Die Behausungen sind Hütten aus Wellblech, Holz und Karton.

Strom gibt es nur illegal, Wasser fließt nur aus einigen Hähnen.  

Die Straßen sind mit Müll übersät.

Kinder wälzen sich im Dreck und zaubern Spiele aus dem Müll.

Es gibt keine öffentlichen Sportplätze für sie, keine Sportvereine, keine Spielplätze, Parks, oder Bibliotheken.

Man hat das Gefühl, dass selbst die entschlossensten Träume in diesem Elend zerbrochen sind.

Letztes Jahr führten die Wissenschaftler Asanda Benya und Crispen Chinguno eine Studie über die sozioökonomischen Bedingungen in Marikana durch. Ihre Ergebnisse waren für alle, die schon einmal in Marikana war, wenig überraschend.

Die schlechten sanitären Verhältnisse in dem Gebiet wurden mit den Fällen von Lungentuberkulose und Bilharziose in Verbindung gebracht, die in der Gegend auftreten. Die Abhängigkeit der Bewohner von illegalen Stromanschlüssen hatte zu tödlichen Stromschlägen geführt: Mehr als sieben Menschen starben, als sie im Jahr 2021 versuchten, einen illegalen Anschluss herzustellen. Zwei Kinder erlitten beim Spielen einen Stromschlag. Der Zugang zu Wasser bleibt begrenzt.

Als Sibanye-Stillwater den Bergbaubetrieb von Lonmin kaufte, kaufte es auch seine Verantwortung gegenüber den Familien der toten Männer, den während des Massakers verletzten Bergarbeitern (von denen viele aufgrund ihrer Verletzungen nicht arbeiten können) und der Gemeinde Marikana selbst. 

Ich mir das Unternehmensprofil von ihnen angesehen, die BASF-Jahresberichte gelesen und gesehen, was sie auf ihrer Marikana-Website geschrieben haben, wo sie selbst, als ein best practice Beispiel für die deutsche Industrie darstellen, wo sie behaupten, sich für saubere Lieferketten einsetzt.

Doch die Zustände in Marikana sprechen eine andere Sprache, sie zeugen von einer anderen Realität. Die Menschen dort erzählen mir, dass als Sibanye-Stillwater sie noch weniger als Lonmin involviert, ihnen noch weniger Mitsprache gewährt, ihnen noch weniger Handlungsfähigkeit gewährt.

Die Minenarbeiter sprechen von dem hohen Produktionsdruck, sie sprechen von laxen Gesundheitsstandards und sie sprechen von ausgehebelten Sicherheitsstandards.

Sibanye-Stillwater hat in der südafrikanischen Bergbauindustrie den Ruf, die brutalen Cowboys der Branche zu sein, denen es vor allem um die Maximierung von Produktion geht. Im Jahr 2018 zählte das Unternehmen 25 der 60 vom Department of Mineral Resources (Ministerium für Bodenschätze) erfassten Todesfälle im Bergbau – die höchste Todesrate in der Branche.

Wie Benya und Chinugo in ihrer Untersuchung im vergangenen Jahr feststellten, verzeichnete Sibanye-Stillwater im Jahr 2021 18 Todesfälle, drei davon in Marikana.

Ob tot oder verarmt – es geht um das Leben von Menschen. Wenn sie, die BASF, so tut als ob sie sich für saubere Lieferketten einsetzt, dann ist sie auch diesen Menschen verpflichtet.

Ich muss Sie fragen, wie hoch der Milliardengewinn ist, der mit den verschiedenen Produkten erzielt wird, in denen Platingruppenmetalle verwendet werden: Wie hoch ist das Geschäftsvolumen in Marikana, und wie viel davon wird dann für die Umgestaltung des Platinbergbausektors in meinem Land eingesetzt?   

Ich wende mich heute an Sie, während des Feiertags der Freiheit in Südafrika. Dies ist der Tag, an dem wir 1994 unsere ersten demokratischen Wahlen abgehalten haben. Ich kann Ihnen versichern, dass ich nach einem Jahrzehnt, in dem ich die Auswirkungen von Marikana auf die Familien, die Minenarbeiter und meine südafrikanischen Mitbürger dokumentiert habe, einer Sache sicher bin: Es gibt sehr wenige greifbare Freiheiten für die Menschen, die in Marikana leben und arbeiten.

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