Die Deutsche Bahn beteiligt sich in Brasilien an einem Milliardenprojekt zum Bau einer Bahnstrecke und neuen Hafens im Munizip Alcântara im Bundesstaat Maranhão für den Ausbau des Exports von Soja, Erzen und künftig auch Wasserstoff. Laut Deutscher Bahn liegen die Vorteile des Projekts neben dem ökonomischen Potential für die Region in der „Sorgsamkeit in Bezug auf soziale und Umweltbelange“. Umweltbesorgnisse aber bestehen, da das Baugebiet von Bahnstrecke und Hafen im einem Schutzgebiet der Kategorie „Área de Proteção Ambiental“ (APA) liegt, zudem ist das Munizip Alcântara seit Jahrzehnten Hotspot eines Landkonfliktes zwischen der brasilianischen Luftwaffe, die dort Brasiliens einzigen Weltraumbahnhof betreibt, und den dort lebenden traditionellen Gemeinden der Quilombolas. Dieser Umstand wirft natürlich nun auch Fragen an die Deutsche Bundesregierung – im Besonderen an das bundesdeutsche Verkehrsministerium – auf, da die Bundesrepublik Deutschland im Juni 2021 die ILO-Konvention Nr. 169 zum Schutze der Rechte der Indigenen Völker ratifiziert hat und die Deutsche Bahn als 100%ige Tochter des Bundes somit zur Einhaltung der ILO-Konvention 169 verpflichtet ist, unabhängig vom Ort des Wirtschaftsgeschehens.
von Christian Russau
Die Deutsche Bahn hat laut einem Bericht der Agência iNFRA mit dem Projektunternehmen Grão-Pará Multimodal (GPM) sowie der Bahnconsulting Sysfer einen Vertrag zum Bau einer neuen Bahnlinie sowie eines Tiefseehafens auf der Ilha do Cajual bei der Halbinsel Alcântara im brasilianischen Bundesstaat Maranhão unterzeichnet. Die Bahntochter DB E.C.O.Group selbst schreibt auf ihrer Webseite, sie habe „ein Memorandum of Understanding (MoU) mit Grão-Pará Maranhão (GPM) über die gemeinsame Projektentwicklung und den späteren Betrieb der Eisenbahn unterzeichnet. Dabei soll der Betrieb in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Partner Sysfer durchgeführt werden und die DB Engineering & Consulting die Rolle des sog. „Shadow Operator“ übernehmen.“ GPM ist ein Unternehmen eines portugiesischen Konzerns, das die Genehmigungen der brasilianischen Bundesregierung sowohl für die Eisenbahn als auch für den Hafen besitzt. Der Hafenterminal Alcântara (TPA) wäre eine der größten Investitionen in Brasilien, mit der Möglichkeit, 100.000 Arbeitsplätze während der Bauphase sowie 9.000 Arbeitsplätze im Betrieb zu schaffen, so GPM. Ergänzt wird das Hafen-Projekt durch den Bau der Maranhão-Eisenbahn (EF-317), das von der brasilianischen Bundesregierung unter dem Regime des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro durch den damaligen Infrastrukturminister Tarcísio de Freitas in einer Zeremonie am 2. September 2021 im Planalto-Palast genehmigt wurde, so der Bericht von Agência iNFRA. Die 520 km lange Maranhão-Eisenbahn (EF-317) werde die Gemeinde Açailândia mit dem dann neuen Hafenterminal Alcântara TPA in Alcântara verbinden. Dies würde laut den Plänen die bestehende Carajás-Eisenbahnlinie, die bislang zum Hafen von São Luís führt, durch die Nordlinie der Maranhão-Eisenbahn EF-317 für den Transport der Erze aus der weltgrößten Eisenerzmine Carajás entlasten. Zudem soll die Bahnlinie auch Agrargüter wie Soja und Weizen aus der Soja-Boom-Region in Brasiliens Mittlerem Westen sowie künftig auch Wasserstoff befördern. Der Hafenterminal Alcântara TPA wäre mit seinen 25 Meter Wassertiefe vor Ort ein Tiefseehafen, an dem anders als bei dem gegenüber auf der anderen Seite der Bucht von São Marcos gelegenen Hafen von São Luís auch die Schiffe der neuesten Klasse der Valemax-Frachter anlegen könnten. Die Kosten der neuen Bahnstrecke und des Hafenbaus wird laut den beteiligten Unternehmen auf rund 20 Milliarden R$ (derzeit umgerechnet 3,5 Milliarden Euro) geschätzt. Die beteiligten Firmen gehen davon aus, dass die Inbetriebnahme für das Jahr 2028 zu bewerkstelligen sei.
Laut dem Pressebericht der Agência iNFRA hat die deutsche Botschaft in Brasilien Informationen über das Projekt angefordert und erhalten, damit diese in die Gespräche einfließen können, die der bundesdeutsche Kanzler Olaf Scholz während seines Besuchs in Brasilien mit Präsident Lula führte. Laut Agência iNFRA erklärte der Vertreter der Deutschen Bahn in Brasilien, die Vorteile des Projekts lägen neben dem ökonomischen Potential für die Region in der „Sorgsamkeit in Bezug auf soziale und Umweltbelange“.
Doch genau dort stellen sich nun aber die konkreten Fragen, da bislang nichts über die Erstellung und/oder die Inhalte und Erkenntnisse einer umfassenden Umweltverträglichkeitsstudie publik geworden ist: Das gesamte Gebiet westlich und nördlich der Bucht von São Marcos ist ein Schutzgebiet der Kategorie „Área de Proteção Ambiental“ (APA). Wie der Bau einer Bahnlinie durch dieses ökologisch sensible Gebiet – das laut brasilianischer Gesetzgebung Teil von „Amazônia Legal“ ist – sich durch „Sorgsamkeit in Bezug auf soziale und Umweltbelange“, wie der Vertreter der Deutschen Bahn erklärte, auszeichnet, dies muss erst noch belegt werden – und die Beweislast liegt angesichts der horrenden Erfahrung mit Regenwaldrodung in Amazonien in den letzten Jahren eindeutig bei den das Projekt Vorantreibenden – also auch bei den Verantwortlichen bei der Deutschen Bahn. Zweitens müsste die Umweltverträglichkeitsstudie auch erläutern, welchen Nachfragedruck der Bau der Bahnlinie und des neuen Tiefseehafens auf die Land- und Umweltkonflikte in den Herkunftsregionen des Soja und des Eisenerzes (sowie des künftigen Wasserstoffs) erzeugen wird, wenn es – wie von den Planer:innen auf ihrer Webpräsenz angedeutet – um Hafenterminalkapazitäten in Größenordnungen von 1,5 Millionen Tonnen für Soja und Getreide sowie um 15 Millionen Tonnen Erze gehen soll. Drittens müsste die Umweltverträglichkeitsprüfung glaubhaft darlegen, dass alle menschenrechtlichen Besorgnisse wirklich durch die „Sorgsamkeit in Bezug auf soziale und Umweltbelange“ ausgeräumt werden können. Daran darf aber – wer die Geschichte und Realität der bisherigen Großprojekte in Brasilien (siehe Belo Monte, Carajás, ThyssenKrupp-Stahlwerk in Rio, Mariana und Brumadinho uvwm) kennt – ernsthaft gezweifelt werden. Zumal das Munizip Alcântara seit Jahrzehnten berüchtigt ist für den Landkonflikt der dort seit Generationen lebenden traditionellen Gemeinschaften der Quilombolas mit dem Gelände des Weltraumbahnhofs Alcântara der brasilianischen Luftwaffe.
Last but not least kommt eine ganz besondere Dimension hinzu: Da die Bundesrepublik Deutschland im Juni 2021 die ILO-Konvention Nr. 169 zum Schutze der Rechte der Indigenen Völker ratifiziert hat und da die Quilombolas in Brasilien laut Verfassung als anerkanntes traditionelles Volk Recht auf ihr Land haben, so käme zu dem – bislang nur gemutmaßten – Verdacht eines potentiellen Landkonfliktes zwischen Bau der Bahntrasse und/oder dem Hafengebiet mit den dort angestammt lebenden traditionellen Gemeinden der Quilombolas ein gewichtiger weiterer Aspekt hinzu: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags weist in einer Stellungnahme aus dem Jahre 2008 auf die Weisungsbefugnis der Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf die Deutsche Bahn und alle ihre Subunternehmen hin:
„Die Bundesrepublik Deutschland ist Inhaberin aller Anteile am Grundkapital der Deutschen Bahn AG, bei der es sich aufgrund der Eigentümerstruktur um ein privatrechtlich organisiertes Staatsunternehmen handelt. Bei privatrechtlich ausgestalteten öffentlichen Unternehmen gelten die allgemeinen Vorschriften des Zivil-, Handels- und Aktienrechts, wie sie auch auf nicht-öffentliche Unternehmen ihre Anwendung finden. Durch die Entsendung weisungsgebundener Vertreter (Beamte) in die Hauptversammlung und in den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG kann der Bund als juristische Person des öffentlichen Rechts Einfluss auf die Entscheidungen der AG nehmen.“ Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (WD 3 – 3000 – 313/08)
Durch die Ratifizierung der Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zum Schutze der Rechte indigener Völker hat sich die Bundesrepublik Deutschland einschließlich aller ihrer Ministerien und Behörden verpflichtet, die Rechtsgrundsätze der Konvention 169 – die Rechte der indigenen Völker – zu achten. Aus dieser Achtungsverpflichtung erwächst die politische Verantwortung der Deutschen Bundesregierung dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz indigener Rechte – spätestens ab Inkrafttreten der ILO 169 für Deutschland und die Deutsche Bundesregierung am 23. Juni 2022 – in ihrem Einflussbereich gewährleistet wird. Diese Achtungsverpflichtung ist keine politische „Kann“-Bestimmung, sondern eine „Muss“-Bestimmung. Wenn es also zu Sorgfaltspflichtverletzungen durch im weisungsgebundenen Einflussbereich des Bundes stehende Institutionen oder Organe jedweder Art kommt – und es gibt genug Besorgnisse anzunehmen, dass dies im Fall des Munizips Alcântara und des dort geplanten Bahn- und Hafenprojektes, an dem die Deutsche Bahn sich beteiligt, künftig der Fall sein könnte – , so hat die Bundesrepublik Deutschland durch das dafür zuständige Ministerium – das Bundesministerium für Digitales und Verkehr – als weisungsbefugte Instanz dafür politische Sorge zu tragen, dass die von Seiten der Bundesregierung in die Gremien der Deutschen Bahn entsandten Vertreter:innen gegen diese drohende Rechtsverletzung indigener Rechte innerhalb ihres zuständigen Verantwortungsbereichs unmittelbar aktiv werden und Abhilfe schaffen. Also, bevor die Deutsche Bahn an dem Projekt weiter arbeitet, müssen erst alle Informationen transparent auf den Tisch, denn die Bundesrepublik Deutschland kann es sich nicht leisten, gleich im ersten Jahr der Mitgliedschaft als Unterzeichnerin der ILO-Konvention Nummer 169 gegen die Rechte Indigener in ihrem weisungsgebundenen Einflussbereich zu verstoßen.