Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,
mein Name ist Tilman Massa, ich spreche für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir von der Deutschen Börse deutliche effektivere Maßnahmen für den Schutz von Umwelt und Menschenrechten ein. Gerade Sie tragen eine große Verantwortung, dass Sustainable Finance nicht weiter nur mit Greenwashing Schlagzeilen macht und Klimaschutz schon gar kein Thema mehr sein darf. Nachhaltiges und verantwortungsvolles Wirtschaften – gerade im Finanzsektor – sollte kein Trend sein, sondern die Grundlage.
Aber zunächst möchte ich zur Sprache bringen: Vor 80 Jahren wurde Europa vom nationalsozialistischen Terrorregime endgültig befreit. Herr Leithner, ich möchte Ihnen danken, dass Sie, zusammen mit vielen weiteren Vorstandsvorsitzenden deutscher Unternehmen die Erklärung unterzeichnet haben, in dem Sie sich aus der daraus folgenden Verantwortung, die keinen Schlussstrich kennen kann, bekennen. Danke für Ihre klaren Worte, dass eben vor allem auch deutsche Unternehmen dazu beitrugen, ich zitiere: „die Herrschaft der Nationalsozialisten zu festigen. Auf ihren eigenen Vorteil bedacht, waren viele Unternehmen und ihre damaligen Akteure verstrickt.“
Wir können weiterhin nicht erkennen, dass Sie wirksame Maßnahmen und nachvollziehbare Kriterien für nachhaltige Investitionen vorantreiben. Wir können auch dieses Jahr den Vorstand daher nicht entlasten. Wir haben entsprechende Gegenanträge eingereicht, die ich hiermit auf formal stelle. Wir mögen hier unterschiedlicher Meinung sein, aber dies ist vollkommen in Ordnung. In eben genannter Erklärung heißt es ja auch völlig richtig: „Demokratie lebt vom Mitmachen – und vom Widerspruch.“
Auf unsere Kritikpunkte in Bezug auf die Intransparenz bei ISS ist Frau Krahlisch ja bereits eingegangen. Ich möchte Ihnen zusätzlich einige Fragen zur Umsetzung Ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten stellen.
Herr Leithner, in Ihrer Eingangsrede fordern Sie einerseits „weniger regulatorische Hürden“, sagen aber auch: „An Häfen gelten klare Regeln. Sichere Standards.“ Und ausgerechnet bei einheitlichen Regeln für nachhaltige Investments und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten im Finanzsektor lobbyiert die ganze Finanzbranche seit Jahren erfolgreich dagegen, dass überhaupt erstmal Regeln für den Finanzsektor eingeführt werden, ob nun in Deutschland oder auf EU-Ebene. Es soll nun noch nicht einmal mehr geprüft werden, ob die neue Nachhaltigkeitsrichtlinie der EU, die CSDDD, auch für den Finanzsektor gelten könnte.
Dabei gibt es keinen Grund, warum der Finanzsektor nicht seine menschenrechtlichen Risiken in seinen Geschäftsbereichen genau prüfen sollte. Gerade Sie in Bezug darauf, wer sich so alles auf Ihren Handelsplätzen, pardon, Häfen, so umtreibt. Und das sehen nicht nur wir so, sondern viele Akteure im Finanzmarkt, die ein „level playing field“, also faire und gleiche Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen auch im Finanzmarkt fordern.
- Finden Sie es nicht zum Nachteil der Unternehmen, die sich ernsthaft um mehr Klimaschutz und Achtung von Menschenrechten auch in den Lieferketten kümmern, wenn nun im Rahmen des Omnibus-Prozesses in der EU die zivilrechtliche Haftung fast komplett abgeschafft werden soll und auch die Verpflichtung zur Umsetzung der Klimatransitionspläne (climate transition plans) wegfallen soll? So werden doch genau die Unternehmen, die nicht ernsthaft an ihrer sozial-ökologischen Transformation arbeiten, auch noch belohnt, oder wie sehen Sie dies?
- Der Finanzsektor soll – mal wieder – komplett ausgenommen werden. Können Sie mir einen Grund nennen, warum der Finanzsektor seine menschenrechtlichen Risiken nicht verpflichtend prüfen soll wie es alle anderen Branchen auch tun müssen? Sie tun dies ja schließlich auch, sollte es Ihrer Meinung nach die gleichen Bedingungen dazu zumindest auf EU-Ebene für den Finanzsektor geben?
Ihre neue Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie (Fassung vom 22. November 2024) verfolgt keinen effektiven Ansatz.
Während in nur einem Satz zur Risikoanalyse immerhin auch davon die Rede ist, dass sich die „Bemühungen zur Erkennung“ auch auf „potenzielle und tatsächliche menschenrechtliche Risiken und nachteilige Auswirkungen unseres unternehmerischen Handelns auf Menschen entlang der gesamten Wertschöpfungskette“ beziehen, liegt der Schwerpunkt der Analyse und Maßnahmen vor allem auf dem eigenen Geschäftsbereich und direkten Zulieferern.
Dabei wissen Sie selbst ganz genau, dass Ihre größten umwelt- und menschenrechtlichen Risiken nicht bei der Beschaffung neuer Bürostühle, sondern bei jenen Unternehmen auf den eigenen Handelsplätzen und innerhalb der eigenen Indizes liegen, die Landrechte missachten oder die Expansion fossiler Energien vorantreiben. Stattdessen berichten Sie in Ihrem Bericht zum Lieferkettengesetz, dass Sie 2024 eine Verletzung im eigenen Geschäftsbereich, im Bereich Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingten Gesundheitsverfahren feststellen mussten: ein Notfalltelefon war ausgefallen. Sie können nun nichts dafür, dass aktuell nur der eigene Geschäftsbereich und Lieferketten im gesetzlichen Fokus stehen, mit einem risikobasierten Ansatz entsprechend der UN-Standards hat das aber nicht zu tun. Sie können sehr wohl aber etwas, in dem Sie die Lobbyaktivitäten Ihrer Verbände für diese ständigen und nicht gerechtfertigten Ausnahmen für den Finanzsektor nicht mehr mittragen. Und sie können selbst risikobasiert und effektiv aktiv werden, um zu verhindern, dass sie indirekt aus Menschenrechtsverletzungen profitieren:
- Gibt es konkrete Richtlinien und Mindeststandards, welche die der Akteure auf Ihren Handelsplätzen zur Achtung von Klima-, Umweltschutz- und Menschenrechten sowie guter Unternehmensführung nachweisen müssen und wenn ja, wie sehen diese genau aus?
- Haben Sie im letzten Geschäftsjahr und dieses Jahr Kunden bzw. Geschäftsbeziehungen beenden, ablehnen und/oder den Zugang zu Ihren Handelsplätzen verweigern müssen, da die involvierten Geschäftsaktivitäten in Umwelt- oder Menschenrechtsverletzungen involviert waren? Wenn ja, wie viele Fälle waren das und um welche Anfragen bzw. Fälle handelt es sich konkret? Haben Sie ggf. zunächst den Dialog mit den Unternehmen gesucht und wenn ja, in welchen Fällen genau?
- Haben Sie aktuell in Ihrer Wertschöpfungskette Menschenrechtsverstöße aufgrund Ihrer Risikoanalysen identifiziert? Wenn ja, um welche Fälle handelt es sich und wie reagieren Sie?
Kosten Berichtspflichten
Bisher gab es keine verbindlichen Vorgaben für Nachhaltigkeitsberichte. Deswegen sollte seriöse Kritik an den anfallenden Kosten in Relation zu den bisherigen und langfristig anfallenden Kosten sowie den allgemeinen Kosten der Finanzberichterstattung geäußert werden.
Derzeit stellen viele Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsberichte um auf die neuen Vorgaben der EU im Rahmen des European Green Deals – konkreter: die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, CSRD. Die Einführung bzw. Umstellung mag zunächst zusätzliche Kosten verursachen, die aber im Blick auf ihren langfristigen Nutzen verhältnismäßig und gerechtfertigt sind. Doch wie hoch diese Kosten tatsächlich für verschiedene Großunternehmen sind, insbesondere im Vergleich zu sonstigen Kosten der Finanzberichterstattung, ist derzeit schlicht nicht bekannt.
- Wie hoch waren Ihre Grenzkosten (Vollkosten sind optional) im letzten, abgeschlossenen Geschäftsjahr und, sofern vorläufig verfügbar, im aktuellen Geschäftsjahr für die Finanzberichterstattung nach HGB und IFRS? Dies bezieht sich nur auf alle Kosten, die für die Konzernabschlüsse anfallen.
- Wie hoch waren Ihre Grenzkosten im letzten, abgeschlossenen Geschäftsjahr 2024 und, sofern vorläufig verfügbar, im aktuellen Geschäftsjahr für die Berichterstattung nach den ESG-Berichtsstandards der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) oder, wenn die ESRS nicht genutzt wurden, dann einem anderen verwendeten Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (z. B. GRI, ISSB)?
- Wie hoch waren Ihre gesamten finanziellen Aufwendungen für Werbung im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr und, sofern vorläufig verfügbar, im aktuellen Geschäftsjahr?
Aktionärsrechte und virtuelle Hauptversammlung
Unsere Begründung, warum wir diese Ermächtigung des Vorstands ablehnen, bleibt auch nach zwei Jahren Erfahrungen mit virtuellen Hauptversammlungen unverändert: Das Format und die Art und Weise, wie eine Hauptversammlung durchgeführt wird, betreffen elementare Aktionärsrechte. Daher sollte die Hauptversammlung – und nicht der Vorstand – darüber entscheiden, zu welchen Bedingungen bzw. in welchem Format zukünftige Hauptversammlungen durchgeführt werden sollen.
Die Hauptversammlung sollte darüber entscheiden können, ob als weitere Option ein hybrides Format umgesetzt werden soll, welches die Vorteile einer Präsenz-Hauptversammlung mit jenen einer rein virtuellen Veranstaltung vereint.
Höchst problematisch ist allgemein das von Aktionärsseite schwindende Interesse an Hauptversammlungen, wenn diese nur virtuell stattfinden. Viele schalten ihren Computer erst gar nicht an, dies ist auch ein Abstimmen mit den Füßen über dieses Format.
Daher begrüßen wir aber auch ausdrücklich die Entscheidung von Vorstand und Aufsichtsrat, die diesjährige Hauptversammlung wieder in Präsenz durchzuführen.
- Haben Sie konkret geprüft oder planen Sie, eine hybride Hauptversammlung durchzuführen, an der sowohl in Präsenz als auch digital teilgenommen werden kann?
- Was wären die Mehrkosten einer hybriden Hauptversammlung gegenüber eine virtuellen oder Präsenz-Hauptversammlung?
- Wie sehen dahingehend Ihre Pläne für die Hauptversammlung 2026 aus?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.