„Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um einen sozial gerechten Kohleausstieg in Ihren Bezugsländern zu fördern?“: Rede von Tilman Massa

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,

mein Name ist Tilman Massa, ich spreche für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir von EnBW deutliche effektivere Maßnahmen gegen die Klimakrise sowie für den Schutz von Umwelt und Menschenrechten ein.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir werden Sie, den Vorstand, auch dieses Jahr nicht entlasten. Die Klimabilanz ist zu schlecht, der Umstieg auf Erneuerbare geht zu langsam, die menschenrechtlichen Probleme in Ihren Lieferketten sind zu gravierend. Wir haben dies in unseren Gegenanträgen ausführlich begründet, die ich hiermit auch formal stelle.

Klimabilanz:

Herr Schell, das Ziel Kohleausstieg bis 2028 ist gut und wichtig, doch kann es nicht über Ihre Klimabilanz hinwegtäuschen: Im Jahr 2022 lag die Erzeugungskapazität in den Bereichen Wind Onshore, Wind Offshore und Photovoltaik insgesamt bei bescheidenen 2.839 Megawatt. Zum Vergleich: Allein ihre Steinkohlekraftwerke verfügten über 3467 Megawatt. Bei der konkreten Erzeugung sieht es noch verheerender aus: Fast 47 Prozent des Stroms wurde 2022 aus fossilem Gas, Braun- und Steinkohle erzeugt. Demgegenüber stehen 27,9 Prozent Strom aus Erneuerbaren. Doch ohne die überwiegend alten und abgeschriebenen Laufwasserkraftwerke blieben ganze 16,8 Prozent übrig. Dies schlägt sich auch in den CO2-Emissionen nieder, die 2022 auf über 17 Millionen Tonnen angestiegen sind. Dreißig Jahre nach dem Erdgipfel von Rio sind das keine besonders rühmlichen Zahlen. Die EnBW ist weiterhin in erster Linie ein fossiler Energiekonzern.

Sicher, der vermehrte Einsatz von Steinkohle kann mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine begründet werden. Doch kann dieses Argument nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Umbau der EnBW schlicht zu langsam vonstattengeht. Die steigenden Emissionen werfen vor allem die Frage auf, ob sie diese Mehremissionen bereits für den Pfad zum Erreichen Ihrer Klimaziele einberechnet haben?

So vielversprechend der Kohleausstieg 2028 vielleicht klingen mag, er ist erstmal ein Umstieg auf fossiles Gas. Ihre Ankündigungen, dass die Gaskraftwerke irgendwann einmal mit Wasserstoff betrieben werden sollen, erscheint aktuell als reines Wunschdenken. Wann sollen welche Kraftwerke auf Wasserstoff umgestellt werden? Werden sie sicherstellen, dass es sich um grünen Wasserstoff handelt und nicht um Wasserstoff, der aus fossilem Gas gewonnen wird? Mittels welcher Infrastruktur wird er erzeugt und zu den jeweiligen Kraftwerksstandorten transportiert?

Ihr Kohleausstieg ist ein längerfristiges, gefährliches Festhalten an fossilen Energien und bekannten Abhängigkeiten. Nach dem Aus der Nord Stream-Pipelines ist importiertes Gas nun ja auch in Zukunft vor allem LNG.

Zur Herstellung von LNG muss das Gas stark abgekühlt werden, dann wird es auf Tanker geladen und zu weit entfernten Häfen verschifft. Fast die Hälfte der gesamten Emissionen von LNG entsteht also, bevor überhaupt Strom oder Wärme erzeugt wird. Wenn fossiles Gas dazu noch mittels Fracking gefördert wurde, dann ist LNG ähnlich klimaschädlich wie Steinkohle. Das bestätigt auch das Umweltbundesamt. So werden mit dem Einsatz von LNG vielleicht Ihre direkten Emissionen sinken, aber die Ihrer vorgelagerten Lieferkette (Scope 3) steigen. Mit anderen Worten: Mit Ihrem Kohleausstieg als LNG-Einstieg verlagern Sie nur die Emissionen an den Anfang Ihrer Lieferketten. Haben Sie dies auch für Ihre Klimaziele und Maßnahmen zur Reduktion Ihrer Scope-3-Emissionen einbezogen?

Ihren Angaben zur jüngsten Science Based Targets Initiative-Einstufung entnehme ich, dass Ihre Pläne auch für die SbTI für Scope 3 keinem 1,5-Grad-konformen Dekarbonisierungspfad entsprechen – ist das korrekt?

LNG-Exportterminal „Plaquemines“:

Bleiben wir noch beim Thema LNG: Sie haben sich vertraglich zur Abnahme von Fracking-Gas aus dem geplanten LNG-Exportterminal „Plaquemines“ im US-Bundesstaat Louisiana bis 2046 verpflichtet – also über den Stichtag für Deutschlands Klimaneutralität hinaus. Das Vorhaben widerspricht damit klar den Pariser Klimaschutzzielen. Auch liefert es aus unserer Sicht einen deutlichen Hinweis, dass die großen Wasserstoff-Versprechen lediglich dazu dienen sollen, kritische Nachfragen abzuwürgen. Wenn nötig, wird die EnBW ihre Gaskraftwerke wohl auch bis 2046 mit fossilem Gas betreiben. Wie rechtfertigen Sie diesen langen Abnahmevertrag vor dem Hintergrund der Klimaziele Deutschlands? In welchem Umfang bestehen weitere Gas-Abnahmeverträge bis zu welchem Jahr?

Steinkohle und Lieferkettenverantwortung:

Beim Bezug von Steinkohle geht die EnBW wie gewohnt den Weg des geringsten Widerstands. Die blutige russische Kohle wird ersetzt durch die blutige Kohle aus Kolumbien. Doch zunächst zu Russland: Während beispielsweise die Steag schon im Frühjahr 2022 den Bezug von russischer Kohle beendete, haben Sie dies erst aufgrund des EU-Embargos gemacht. Bis dahin hat die EnBW kein Problem darin gesehen, blutige russische Kohle zu importieren. Haben Sie nicht gesagt, Sie prüfen Ihre Lieferanten? Und dennoch ist es kein Problem, Kohle von Unternehmen zu beziehen, deren Steuern mithelfen, einen brutalen Krieg mitten in Europa zu führen? Das ist beschämend. Wieso haben Sie hier nicht schneller reagiert? Auch ohne die absehbaren Sanktionen hat es ja genug Gründe gegeben, zumindest Ihre vormalige, massive Abhängigkeit von russischen Kohle- und Gaslieferungen zu beenden.

Nun also Steinkohle aus Kolumbien, allein letztes Jahr schon 1,6 Millionen Tonnen. Dabei sind ihnen die Menschenrechtsverletzungen im kolumbianischen Steinkohlebergbau doch bestens bekannt. Sinnvolle Maßnahmen, um diese Menschenrechtsverletzungen adäquat zu adressieren, wurden nie ergriffen. Noch heute werden die Betroffenen im Stich gelassen. Erst vor wenigen Tagen wurde in den Niederlanden eine OECD-Beschwerde gegen diverse Energieunternehmen eingereicht, die seit Jahren von diesen Menschenrechtsverletzungen wussten und nichts unternommen haben. Sie wissen genau, dass diese Beschwerde inhaltlich genauso an die EnBW gerichtet ist. Sie rettet hier lediglich der Umstand, dass Sie keine Steinkohlekraftwerke in den Niederlanden betreiben.

Herr Schell, jahrelang hatte die EnBW unter ihrem Vorgänger Frank Mastiaux behauptet, man wolle an den Lieferbeziehungen festhalten, um überhaupt Einfluss nehmen zu können. Dann erlagen Sie dem Ruf der billigen russischen Kohle und kehrten Kolumbien fast vollständig den Rücken, ohne dass auch nur ein einziges Problem gelöst worden wäre. Jetzt als die erneute Kehrtwende. Können die Menschen nun endlich damit rechnen, dass die EnBW ihrer Lieferkettenverantwortung gerecht wird oder werden sie einfach nur wieder auf Kosten der Betroffenen vor Ort billige kolumbianische Kohle kaufen?

Hierzu habe ich noch folgende Fragen:

Wieviel russische Kohle erhielt die EnBW in den Monaten März, April, Mai, Juni, Juli und August 2022? Bitte schlüsseln sie die Mengen nach Monaten auf.

Von welchen Lieferanten bezog die EnBW 2022 Kohle aus Kolumbien?  

Hat die EnBW auch Kohle aus Gruben und Minen importiert, die nicht zu Drummond oder Cerrejón gehören? Wenn ja, wie haben sie die Produzenten überprüft?

Bezog die EnBW auch Kohle über die Häfen Puerto Nuevo, Carbosan oder Puerto Brisa?

Nach wie vor steht der CEO von Drummond wegen des Vorwurfs schwerster Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien vor Gericht. Verschiedene europäische Energieversorger machen deshalb seit Jahren einen großen Bogen um Drummond. Wieso kauft die EnBW weiterhin Kohle eines Unternehmens, gegen das solche Vorwürfe im Raum stehen?

Welche direkten Kohle-Abnahmeverträge bestehen mit welchen Unternehmen in welchem Umfang bis zu welchem Jahr? Besteht mit Glencore ein direkter Abnahmevertrag und wenn ja, in welchem Umfang?

Seit Anfang des Jahres gilt für Sie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

Der Beitritt zur Bettercoal-Initiative zeigt aus unserer Sicht, dass die EnBW kein Interesse daran hat, die gravierenden Probleme in der Kohle-Lieferkette angemessen zu adressieren. Bettercoal stellt seit vielen Jahren die eigene Unwirksamkeit unter Beweis.
Welche umweltbezogenen und menschenrechtlichen Risiken haben Sie in Ihren Steinkohle- und Gaslieferketten identifiziert? Was unternehmen Sie konkret, um wie vom Lieferkettengesetz gefordert auch präventive Maßnahmen zu ergreifen? Wir erwarten von Ihnen, dass Sie mit Vorbildcharakter das Lieferkettengesetz umsetzen, und wir erwarten auch vom Land Baden-Württemberg, dies ebenfalls so einzufordern.

Wir sehen Sie aber auch über das Lieferkettengesetz hinaus in der Pflicht, das Thema Lieferkettenverantwortung weiterzudenken, gerade in Bezug auf Kolumbien. Dort müssen nicht nur die vom Kohlebergbau betroffenen Gemeinden angemessen entschädigt werden, sondern auch ein sozial gerechter Kohleausstieg mit Perspektiven für lokale Wertschöpfung entstehen. Sie haben über Jahre von der billigen Steinkohle unter andere aus Kolumbien profitiert, eben weil die echten sozialen und ökologischen Kosten nie eingepreist waren. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um einen sozial gerechten Kohleausstieg in Ihren Bezugsländern zu fördern?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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