Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Vorstand und Aufsichtsrat,
mein Name ist Tilman Massa, ich spreche für den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Mit den uns übertragenen Stimmrechten fordern wir von Evonik deutlich effektivere Maßnahmen gegen die Klimakrise sowie für den Schutz von Umwelt und Menschenrechten ein.
Gleich zu Beginn möchte ich anregen, dass Sie in Zukunft doch Geschäftsbericht und Nachhaltigkeitsbericht in einem Bericht zusammenfassen könnten. Das tun nun immer mehr Unternehmen und erleichtert die Analyse und Bewertung, zumal sich viele Ihrer ESG-Angaben in beiden Berichten ohnehin doppeln.
Frage von ShareAction zur Dekarbonisierungsstrategie
Zunächst möchte ich die folgende Frage im Namen von ShareAction stellen, von der britischen Organisation haben Sie schon Briefe and Fragen zu Ihren Klimaschutzmaßnahmen erhalten, auch im Namen gewichtiger Vermögensverwaltungen wie Amundi.
Wir befinden uns in einem Klimanotstand. Der jüngste IPCC-Bericht bestätigt, dass das Zeitfenster für die Bewältigung des Klimawandels offen bleibt, aber nur knapp. Noch in diesem Jahrzehnt müssen entschiedene Maßnahmen ergriffen werden, um die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen und die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden.
Mindestens 50 Prozent der Rohstoffe, die Evonik in der chemischen Produktion einsetzt, stammen aus fossilen Energieträgern wie Öl und Gas. Die Netto-Null-Ziele von Evonik können nur erreicht werden, wenn die fossilen Rohstoffe durch nachhaltige, emissionsneutrale Alternativen ersetzt werden. Diese Alternativen gibt es bereits, und sie sind zunehmend verfügbar.
Die Risiken der Bindung an fossile Brennstoffe wachsen. Jüngste Analysen des Independent Commodity Intelligence Service haben gezeigt, dass sich die fossilen Kosten des Chemiesektors im Rahmen der kürzlich vorgeschlagenen Änderungen des EU-Emissionshandelssystems nach 2026 verdoppeln könnten.
Evonik hat bereits wichtige Schritte in diesem Bereich unternommen, indem Sie innovative Produktionsprozesse erprobt haben. Sie haben sich jedoch noch nicht dazu verpflichtet, den Einsatz fossiler Brennstoffe zu beenden. Damit wäre Evonik führend in der fossilfreien Chemieproduktion und würde ein wichtiges Signal an seine Wettbewerber und Zulieferer senden, den Einsatz von Alternativen zu fossilen Brennstoffen zu beschleunigen.
Die Frage von ShareAction lautet: Wird Evonik ein öffentliches, zeitlich klar definiertes Ziel zur Erhöhung des Anteils nicht-fossiler Rohstoffe im eigenen Rohstoffmix festlegen?
Klimabilanz, Klimaziele und Wasserstoffstrategie
Ich möchte hier auch einen Blick auf Ihre Klimabilanz vom letzten Jahr werfen. Der mit Abstand größte Anteil Ihres Klimaschadens entsteht in Ihren vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten (Scope 3) an. Insgesamt haben sich Ihre Treibhausgasemissionen von 2021 zu 2022 nur um magere sieben Prozent reduziert. In Ihrem Nachhaltigkeitsbericht schreiben Sie selbst, dass selbst diese Reduktion vor allem auf den konjunkturbedingten Rückgang Ihrer Aktivitäten zurückzuführen sei.
Sie haben sich nun neue Klimaziele gegeben, die aber alles andere als ambitioniert sind – angesichts der sich weiter zuspitzenden Klimakrise reicht das nicht aus:
Bis 2030 wollen Sie Ihre direkten Scope 1 und 2-Emissionen nur um 25 Prozent senken. Da bescheinigt selbst die Science Based Targets Initiative, die wenig unabhängig auch nur Klimaziele, nicht Maßnahmen bewertet, dass dies nicht im Einklang mit dem Szenario und Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Noch düsterer sieht es bei Ihren Zielen für Ihre Scope-3-Emissionen aus. Diese wollen Sie bis 2030 lediglich um 11 Prozent verringern.
Haben Sie hier vor, Ihre Klimaziele zu überarbeiten und auch an einen 1,5-Grad kompatiblen Pfad anzupassen? Haben Sie ein solches Szenario bereits erwogen und wissen, um wie viel mehr Sie Ihren CO2-Fußabdruck reduzieren müssten? Und vor allem: Haben Sie konkrete Pläne und Pfade an Maßnahmen, die Sie auf einen solchen Pfad bringen würden?
Bitte begründen Sie Ihre Antwort. Und bitte sagen Sie in Ihrer Antwort nicht, dass die SBTI ihre Klimaziele doch mit dem Ambitionsniveau von „well below 2°C” validiert hätte. Das weiß ich, jedoch ist das genau eben keine Einstufung, mit der sich auch gemäß der SBTI Ihre Klimaziele den Anforderungen des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaschutzabkommens entsprechen. Ich will aber auch nicht viel Zeit mit theoretischen Diskussionen um Klimaziele verschwenden. Die Chemieindustrie, Sie müssen jetzt eine radikale Transformation weg von der Nutzung fossiler Brennstoffe angehen, und dafür ist das entscheidend, was Sie tatsächlich tun.
Gerade in Bezug auf Ihre Scope-3-Ziele und Maßnahmen bleiben Sie unverantwortlich unkonkret. In Ihrem Geschäftsbericht schreiben Sie, dass sie nun immerhin analysieren, welche Rohstoffe und Lieferanten die größten Minderungspotenziale bieten würden. Was ist hier der Stand, gibt es Ergebnisse bzw. bis wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?
Weiter schreiben Sie: „Grüner Wasserstoff wird vermutlich ein Treiber der Energiewende im Rohstoffbereich sein.“ Nun, wenn Sie das auch nicht engagiert vorantreiben, dann tappen wir alle weiter im Dunkeln. In Ihrem Geschäftsbericht zählen Sie etliche, vielversprechende Möglichkeiten und Pilotprojekte von Verfahren auf, wie grüner Wasserstoff eingesetzt werden kann, um CO2-Emissionen in der Chemieindustrie zu reduzieren. Doch das ist noch längst keine umfassende Strategie, geschweige denn ein konkreter Maßnahmenplan.
Haben Sie eine ganzheitliche und konkrete Wasserstoffstrategie, die sich an Effizienz und den Notwendigkeiten der Energiewende und nationaler wie internationaler Klimaschutzziele orientiert?
Werden sie sicherstellen, dass es sich um grünen Wasserstoff handelt und nicht um Wasserstoff, der aus fossilem Gas gewonnen wird? Mittels welcher Infrastruktur wird er erzeugt und transportiert?
Fossile Kraftwerke in Marl
Aufgrund der kriegsbedingten Energiepreiskrise wurden Sie letztes Jahr von der Bundesregierung gebeten, Ihr Steinkohlekraftwerk in Marl wieder hochzufahren. Gleichzeitig ist ein schneller Kohleausstieg ein entscheidender Baustein, damit Sie Ihre Klimaziele auch tatsächlich erreichen. Herr Kullmann, da waren Ihre Ausführungen in Ihrer Eingangsrede sehr kurz, daher folgende Fragen:
- Wie ist hier der aktuelle Stand, wie lange soll das Kraftwerk in Betrieb bleiben, wie lange in der als Teil der nationalen Kraftwerksreserve? Bleibt es bei einer Abschaltung Anfang 2024?
- Haben Sie diese Mehremissionen bereits für den Pfad zum Erreichen Ihrer Klimaziele einberechnet?
- Aus welchen Ländern und von welchen Unternehmen beziehen Sie Ihre Steinkohle?
Sie ersetzen das Steinkohlekraftwerk mit fossilen Gaskraftwerken in Marl, ersetzen Erdgas (aus Russland) mit Liquefied Petroleum Gas (LPG). An anderen Standorten ersetzen Sie Erdgas zum Teil durch Heizöl.
Das ist ein fossiles Weiter-so. Ja, natürlich mit weniger Emissionen als bei der Verbrennung von Steinkohle, und ja, der schnelle Schritt weg von der Abhängigkeit von Putins Gas ist richtig. Doch wir brauchen schon mittelfristig einen konkreten Ausstiegspfad auch aus fossilem Gas und Öl, ganz egal in welcher Form.
- Aus welchen Ländern und von welchen Unternehmen beziehen Sie nun das zusätzlich benötigte LPG?
- Haben Sie konkrete Pläne, ab wann diese Kraftwerke mit Wasserstoff betrieben werden sollen?
- Wie teuer ist die Umrüstung?
- Und auch hier: Werden sie sicherstellen, dass es sich um grünen Wasserstoff handelt und nicht um Wasserstoff, der aus fossilem Gas gewonnen wird? Mittels welcher Infrastruktur wird er erzeugt und transportiert?
Rohstoffe, menschenrechtliche Sorgfalt und Lieferkettengesetz
Nach Angaben der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) sind die Importe von Nickel aus Russland auch nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht gesunken. Sie stellen unter anderem aktivierte Metallkatalysatoren her und wollen Ihre Produktionskapazitäten ausweiten.
- Aus welchen Ländern und von welchen Unternehmen haben Sie 2022 Nickel, Kobalt und andere Metalle in welchem Umfang in Gewicht und Preis bezogen?
- Aus welchen Ländern und von welchen Unternehmen beziehen Sie aktuell Nickel, Kobalt und andere Metalle in welchem Umfang in Gewicht und Preis?
- Beziehen Sie Nickel oder andere Rohstoffe aus Russland und falls ja, in welchem Umfang wollen Sie dies auch in Zukunft noch tun?
- Haben Sie Abnahmeverträge mit dem russischen Unternehmen Nornickel (Norilsk Nickel) und wenn ja, in welchem Umfang und mit welchen Laufzeiten?
- Haben Sie weitere Verträge mit russischen Unternehmen? Falls ja, wie sehen und bewerten Sie die Risken von Sanktionen sowie menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken?
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist nun in Deutschland in Kraft. Sie müssen nun proaktiv und systematisch Menschenrechtsrisiken bei direkten Zulieferern prüfen und ggf. darauf hinwirken, dass Missstände behoben werden. Selbsteinschätzungen und externe Nachhaltigkeitsaudits können allein nicht als Nachweis dazu dienen, dass Sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind. Wir erwarten nun, dass Sie nicht bei diesem Schritt stehen bleiben und selbstständig aktiv werden, um präventiv menschenrechtliche Risiken in ihren Lieferketten zu minimieren. Welche umweltbezogenen und menschenrechtlichen Risiken haben Sie selbstständig in Ihren Lieferketten identifiziert?
Im Rahmen der Initiative „Together for Sustainabilty“ (TfS) haben Sie letztes Jahr 11 Audits sowie 108 Assessments bei Ihren Zulieferern angestoßen. Was waren die Gründe, was sind die Ergebnisse und auf welche Maßnahmen haben Sie sich geeinigt?
Das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) nimmt weiter konkrete Formen an. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat seine Positionierung zum EU-Lieferkettengesetz beschlossen, morgen stimmt das EU-Parlament ab. Wie bewerten Sie diese Positionierung und werden Sie Einfluss auf den politischen Prozess nehmen?
Zu TOP 8: Vorschlag Satzungsänderung zu § 18, virtuellen Hauptversammlungen
Wir lehnen Ihren Vorschlag ab, den Vorstand zu ermächtigen, über die Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung entscheiden zu können.
Das Format und die Art und Weise, wie eine Hauptversammlung durchgeführt wird, betreffen elementare Aktionärsrechte. Daher sollte die Hauptversammlung und nicht der Vorstand darüber entscheiden, zu welchen Bedingungen bzw. in welchem Format zukünftige Hauptversammlungen durchgeführt werden sollen. Zudem sollte die Hauptversammlung auch darüber entscheiden, ob als weitere Option ein hybrides Format umgesetzt werden soll, welches die Vorteile einer Präsenz-Hauptversammlung mit jenen einer rein virtuellen Veranstaltung vereint.
Während die meisten anderen Aktiengesellschaften eine solche Vorstandsermächtigung auf zwei Jahre begrenzen, wollen Sie gleich ganze 5 Jahre dafür haben. Sie werden sicher sagen, auch immer die Interessen der Aktionär:innen beachten zu wollen, doch das sollten und können diese schon selbst am besten entscheiden.
Schon mit der Entscheidung, die diesjährige Hauptversammlung rein virtuell durchzuführen, haben Sie unter Beweis gestellt, neue Möglichkeiten für eine aktionärsfreundliche Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten nicht nutzen zu wollen.
- Falls Sie nächstes Jahr erneut eine virtuelle Hauptversammlung durchführen, würden Sie dann auch die Möglichkeit anbieten, Fragen schon vorab schriftlich einreichen zu können und die Antworten dazu auch für alle transparent zu machen? So kann das Frage- und Informationsrecht aller Aktionär*innen besser umgesetzt und zudem die Diskussion in der Hauptversammlung auf wichtige Punkte und Nachfragen fokussiert werden. In keinem Fall sollen schriftliche Fragen selbstverständlich das Fragen in der Hauptversammlung und den Austausch mit Ihnen ersetzen.
- Und auch ich frage Sie wie Herr Hocker von der DSW: Planen Sie, die Möglichkeit einer hybriden Hauptversammlung zu prüfen? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.
- Herr Kullmann, Sie wollten sich vorhin nicht festlegen: Haben Sie schon Präferenzen und Pläne, ob die nächste Hauptversammlung rein virtuell oder wieder in Präsenz stattfinden soll, und nach welchen Kriterien werden Sie entscheiden?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.